Leitsatz (amtlich)

Wird anläßlich einer Witwenrentenabfindung der Bescheid über die Gewährung der Witwenrente nachträglich zu Recht berichtigt, so ist die Abfindung nach der berichtigten und nicht nach der zuletzt tatsächlich gezahlten Rente zu berechnen.

 

Normenkette

SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; AVG § 81 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1302 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. Juni 1959 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Rente einer Witwe nach ihrer Wiederheirat abzufinden ist (§ 81 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -), wenn die Bundespost die Rente im Jahre 1957 bei der Umstellung nach Art. 2 §§ 30 ff des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) versehentlich zu hoch berechnet hatte.

Die Klägerin bezog seit 1952 Witwenrente. In dem letzten Bescheid vor der Umstellung vom 25. Juli 1956 war der jährliche Steigerungsbetrag aus der Invalidenversicherung auf 88,18 DM (ungekürzt), aus der Angestelltenversicherung auf 36,82 DM festgestellt und die Rente auf monatlich 47,- DM festgesetzt worden. In der Umstellungsmitteilung der Post vom 13. Juli 1957 wurde versehentlich von einem monatlichen Steigerungsbetrag von "9,5" anstatt "5,2" (88,18 + 36,82 DM = 125,- DM, davon 5/10 Witwenrente = 62,50 DM : 12 = 5,2) ausgegangen und infolgedessen die Rente irrtümlich auf den monatlichen Zahlbetrag von 270,- DM (anstatt richtig 148,80 DM) umgestellt.

In dieser Höhe bezog die Klägerin die Witwenrente bis Mai 1958 (einschließlich). In diesem Monat heiratete sie und beantragte die Abfindung. Nach der Höhe der Abfindungssumme hatte sie sich bereits vorher erkundigt; die Beklagte hatte am 17. Oktober 1957 geantwortet, daß nach § 81 AVG "einer Witwe, welche eine neue Ehe eingeht, als Abfindung das Fünffache des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente gewährt" wird.

Mit Bescheid vom 4. Juli 1958 bewilligte die Beklagte die Abfindung. Dabei stellte sie zugleich fest, daß der Klägerin die Rente vom 1. Januar 1957 nur in Höhe von monatlich 148,80 DM zustehe. Sie verzichtete auf die Rückforderung der Überzahlung (2060,40 DM), berechnete aber die Abfindung entsprechend der berichtigten Rente (148,80 DM x 12 x 5 = 8928,- DM.

Nach Ansicht der Klägerin richtet sich die Höhe der Abfindung dagegen nach der bis zur Heirat tatsächlich bezogenen Rente (270,- DM x 12 x 5 = 16,200,- DM). Mit ihrer Klage, den Bescheid vom 4. Juli 1958 aufzuheben (abzuändern) und die Beklagte zur höheren Abfindung zu verurteilen, hatte sie keinen Erfolg (Urt.d.SG Lübeck vom 11. November 1958). Die zugelassene Berufung wies das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 18. Juni 1959 zurück. § 81 AVG verstehe unter der "bisher bezogenen Rente" nicht den letzten Zahlbetrag, sondern "die zur Zeit der Abfindung geltende Rente"; deshalb sei der Abfindung hier die berichtigte Rente zugrunde zu legen; zu ihrer Berichtigung sei die Beklagte befugt.

Die Klägerin legte die zugelassene Revision ein mit dem Antrag,

das Urteil des LSG aufzuheben und ihrer Klage stattzugeben.

Sie hält die §§ 81 AVG und 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für verletzt.

Die Beklagte beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Beide Beteiligte sind einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 1958 und die beigefügte "Anlage und Ergänzung" enthalten mehrere Regelungen (Verwaltungsakte): Die Beklagte stellte darin zunächst die Witwenrente für die Zeit von Januar 1957 bis Mai 1958 neu fest (1. Regelung); sie verzichtete darauf, die sich hieraus ergebende Überzahlung zurückzufordern (2. Regelung) sie bewilligte schließlich die Abfindung in Höhe von 8928,- DM (3. Regelung). Mit der Klage ist nicht nur die letzte, sondern auch die erste Regelung angefochten; auf ihre Rechtswirksamkeit gründet die Beklagte nämlich die Entscheidung über die Abfindungshöhe; diesem Zusammenhang beider Regelungen muß die Klägerin Rechnung tragen, zumal sie der Beklagten das Recht, die Rentenhöhe rückwirkend zu ändern, bestreitet; nach ihrem richtig verstandenen Willen (§ 123 SGG) wendet sich die Klägerin daher auch gegen die Feststellung der Witwenrente (1. Regelung), wenn sie auch deren Berechnung mit 148,80 DM an sich billigt. Die Vorinstanzen haben deshalb zu Recht die erste und die letzte Regelung des angefochtenen Bescheides auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft; hieran war das LSG auch nicht durch die Vorschriften in den §§ 144 Abs. 1 Nr. 1, 146 SGG über den Berufungsausschluß bei Ansprüchen auf einmalige Leistungen und bei Rentenstreit für bereits abgelaufene Zeiträume gehindert; denn das Sozialgericht (SG) hat die Berufung ausdrücklich zugelassen (§ 150 Abs. 1 Nr. 1 SGG), ohne diesen Ausspruch auf einen Teil des Streitgegenstandes zu beschränken.

Die Beklagte konnte die Witwenrente für die Zeit von Januar 1957 bis Mai 1958 auf den richtigen Monatsbetrag von 148,80 DM festsetzen und die fehlerhafte Umstellungsmitteilung der Post berichtigen, selbst wenn diese Mitteilung - was offen bleiben kann - ein Verwaltungsakt sein sollte.

Der Senat hat schon im Urteil vom 8. September 1961, das gleichfalls die Berichtigung einer Umstellungsmitteilung betraf (BSG 15, 96), und seitdem wiederholt entschieden, daß nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten auch in bindend gewordenen Verwaltungsakten jederzeit von Amts wegen berichtigt werden können.

Im vorliegenden Falle gehört der Fehler in der Umstellungsmitteilung zu diesen Unrichtigkeiten; denn er beruht weder auf einem Rechtsirrtum noch auf einer unrichtigen Tatsachenwertung, sondern, wie das LSG festgestellt hat, auf einem Versehen. Für die Bundespost standen alle für die Umstellung nach Art. 2 § 32 AnVNG erforderlichen Merkmale fest (Höhe des monatlichen Steigerungsbetrages, Geburts- und Todesjahr des Versicherten, Umstellungsfaktor). Der Steigerungsbetrag war aus der bisherigen Rentenberechnung zu übernehmen, um die Hälfte zu kürzen (Witwenrente) und auf den Monat umzurechnen. Dabei konnte sich nur der Betrag von "5,2" ergeben. Wieso stattdessen "9,5" eingesetzt wurde, hat sich nicht ermitteln lassen und braucht nicht aufgeklärt zu werden, weil die Berichtigung auch dann statthaft ist (und sein muß), wenn sich das Zustandekommen des Versehens nicht erklären läßt.

Die Unrichtigkeit war ferner offenbar. Hierfür ist nicht das Erkenntnisvermögen der tatsächlich Beteiligten, sondern das verständiger Personen entscheidend. Grundlage ihres Urteils sind außer der Umstellungsmitteilung auch die übrigen im Besitz des Rentners befindlichen Unterlagen, insbesondere frühere Rentenbescheide, auf denen die Umstellungsmitteilung fußt. Vergleicht eine verständige (sachkundige) Person die Umstellungsmitteilung jedoch mit der Rentenberechnung im Bescheid vom 25. Juli 1956, so drängt sich für sie der Fehler in der Umstellungsmitteilung ohne weiteres auf.

In seinem früheren Urteil hat der Senat weiter klargestellt, daß die Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten in der Regel jederzeit möglich ist und ihrem Wesen nach in die Vergangenheit zurückwirkt. Die Klägerin kann demgegenüber nicht verlangen, daß die Berichtigung wegen ihres Vertrauens auf die Richtigkeit der Umstellungsmitteilung unterbleibt. Für die gewährten Leistungen ist ihr Vertrauen schon dadurch "geschützt" worden, daß die Beklagte die von Januar 1957 bis Mai 1958 in Höhe von über 2000,- DM überzahlten Beträge nicht zurückgefordert hat. Den gleichen "Vertrauensschutz" hätte die Beklagte zwar auch gewähren können, indem sie die Berichtigung der Umstellungsmitteilung überhaupt unterließ, worauf ein Rückforderungsrecht gar nicht entstanden wäre. Wenn sie nicht in dieser - einfacheren - Weise verfuhr, so hatte dies seinen besonderen Grund darin, daß die rückwirkende Rentenfeststellung außerdem für die Höhe der Abfindung bedeutsam war. Gegen diese Auswirkung der Rentenfeststellung kann die Klägerin aber keinen Vertrauensschutz beanspruchen, weil die Abfindung ihr noch nicht gezahlt, sondern erst noch zu gewähren war, es sich mithin um eine künftige Leistung, dazu anderer Art, handelte; die Offensichtlichkeit des hier vorliegenden Fehlers läßt einen Vertrauensschutz auf seinen Fortbestand in der Zukunft (auf seine Übernahme in die Berechnung der Abfindung) nicht zu.

Die Klage auf höhere Witwenrentenabfindung ist ebenfalls zu Recht abgewiesen worden. Nach § 81 Abs. 1 AVG beträgt die Abfindung "das Fünffache des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente". Aus dieser Wortfassung ist nicht zu schließen, daß immer der im Heiratsmonat zufällig gerade gezahlte Rentenbetrag (zum Vor- oder Nachteil des Rentners) die Abfindungshöhe bestimmt. Auch wenn der Gesetzgeber sich damit auf die bisherige Rentenhöhe bezogen hätte, ist damit nur der rechtmäßig ausgezahlte (oder rechtmäßig auszuzahlende) Rentenbetrag gemeint. Es könnte dann nichts anderes gelten, als was das Bundessozialgericht schon zum Begriff des "bisherigen monatlichen Rentenzahlbetrages" in Art. 2 § 35 Abs. 1 AnVNG (Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG) ausgeführt hat (BSG 14, 251). Hier wie dort ist nur der auf Grund eines bindend gewordenen Bescheides oder - bei Fehlen eines solchen - der auf Grund der gesetzlichen Vorschriften zuletzt zu zahlende Rentenbetrag gemeint, keinesfalls ein irrtümlich ausgezahlter Betrag, weil nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe durch solche Formulierungen auch gesetzwidrige Auszahlungen sanktionieren wollen (aaO S. 252). Rechtmäßig konnte die Klägerin im Heiratsmonat indes nur eine Witwenrente von monatlich 148,80 DM beziehen; das ist im ersten Teil des Bescheides vom 4. Juli 1958 festgestellt; dieser Teil des Bescheides ist, wie oben dargelegt, rechtswirksam; mit ihm hat die Beklagte insbesondere eine etwaige Bindungswirkung der Umstellungsmitteilung vom 13. Juli 1957 rückwirkend beseitigen können und beseitigt. Die Beklagte hat deshalb die Abfindung nach der berichtigten und nicht nach der zuletzt tatsächlich gezahlten Rente berechnen müssen.

Dieses Ergebnis wird auch nicht durch den Hinweis der Klägerin auf die Antwort der Beklagten vom 17. Oktober 1957 auf ihre Anfragen nach der Abfindungshöhe in Frage gestellt. Die Beklagte hat darin der Klägerin keine Abfindung in Höhe von 16.200,- DM zugesagt, sondern lediglich eine unverbindliche Rechtsauskunft erteilt. Durch eine Rechtsauskunft wird aber eine Verwaltungsbehörde zum Erlaß späterer Verwaltungsakte nicht verpflichtet. Im übrigen entsprach die Auskunft dem Gesetz, weil sie im wesentlichen dessen Wortlaut wiedergab. Die Auskunft gibt auch keinen Anlaß, die Frage des Vertrauensschutzes gegen die rückwirkende Feststellung der Witwenrente anders zu beurteilen; denn die Beklagte mußte nicht schon auf Grund der Anfragen die Richtigkeit der Rentenumstellung überprüfen; aus der Auskunft konnte die Klägerin auch keine Garantie der damaligen Rentenhöhe entnehmen; schließlich konnte die Klägerin eine höhere Abfindung auf der Grundlage der fehlerhaften Umstellung genauso erwarten, wenn sie den Gesetzeswortlaut las, und sogar dann, wenn der Gesetzestext die Worte "bisher bezogen" überhaupt nicht enthalten würde.

Die Revision war sonach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2379790

BSGE, 270

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