Leitsatz (amtlich)

1. Eine Trunksucht, die sich im Verlust der Selbstkontrolle und in der zwanghaften Abhängigkeit vom Alkohol (im "Nichtmehraufhörenkönnen") äußert, ist eine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne, wenn sie ohne ärztliche Behandlung nicht mit Aussicht auf Erfolg geheilt, gebessert oder auch nur vor Verschlimmerung bewahrt werden kann; zu organischen Schäden braucht die Sucht noch nicht geführt zu haben (Fortführung BSG 1968-06-18 3 RK 63/66 = BSGE 28, 114).

2. Die Leistungspflicht der KK bei Trunksucht entfällt auch dann nicht, wenn der Versicherte aus polizeilichen Gründen (wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung) zwangsweise in einem Krankenhaus untergebracht wird.

3. Zum Begriff des "Pflegefalls".

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Behandlungsfähigkeit in Trunksuchtfällen setzt nicht voraus, daß das "Grundleiden" noch einer Einwirkung zugänglich ist; es genügt, daß eine bestimmte Folge dieses Leidens mit dem Ziel der Heilung, Besserung oder Verhütung der Verschlimmerung beeinflußt werden kann. Ein "Pflegefall" liegt erst vor, wenn eine ärztliche Behandlung in diesem Sinne keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr bietet und die Anstaltspflege deshalb im wesentlichen nur noch um ihrer selbst willen und nicht im Rahmen eines zielstrebigen Heilplanes durchgeführt wird.

2. Daß eine Trunksucht häufig in einer Charakterschwäche wurzelt, schließt eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht aus, sofern die Sucht selbst einer ärztlichen Behandlung bzw Krankenhausbehandlung zugänglich und bedürftig ist; dabei gehören zur ärztlichen Behandlung bzw Krankenhausbehandlung auch psychotherapeutische Maßnahmen und der Einsatz von "natürlichen" Heilmitteln und -methoden wie einer ärztlich angeordneten und geleiteten Beschäftigungs- oder Arbeitsbehandlung.

3. Die Kosten der Unterbringung eines Trunksüchtigen in einer Entziehungsanstalt sind von dem gesetzlichen Krankenversicherungsträger dann zu übernehmen, wenn in Beachtung der Gesamtumstände eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliegt, die ohne ärztliche Betreuung nicht geheilt bzw gebessert werden kann.

 

Orientierungssatz

Zum Begriff der ärztlichen Behandlung (RVO § 182) gehören auch psychotherapeutische Maßnahmen und der Einsatz von "natürlichen" Heilmitteln und -methoden wie einer ärztlich angeordneten und geleiteten Beschäftigungs- oder Arbeitsbehandlung.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Fassung: 1911-07-19, § 184 Fassung: 1911-07-19

 

Tenor

Die Revision der beklagten Krankenkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 1966 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der beklagten Krankenkasse, die Kosten einer Entziehungsbehandlung der Klägerin im Westfälischen Landeskrankenhaus L zu erstatten.

Die unverheiratete Klägerin, die 1905 geboren und seit 1965 wegen Geisteskrankheit entmündigt ist, wurde am 13. September 1962 als Trunksüchtige wegen gegenwärtiger Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach den Vorschriften des nordrhein-westfälischen Unterbringungsgesetzes durch Gerichtsbeschluß in das genannte Krankenhaus eingewiesen, zunächst für eine Zeit bis zu 6 Wochen, die später verlängert wurde. Dem Beschluß über die Fortdauer der Unterbringung lag ein psychiatrisches Gutachten des Krankenhausarztes Dr. St zugrunde, in dem es u.a. hieß, die Klägerin leide an einer chronischen Trunksucht und an den Folgeerscheinungen einer früher durchgemachten Tabo-Paralyse; sie biete jetzt das Bild eines hochgradigen geistig-seelischen Defektzustandes, sei geistig stark abgebaut (dement), merk- und urteilsschwach, interessenarm und lebe ohne Anteil und Schwung in den Tag hinein; trotz der intensiven Behandlung sei es bisher nicht gelungen, das Krankheitsbild wesentlich zu beeinflussen; die Weiterbehandlung in einer geschlossenen Anstalt sei daher noch unbedingt erforderlich, sonst bestehe die Gefahr, daß die Klägerin bald wieder verwahrlosen und dem Alkohol verfallen würde. Ende März 1963 wurde die Unterbringungsanordnung wegen Wegfalls ihrer Voraussetzungen aufgehoben; schon am 12. März 1963 war die Klägerin als "gebessert" entlassen worden.

Nachdem das örtlich zuständige Sozialamt eine Übernahme der Krankenhauskosten wegen der Vermögensverhältnisse der Klägerin abgelehnt hatte - sie bezieht u.a. eine Rente aus der Angestelltenversicherung und wohnt mietfrei im elterlichen Haus-, beantragte sie alsbald nach der Aufnahme im Krankenhaus (im Oktober 1962) die Kostenübernahme bei der beklagten Krankenkasse, der sie als pflichtversicherte Rentnerin angehörte. Diese lehnte den Antrag ebenfalls ab, weil die Unterbringung nicht der Heilbehandlung einer Krankheit, sondern der Durchführung einer Entziehungskur diene; außerdem stünden Pflegemaßnahmen im Vordergrund.

Auch das Sozialgericht (SG) Dortmund nahm einen "Pflegefall" an; die Klägerin sei in erster Linie deswegen untergebracht worden, um einer weiteren, unmittelbar bevorstehenden Verwahrlosung und einer Gefährdung der Allgemeinheit zu begegnen (Urteil vom 8. Oktober 1963).

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Beklagte zur Erstattung der Krankenhauskosten für die Zeit vom 13. September 1962 bis zum 12. März 1963 verurteilt: Die Klägerin sei zwar zwangsweise im Krankenhaus untergebracht worden; das schließe jedoch nicht aus, daß sie wegen einer Krankheit krankenhauspflegebedürftig gewesen sei. Nach dem mündlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. W, der sie im Krankenhaus behandelt habe, hätten bei ihr seinerzeit nicht mehr behebbare psychische und neurologische Veränderungen vorgelegen, ferner eine schwere Trunksucht, deren stationäre Behandlung indessen noch eine gewisse Aussicht auf Erfolg geboten habe. Ähnlich wie Dr. W hätten sich auch Dr. St und der Obermedizinalrat Dr. F im Unterbringungsverfahren geäußert. Tatsächlich habe die Klägerin eine auf die Eigenart ihrer Krankheit abgestimmte Spezialbehandlung (Beschäftigungstherapie, psychologische Führung) erhalten, durch die sie soweit habe gebessert und "diszipliniert" werden können, daß im März 1963 eine Entlassung aus dem Krankenhaus möglich gewesen sei. Um einen Pflegefall habe es sich nicht gehandelt, wenn auch Dr. W erklärt habe, im Vordergrund der Unterbringung hätten pflegerische Maßnahmen gestanden ("Betreuung, Herausholen aus dem bisherigen Milieu, Erziehung zur Sauberkeit, Körperpflege und Ordnung"). Ein Pflegefall liege nicht vor, wenn, wie hier, wegen eines krankhaften Zustandes stationäre Behandlung erforderlich sei, eine entsprechende Therapie tatsächlich zur Anwendung komme und durch sie der Zustand soweit gebessert werde, daß eine Krankenhausentlassung erfolgen könne. Da die Klägerin die Gewährung von Krankenhauspflege auch rechtzeitig bei der Beklagten beantragt habe, hätte diese dem Antrag bei richtiger Ermessensausübung entsprechen müssen; die Klägerin könne mithin die Erstattung der von ihr getragenen Behandlungskosten verlangen (Urteil vom 20. Oktober 1966).

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das LSG habe gegen Denkgesetze verstoßen, wenn es nach dem Gutachten von Dr. W einerseits festgestellt habe, die psychischen und neurologischen Veränderungen seien seinerzeit schon nicht mehr behebbar gewesen, andererseits jedoch angenommen habe, die Behandlung der auf diesen Defekten beruhenden Trunksucht habe noch eine gewisse Aussicht auf Erfolg gehabt; beide Feststellungen schlössen einander aus. Im übrigen habe die stationäre Behandlung der Klägerin lediglich bezweckt, die Symptome ihrer Willensschwäche (Lethargie, Unsauberkeit, Unordnung sowie weitere Trinkexzesse) vorübergehend zu verhüten. Eine solche "sozialpädagogische" Tätigkeit sei nicht spezifisch ärztlicher Natur und gehöre deshalb nicht zu den Leistungen der Krankenkasse. Auch habe bei der Klägerin der Erfolg den Anstaltsaufenthalt nicht lange überdauert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. Oktober 1966 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Dortmund vom 8. Oktober 1963 zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist nicht begründet. Das LSG hat sie mit Recht dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin die bisher von ihr selbst getragenen Kosten ihrer Krankenhausbehandlung vom 13. September 1962 bis zum 12. März 1963 zu erstatten.

Das LSG geht zutreffend davon aus, daß Trunksucht (chronischer Alkoholismus) eine Krankheit sein kann, die Leistungsverpflichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung auslöst. Dabei braucht der Senat auch im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, wie der versicherungsrechtliche Krankheitsbegriff (vgl. BSG 26, 288, 289) in Trunksuchtsfällen im einzelnen abzugrenzen ist (vgl. dazu Krasney in "partner", Monatszeitschrift des Ev. Gesamtverbandes zur Abwehr der Suchtgefahren, Heft 9, 1968). Nicht erforderlich ist jedenfalls, daß die Sucht bereits zu organischen Schäden geführt hat, die ihrerseits der Heilbehandlung bedürfen. Es genügt vielmehr, daß die Sucht, die sich im Verlust der Selbstkontrolle und in der zwanghaften Abhängigkeit von den Suchtmitteln (im "Nichtmehraufhörenkönnen") äußert, ohne ärztliche Behandlung mit Aussicht auf Erfolg nicht geheilt, gebessert oder auch nur vor Verschlimmerung bewahrt werden kann (vgl. BSG 28, 114 und Urteil des Senats vom 22. November 1968, SGb 1969, 382, mit zustimmender Anmerkung von Schroeter). An dieser Auffassung hält der Senat auch nach nochmaliger Prüfung und unter Berücksichtigung der dagegen von einem Teil des Schrifttums erhobenen Bedenken fest.

Ob ein dem Alkohol verfallener Versicherter bereits das Stadium einer behandlungsbedürftigen Trunksucht und damit der Krankheit erreicht hat, mag im Einzelfall nicht immer leicht zu beurteilen sein (zu den verschiedenen Phasen des Alkoholismus, namentlich zur Unterscheidung von süchtigen und gewohnheitsmäßigen Trinkern, vgl. Mentzel, DÄ 1969, 2686, unter Hinweis auf amerikanische Forschungen von Jellinek; dazu ferner Stemplinger, DÄ 1969, 2690, und die Übersicht bei Feuerlein, Der Medizinische Sachverständige 1969, 59). Für einen erfahrenen, insbesondere psychiatrisch geschulten Arzt sind die genannten Kriterien (Verlust der Selbstkontrolle, zwanghafte Abhängigkeit vom Alkohol) nach der Überzeugung des Senats hinreichend "faßbar"; ihre Objektivierung wird im allgemeinen keine größeren Schwierigkeiten bereiten als die Feststellung sonstiger psychischer Störungen wie Wahnbildungen und ähnliches (ebenso Feuerlein, DÄ 1969, 2689; Bedenken dagegen bei Berg, BKK 1968, 567, 569; Sabel WzS 1969, 21; Engel DÄ 1969, 1046).

Daß eine Trunksucht häufig in einer - allenfalls mit pädagogischen Mitteln beeinflußbaren - Charakterschwäche wurzelt, wie Engel aaO meint, schließt eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht aus, sofern nur die Trunksucht selbst einer ärztlichen Behandlung zugänglich und bedürftig ist. Dabei darf allerdings der Begriff der ärztlichen Behandlung nicht zu eng, etwa im Sinne einer lediglich oder vorwiegend medikamentösen Therapie, verstanden werden. Zu ihr gehören vielmehr gerade in Trunksuchtsfällen auch psychotherapeutische Maßnahmen und der Einsatz von "natürlichen" Heilmitteln und -methoden wie einer ärztlich angeordneten und geleiteten Beschäftigungs- oder Arbeitsbehandlung (vgl. SozR Nr. 21 zu § 184 RVO am Ende; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 16. Aufl., § 182 RVO, Anm. 4 a unter "Beschäftigungstherapie" und "Psychotherapie"). Ist ein trunksüchtiger Versicherter in diesem Sinne (noch) behandlungsfähig und (schon) behandlungsbedürftig, so ist er ohne Rücksicht auf die Ursache seines Zustandes krank. Daß der Ursache der Behandlungsbedürftigkeit für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich keine Bedeutung zukommt, hat der Senat schon früher entschieden (vgl. BSG 13, 240 und 18, 257 für eine durch übermäßigen Alkoholgenuß bzw. schuldhafte Beteiligung an einer Schlägerei verursachte Krankheit). Durchbrechungen dieses Grundsatzes bedürfen einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift (vgl. § 192 RVO, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Versagung des Krankengeldes zuläßt). Für die - gänzliche oder teilweise - Versagung von Sachleistungen der Krankenversicherung fehlt es an einer entsprechenden Ausnahmenorm (vgl. demgegenüber BSG 21, 163 zum Wegfall des Rentenanspruchs bei alkoholbedingter Berufsunfähigkeit nach § 1277 RVO).

Andererseits ist mit Recht auf eine Bestimmung des Heilmittelwerbegesetzes vom 11. Juli 1965 (BGBl I, 604) hingewiesen worden, die bei den "Krankheiten und Leiden", für die eine Arzneimittelwerbung nur beschränkt zulässig ist, auch die Trunksucht anführt (Nr. 9 der Anlage zu § 10; vgl. Kohlhaas in Deutsche Medizinische Wochenschrift 1969, 803). In die gleiche Richtung weist die Formulierung "suchtkranke Personen" in dem bei der Klägerin zur Anwendung gekommenen nordrheinwestfälischen Unterbringungsgesetz vom 16. Oktober 1956 (GV. NW. 1956 S. 300). Schließlich wird Trunksucht auch in anderen Rechtsordnungen als Krankheit angesehen, in der Schweiz z.B., wenn eine Entwöhnungskur auf ärztliche Verordnung und unter ärztlicher Leitung durchgeführt wird (Entscheidungen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 1969, 11, 12: Trunksucht habe in der Regel schon für sich genommen den Charakter der Krankheit, nicht erst dann, wenn sie Symptom oder Ursache einer anderen Erkrankung sei).

Dem LSG ist ferner darin beizutreten, daß die Leistungspflicht der Krankenkasse auch dann nicht entfällt, wenn der Versicherte aus polizeilichen Gründen - wegen gegenwärtiger Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (vgl. § 2 des nordrhein-westfälischen Unterbringungsgesetzes) - zwangsweise in ein Krankenhaus eingewiesen wird. Richtig ist zwar, daß die Krankenkasse selbst keinen Versicherten zur Inanspruchnahme von Krankenhauspflege zwingen kann. Sie hat vielmehr nur die Befugnis, die Gewährung von Krankenpflege und Krankengeld - unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Zustimmung des Kranken (§ 184 Abs. 3 RVO) - durch Krankenhauspflege zu ersetzen mit der Folge, daß der Versicherte seinen Leistungsanspruch verliert, wenn er sich nicht ins Krankenhaus begibt (vgl. SozR Nr. 22 zu § 184 RVO). Einen unmittelbaren Zwang zum Aufsuchen eines Krankenhauses kann die Krankenkasse dagegen nicht ausüben. Das schließt jedoch entgegen der Ansicht von Schiller (WzS 1969, 71) und anscheinend auch des Bayerischen LSG (SozVers. 1968, 155) nicht aus, daß in Fällen, in denen ein Versicherter von einer anderen Stelle zwangsweise im Krankenhaus untergebracht wird, die Unterbringung zugleich der Behandlung einer Krankheit dient, und der Krankenkasse dann, wenn der Versicherte krankenhauspflegebedürftig ist, die Behandlungskosten zur Last fallen (vgl. BSG 28, 114, 117). Von dieser Auffassung geht auch das nordrhein-westfälische Unterbringungsgesetz in § 17 Abs. 1 aus; danach kann nämlich auch ein Träger der Sozialversicherung für eine nach diesem Gesetz durchgeführte Anstaltsunterbringung kostenpflichtig sein. Die gleiche Auffassung liegt ferner der Kostenregelung des sog. Halbierungserlasses bei Unterbringung von Geisteskranken zugrunde (vgl. dazu BSG 9, 112, 115 und BSG 16, 84). Auch im Recht der Tuberkulosehilfe nimmt ein zugleich mit der Heilbehandlung verfolgter polizeilicher Gesichtspunkt (Schutz der Allgemeinheit vor Ansteckung) der Krankenhauspflege nicht den Charakter einer Regelleistung der Krankenversicherung (SozR Nr. 21 zu § 184 RVO, Blatt Aa 14). Daß ein Gesetzentwurf zur Neuregelung der Krankenversicherung (Bundestagsdrucks. IV/816) eine Bestimmung erhielt, nach der die Leistungen der Krankenkasse solange ruhen sollten, als der Versicherte auf Grund richterlicher Entscheidung in einem Krankenhaus oder in einer ähnlichen Anstalt aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung untergebracht oder zurückgehalten wird (§ 227 Abs. 1 Nr. 5), ist für die Auslegung des geltenden Rechts ebensowenig entscheidend, wie die - zum Teil vielleicht beachtlichen - Vorschläge für eine zweckmäßigere Verteilung der Kostenlast in Trunksuchtfällen (vgl. dazu Raspe, DÄ 1968, 155; Engel aaO; Kramm, DÄ 1969, 2857; Sabel WzS 1969, 22).

Im vorliegenden Fall war die Klägerin bei ihrer Unterbringung im Landeskrankenhaus L im September 1962 noch behandlungsfähig. Trotz der schon weit fortgeschrittenen, nicht mehr behebbaren psychischen und neurologischen Veränderungen bot die Behandlung der Trunksucht selbst nach Auffassung des Krankenhausarztes Dr. W und des LSG noch eine gewisse Aussicht auf Erfolg. Diese Feststellung enthält - entgegen der Ansicht der Revision - keinen logischen Widerspruch. Auch wenn das "Grundleiden" nicht mehr zu heilen oder zu bessern ist, kann eine bestimmte Folge dieses Leidens durchaus noch der Behandlung zugänglich sein. Die Behandlung braucht dabei nicht unbedingt eine dauernde Heilung oder Besserung erwarten zu lassen. Es genügt vielmehr die begründete Aussicht, daß die Suchterscheinungen für eine gewisse, allerdings nicht ganz unerhebliche Zeit beseitigt oder unterdrückt werden, wie es im Fall der Klägerin tatsächlich geschehen ist. Ihre Trunksucht konnte mit einer so verstandenen Erfolgsaussicht auch nur in einem Krankenhaus behandelt werden, d. h. in einer Anstalt, die auf intensive Betreuung durch jederzeit rufbereite Ärzte und geschultes Pflegepersonal eingerichtet ist (vgl. SozR Nr. 20 und Nr. 21 zu § 184 RVO). Eine solche Betreuung kann, wie schon ausgeführt, auch in ärztlich angeordneten und geleiteten Behandlungsmaßnahmen wie einer Beschäftigungs- oder Arbeitstherapie oder in psychotherapeutischen Übungen bestehen, ohne daß die Krankenhausbehandlung deswegen schon zu einer reinen "Pflege" wird. Ein "Pflegefall" liegt erst vor, wenn eine ärztliche Behandlung keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr bietet und die Anstaltspflege deshalb im wesentlichen nur noch um ihrer selbst willen und nicht im Rahmen eines zielstrebigen Heilplanes durchgeführt wird. So aber hat der Fall der Klägerin nicht gelegen. Selbst bei den Bemühungen zur Erziehung der Klägerin zur Sauberkeit, Körperpflege und Ordnung, die Dr. W erwähnt hat, haben offenbar noch therapeutische Gesichtspunkte mitgesprochen.

Da die Klägerin schließlich die Gewährung von Krankenhauspflege auch rechtzeitig bei der Beklagten beantragt hat, wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt ist, hätte die Beklagte ihr die Krankenhauspflege bei richtiger Ausübung des Verwaltungsermessens nicht verweigern dürfen; sie ist deshalb zum Ersatz der bisher von der Klägerin selbst getragenen Behandlungskosten dem Grunde nach verpflichtet (§ 130 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284771

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