Leitsatz (amtlich)

Der vom Betrieb ausgewählte Teilnehmer an einem Lehrgang oder einer Fortbildungsveranstaltung steht bei einem Besuch des Münchener Oktoberfestes auch dann nicht unter Unfallversicherungsschutz, wenn eine solche Freizeitveranstaltung vom Arbeitgeber im Rahmen des Lehrgangs organisiert und finanziert worden ist.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 550 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines tödlichen Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall, den der Ehemann der Klägerin (B.) am 26. September 1974 während einer Dienstreise in München auf dem Weg vom Oktoberfest zu seinem Hotel erlitt.

B. war Prüffeldmitarbeiter (Prüffeldingenieur) in dem Berliner Betrieb der Firma Siemens. Dort waren im Prüffeld 1974 insgesamt 485 Mitarbeiter, in der Abteilung des B. 30 Personen, tätig gewesen. Am 26. und 27. September 1974 fand in der Münchener Zentrale der Firma Siemens ein sogenannter Prüffeldbesuch statt, an dem 3 Mitarbeiter des Münchener, 5 des Oostkamper und 5 des Berliner Prüffeldes teilnahmen, unter ihnen der Kläger. Der Besuch bezweckte in erster Linie, den Teilnehmern die neuesten Methoden der Prüffeldtechnik zu vermitteln. Ferner sollten die Mitarbeiter der einzelnen Standorte miteinander bekannt gemacht und in die Arbeitsweise der anderen Standorte eingeführt werden. Nach dem den Beteiligten übersandten Programm war am 26. September 1974 für die Begrüßung der Teilnehmer und die Führung durch Werkstätten und Prüffelder die Zeit von 8,30 bis 11,30 Uhr vorgesehen. Daran sollten sich ein gemeinsames Mittagessen, eine Besichtigung der Münchener Innenstadt und ab 15,00 Uhr ein Besuch des Oktoberfestes anschließen. Für den 27. September 1974 war am Vormittag eine Führung durch die Zentrale-Erprobungsstelle, Galvanik, Leiterplatten- und Quarzfertigung geplant. Die Veranstaltung sollte mit einem auf 11,30 Uhr anberaumten gemeinsamen Mittagessen abgeschlossen werden.

Der Oktoberfestbesuch wurde von der Firma Siemens bezahlt, der Leiter der veranstaltenden Abteilung war dabei anwesend. Auf dem Rückweg von diesem Besuch zu seinem Hotel wurde B. am 26. September 1974 um 23,42 Uhr beim Überqueren einer Straße von einem Pkw erfaßt und tödlich verletzt.

Mit Bescheid vom 28. November 1974 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da der Unfall kein Arbeits- (Wege-)unfall gewesen sei. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) mit Urteil vom 21. August 1975 abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt: Bei einer Dienstreise sei zu unterscheiden, ob die zum Unfall führende Tätigkeit privater Natur gewesen sei oder ob sie mit dem Beschäftigungsverhältnis zusammengehangen habe. Dabei sei auf den Zweck der Tätigkeit abzustellen. Der Oktoberfestbesuch habe nicht in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gestanden. Er sei als vom Betrieb organisierte Freizeitgestaltung anzusehen. Es habe sich auch nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt, da die Teilnehmerzahl zu gering gewesen sei, um einen zur Pflege der betrieblichen Verbundenheit zusammengekommenen Teil (Abteilung oder Gruppe) der Betriebsbelegschaft darstellen zu können. B. habe auf dem Weg zum Hotel auch keinen Betriebsweg wieder aufgenommen, da spätestens nach dem gemeinsamen Mittagessen eine Lösung von der betrieblichen Tätigkeit eingetreten sei.

Die Klägerin hat die durch Beschluß des Vorsitzenden der erkennenden Kammer des SG vom 4. November 1975 zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie ist der Ansicht, B. sei einem Arbeitsunfall erlegen. Die Gesichtspunkte der Teilnahme an einer Gemeinschaftsveranstaltung seien von untergeordneter Bedeutung. Der Versicherungsschutz sei vielmehr nach den für eine Dienstreise entwickelten Grundsätzen zu bejahen. Die Anwesenheit am Unfallort sei durch betriebliche Umstände bedingt gewesen. Bei dem Besuch des Oktoberfestes habe es sich nicht um eine Freizeitveranstaltung gehandelt, er habe vielmehr der Vertiefung der betrieblichen Verbundenheit der Tagungsteilnehmer der verschiedenen Standorte der Firma Siemens gedient. Deshalb sei er auch auf dem Tagungsprogramm vorgesehen gewesen und deshalb habe auch eine Kostentragung durch die Firma stattgefunden. Das Betriebsklima zwischen den einzelnen Fachgruppen der Belegschaftsmitglieder sei gefördert worden. Eine solche Übung habe sich in entsprechenden Großbetrieben herausgebildet. Außerdem seien die Tagungsteilnehmer zum Besuch des Oktoberfestes verpflichtet gewesen, diesem "Programmpunkt" hätten sie sich nicht entziehen können.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 1974 und das Urteil des SG Berlin vom 21. August 1975 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die gesetzlichen Leistungen nach der RVO, d. h. aus der Unfallversicherung aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes am 26. September 1974 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Sie meint, der Besuch einer Vergnügungsveranstaltung könne grundsätzlich nicht im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit stehen. Zur Annahme einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung fehle es hier an der Pflege der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft. Im übrigen sei B. nicht verpflichtet gewesen, bis in die Nacht hinein an dem Oktoberfest-Vergnügen teilzunehmen. Auf dem Oktoberfest hätten auch keine betrieblichen Gespräche geführt werden können.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist durch Zulassung statthaft. Zwar ist sie lediglich durch Beschluß des Kammervorsitzenden ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zugelassen worden, obwohl letztere an der Beschlußfassung hätten teilnehmen müssen, da das Beschlußverfahren ein Teil des Urteilsinhalts ist (Urteil des 2. Senats des Bundessozialgerichts - BSG - vom 17. Dezember 1975 - 2 RU 77/75 -; Urteil des erkennenden Senats vom 30. April 1976 - 8 RU 74/75 -). In den genannten Entscheidungen ist aber ausgeführt, daß die Zulassung der Sprungrevision trotzdem jedenfalls zur Zeit - zumindest unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes - als wirksam anzusehen ist.

Die Revision ist auch zulässig, da sie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist. Sie kann aber keinen Erfolg haben, denn das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Leistungsanspruch gegen die Beklagte. B. ist nicht durch einen Arbeitsunfall ums Leben gekommen, weshalb die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nicht verpflichtet ist (§ 589 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Nach § 548 Abs. 1 RVO ist ein Arbeitsunfall u. a. ein Unfall, den ein Versicherter bei einer Tätigkeit aufgrund eines Arbeitsverhältnisses i. S. von § 539 Abs. 1 Ziff. 1 RVO erleidet. Das war bei B. nicht der Fall, denn der Unfall ereignete sich nicht während seiner eigentlichen Beschäftigung. Nach § 550 Abs. 1 RVO stehen auch die mit der in § 539 Abs. 1 Ziff. 1 RVO genannten Tätigkeit zusammenhängenden Wege unter Unfallversicherungsschutz. B. erlitt den Verkehrsunfall zwar auf einem Weg, letzterer stand aber mit seinem Beschäftigungsverhältnis nicht in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang. Das SG führt zu Recht aus, daß dieser Zusammenhang nicht durch den Besuch des Oktoberfestes, von dem B. zurückzukehren im Begriff war, hergestellt wurde. Dieser ist weder als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung noch als Teil der versicherten Dienstreise anzusehen. Der Versicherungsschutz ist im angefochtenen Urteil unter beiden hier in Betracht kommenden Gesichtspunkten zutreffend verneint worden.

Die Annahme einer unter Versicherungsschutz stehenden betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung entfällt bereits wegen der geringen Teilnehmerzahl. Wie das BSG in seinem Urteil vom 28. August 1955 (BSG 1, 179, 182 f) ausgeführt hat, ist die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen deshalb als versichert anzusehen, weil letztere die Verbundenheit zwischen der Betriebsleitung und der Belegschaft fördern und damit betrieblichen Interessen dienen. Ein Versicherungsschutz setzt aber grundsätzlich voraus, daß allen Betriebsangehörigen die Veranstaltung offen steht. Zwar genießen auch Veranstaltungen von Abteilungen oder Gruppen des Gesamtbetriebes Unfallversicherungsschutz, wenn es sich um größere Betriebe handelt oder die Erfordernisse des Betriebes keine gemeinsame Veranstaltung erlauben (BSG aaO S. 183). Aber nicht jedem noch so geringen Teil der Belegschaft kann die Fähigkeit zugesprochen werden, sich zu einer Gemeinschaftsveranstaltung zusammenzufinden (BSG 7, 249, 252). Vielmehr müssen die Teilnehmer zumindest die Gemeinschaft der im Unternehmen Tätigen - oder wenigstens einen betrieblich abgrenzbaren Teil - "repräsentieren", was bei einem zahlenmäßigen Mißverhältnis nicht angenommen werden kann (BSG 9, 222, 225; BSG in SozR Nr. 25 zu § 542 aF RVO Aa 11 Rs.; vgl. auch Wildfeuer in Sozialversicherung 1964, 215). Hier kann wegen der geringen Teilnehmerzahl am Oktoberfestbesuch nicht von einer Repräsentation der Gesamtbelegschaft gesprochen werden. Nach den Feststellungen des SG waren 1974 im gesamten Prüffeld des Berliner Betriebes der Firma Siemens, in dem B. tätig war, 485 Belegschaftsangehörige beschäftigt gewesen; auch in der Abteilung, in der B. tätig war, arbeiteten 30 Personen. Aus dem Berliner Prüffeld sind insgesamt lediglich 5 Mitarbeiter nach München entsandt worden, wobei sich aus den Unfallakten ergibt, daß B. der einzige Mitarbeiter aus Prüffeld 32 war (vgl. UA Bl. 8, 9). Das zahlenmäßige Mißverhältnis zwischen Teilnehmern und Gesamt- oder Teilbelegschaft des Berliner Betriebes ist sonach unverkennbar. Das SG hat zwar im Urteil keine eigenen Feststellungen darüber getroffen, wieviele Mitarbeiter die Prüffelder der Betriebe in Oostkamp und München hatten, die die übrigen 8 Teilnehmer zu der Veranstaltung in München gestellt hatten. Nach dem vom SG wiedergegebenen Vortrag der Klägerin waren aber in den anderen Prüffeldern "jeweils über 400 Mitarbeiter" tätig gewesen (Urteil S. 4 oben). So kann auch im Verhältnis zu den Gesamtbeschäftigten aller 3 beteiligten Betriebe nicht von einer Repräsentation durch die Teilnehmer an der Münchener Veranstaltung gesprochen werden. Die Annahme einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung scheitert im übrigen auch daran, daß es sich bei den Teilnehmern um wenige ausgewählte Mitarbeiter der Siemens-Betriebe handelte. Da die Bejahung des Versicherungsschutzes für solche Veranstaltungen nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung auf deren Zweck, die Verbundenheit zwischen Belegschaft und Leitung zu fördern, beruht, muß grundsätzlich allen Belegschaftsmitgliedern oder zumindest den Angehörigen des jeweiligen die Veranstaltung austragenden Betriebsteils die Teilnahme offenstehen. Die Auswahl einiger weniger Arbeitnehmer widerspräche dem Charakter einer solchen Veranstaltung. Auf das von der Revision zitierte Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (Breithaupt 1975, 1026 f) brauchte hier nicht näher eingegangen zu werden, da die Sachverhalte nicht gleich gelagert sind.

Auch nach den für eine Dienstreise entwickelten Grundsätzen kann der Versicherungsschutz nicht bejaht werden. Wie das SG zu Recht ausgeführt hat - dies wird von der Revision auch nicht in Frage gestellt -, steht ein Dienstreisender nicht während der gesamten Dauer der Reise schlechthin bei jeder Betätigung unter Unfallversicherungsschutz. Es ist vielmehr auch hier zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem rechtlich wesentlichen - inneren - Zusammenhang stehen und deshalb versichert sind, und solchen Verrichtungen, die der privaten Sphäre des Reisenden angehören, bei denen er sich somit außerhalb einer solchen inneren Beziehung zum Unternehmen befindet; diese sind grundsätzlich unversichert (BSG 8, 48, 50 f; BSG in SozR Nr. 17 zu § 542 aF RVO). Dasselbe gilt für Dienstreisen anläßlich eines Lehrgangs oder einer Fortbildungsveranstaltung. Gerade bei diesen, länger als einen Tag dauernden Tagungen lassen sich im Ablauf der einzelnen Tage meist Zeiträume unterscheiden, während deren der Aufenthalt in der fremden Stadt wesentlich unternehmungsbedingt ist und solche, in denen dieser Zusammenhang in den Hintergrund rückt (BSG in SozR Nr. 33 zu § 542 aF RVO Aa 23). Als Unterscheidungsmerkmal ist ausschlaggebend, welchem Zweck die Tätigkeit diente, die zum Unfall geführt hat. Stand dieser in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis, ist Versicherungsschutz anzunehmen (BSG 8, 48, 52; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Stand: Oktober 1975, Anm. 65 zu § 548 RVO S. 233). An dieser Voraussetzung wird es in der Regel fehlen, wenn der Dienstreisende bei der Freizeitgestaltung, insbesondere am Abend, wie z. B. bei dem Besuch von Vergnügungsstätten, verunglückt ist (BSG 8, 48, 50; Lauterbach aaO S. 233/1; Gunkel, Unfallversicherung auf Wegen und Reisen, 1962, S. 24).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Versicherungsschutz für den Unfall des B. zu verneinen. Der Besuch des Oktoberfestes - und damit auch der Rückweg hiervon zum Hotel - war nicht versichert. Er stand nicht in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit dem Zweck der Dienstreise und diente daher nicht wesentlich betrieblichen Belangen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des SG bezweckte die Reise nach München in erster Linie, den Teilnehmern die neuesten Methoden der Prüffeldtechnik zu vermitteln (Urteil S. 2). Mit diesem Programm hatte der Oktoberfestbesuch nichts zu tun. Ferner sollte die Tagung dazu dienen, die Mitarbeiter der einzelnen Standorte der Firma Siemens miteinander bekannt zu machen und in die Arbeitsweise der anderen Standorte einzuführen. Es sollte somit neben einer betrieblichen Unterweisung auch eine Kontaktaufnahme erfolgen. Dazu bieten sich jedoch Erfrischungs- oder Ruhepausen auf dem Betriebsgelände und vielleicht auch das hier eingeplante gemeinsame Mittagessen an. Andererseits steht nicht jede Veranstaltung, die auch der Kontaktaufnahme dienen kann, unter Unfallversicherungsschutz. Vielmehr muß auch hier ein bestimmter, der Kontaktaufnahme wesentlich dienender Rahmen eingehalten sein, zumal die Pflege gesellschaftlicher Beziehungen, auch wenn diese für das Unternehmen wertvoll sind, sowie die persönlichen Beziehungen zu den Betriebsangehörigen, die sich auf das "Betriebsklima" günstig auswirken, grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind (vgl. BSG Urteil vom 27. Oktober 1967 in BKK 1968, 393, 394 ; vgl. ferner Entscheidung des erkennenden Senats vom 14. November 1974 - 8 RU 248/73 -). Unter Würdigung dieser Grundsätze kann im vorliegenden Fall kein ausreichender, rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen dem betrieblichen Zweck der Reise und dem Festbesuch hergestellt werden. Das Oktoberfest ist eine Vergnügungsveranstaltung, sein Besuch dient deshalb grundsätzlich der Erholung und ist Teil der Freizeitgestaltung. Der Besucher eines solchen Volksfestes will sich an den dargebotenen Veranstaltungen erfreuen oder sich zumindest das Leben und Treiben dort ansehen. Auch bei dem Festwiesenbesuch durch eine Gruppe - wie hier durch die Tagungsteilnehmer - steht dieses Anliegen im Vordergrund; denn zur Kontaktaufnahme und zum Kennenlernen ist ein Volksfest mit seinen Darbietungen wegen der damit verbundenen Ablenkung sehr viel weniger geeignet als eine Vielzahl denkbarer anderer Veranstaltungen. Selbst wenn bei dem Festwiesenbesuch auch betriebliche Dinge besprochen worden sein sollten, - was nicht festgestellt ist, aber bei dem Zusammentreffen von Fachkollegen häufig der Fall sein wird - kann hierdurch allein noch kein rechtlich wesentlicher betrieblicher Zusammenhang hergestellt werden. Wesentlich bleibt der Charakter als Freizeitveranstaltung, etwaige gelegentliche Fachgespräche finden dann nur bei dieser Gelegenheit statt (vgl. Urteil des BSG vom 27. Oktober 1967 in Betriebskrankenkasse 1968, 393 f; LSG Schleswig in Breithaupt 1958, 415, 416). Wollte man allein durch die Gesprächsthemen einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit als gegeben erachten, wäre jede Unterhaltung - gleich wo und unter welchen Umständen sie stattfindet -, sofern sie sich nur auf betriebliche Vorgänge bezieht, als Betriebstätigkeit anzusehen; dadurch würde aber eine sinnvolle Abgrenzung zwischen betrieblicher und persönlicher Sphäre schlechthin unmöglich gemacht (BSG in SozR Nr. 43 zu § 542 aF RVO).

Auch durch den Umstand, daß der Oktoberfestbesuch als Programmpunkt vorgesehen, d. h. von der Tagungsleitung geplant war, und durch die Firma Siemens finanziert wurde, läßt sich der betriebliche Zusammenhang und damit der Versicherungsschutz nicht bejahen. Insoweit gelten ähnliche Grundsätze wie für betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen. Wie das BSG hierzu mehrfach entschieden hat, ist die Teilnahme an Freizeit- und Erholungsveranstaltungen nicht deshalb versichert, weil diese vom Unternehmen organisiert und bezahlt werden. Stehen Freizeit, Unterhaltung oder Erholung im Vordergrund, fehlt es an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang (BSG 9, 222, 226; 17, 280, 282; BSG in SozR Nr. 18 zu § 548 RVO). Das war nach dem Ausgeführten auch hier der Fall. Das SG hat zu Recht von einer durch den Betrieb organisierten Freizeitgestaltung gesprochen. Organisation und Kostentragung mögen zwar für den Festwiesenbesuch eine nicht hinwegzudenkende Bedingung i. S. der Äquivalenztheorie sein; nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie von der wesentlichen Bedingung muß der Unfall aber in einem rechtlich wesentlichen - inneren - Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen. Daran fehlt es hier. Es steht einer solchen Großfirma zwar frei, ihre Lehr- oder Weiterbildungsveranstaltungen durch Attraktionen verschiedenster Art zu bereichern, sie hat es aber nicht in der Hand, den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz damit auf sonst unversicherte Tatbestände auszuweiten, und zwar auch dann nicht, wenn die Beschäftigten dadurch erfreut werden und hierdurch ihre persönliche Verbundenheit mit dem Betrieb gestärkt wird (vgl. BSG 17, 280, 282 ).

Für den Vortrag der Revision, der Besuch des Oktoberfestes sei für die Tagungsteilnehmer "Pflicht" gewesen, lassen sich aus dem angefochtenen Urteil keine Tatsachen entnehmen. Aufklärungsrügen sind nicht erhoben worden. Allein die Aufnahme dieser Veranstaltung in das Tagungsprogramm bedeutet nicht, daß die Teilnahme ohne Ausnahme vom Betrieb auch als zwingend erwartet wurde. Im übrigen hat der Teilnehmer M am 30. September 1974 bekundet, es sei nicht unbedingt Pflicht gewesen, an dem Oktoberfestbesuch teilzunehmen (vgl. Unfallakten Bl. 37). Bei der gegebenen Sachlage bedarf es somit hierzu keiner weiteren Ausführungen.

Nach alledem stand der Ehemann der Klägerin beim Oktoberfestbesuch und damit auch während des Unfalls auf dem Rückweg davon nicht unter Unfallversicherungsschutz. Das SG hat die Klage gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten somit zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647525

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