Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Genehmigungsverfahren. Vorlagefrist für vertragsärztliche Verordnungen. Vergütungsanspruch ab Eingang bis zur Entscheidung der Krankenkasse auch bei Überschreitung unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit. lückenlose Verordnungskette. 24-Stunden-Pflege/Betreuung eines Kleinkindes getrennt von Eltern und Geschwistern in einer durch den Pflegedienst angemieteten Wohnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch wenn die Frist von drei Arbeitstagen zur Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung über häusliche Krankenpflege überschritten worden ist, hat die Krankenkasse vor ihrer Entscheidung über die Genehmigung erbrachte Leistungen unabhängig von deren medizinischer Notwendigkeit zu vergüten, jedoch beschränkt auf die Zeit ab Eingang der Verordnung.

2. Liegen der Krankenkasse im Zeitpunkt der Entscheidung über die Genehmigung häuslicher Krankenpflege bereits mehrere vertragsärztliche Verordnungen vor, die den gesamten Zeitraum lückenlos abdecken, gilt die Vorlagefrist von drei Arbeitstagen nur für die Erstverordnung.

3. Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht nicht, wenn ein Kleinkind getrennt von Eltern und Geschwistern in einer durch den Pflegedienst eigens angemieteten Wohnung rund um die Uhr betreut und gepflegt wird.

 

Normenkette

SGB 5 § 37 Abs. 1 Fassung: 2003-11-14, Abs. 2 Fassung: 2003-11-14, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, Abs. 7, § 132a Abs. 1 Fassung: 2003-11-14, Abs. 2 Fassung: 2003-11-14; HKPRL Nr. 13 Abs. 2 Fassung: 2005-02-15, Nr. 24 Fassung: 2005-02-15, Nr. 24 Fassung: 2008-01-17; HKPRL § 3 Abs. 4 S. 2 Fassung: 2009-09-17, § 6 Abs. 6 Fassung: 2009-09-17

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 12.06.2014; Aktenzeichen L 5 KR 98/12)

SG Schleswig (Urteil vom 25.09.2012; Aktenzeichen S 5 KR 119/08)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. Juni 2014 und des Sozialgerichts Schleswig vom 25. September 2012 geändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin über den bereits zuerkannten Vergütungsbetrag von 45 514 Euro hinaus weitere 20 562 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 64 144 Euro ab 17. Mai 2006 sowie auf weitere 1932 Euro ab 4. September 2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt 3/5 und die Beklagte 2/5 der Kosten des Revisionsverfahrens und des Berufungsverfahrens. Von den Kosten des Klageverfahrens trägt die Klägerin 2/5 und die Beklagte 3/5.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 59 516,25 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die klagende Gesellschaft betreibt einen ambulanten Pflegedienst und hat in der Zeit vom 15.8.2005 bis 15.6.2006 häusliche Krankenpflege in einem Umfang von 24 Stunden täglich für die am 15.3.2005 geborene Versicherte M. erbracht. Die Leistungen sind von der beklagten Krankenkasse nur bis zum 31.3.2006 und zudem nur zu einem geringen Teil vergütet worden. Die Klägerin macht nunmehr restliche Vergütungsansprüche geltend, beschränkt auf die Zeiten vom 15.8. bis 8.12.2005, 1.1. bis 16.2.2006 und 1. bis 23.4.2006.

Die Versicherte wurde als zehntes Kind der Familie mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen geboren und verbrachte ihre ersten Lebensmonate bis zum 15.8.2005 im Krankenhaus. Sie erhielt von der Pflegekasse Sachleistungen der Pflegestufe I. Der behandelnde Kinderarzt verordnete ihr ab der Krankenhausentlassung Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs 2 SGB V) und ab 1.1.2006 Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs 1 SGB V) im Umfang von 24 Stunden täglich zur Atmungskontrolle, zur Überwachung des Blutdrucks und der Ausscheidung sowie zum Absaugen. Die Klägerin führte die häusliche Krankenpflege entsprechend den ärztlichen Verordnungen durch und erbrachte auch die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (Pflegevertrag vom 17.8.2005). Die Geschäftsführerin der Klägerin mietete dazu eine vom Elternhaus 20 km entfernt liegende Einzimmerwohnung an, die sie an die Eltern der Versicherten untervermietete, da die Krankenpflege in der elterlichen Wohnung nicht sichergestellt werden konnte. Die Einzimmerwohnung wurde mit einer Ernährungspumpe, einer Absaugvorrichtung, einem Überwachungsmonitor mit EKG, einem Pulsoximeter und einem transportablen Sauerstoffgerät ausgestattet. Die Kosten der Unterkunft trug der Kreis D. (§ 5 iVm § 22 SGB II).

Ursprünglich gewährte die Beklagte der Versicherten nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) häusliche Krankenpflege im Umfang von lediglich drei Stunden täglich und setzte die Klägerin hierüber in Kenntnis (Bescheide vom 6.12.2005 und 15.2.2006). Später lehnte sie die Gewährung häuslicher Krankenpflege für die Zeit ab 1.4.2006 insgesamt ab, da sich die Versicherte nicht in einem eigenen Haushalt und auch nicht in dem ihrer Familie aufhalte, wie sie erst jetzt erfahren habe (Bescheid vom 21.4.2006). Ein hiergegen gerichtetes einstweiliges Rechtsschutzverfahren blieb ohne Erfolg (Beschlüsse des SG Itzehoe vom 3.7.2006 und des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 24.7.2006). Seit dem 16.6.2006 erfolgte die häusliche Krankenpflege durch die Firma Pflegeservice A.

Obgleich die Klägerin der Beklagten für die täglich rund um die Uhr zu erbringende Behandlungspflege einen Stundensatz von 28 Euro angeboten hatte (Schreiben vom 5.8.2005), berechnete sie in ihren monatlichen Abrechnungen jeweils einen Stundensatz von 28,50 Euro. Die Beklagte beglich die Rechnungen entsprechend dem von ihr zuerkannten Umfang der häuslichen Krankenpflege von drei Stunden täglich, ließ dabei aber den höheren Stundensatz unbeanstandet. Die Rechnung für den Monat März 2006 beglich sie irrtümlich in voller Höhe.

Die Klägerin verlangt nunmehr weitere Zahlungen für die erbrachten Leistungen im Umfang von 24 Stunden täglich nach einem Stundensatz von 28,50 Euro abzüglich der Leistungen der Pflegeversicherung und der bereits erbrachten Zahlungen der Beklagten, jedoch beschränkt auf die Zeiten zwischen dem Beginn des jeweiligen Verordnungszeitraums und dem Zugang der Bescheide vom 6.12.2005, 15.2.2006 und 21.4.2006.

Das SG hat die Beklagte zur Vergütung der häuslichen Krankenpflege im Umfang von täglich 24 Stunden nach einem Stundensatz von 28 Euro für die Zeiträume vom 15.8. bis 4.9.2005 und vom 10.10. bis 8.12.2005 nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.5.2006 verurteilt. Den von ihr auf täglich drei Stunden veranschlagten Leistungsanspruch der Versicherten habe die Beklagte erfüllt. Ein weitergehender Zahlungsanspruch ergebe sich nur aus Nr 24 der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V in der damaligen Fassung (heute § 6 Abs 6 HKP-Richtlinie ≪HKP-RL≫). Danach übernehme die Krankenkasse bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die von Vertragsärzten verordneten und von einem Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Die Beklagte habe über den Leistungsantrag am 6.12.2005 entschieden, sodass ein sich auf diese Vorschrift stützender Vergütungsanspruch lediglich den Zeitraum bis zur Zustellung dieser Entscheidung am 8.12.2005 erfasse. Die Verordnung vom 30.8.2005 sei der Beklagten nicht innerhalb von drei Arbeitstagen vorgelegt worden. Die Verordnung vom 10.10.2005 enthalte zwar eine Rückwirkung zum 1.10.2005, die aber vom Arzt nicht begründet worden und deshalb insoweit unwirksam sei; sie könne deshalb erst ab 10.10.2005 berücksichtigt werden. Deshalb ergebe sich ein Zahlungsanspruch nur für die Zeiträume vom 15.8. bis 4.9.2005 und vom 10.10. bis 8.12.2005. Für die gesamte Folgezeit entfalle der Vertrauensschutz (Nr 24 HKP-RL), weil die Klägerin ab Zugang des Bescheids vom 6.12.2005 gewusst habe, dass die Beklagte Behandlungspflege nur im Umfang von drei Stunden täglich für gerechtfertigt halte (Urteil vom 25.9.2012). Das LSG hat sich dieser Entscheidung angeschlossen und die Vergütungsforderung auf 45 514 Euro beziffert (Urteil vom 12.6.2014). Ihre Verurteilung zur Zahlung von 45 514 Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.5.2006 hat die Beklagte nicht angefochten.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 37 Abs 1 und 2 iVm § 132a SGB V und der Nr 24 HKP-RL. Sie meint, diese Richtlinien-Norm enthalte keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, sodass die Überschreitung der Vorlagefrist von drei Arbeitstagen den Vertrauensschutz nicht grundsätzlich hindere. Die Ablehnung einer Genehmigung betreffe auch nur den geprüften Verordnungszeitraum, entfalte jedoch für ärztliche Folgeverordnungen keine Wirkung, sodass die Frage des Vertrauensschutzes nach Nr 24 HKP-RL ohne Rücksicht auf frühere Entscheidungen der Krankenkasse zu beantworten sei. Die fehlende Begründung des Arztes für die Rückwirkung der Verordnung vom 10.10.2005 sei weder ihr noch der Versicherten zuzurechnen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12.6.2014 und des Sozialgerichts Schleswig vom 25.9.2012 zu ändern, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 59 516,25 Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.5.2006 zu zahlen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig, hat aber nur zu einem kleineren Teil Erfolg. Über den vom LSG zuerkannten Vergütungsanspruch von 45 514 Euro hinaus steht der Klägerin eine weitere Vergütung in Höhe von 20 562 Euro zu. Hinsichtlich der Differenz von 38 954,25 Euro zu dem im Revisionsverfahren noch streitigen Betrag von 59 516,25 Euro ist die Klage jedoch unbegründet.

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere musste die Versicherte zu dem Rechtsstreit nicht notwendig beigeladen werden (§ 75 Abs 2 SGG), obgleich die Beklagte über den Sachleistungsanspruch der Versicherten auf häusliche Krankenpflege (§ 37 SGB V) im hier interessierenden Zeitraum vom 15.8.2005 bis 23.4.2006 bis heute nicht bestandskräftig entschieden hat. Der Vater der Versicherten hat gegen den Bescheid der Beklagten vom 6.12.2005, mit welchem häusliche Krankenpflege in einem Umfang von lediglich drei Stunden täglich zuerkannt worden war, mit Schreiben vom 20./27.12.2005 Widerspruch eingelegt, um die Bewilligung der ärztlich verordneten Krankenpflege rund um die Uhr zu erreichen. Ein Widerspruchsbescheid ist jedoch nicht erteilt worden. Damit ist der Umfang des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege für die Zeit bis zum 31.12.2005 nicht abschließend geklärt. Dies gilt auch für die Folgezeit bis zum 31.3.2006. Der erneut nur drei Stunden häusliche Krankenpflege zuerkennende Bescheid vom 15.2.2006 ist durch Anwaltsschreiben vom 29.5.2006 (mit Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist) angefochten worden, ohne dass über den Widerspruch entschieden worden ist. Gegen den die Leistung ab 1.4.2006 vollständig ablehnenden Bescheid vom 21.4.2006 ist von der Klägerin (damals zugleich handelnd als Bevollmächtigte der Versicherten) durch Schreiben vom 28.4.2006 ebenfalls sinngemäß Widerspruch erhoben worden, über den die Beklagte bislang nicht entschieden hat. Die rechtliche Unsicherheit über den Sachleistungsanspruch der Versicherten gegen die Beklagte hat jedoch keinen Einfluss auf das geltend gemachte Klagebegehren des vorliegenden Rechtsstreits. Anspruchsgrundlage für die Klageforderung der Klägerin gegen die Beklagte auf Vergütung der zugunsten der Versicherten erbrachten Pflegeleistungen ist § 132a Abs 2 SGB V iVm dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrag über die Erbringung häuslicher Krankenpflege. Der Anspruch der Versicherten nach § 37 SGB V gegen die Beklagte auf Gewährung von häuslicher Krankenpflege als Sachleistung (§ 2 Abs 2 SGB V) ist nicht Streitgegenstand, auch wenn er in der Sache eng mit dem Vergütungsanspruch der Klägerin verbunden ist. Im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung macht der Leistungserbringer gegen die Krankenkasse indessen nicht einen auf ihn übergegangenen Kostenerstattungsanspruch des Versicherten, sondern eigenständige Vergütungsansprüche gegen die Krankenkasse geltend. Deshalb muss der Versicherte zum Streit um die Vergütung nicht notwendig beigeladen werden (§ 75 Abs 2 SGG); was insoweit gilt, wenn tatsächlich noch Vergütungsansprüche des Leistungserbringers gegen den Versicherten offen sind, weil dieser sich Leistungen nach § 13 Abs 3 SGB V selbst verschafft hat und vom Leistungserbringer tatsächlich auf die Vergütung in Anspruch genommen wird, bedarf keiner Entscheidung, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Die Klägerin hat hier im Sachleistungssystem Leistungen gegenüber der Versicherten erbracht, von denen sie annahm, dadurch den Sachleistungsanspruch der Versicherten nach § 37 SGB V zu erfüllen. Für eine "Privatbehandlung" in der Weise, dass die häusliche Krankenpflege ungeachtet einer Leistungsverpflichtung der Beklagten im Umfang von 24 Stunden täglich erbracht und von der Versicherten vergütet werden sollte, die anschließend gegenüber der Beklagten nach § 13 Abs 3 SGB V vorgehen würde, fehlen jegliche Anhaltspunkte.

2. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 132a SGB V (in der in den Jahren 2005 und 2006 maßgebenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes - GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2190) iVm dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrag über die Erbringung von häuslicher Krankenpflege. Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege nach § 132a Abs 1 SGB V waren in den Jahren 2005 und 2006 nicht vereinbart (vgl BT-Drucks 17/10170 S 26). Zudem gelten für die Klägerin keine durch einen insoweit bevollmächtigten Verband abgeschlossene Rahmenbedingungen.

Hier kann sich die Klägerin nicht auf die Erbringung einer von der Beklagten zugunsten der Versicherten genehmigten Sachleistung nach § 37 SGB V berufen. Durch die Bescheide vom 6.12.2005 und 15.2.2006 ist für die Zeit bis zum 31.3.2006 lediglich häusliche Krankenpflege im Umfang von drei Stunden täglich bewilligt worden. Weitergehende Bewilligungen liegen nicht vor, weil über die Widersprüche gegen die Bescheide der Beklagten nicht entschieden worden ist. Die Frage, ob die Widersprüche noch aktuell sind und über sie entschieden werden muss oder ob die Widerspruchsverfahren als erledigt zu betrachten sind, kann hier offenbleiben, weil die Klägerin ihren Vergütungsanspruch derzeit jedenfalls nur auf die vorliegenden Teil-Bewilligungen von täglich drei Stunden stützen kann. Diese von der Klägerin als Sachleistung erbrachte Krankenpflege ist von der Beklagten für die Zeit bis zum 28.2.2006 in der geltend gemachten Höhe von täglich 85,50 Euro (3 Stunden x 28,50 Euro) vergütet worden. Zudem hat die Beklagte die Rechnung vom 1.8.2006 für den Monat März 2006 über 21 204 Euro versehentlich in voller Höhe beglichen. Obwohl es dadurch aus Sicht der Beklagten zu einer Überzahlung von täglich 598,50 Euro (21 Stunden x 28,50 Euro) gekommen ist, hat die Beklagte von der Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs über 18 553,50 Euro (31 Tage x 598,50 Euro) abgesehen. Auch im vorliegenden Rechtsstreit ist dieser Erstattungsanspruch nicht zur Aufrechnung gestellt worden, sodass der Senat nicht zu entscheiden brauchte, ob der Aufrechnung nunmehr der Einwand der Verjährung des - bereits mit der Bezahlung der Rechnung im August 2006 entstandenen - Erstattungsanspruchs entgegenstünde.

3. Für eine Vergütung von häuslicher Krankenpflege im Umfang von mehr als drei Stunden täglich für die Zeit vom 15.8.2005 bis 28.2.2006 kommt als Rechtsgrundlage allein die Regelung der Nr 24 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V (HKP-RL) in der am 1.7.2005 in Kraft getretenen Fassung vom 15.2.2005 (BAnz 2005 Nr 96 vom 25.5.2005, S 7969) in Betracht. Die Vorschrift lautet: "Die Krankenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Das Nähere regeln die Partner der Rahmenempfehlungen nach § 132a Abs 1 SGB V." Diese Regelung, die in späteren Fassungen der HKP-RL (wie zB in der Fassung vom 11.6.2008) in der Nr 26 niedergelegt war, hat auch der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner HKP-RL vom 17.9.2009, die am 10.2.2010 in Kraft getreten ist, nahezu wortgleich, aber inhaltlich völlig übereinstimmend, übernommen (BAnz Nr 21a vom 9.2.2010, Beilage) und dort in § 6 Abs 6 niedergelegt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift hat die Klägerin für den Zeitraum vom 15.8.2005 bis zum 8.12.2005 erfüllt, sodass ihr die vertragsgemäße Vergütung für 24 Stunden täglich geleistete häusliche Krankenpflege insoweit zusteht. Für die Zeit vom 9.12.2005 bis zum 28.2.2006 kann die Klägerin hingegen keine weitere Vergütung ihrer Leistungen beanspruchen.

Ferner steht der Klägerin entgegen der Auffassung des LSG für die Zeit vom 1. bis zum 23.4.2006 ein Anspruch auf Vergütung von häuslicher Krankenpflege im Umfang von drei Stunden täglich zu. Der vollständigen Leistungsablehnung durch den Bescheid der Beklagten vom 21.4.2006 steht bezüglich der Zeit bis 23.4.2006 der sich aus den vorangegangenen Bescheiden vom 6.12.2005 und 15.2.2006 ergebende Vertrauensschutz für die Klägerin gegenüber, die Versicherte habe über den 31.3.2006 hinaus Anspruch auf zumindest drei Stunden täglich zu leistende häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V. Der Vergütungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch insoweit aus Nr 24 HKP-RL (jetzt: § 6 Nr 6 HKP-RL).

Nach dieser Regelung kann die Krankenkasse dem Vergütungsanspruch des allein auf Basis einer ihm vorliegenden vertragsärztlichen Verordnung tätig gewordenen Leistungserbringers das - sich erst nach eingehender Prüfung durch den MDK zeigende - Fehlen der medizinischen Notwendigkeit der Leistung nur entgegenhalten, wenn für den Leistungserbringer klar erkennbar war, dass die häusliche Krankenpflege nicht wie verordnet medizinisch notwendig sein konnte. Mit dieser Regelung wollten der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und später der Gemeinsame Bundesausschuss dem Leistungserbringer das Risiko abnehmen, dass sich die vertragsärztlich verordnete Leistung bei der Prüfung im Genehmigungsverfahren ganz oder teilweise als medizinisch nicht notwendig erweisen sollte, damit der Versicherte für den Zeitraum, den das Genehmigungsverfahren einnimmt, nicht auf eigenes Risiko in Vorleistung treten muss und der Leistungserbringer von Anfang an zur Leistungserbringung bereit ist.

Anhaltspunkte dafür, dass die häusliche Krankenpflege bis zum 8.12.2005 im Umfang von mehr als drei Stunden täglich medizinisch erkennbar nicht erforderlich sein könnte und die Leistung im April 2006 nicht einmal mehr im zuvor für gerechtfertigt gehaltenen Umfang von drei Stunden täglich erforderlich gewesen sein könnte, gab es nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht, sodass sich die Klägerin insoweit auf den Vertrauensschutz nach Nr 24 HKP-RL berufen konnte.

4. Dem Vertrauensschutz nach Nr 24 HKP-RL steht hier nicht entgegen, dass die Klägerin aufgrund des Ortes der Leistungserbringung keine "häusliche Krankenpflege" iS des § 37 SGB V erbracht hat.

a) Nach § 37 SGB V in der in den Jahren 2005 und 2006 geltenden Fassung setzt der Anspruch voraus, dass die häusliche Krankenpflege der Versicherten "in ihrem Haushalt oder ihrer Familie" stattfindet, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Krankenhausvermeidungspflege (§ 37 Abs 1 SGB V) oder um Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs 2 SGB V) handelt. Die Erweiterung des Tatbestandes um "sonst an einem geeigneten Ort" ist erst durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ≪GKV-WSG≫) vom 26.3.2007 (BGBl I 378) mit Wirkung ab 1.4.2007 eingeführt worden und damit hier nicht von Belang.

Die Versicherte ist weder in ihrem Haushalt noch in einer Familienwohnung betreut und gepflegt worden. Die Führung eines Haushalts beinhaltet eine selbstständige häusliche, familienhafte Lebensführung im wirtschaftlichen Sinne (Schultes, SGb 1999, 471, 472). Haushalt ist nach Sinn und Zweck des § 37 SGB V und des früheren § 185 RVO die wohnungsmäßige familienhafte Wirtschaftsführung. Diese wird zum "eigenen" Haushalt, wenn der Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst trägt (BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 5). Dem Haushalt immanent sind eine gewisse Dauer der Lebensführung in der entsprechenden Einrichtung (Haus, Wohnung, Heim) und die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Körperpflege und Gesundheit der Haushaltsangehörigen mit Hilfe der im Haushalt vorhandenen Geldmittel und Güter (Töns, BKK 1986, 273, 275). Kinder haben demgemäß in der Regel keinen eigenen Haushalt, sondern gehören zum Haushalt der Eltern bzw der sie betreuenden Personen. Insofern kommt allerdings eine Pflege in der Familie in Betracht (Padé in jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 37 RdNr 25). Die von der Geschäftsführerin der Klägerin in einer Entfernung von 20 km von der Wohnung der Familie der Versicherten angemietete und an deren Eltern untervermietete Wohnung in dem Haus, in dem eine bei der Klägerin beschäftigte Pflegefachkraft ihre Wohnung hatte, ist weder Teil des Haushaltes noch Teil der Familienwohnung der Versicherten geworden. Die Klägerin hat in der Sache eine stationäre Betreuung der Versicherten mit gelegentlichen Besuchskontakten durch die Mutter und die Geschwister der Versicherten organisiert, ohne berechtigt zu sein, stationäre Pflegeleistungen zu erbringen. Welche Entscheidungen zur rechtlichen Qualifizierung der "Wohnung" der Versicherten im Haus der Mitarbeiterin der Klägerin der Kreis D. unter dem Aspekt der Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 2 SGB II getroffen hat, ist für die Anwendung des § 37 Abs 2 SGB V unerheblich.

b) Für die Zeit bis zu ihrer Entscheidung über den Umfang des Leistungsanspruchs der Klägerin am 6.12.2005 kann sich die Beklagte jedoch nicht darauf berufen, der Tatbestand des § 37 SGB V sei schon von der Örtlichkeit der Leistungserbringung her nicht erfüllt gewesen. Sie hat gewusst, dass die Versicherte in einer im Auftrag und im Interesse der Klägerin von deren Geschäftsführerin angemieteten Wohnung lebt und ausschließlich dort betreut und gepflegt wird. Dies ergibt sich aus einem Vermerk des Kompetenzcenters Leistungen (Team Pflege) der Beklagten vom 10.8.2005, als sich die Versicherte noch in stationärer Behandlung befand, und aus dem MDK-Gutachten vom 10.11.2005, auf das die Beklagte ihre Entscheidung gestützt hat. Die spezielle Unterbringung der Versicherten hat sie unter dem Aspekt der "häuslichen" Krankenpflege nicht beanstandet und im Genehmigungsverfahren lediglich die medizinische Erforderlichkeit der Leistung geprüft und daraufhin die häusliche Krankenpflege, zu erbringen durch die Klägerin, im Umfang von drei Stunden täglich bewilligt.

aa) Der Sinn der Vertrauensschutzregelung der Nr 24 HKP-RL besteht in erster Linie darin, dass der Pflegedienst bis zur Entscheidung der Krankenkasse über die beantragte Genehmigung bei Vorliegen einer konkreten vertragsärztlichen Verordnung dagegen geschützt ist, dass die Krankenkasse nachträglich den Leistungsanspruch mangels medizinischer Erforderlichkeit oder wegen Unwirtschaftlichkeit verneint und damit dem Vergütungsanspruch die Grundlage entzieht. In der hier zu beurteilenden Konstellation sind aber auch die besonderen Umstände der Gewährung von häuslicher Krankenpflege Gegenstand des Vertrauensschutzes der Klägerin: wenn nämlich die Beklagte am 6.12.2005 die Leistung gewährt, ohne auf den - ihr bekannten - ungewöhnlichen Ort der Leistungserbringung einzugehen, hat sie die Rechtsfolge der Nr 24 HKP-RL für die Zeit ab Ausstellung der vertragsärztlichen Verordnung ausgelöst. Für die Vergangenheit muss sie die Leistungen auf vertraglicher Grundlage so vergüten, wie sie verordnet und erbracht worden sind, also als 24-Stunden-Pflege in der gemieteten Wohnung. Ob das anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin immer gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass in der von ihrer Geschäftsführerin gemieteten und an die Eltern der Versicherten untervermieteten Wohnung häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V nicht erbracht werden darf, kann hier offenbleiben. Ein solcher Fall liegt nicht vor; bis zur Entscheidung des Senats am heutigen Tag war die Frage nicht abschließend geklärt, und auch die Beklagte hat das ursprünglich anders als der Senat gesehen.

bb) Die Frist von drei Arbeitstagen iS der Nr 24 HKP-RL muss bei - wie hier - kontinuierlich zu leistender Krankenpflege nur für die erste, den Vergütungsanspruch des Pflegedienstes auslösende vertragsärztliche Verordnung gewahrt sein. Bis zu dem Tag, an dem die Krankenkasse entscheidet, reicht es aus, wenn eine lückenlose Verordnungskette vorliegt, die den gesamten Zeitraum abdeckt. Die sehr kurze Frist von drei Arbeitstagen soll verhindern, dass schon längere Zeiträume verstrichen und hohe Kosten angefallen sind, bevor die Krankenkasse von dem Bedarf Kenntnis erhält. Eine vergleichbare Interessenlage besteht bis zur Entscheidung der Krankenkasse nicht; seit Kenntnis von der Bedarfslage hat sie es in der Hand, eine Entscheidung möglichst zeitnah herbeizuführen.

Auch rückwirkende vertragsärztliche Verordnungen sind nicht vollständig wirkungslos; die HKP-RL (damals: Nr 13 Abs 2, jetzt: § 3 Abs 4 Satz 2) lassen solche Verordnungen zumindest mit einer ergänzenden Begründung des Vertragsarztes zu, und eine solche war hier entbehrlich, weil an dem täglich und ohne zeitliche Unterbrechung zu erfüllenden Pflegebedarf dem Grunde nach kein Zweifel bestand. Deshalb muss die Beklagte die verordneten Leistungen im Umfang von täglich 24 Stunden vom 15.8.2005 bis zur Bekanntgabe ihrer (teilweise) ablehnenden Entscheidung (8.12.2005) nach dem vereinbarten Stundensatz von 28 Euro vergüten.

Die vertragsärztliche Verordnung vom 4.8.2005 betraf die Zeit vom 15.8. bis 4.9.2005. Sie ist am 8.8.2005 bei der Beklagten eingegangen. Die Frist von drei Arbeitstagen ab Ausstellung der Verordnung ist damit gewahrt.

c) Der Vertrauensschutz erstreckt sich nach Nr 24 HKP-RL auf die Zeit bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über die beantragte Genehmigung. Der Bescheid der Beklagten vom 6.12.2005 ist der Versicherten am 8.12.2005 zugegangen. Er bezog sich nicht nur auf die Erstverordnung vom 4.8.2005, sondern auch auf die Folgeverordnungen vom 30.8.2005 (Zeitraum 5.9. bis 30.9.2005) und 10.10.2005 (Zeitraum 1.10. bis 31.12.2005). Die vom LSG vorgenommene Ausklammerung des Zeitraums vom 5.9. bis 9.10.2005 ist nicht gerechtfertigt. Dauert eine Prüfung der Anspruchsberechtigung über das Ende der Erstverordnung hinaus (4.9.2005) an, erfasst der Vertrauensschutz in erweiternder Anwendung der Regelung in Nr 24 HKP-RL auch alle sich zeitlich unmittelbar anschließenden Folgeverordnungen, die der Beklagten im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidungen vorliegen, sofern es sich - wie hier - um einen gleichgelagerten Sachverhalt handelt und sich die Rechtslage zu den Anspruchsvoraussetzungen in dieser Zeit nicht geändert hat. Ob die Folgeverordnungen selbst innerhalb der Dreitagesfrist seit ihrer Ausstellung vorgelegt worden sind, kann nicht entscheidend sein. Auch der Umstand der rückwirkenden Ausstellung der Verordnung vom 10.10.2005 kann nicht anspruchshindernd wirken, wie das LSG angenommen hat, weil Nr 13 HKP-RL die rückwirkende Ausstellung einer vertragsärztlichen Verordnung für Ausnahmefälle zulässt. Die fehlende Begründung für die Rückwirkung ist hier unschädlich, weil der dauerhafte Pflegebedarf der Versicherten für alle Beteiligten offensichtlich war und die verspätete Verordnung ersichtlich auf einem Versehen beruhte. Auch die Beklagte hat sich nicht gehindert gesehen, häusliche Krankenpflege für drei Stunden in diesem Zeitraum (1. bis 9.10.2005) zu gewähren, obwohl die schriftliche Begründung für die Rückwirkung fehlte. Der Vergütungsanspruch aus Nr 24 HKP-RL betrifft also den gesamten Zeitraum vom 15.8. bis 8.12.2005. Ob der Beklagten zuvor bereits die Verordnung vom 30.9.2005 zugegangen ist, was sie bestreitet, braucht somit nicht ermittelt zu werden; diese Verordnung betraf ebenfalls die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2005.

d) Für den Zeitraum vom 15.8. bis 8.12.2005 ergibt sich danach eine Gesamtforderung von 64 144 Euro. Der Betrag setzt sich zusammen aus Teilbeträgen von

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7 859,50 Euro für August 2005

(326,5 Stunden x 28 Euro = 9 142 Euro, am 3.1.2006 bezahlt 1 282,50 Euro),

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17 595 Euro für September 2005

(720 Stunden x 28 Euro = 20 160 Euro, am 3.1.2006 bezahlt 2 565 Euro),

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18 181,50 Euro für Oktober 2005

(744 Stunden x 28 Euro = 20 832 Euro, am 3.1.2006 bezahlt 2 650,50 Euro),

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15 816 Euro für November 2005

(644,25 Stunden x 28 Euro = 18 039 Euro, am 11.4.2006 bezahlt 2 223 Euro; Unterbrechung der häuslichen Pflege durch Krankenhausbehandlung der Versicherten in der Zeit vom 25.11.2005, 11.30 Uhr bis 28.11.2005, 15.15 Uhr,

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4 692 Euro für Dezember 2005

(192 Stunden x 28 Euro = 5 376 Euro, am 7.2.2006 bezahlt 2 650,50 Euro, davon anteilig für die ersten acht Tage 684 Euro).

5. Im Übrigen folgt der Senat dem LSG nur insoweit nicht, als es den Zeitraum vom 1. bis 23.4.2006 betrifft. Für diese Zeit hat die Klägerin Anspruch auf die Vergütung von täglich drei Stunden häuslicher Krankenpflege. Die Klägerin hat die Folgeverordnung vom 27.3.2006 zwar nicht innerhalb der Frist von drei Arbeitstagen (Nr 24 HKP-RL), sondern erst am 3.4.2006 der Beklagten vorgelegt. Dies ist aber unschädlich, weil wiederum eine ununterbrochene Kette von ärztlichen Verordnungen vorliegt und sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat. Nach der letzten vorangegangenen Entscheidung der Beklagten vom 15.2.2006 wusste die Klägerin, dass die Beklagte nur drei Stunden täglich für erforderlich hielt; weiter konnte ihr Vertrauensschutz also nicht reichen. Auf der anderen Seite musste die Klägerin zu Beginn des Monats April 2006 nicht damit rechnen, dass die Beklagte Leistungen der häuslichen Krankenpflege nunmehr wegen der Versorgung der Versicherten in der angemieteten Wohnung versagen würde, nachdem sie daran in den beiden vorangegangenen Bescheiden gegenüber der Versicherten keinen Anstoß genommen hatte. Insoweit durfte die Klägerin die verordneten Leistungen für April zunächst ohne das Risiko weiter erbringen, dass die Beklagte die Bezahlung vollständig verweigern würde. Weitergehende Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu; die Beklagte hat am 21.4.2006 - zutreffend - entschieden, dass in der von der Klägerin angemieteten Wohnung keine Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegenüber der Versicherten erbracht werden können. Wenn die Klägerin gleichwohl weiter tätig geworden ist, hat sie für die Zeit ab Zustellung des Bescheides am 23.4.2006 auf eigenes Risiko gehandelt.

6. Den Vorinstanzen ist zuzustimmen, soweit sie der Klägerin einen Vergütungsanspruch von nur 28 Euro pro Pflegestunde zugesprochen haben. Das Angebot der Klägerin vom 5.8.2005 lautete auf einen Stundensatz von 28 Euro; es ist nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 133, 147, 157 BGB von der Beklagten konkludent dadurch angenommen worden, dass sie vor Beginn der Pflegeleistungen (15.8.2005) in Kenntnis dieses Angebots telefonisch ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Aufnahme der Pflegeleistungen erklärt hat. Streitig war nur der Umfang der von der Beklagten zu finanzierenden Leistung, nicht aber der Stundensatz. Hätte die Klägerin nur zu einem Stundensatz von 28,50 Euro arbeiten wollen, hätte sie dies noch vor Aufnahme der Leistungen deutlich machen müssen. Das ist nicht geschehen. Der vereinbarte Stundensatz von 28 Euro ist auch nicht nachträglich geändert worden. Der erhöhte Satz von 28,50 Euro ergab sich erstmals aus der Rechnung für August 2005, die am 24.11.2005 ausgestellt worden ist. Einen ausdrücklichen Hinweis auf ein erhöhtes, vom ursprünglichem Angebot abweichendes Entgelt, der nach § 242 BGB hätte erwartet werden können, enthalten weder diese Rechnung noch die weiteren Rechnungen für die Folgemonate. Die unterbliebene Beanstandung des Betrags von 28,50 Euro stellt ersichtlich ein Verwaltungsversehen der Beklagten dar und kann nicht als Annahme eines neuen bzw geänderten Entgeltangebots angesehen werden.

Die der Klägerin zustehende Vergütung beläuft sich somit auf insgesamt 66 076 Euro (1932 Euro davon für die Zeit vom 1. bis 23.4.2006), wovon das LSG in dem - von der Beklagten nicht angefochtenen und daher insoweit rechtskräftigen - Berufungsurteil vom 12.6.2014 einen Teilbetrag von 45 514 Euro bereits zugesprochen hat. Die Beklagte hat daher einen weiteren Betrag von 20 562 Euro an die Klägerin zu zahlen (66 076 - 45 514 = 20 562 Euro).

7. Von diesem Betrag sind die Sachleistungsbeträge der Pflegekasse in Höhe von monatlich 384 Euro (Pflegestufe I, vgl § 36 Abs 3 SGB XI in der Fassung der Jahre 2005/2006) nicht zusätzlich abzuziehen. Nach dem zwischen der Klägerin und der Versicherten geschlossenen Pflegevertrag vom 17.8.2005 war für den Mehrbedarf der Versicherten an Grundpflege (§ 15 Abs 2 SGB XI) eine anhand der Leistungskomplexe 2 (7 Einsätze pro Woche, Einzelpreis 9,43 Euro, monatlich im Jahresdurchschnitt 30,42 Einsätze) und 5 (5 Einsätze pro Woche, Einzelpreis 4,51 Euro, monatlich im Durchschnitt 22 Einsätze) berechnete zusätzliche Vergütung von 386,08 Euro vorgesehen. Dieser zusätzliche Vergütungsanspruch galt durch die monatlichen Leistungen der Pflegekasse von 384 Euro als erfüllt.

8. Der Zinsanspruch von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.5.2006 auf 64 144 Euro ergibt sich aus § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 288 Abs 2 BGB (in der bis zum 28.7.2014 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts ≪SMG≫ vom 26.11.2001, BGBl I 3138). Etwas anderes könnte nur gelten, wenn der Versorgungsvertrag nach § 132a SGB V eine abweichende Regelung zu den Zinsen enthielte. Dies ist nicht der Fall, und die Beklagte hat dies auch nicht geltend gemacht. Der Verzug ab 17.5.2006 folgt aus der Mahnung vom 10.5.2006 und dem Ablauf der bis zum 16.5.2006 reichenden Zahlungsfrist. Der Zinsanspruch von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 4.9.2008 auf weitere 1932 Euro ergibt sich aus § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 291 und § 288 Abs 2 BGB (ebenfalls in der bis zum 28.7.2014 geltenden Fassung des SMG). Zum Zeitpunkt der Mahnung vom 10.5.2006 waren die Pflegeleistungen des Monats April 2006 noch nicht abgerechnet und der Vergütungsanspruch damit auch nicht fällig. Die Rechnung der Klägerin datiert vom 1.8.2006. Die Vergütungsforderung von 1932 Euro ist daher mangels sonstiger Mahnung erst ab Eintritt der Rechtshängigkeit (§ 94 SGG), also mit Einreichung der Klage bei dem SG am 4.9.2008 zu verzinsen. Der erhöhte Zinssatz von acht Prozentpunkten statt nur fünf Prozentpunkten (§ 288 Abs 1 Satz 1 BGB) über dem jeweiligen Basiszinssatz ergibt sich daraus, dass der Vergütungsanspruch unmittelbar im Leistungserbringungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten entstanden ist und beide Beteiligten keine Verbraucher iS des § 13 BGB, sondern Unternehmer iS des § 14 BGB sind und es um eine "Entgeltforderung" geht (§ 288 Abs 2 BGB).

Offenbleiben kann im vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob die Klägerin für die Zeit ab 29.7.2014 den zu diesem Zeitpunkt erhöhten Zinssatz von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz (§ 288 Abs 2 BGB in der Fassung des Gesetzes vom 22.7.2014, BGBl I 1218) hätte beanspruchen können. Die Klägerin hat einen einheitlichen Zinssatz von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für den gesamten Verzinsungszeitraum geltend gemacht, und dieser Antrag ist für den Senat bindend (§ 123 SGG, § 202 SGG iVm § 308 Abs 1 ZPO).

Durch das Berufungsurteil rechtskräftig zuerkannt ist bereits der Zinsanspruch von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.5.2006 auf 45 514 Euro. Das LSG hat im Berufungsurteil nur den eigentlichen Vergütungsanspruch auf 45 514 Euro konkretisiert, den vom SG zuerkannten Zinsanspruch aber unberührt gelassen; dem steht nicht entgegen, dass dieser Anspruch in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils nicht gesondert erwähnt worden ist.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 161 Abs 1 und § 155 Abs 1 Satz 1 VwGO.

10. Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 GKG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 9495565

BSGE 2017, 119

PflR 2016, 805

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