Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung. Schulbegleitung. Bestimmung des Kernbereichs pädagogischer Arbeit. Förderschule. Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers bei Nichterbringung von Leistungen durch den Schulträger

 

Leitsatz (amtlich)

Der Kernbereich der pädagogischen Verantwortung der Schule bestimmt sich gleichermaßen für Regelschulen wie für Schulen mit besonderem Förderschwerpunkt ausschließlich nach Maßgabe des Sozialhilferechts.

 

Orientierungssatz

Außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit ist eine (nachrangige) Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers zu bejahen, solange und soweit der Schulträger seiner (ggf durch Landesrecht begründeten) Pflicht zur Deckung der Bedarfe im Einzelfall nicht nachkommt (vgl BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 24/15 R = SozR 4-3500 § 54 Nr 16 RdNr 20), auch wenn davon pädagogische Aufgaben mit umfasst sind.

 

Normenkette

SGB 12 § 53 Abs. 1 S. 1; SGB 12 § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; SGB 12 § 2; BSHG§47V § 12 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.12.2017; Aktenzeichen L 2 SO 3268/16)

SG Freiburg i. Br. (Urteil vom 13.07.2016; Aktenzeichen S 7 SO 2573/15)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Streit ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer nur im Umfang von 13 Stunden pro Woche bewilligten Schulbegleitung im Schuljahr 2014/2015.

Der 2003 geborene Kläger leidet an frühkindlichem Autismus in Verbindung mit einer mittelgradigen Intelligenzminderung sowie einer Störung des Sozialverhaltens, die sich in ausgeprägten stereotypen und ritualisierten Verhaltensmustern sowie hoher Impulsivität mit regelmäßigen Kontrollverlusten äußert. Seine Kommunikationsfähigkeit ist eingeschränkt; Aufmerksamkeit fordert er häufig durch sozialinadäquate Handlungen ein. Des Weiteren bestehen eine Störung des Orientierungssinns sowie Weglauftendenzen. Aufgrund eingeschränkter grob- und feinmotorischer Fähigkeiten benötigt der Kläger Hilfe bei zahlreichen Alltagsverrichtungen wie beispielsweise Toilettengang, An- und Ausziehen und Essen mit Messer und Gabel. Entsprechend der Zuweisung der Schulaufsichtsbehörde besucht er ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Ab November 2013 übernahm der Beklagte die Kosten für eine Schulbegleitung im Umfang von elf Stunden, später im Umfang von 13 Stunden pro Woche. Für das Schuljahr 2014/2015 übernahm der Beklagte die Kosten der Schulbegleitung zur pädagogischen Betreuung "in Vorleistung und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" weiterhin im Umfang von 13 Stunden pro Woche durch von ihm angestellte Schulbegleiterinnen (Bescheide vom 1.8.2014 und 5.12.2014; Widerspruchsbescheid vom 26.5.2015). Ab Dezember 2015 bis zum Ende des Schuljahres 2015/2016 und im Schuljahr 2017/2018 erhielt der Kläger aufgrund einstweiliger Anordnungen des Sozialgerichts (SG) Freiburg Schulbegleitung im Umfang von 20 bzw 34 Unterrichtsstunden pro Woche. Im Schuljahr 2016/2017 hatte er keine Schulassistenz.

Das SG hat die Klage gegen die Bescheide vom 1.8.2014 und 5.12.2014 abgewiesen (Urteil vom 13.7.2016). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat auf die als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführte Klage das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, dass die Bescheide des Beklagten rechtswidrig waren (Urteil vom 6.12.2017). Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit werde durch die Maßnahme nicht berührt. Die Schulbegleiterinnen hätten ausschließlich integrierende, beaufsichtigende und fördernde Assistenzdienste erbracht. Auch im Bereich der Anpassung des Unterrichts in der Klasse an die speziellen Bedürfnisse des Klägers und die inhaltliche Begleitung des Unterrichtsgeschehens hätten die Unterstützungsleistungen nur darin bestanden, die Aufmerksamkeit des Klägers auf die gerade zu erledigende Aufgabe zu lenken und Arbeitsunterlagen entsprechend dem auf ihn angepassten Lernziel zu benutzen. Dass für die Erfüllung dieser Aufgaben pädagogische Kenntnisse und Fertigkeiten angewandt worden seien, zB in den Phasen, in denen der Kläger mit der Schulbegleitung in einem separaten Raum die dort von den Lehrern vorbereiteten Aufgaben bearbeitete, sei qualitativ für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Eignung der Hilfe ohne Bedeutung. Aus dem Landesrecht resultierende, jedoch nicht erfüllte Verpflichtungen der Schulverwaltung im Hinblick auf die Ausstattung der Schulen mindere nicht den sozialhilferechtlichen Hilfebedarf des Klägers.

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Durch die Schule sei bereits keine individuelle und auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Klägers angepasste Abstimmung der Lerninhalte erfolgt. Dies habe das LSG verkannt. Die intensive pädagogische Betreuung des Klägers durch die Schulbegleitung bewege sich in dem - außerhalb der Regelschule höchstrichterlich noch nicht bestimmten - Kernbereich pädagogischer Verantwortung der Schule. Schulbildung an einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum umfasse auch die Vermittlung von Basiskompetenzen. Zudem habe der Kläger zB außerhalb des Unterrichtsraums Einzelunterricht durch die Schulbegleiterinnen erhalten. Die Schulbegleitung übernehme daher Aufgaben, die dazu dienten, die staatlichen Lernziele zu erreichen. Aus §§ 53 f SGB XII folge nicht die Verpflichtung, fehlendes schulisches Personal mit Sozialhilfemitteln aufzustocken.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. Dezember 2017 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Juli 2016 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Zu Recht hat das LSG festgestellt, dass die angefochtenen Bescheide des Beklagten rechtswidrig waren. Der Kläger hatte im Schuljahr 2014/2015 einen Anspruch auf Schulbegleitung im Umfang von mehr als 13 Stunden.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn er sich nach Klageerhebung vor der gerichtlichen Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Regelung gilt zwar ausdrücklich nur für Anfechtungsklagen, ist aber entsprechend auf kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen anzuwenden (stRspr; vgl zB Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 25.10.2012 - B 9 SB 1/12 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 4, RdNr 18 mwN).

Die ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakte (Bescheide vom 1.8.2014 und 5.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.5.2015) haben sie sich mit Ablauf des Schuljahres 2014/2015 auf andere Weise - nämlich durch Zeitablauf - erledigt (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ≪SGB X≫; vgl BSG vom 25.10.2012 - B 9 SB 1/12 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 4 RdNr 21). Das erforderliche Interesse des Klägers an der Feststellung, dass die Verwaltungsakte vom 1.8.2014 und 5.12.2014 rechtswidrig waren, begründet sich mit einer konkreten Wiederholungsgefahr. Eine solche ist gegeben, wenn die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen den Beteiligten besteht, etwa, wenn sich konkret abzeichnet, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann (vgl BSG vom 25.10.2012 - B 9 SB 1/12 R - SozR 4-3250 § 145 Nr 4 RdNr 22; BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R - BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 9 mwN). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat auch für die Folgejahre individuelle Schulbegleitung im Umfang von jeweils mehr als 13 Stunden beantragt. Eine Entscheidung des Beklagten über diese Anträge steht noch aus. Diese Anträge haben sich im Hinblick auf die im einstweiligen Rechtsschutz ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Schulbegleiterkosten für die Schuljahre 2015/2016 und 2017/2018 auch nicht erledigt.

Der Beklagte ist für den vom Kläger geltend gemachten Eingliederungsbedarf der örtlich (§ 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII) und sachlich (§ 97 Abs 1 SGB XII iVm § 2 Gesetz zur Ausführung des SGB XII ≪AGSGB XII≫ vom 1.7.2004 - Gesetzblatt ≪GBl≫ 534) zuständige Sozialhilfeträger. Im Verhältnis zum Kläger ist er für die Leistungserbringung im Übrigen schon nach § 14 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) als erstangegangener Rehabilitationsträger wegen der unterbliebenen Weiterleitung des Antrags innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung zuständig geworden (dazu grundlegend BSG vom 26.10.2004 - B 7 AL 16/04 R - BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1; BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 24/15 R - SozR 4-3500 § 54 Nr 16 RdNr 12).

Der Kläger hatte gegen den Beklagten einen Anspruch auf die Schulbegleitung als Hilfe zur angemessenen Schulbildung im Sinne des Sozialhilferechts. Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit war hiervon nicht berührt. Rechtsgrundlage für die vom Kläger geltend gemachte und vom Einkommen und Vermögen unabhängige (§ 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII) Hilfe ist § 19 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453) iVm § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetztes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) , § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII(in der Fassung des Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe vom 29.8.2013 - BGBl I 3464) iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-Verordnung(Eingliederungshilfe-VO; in der Normfassung des Gesetzes vom 27.12.2003) . Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung; die vom LSG für das Revisionsgericht bindend festgestellten (§ 163 SGG) Beeinträchtigungen begründen eine wesentliche körperliche und geistige Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX iVm §§ 1, 2 Eingliederungshilfe-VO, weil infolge dieser Behinderung seine Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in erheblichem Umfang eingeschränkt ist (zum Maßstab für die Wesentlichkeit der Behinderung BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R - BSGE 112, 196 = SozR 4-3500 § 54 Nr 10, RdNr 14). Ob daneben auch eine seelische Behinderung vorliegt, ist angesichts des Vorrangs von Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber Leistungen der Jugendhilfe (§ 10 Abs 4 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - ≪SGB VIII≫) ohne Belang.

Eingliederungshilfe als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung umfasst nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 Eingliederungshilfe-VO auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahme erforderlich und geeignet ist, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern. Dies ist hier der Fall. Wie bereits § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), liegt § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde (BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 21; BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 10/12 R - SozR 4-1500 § 130 Nr 4 RdNr 18; BSG vom 9.12.2016 - B 8 SO 8/15 R - BSGE 122, 154 = SozR 4-3500 § 53 Nr 5, RdNr 26). Es kommen grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSG vom 25.6.2008 - B 11b AS 19/07 R - BSGE 101, 79 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1, RdNr 27 mwN).

Die Beschulung in dem vom Kläger besuchten Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung stellt für den Kläger eine "angemessene Schulbildung" dar. Der Beklagte ist insoweit an die Entscheidung der Schulverwaltung über die Erfüllung der Schulpflicht gebunden (vgl BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 10/12 R - SozR 4-1500 § 130 Nr 4 RdNr 21; Wehrhahn in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 54 SGB XII RdNr 57; Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 54 SGB XII RdNr 54).

Der Beklagte war zu einer Übernahme der Kosten einer Schulbegleitung auch in einem über die bereits bewilligten 13 Wochenstunden hinausgehenden Umfang verpflichtet, weil es sich - ausgehend von den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) - auch insoweit um geeignete und erforderliche Hilfen zur angemessenen Schulbildung handelte, die den Kernbereich pädagogischer Tätigkeit nicht berührten. Dieser Kernbereich, der nach Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII gänzlich außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers liegt (BSG vom 9.12.2016 - B 8 SO 8/15 R - BSGE 122, 154 = SozR 4-3500 § 53 Nr 5, RdNr 24), bestimmt sich schon aus systematischen Gründen nach Maßgabe des Sozialhilferechts (BSG aaO) und beschränkt sich eng auf die Unterrichtsgestaltung selbst, dh die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte, die Bestimmung der Unterrichtsinhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung und die Bewertung der Schülerleistungen. Dies ist den Lehrkräften vorbehalten. Der Leistungspflicht im Rahmen der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung unterfallen dagegen sowohl unterrichtsbegleitende als auch sonstige pädagogische Maßnahmen, die nur unterstützenden Charakter haben, sowie nichtpädagogische Maßnahmen. Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit ist nicht betroffen, wenn die Schulbegleitung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkraft nur absichert ("begleitet"). Ihn berühren deshalb alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste nicht, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der behinderte Mensch das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann. Eine landesrechtlich abweichende Abgrenzung des Kernbereichs der schulischen Bildung bindet bei der Auslegung, welche Leistungen in Auslegung des bundesrechtlich geregelten Begriffs der Eingliederungshilfe zur angemessenen schulischen Ausbildung gehören, nicht (vgl zum Ganzen: BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8; BSG vom 9.12.2016 - B 8 SO 8/15 R - BSGE 122, 154 = SozR 4-3500 § 53 Nr 5; BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 24/15 R - SozR 4-3500 § 54 Nr 16; BSG vom 6.12.2018 - B 8 SO 4/17 R - juris RdNr 23; aA Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand November 2018, K § 54 RdNr 46, der Hilfen für den Besuch von Sonderschulen regelmäßig für ausgeschlossen hält, weil es nach den jeweiligen schulrechtlichen Vorschriften grundsätzlich Aufgabe der jeweiligen Schulform sei, die Betreuung, Erziehung und Unterrichtung sicherzustellen). Außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit ist eine (nachrangige) Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers zu bejahen, solange und soweit der Schulträger seiner (ggf durch Landesrecht begründeten) Pflicht zur Deckung der Bedarfe im Einzelfall nicht nachkommt (BSG vom 21.9.2017 - B 8 SO 24/15 R - SozR 4-3500 § 54 Nr 16, RdNr 20), auch wenn davon pädagogische Aufgaben mit umfasst sind.

Diese Bestimmung des Kernbereichs pädagogischer Arbeit gilt gleichermaßen für Regelschulen wie für Schulen mit besonderem Förderschwerpunkt. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum der Kernbereich, der sich - wie oben dargestellt - eng auf die Unterrichtsgestaltung beschränkt, dort anders bestimmt werden sollte. Auch bei einem Unterricht mit auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler abgestimmten Lerninhalten, der in Sonderschulen insbesondere auch die Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten umfasst, können in gleicher Weise wie in der Regelschule flankierende Assistenzdienste erforderlich sein, um eine Teilnahme des jeweiligen Schülers am Unterricht zu ermöglichen und abzusichern. Der dem sonderpädagogischen Förderbedarf geschuldete Unterrichtsinhalt ist deshalb für die Abgrenzung des Kernbereichs ungeeignet.

Ausgehend von diesen Grundsätzen übernahmen die im Schuljahr 2014/2015 eingesetzten Schulbegleiterinnen keine Aufgaben im Kernbereich der pädagogischen Verantwortung der Schule, sondern nur den Unterricht begleitende Assistenzdienste und zwar auch dann, wenn sie den Kläger außerhalb des Unterrichtsraums bei Einzelarbeitsphasen betreute und unterstützte. Denn das LSG hat dazu für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die dort bearbeiteten Aufgaben und Arbeitsmaterialien von der Lehrkraft vorbereitet worden waren. Entgegen der Auffassung des Beklagten handelt es sich dabei also um die Absicherung der Teilnahme des Klägers am Unterrichtsgeschehen, während die eigentliche pädagogische Gestaltung - nämlich die Auswahl der Aufgaben und die Art und Weise der Vermittlung der Lerninhalte - bei der Lehrkraft verblieb. Soweit der Beklagte hier fehlerhafte Feststellungen des LSG rügt, erfüllt sein Vorbringen nicht die Anforderungen an eine zulässige Verfahrensrüge (vgl zu den Anforderungen: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 164 RdNr 12c). Die Einwände des Klägers betreffen die Beweiswürdigung durch das LSG, die grundsätzlich nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt hat (so schon BSG vom 15.8.1960 - 4 RJ 291/59 - SozR Nr 56 zu § 128 SGG, juris RdNr 7; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 128 RdNr 10). Vorliegend ergibt sich jedoch kein Anhalt, dass das Berufungsgericht gegen diese Grundsätze verstoßen hat. Dies wäre nämlich nur der Fall, wenn - woran es hier fehlt - ein tatsächlicher Schluss aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht aber schon dann, wenn das Tatsachengericht einen nach Meinung des Revisionsführers unrichtigen oder fernliegenden, gleichwohl aber möglichen Schluss gezogen hat (vgl Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ vom 6.2.1975 - II C 68.73 - BVerwGE 47, 330 - juris RdNr 110; BSG vom 24.11.2005 - B 9a/9 V 8/03 R - BSGE 95, 244 = SozR 4-3100 § 1a Nr 1, RdNr 54; zum Ganzen Hauck in Hennig, SGG, § 128 RdNr 24 f mwN, Stand Dezember 2018).

Die vom Kläger begehrte Hilfe ist zur Erreichung des Eingliederungsziels einer angemessenen Schulbildung auch geeignet (§ 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII) und der Sache nach erforderlich. Entscheidend im Sinne einer personenzentrierten Betrachtungsweise (vgl zuletzt BSG vom 6.12.2018 - B 8 SO 7/17 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - juris RdNr 17) ist es, ob aufgrund des konkret beim Kläger bestehenden sonderpädagogischen Förderbedarfs die spezifischen Fördermaßnahmen geeignet sind, ihm den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern und hierfür die Unterstützung eines Integrationshelfers benötigt wird. Erforderlich ist eine Rehabilitationsmaßnahme dann, wenn sie, ausgehend von Art und Schwere der Behinderung und den hieraus resultierenden Einschränkungen, unter prognostischer Betrachtung geeignet und notwendig ist, die infrage stehenden Rehabilitationsziele zu erreichen (vgl zuletzt BSG, aaO, juris RdNr 22).

Auf Grundlage der Feststellungen des LSG steht fest, dass die Begleitung des Klägers durch eine Assistenzkraft jedenfalls für mehr als die bewilligten 13 Stunden wöchentlich erforderlich war. Der Kläger hatte einen weit überdurchschnittlichen Unterstützungsbedarf in praktischen Dingen, der insbesondere in der Verhaltenssteuerung und in der Vermeidung von Eskalation lag und immer dann bestand, wenn der Kläger sich in einer Gruppe bewegen musste. Erst die ständige (umfassende) Begleitung im Unterricht durch einen Schulbegleiter ermöglichte dem Kläger eine gewinnbringende Teilnahme am Unterricht. Dass zur Erfüllung dieser Aufgabe ggf pädagogische Kenntnisse und Fertigkeiten notwendig waren und zur Anwendung kamen, zB indem dem Kläger eine von der Lehrerin gestellte Aufgabe durch die Schulbegleitung nochmals in einer für ihn besser verständlichen Art und Weise erklärt worden ist, ist qualitativ für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Eignung der Hilfe ohne Bedeutung (BSG vom 9.12.2016 - B 8 SO 8/15 R - BSGE 122, 154 = SozR 4-3500 § 53 Nr 5, RdNr 28).

Der Beklagte kann den Kläger auch nicht darauf verweisen, dass es vorrangig Aufgabe der Schule als Sonderpädagogisches Bildungszentrum mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung gewesen sei, alle notwendigen (personellen) Maßnahmen zu ergreifen, um seinen Schulbesuch sicherzustellen. Eine Nachrangigkeit der Sozialhilfe kommt nur dann in Betracht, wenn die anderweitige Verpflichtung der Schule tatsächlich erfüllt wird oder zumindest ohne Weiteres realisierbar ist (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25; BVerwG vom 18.10.2012 - 5 C 21/11 - BVerwGE 145, 1 - juris RdNr 39). Denn außerhalb des Kernbereichs besteht - selbst wenn die Maßnahme (auch) zum schulischen Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehört - jedenfalls eine nachrangige Verpflichtung zur Erbringung unterstützender Hilfen, wenn der Eingliederungsbedarf tatsächlich nicht durch die Schule gedeckt wird. Der Sozialhilfeträger muss ggf mittels einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) beim zuständigen Schulträger Rückgriff nehmen (BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - aaO RdNr 25; Wehrhahn in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 54 SGB XII RdNr 54).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 13500688

FEVS 2020, 275

NZS 2019, 953

SGb 2020, 386

ZfF 2020, 22

br 2020, 26

GV/RP 2020, 524

FuBW 2020, 330

FuNds 2020, 329

KommP BY 2020, 191

info-also 2019, 282

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