Entscheidungsstichwort (Thema)

Verlängerung der Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose

 

Orientierungssatz

1. Mit der Entstehung des Anspruchs iS des § 106a AFG ist die Entstehung des Stammrechts gemeint, also der mit der erstmaligen Erfüllung aller in § 100 Abs 1 AFG aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen begründeten Berechtigung des Arbeitnehmers, bei Arbeitslosigkeit für eine bestimmte Anzahl von Tagen Arbeitslosengeld zu beziehen.

2. Mit der Entstehung des Anspruchs ist in § 242d AFG nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes nicht anders als in § 106a AFG die Entstehung des Stammrechts gemeint.

3. Durch die Regelung des § 106a und § 242d AFG wird der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt.

 

Normenkette

AFG § 106a Fassung: 1984-12-20, § 242d Fassung: 1984-12-20; GG Art 3 Abs 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 19.02.1987; Aktenzeichen L 3 Ar 64/86)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 20.03.1986; Aktenzeichen S 5 Ar 89/85)

 

Tatbestand

Streitig ist die Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg).

Der am 3. Mai 1934 geborene Kläger meldete sich am 18. April 1983 zum 1. Mai 1983, einem Sonntag, arbeitslos und beantragte Alg, nachdem sein seit 1950 bestehendes Arbeitsverhältnis zum 30. April 1983 bei Gewährung einer Abfindung von 42.000,-- DM durch gerichtlichen Vergleich vom 9. November 1982 aufgelöst worden war. Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 2. Mai 1983 Alg, und zwar für 312 Wochentage. Der Anspruch war am 11. Januar 1985 erschöpft.

Den 1985 gestellten Antrag des weiterhin beschäftigungslosen Klägers, die Dauer des Anspruchs aufgrund der §§ 106a, 242d Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu verlängern, lehnte die Beklagte ab, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben seien; bei Entstehung des Anspruchs auf Alg (1. Mai 1983) habe der Kläger das 49. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt (Bescheid vom 18. Februar 1985, Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1985). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 20. März 1986, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 19. Februar 1987).

Das LSG hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt, die Voraussetzungen des § 106a AFG seien nicht gegeben, da der Anspruch auf Alg vor dem 1. Januar 1985 entstanden sei. Das Begehren des Klägers lasse sich aber auch nicht auf die Übergangsvorschrift des § 242d AFG stützen. Nach dieser Bestimmung erhöhe sich die Anspruchsdauer auf 468 Tage, wenn in der Zeit vom 29. bis 31. Dezember 1984 ein Anspruch auf Alg von 312 Tagen noch nicht erschöpft sei und der Arbeitslose bei Entstehung des Anspruchs das 49. Lebensjahr vollendet habe. Die letztgenannte Voraussetzung erfülle der Kläger nicht. Der Anspruch auf Alg sei am 1. Mai 1983 entstanden, weil an diesem Tage die in § 100 AFG abschließend aufgezählten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien. Daß der Kläger vom 1. bis 14. Mai 1983 nach Griechenland in den Urlaub gefahren sei, habe seine Verfügbarkeit nicht aufgehoben. Nach § 3 der Aufenthalts-Anordnung stehe nämlich der Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit ein Auslandsaufenthalt nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher feststelle, daß die Abwesenheit die Vermittlung oder die Teilnahme an einer beruflichen Bildungs- oder Vermittlungsmaßnahme nicht beeinträchtige. Eine solche Feststellung habe ein Bediensteter des Arbeitsamtes am 18. April 1983 getroffen. Die Entstehung des Anspruchs sei auch nicht dadurch beeinflußt, daß der Kläger von seinem Arbeitgeber eine Abfindung erhalten habe. Eine Abfindung könne zwar das Ruhen des Anspruchs auf Alg zur Folge haben (§ 117 Abs 2 AFG), was indes die Entstehung des Anspruchs voraussetze. Selbst wenn bei § 242d AFG an das Ruhen nicht gedacht worden sein sollte, ergäbe sich vorliegend keine andere Entscheidung. § 117 Abs 2 AFG greife nämlich nicht ein, weil die Abfindung nach den §§ 9 und 10 Kündigungsschutzgesetz gezahlt worden sei und solche Abfindungen keinen Lohnausfallcharakter hätten. Der Umstand, daß der 1. Mai 1983 ein Sonntag gewesen sei, verhindere die Entstehung des Anspruchs nicht. Schließlich lasse sich auch aus § 114 AFG nicht ableiten, daß der Anspruch erst am 2. Mai 1983 entstanden sei. Eine solche Schlußfolgerung wäre nur zwingend, wenn § 114 AFG eine Fälligkeitsvorschrift wäre und die Fälligkeit zu den Anspruchsvoraussetzungen gehörte. Letzteres treffe aber nicht zu, wie sich aus §§ 40, 41 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs ergebe. Hiernach sei der Anspruch des Klägers auf Alg am 1. Mai 1983 entstanden. An diesem Tage habe er das 49. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt; die Vollendung sei gemäß §§ 187 Abs 2 und 188 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erst am 2. Mai 1983 um 24.00 Uhr eingetreten. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift des § 242d AFG bestünden entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Die Neuregelungen der §§ 106a und 242d AFG hätten die erworbenen Rechtspositionen nicht eingeschränkt, sondern ausgeweitet; sie berührten daher Art 14 Grundgesetz (GG) nicht. Aber auch der Gleichheitssatz und das Sozialstaatsprinzip (Art 3, 20 GG) seien nicht verletzt. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, daß neben der Erkenntnis, daß ältere Arbeitnehmer in der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation schwierig zu vermitteln und daher im allgemeinen länger als jüngere Versicherte arbeitslos seien, auch die lange Beitragsleistung ein Grund gewesen sei, den Anspruch auf Alg für den in § 242d AFG genannten Personenkreis auszuweiten. Infolgedessen seien auch nur solche Arbeitslose nach § 242d AFG begünstigt worden, die einen Anspruch von 312 Tagen erworben hatten. Es sei daher sachgerecht und der Realität entsprechend, die Vergünstigung vom Lebensalter abhängig zu machen. Schließlich begründe auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch die Forderung des Klägers nicht, weil es an einer unrichtigen oder unvollständigen Beratung des Klägers fehle. Die Bediensteten der Beklagten hätten im April 1983 von der zu § 242d AFG führenden Gesetzesänderung nichts wissen können.

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des § 117 Abs 2 AFG, § 242d AFG und der Art 3, 14, 20 GG. Entgegen der Auffassung des LSG sei von der Abfindung ein Betrag von 2.743,-- DM als Lohnausgleich gezahlt worden. Es handele sich um die Differenz zwischen den gewährten 42.000,-- DM und der Abfindung von 39.257,-- DM, die der Kläger bei Anwendung des Sozialplans zu beanspruchen gehabt hätte. Dieser Betrag sei dem Kläger als Ausgleich dafür gezahlt worden, daß er schon am 30. April 1983 ausgeschieden sei, obwohl eine Kündigung erst zum 30. Juni 1983 hätte wirksam werden können. Angesichts der monatlichen Arbeitsvergütung von 4.300,-- DM hätte der Anspruch des Klägers auf Alg mindestens bis zum 15. Mai 1983 geruht. Für Ruhensfälle habe § 242d AFG indes keine Regelung vorgesehen. Die Lücke sei dahin zu schließen, daß der Anspruch iS des § 242d AFG erst dann als entstanden gelte, wenn der Ruhenszeitraum nach § 117 AFG abgelaufen sei. Daher seien in seinem Falle die Voraussetzungen des § 242d AFG erfüllt.

Darüber hinaus sei daran festzuhalten, daß § 242d AFG verfassungswidrig sei. Das zur Anspruchsvoraussetzung erhobene Lebensalter sei grundsätzlich kein taugliches Kriterium zur Bestimmung des Kreises der durch die gesetzliche Neuregelung Begünstigten. Das Motiv, insbesondere älteren Arbeitnehmern eine finanzielle Hilfestellung anzubieten, berechtige den Gesetzgeber nicht, das Lebensalter in den Vordergrund zu stellen und das Kriterium der Beitragsdauer zu vernachlässigen. Nur die Beitragsdauer und die Höhe der damit verbundenen Beitragsleistungen könnten das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des Kreises der Begünstigten sein. Vom Prinzip der Versichertengemeinschaft ausgehend dürfe nur derjenige, der bereits über einen langen Zeitraum Beiträge entrichtet habe, ein höheres Leistungsvolumen beanspruchen. Indem § 242d AFG das Lebensalter zum entscheidenden Kriterium erhoben habe, seien die über 33 Jahre geleisteten Beiträge des Klägers entwertet worden. Der Kläger sei schlechter gestellt, als ein um drei Tage älterer Arbeitsloser, der lediglich fünf Jahre lang Beiträge an die Beklagte entrichtet habe. Dies komme einer rechtswidrigen Enteignung gleich.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der ergangenen Urteile und Bescheide die Beklagte zu verurteilen, ihm für weitere 156 Tage Alg zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie verweist auf das Urteil des LSG, das sie für zutreffend hält.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß die Dauer seines 1983 entstandenen Anspruchs auf Alg, die entsprechend der damaligen Höchstdauer 312 Wochentage betragen hat (§ 106 AFG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982, BGBl I 1857), aufgrund der seit Ende 1984 vorgenommenen gesetzlichen Verbesserungen der Anspruchsdauer für ältere Arbeitslose verlängert wird.

Auf die Vorschriften der §§ 106a und 242d AFG, eingefügt durch das am 1. Januar 1985 in Kraft getretene Arbeitsförderungs- und Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1984 (BGBl I 1713) -AFG/RVÄndG- läßt sich, wie das LSG zutreffend erkannt hat, das Begehren des Klägers nicht stützen.

Nach § 106a AFG erhöhte sich die Dauer eines Anspruchs von Alg von 312 Tagen nach Maßgabe beitragspflichtiger Beschäftigungszeiten innerhalb einer auf sieben Jahre erweiterten Rahmenfrist bis zu 468 Tage nur bei Arbeitslosen, die das 49. Lebensjahr vollendet haben und deren Anspruch auf Alg in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis 31. Dezember 1989 entstanden ist. Die letztgenannte Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Denn der Anspruch auf Alg, aufgrund dessen der Kläger bis zum 10. Januar 1985 die Leistung bezogen hat, war im Sinne des § 106a AFG schon 1983 entstanden. Mit Entstehung des Anspruchs ist nämlich, wie auch an anderen Stellen des Gesetzes (§ 106 Abs 3, § 112 Abs 3 Satz 1, § 112 Abs 6, § 113 Abs 1 Satz 1, § 125 AFG), die Entstehung des Stammrechts gemeint, also der mit der erstmaligen Erfüllung aller in § 100 Abs 1 AFG aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen begründeten Berechtigung des Arbeitnehmers, bei Arbeitslosigkeit für eine bestimmte Anzahl von Tagen Alg zu beziehen.

Nach der Übergangsvorschrift des § 242d AFG, durch die die Verlängerung der Höchstdauer auf bestimmte Arbeitnehmer erstreckt werden sollte, deren Anspruch vor dem 1. Januar 1985 entstanden war, erhöhte sich die Anspruchsdauer auf 468 Tage, wenn in der Zeit vom 29. bis 31. Dezember 1984 ein Anspruch auf Alg mit einer Anspruchsdauer von 312 Tagen noch nicht erschöpft war und der Arbeitslose bei Entstehung des Anspruchs das 49. Lebensjahr vollendet hatte. Die erstgenannte Voraussetzung erfüllt der Kläger, die letztgenannte dagegen nicht.

Mit der Entstehung des Anspruchs ist in § 242d AFG nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes nicht anders als in § 106a AFG die Entstehung des Stammrechts gemeint. Mit Recht hat das LSG erkannt, daß der Anspruch im vorliegenden Falle am 1. Mai 1983 entstanden war, weil zu diesem Zeitpunkt alle in § 100 Abs 1 AFG genannten Anspruchsvoraussetzungen gegeben waren. Der Kläger war an diesem Tage erstmals arbeitslos, nachdem sein Beschäftigungsverhältnis mit dem Vortage sein Ende gefunden hatte, stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, hatte die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt. Daß der 1. Mai 1983 auf einen Sonntag fiel, steht dem nicht entgegen. Für die Verfügbarkeit genügt es, daß der Kläger an diesem Tage eine ihm zumutbare Beschäftigung hätte beginnen können und hierzu bereit gewesen ist. An der Verfügbarkeit ändert auch nichts, daß der Kläger sich vom 1. bis 14. Mai 1983 in Griechenland aufhielt; denn der Aufenthalt des Arbeitslosen außerhalb des Wohnortes oder des Nahbereichs des Arbeitsamtes steht der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung bis zu 3 Wochen im Jahr nicht entgegen, wenn vorher vom Arbeitsamt festgestellt worden ist, daß die Abwesenheit die Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes nicht beeinträchtigt (§ 3 der Aufenthaltsanordnung vom 3. Oktober 1979, ANBA 1388). Letzteres war hier nach den Feststellungen des LSG geschehen. Unerheblich ist auch, daß die Zahlung des Alg nicht schon am 1. Mai 1983, sondern erst am 2. Mai 1983 einsetzte, weil es nach § 114 AFG für die sechs Wochentage gewährt wird; denn ungeachtet des § 114 AFG handelt es sich bei dem Alg um eine auf ganze Wochen bezogene Sozialleistung, die dazu bestimmt ist, den Lebensbedarf der Woche unter Einschluß des Sonntags abzudecken (vgl BSG SozR 1500 § 144 Nr 38).

Im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg am 1. Mai 1983 hatte der Kläger sein 49. Lebensjahr noch nicht vollendet; letzteres ist, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, gemäß §§ 187 Abs 2, 188 Abs 2 BGB erst mit dem Ablauf des 2. Mai 1983 geschehen (vgl BVerwGE 30, 167; BSG SozR Nr 55 zu § 1248 RVO).

Auf die Entstehung des Anspruchs im Sinne der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 100 Abs 1 AFG kommt es auch in den Fällen an, in denen der Zahlung von Alg entgegensteht, daß der Anspruch ruht. Entgegen der Auffassung der Revision liegt insoweit keine ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke vor. Das ergibt sich schon daraus, daß ein Anspruch auf Alg begrifflich nur dann ruhen kann, wenn er entstanden ist. Daß es nicht abweichend vom Gesetzestext auf den Tag ankommen sollte, für den aufgrund des entstandenen Anspruchs erstmals Alg zu zahlen ist, bestätigen auch die Gesetzesmaterialien. So ist die vom ursprünglichen Entwurf abweichende Fassung des § 242d AFG damit begründet worden, daß sie Arbeitnehmer mit einem Anspruch auf Alg von 312 Wochentagen erfaßt, die seit dem 1. Januar 1984 arbeitslos sind (vgl BT-Drucks 10/2569 S 12). Auch im Deutschen Bundestag ist bei der Einbringung der Gesetzesvorlage nicht auf den Beginn der Alg-Zahlung, sondern auf den Eintritt der Arbeitslosigkeit abgehoben worden. So hat der Abgeordnete Müller, der die Vorlage begründet hat, betont, daß sie die Arbeitnehmer begünstige, die bei Eintritt der Arbeitslosigkeit bereits das 49. Lebensjahr vollendet haben (Deutscher Bundestag, Stenografische Berichte, 10. Wahlperiode, 95. Sitzung vom 26. Oktober 1984 S 6969). Hiernach ist es unerheblich, ob der Anspruch auf Alg, wie die Revision meint, entgegen den Ausführungen des LSG geruht hat, weil dem Kläger mit der Abfindung von 42.000,-- DM in Höhe von 2.743,-- DM ein Ausgleich für vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gewährt worden ist.

Fehl geht die Revision auch, soweit sie die durch das AFG/RVÄndG getroffene Regelung über die Verlängerung der Dauer des Anspruchs auf Alg als verfassungswidrig ansieht.

Art 14 GG und der in ihm geregelte Schutz des Eigentums scheidet als Prüfungsmaßstab von vornherein aus, auch wenn der Anspruch auf Alg und Rechtspositionen von Versicherten, die innerhalb der gesetzlichen Rahmenfrist die Anwartschaftszeit erfüllt haben, durch die Eigentumsgarantie geschützt werden (BVerfGE 72, 9 = SozR 4100 § 104 Nr 13). Denn das AFG/RVÄndG hat weder die Dauer von Ansprüchen auf Alg verkürzt noch durch Verlängerungen der erforderlichen Anwartschaftszeiten oder Verkürzungen der Rahmenfrist den Erwerb von Ansprüchen bzw von Ansprüchen mit längerer Dauer erschwert. Schon aus §§ 104, 106 AFG in der bei Eintritt der Arbeitslosigkeit des Klägers geltenden Fassung des Gesetzes ergab sich, daß länger zurückliegende Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung sich in der Arbeitslosenversicherung nicht auswirkten, Anwartschaftszeiten also verfallen konnten, weil Anwartschaft und die Dauer eines Anspruchs sich grundsätzlich nur nach der Dauer der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung innerhalb einer dreijährigen bzw einer vierjährigen Rahmenfrist (§ 104 Abs 1 Satz 1 AFG, § 106 Abs 1 AFG) richteten, die günstigenfalls dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit vorausgehen (§ 104 Abs 2 AFG). Es kann daher keine Rede davon sein, daß § 106a AFG oder § 242d AFG die vom Kläger vor der vierjährigen Rahmenfrist zurückgelegten beitragspflichtigen Beschäftigungszeiten von 1950 bis 1979 entwertet hätten, wie die Revision meint. Die länger zurückliegenden Anwartschaftszeiten hatte vielmehr das Schicksal des Verfalls ereilt, dem von Rahmenfristen abhängige Anwartschaften typischerweise ausgesetzt sind, solange der Versicherungsfall nicht eintritt.

Als Prüfungsmaßstab kommt daher nur der allgemeine Gleichheitssatz in Betracht, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleichzubehandeln sind (Art 3 Abs 1 GG). Er ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 65, 104, 112 f; 70, 230, 239 f; 71, 146, 154 f).

Ein solcher Verstoß ist nicht darin zu sehen, daß das AFG/RVÄndG daran festgehalten hat, länger zurückliegende Beitragszeiten gänzlich unberücksichtigt zu lassen, und daß § 106a AFG die Dauer des Anspruchs auf Alg erstmals nicht nur nach der Dauer innerhalb bestimmter Rahmenfristen zurückgelegter Beitragszeiten, sondern auch nach dem Lebensalter bestimmt, was durch unterschiedlich verlängerte Rahmenfristen geschieht. Für die Gestaltung der Versicherungsleistung besitzt der Gesetzgeber einen weiten Spielraum. Auf eine Äquivalenz zwischen Beitrags- und Versicherungsleistung muß nicht Bedacht genommen werden; dieses Prinzip hat die Ordnung der Arbeitslosenversicherung schon bislang nicht beherrscht (BSGE 43, 255, 266 = SozR 4100 § 80 Nr 1; BSG SozR 4100 § 112 Nrn 3 und 25). Ähnlich wie bei der Erhöhung staatlicher Leistungen (vgl BVerfGE 13, 248, 259) rechtfertigt vielmehr das Sozialstaatsgebot (Art 20 Abs 1 GG) gerade im Rahmen einer sozialen Versicherung, die Dauer der Versicherungsleistung nach dem Grade der Schutzbedürftigkeit zu differenzieren (vgl BVerfGE 23, 135, 144 f). Entgegen der Auffassung der Revision war der Gesetzgeber daher nicht gehindert, unterschiedliche Rahmenfristen für jüngere und ältere Arbeitslose vorzusehen; insbesondere war er nicht verpflichtet, das System der Rahmenfristen gänzlich fallenzulassen und hierdurch die Berücksichtigung aller Beitragszeiten bei der Dauer des Anspruchs auf Alg zu ermöglichen. Daher kann es nicht beanstandet werden, wenn ältere Arbeitnehmer mit Rücksicht auf schlechtere Vermittlungschancen gegenüber jüngeren Arbeitnehmern künftig dadurch bevorzugt werden, daß bei ihnen die Dauer des Anspruchs auf Alg nach Maßgabe der in der auf sieben Jahre verlängerten Rahmenfrist zurückgelegten Beitragszeiten erhöht wird.

Ebensowenig verstößt es gegen Art 3 Abs 1 GG, daß - anders als in § 106a AFG - die Verlängerung der Anspruchsdauer nach § 242d AFG nicht voraussetzte, daß der Arbeitnehmer innerhalb der auf sieben Jahre verlängerten Rahmenfrist beitragspflichtige Beschäftigungszeiten von bestimmter Dauer zurückgelegt hat, die Dauer des Anspruchs vielmehr generell auf (insgesamt) 468 Tage erhöht wurde, wenn nur ein Anspruch auf Alg mit einer Anspruchsdauer von 312 Tagen noch nicht erschöpft war und der Arbeitslose bei Entstehung des Anspruchs das 49. Lebensjahr vollendet hatte. Es mag einzuräumen sein, daß eine Regelung, die auch in diesen Fällen eine Verlängerung nur nach Maßgabe zurückgelegter Beschäftigungszeiten in der verlängerten Rahmenfrist vorgesehen hätte, im Lichte des Art 3 Abs 1 GG überzeugender gewesen wäre. Daß eine gerechtere Regelung denkbar ist, begründet aber eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht, wenn für die getroffene Regelung sachlich einleuchtende Gründe der Praktikabilität vorliegen (vgl BVerfGE 21, 209, 217 f; 37, 1, 31; 44, 283, 288; 60, 16, 48; 68, 155, 172). Das ist hier der Fall.

Abgesehen davon, daß der Kläger auch dann nicht in den Genuß der Verlängerung der Anspruchsdauer gekommen wäre, wenn die Verlängerung der Dauer schon entstandener Ansprüche auf Alg nur nach Maßgabe zurückgelegter Beschäftigungszeiten in der verlängerten Rahmenfrist erfolgt wäre, weil er bei Entstehung seines Anspruchs auf Alg das 49. Lebensjahr nicht vollendet hatte, wäre eine solche Lösung wegen des Mangels an Beitragskonten in der Arbeitslosenversicherung auf verwaltungspraktische Schwierigkeiten gestoßen. Eine Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 106a AFG auf vor dem 1. Januar 1985 entstandene Ansprüche hätte jeweils eine Ermittlung der beitragspflichtigen Beschäftigungszeiten in der auf sieben Jahre verlängerten Rahmenfrist erfordert. Das aber wäre ohne Anfragen bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht möglich gewesen; denn wegen des bis Ende 1984 geltenden Rechts hatten die Arbeitsämter bislang bei den Anträgen auf Alg keine Angaben über beitragspflichtige Beschäftigungen vor der dreijährigen Rahmenfrist bzw vor der auf vier Jahre verlängerten Rahmenfrist erhoben. Der Gesetzgeber mußte daher, wollte er auch Arbeitnehmer in die Regelung einbeziehen, deren Ansprüche auf Alg vor dem 1. Januar 1985 entstanden waren, und der Beklagten umfangreiche Ermittlungen ersparen, auf andere Kriterien abheben. Dabei ist die Erwägung, daß eine Verlängerung der Anspruchsdauer längere Versicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung voraussetzt, durchaus berücksichtigt worden. Der Gesetzgeber hat es nämlich nicht genügen lassen, daß der Arbeitnehmer bei Inkrafttreten des AFG/RVÄndG das 49. Lebensjahr vollendet hat, sondern zusätzlich verlangt, daß schon bei Entstehung des Anspruchs auf Alg das 49. Lebensjahr vollendet war und der Anspruch eine Anspruchsdauer von 312 Tagen hatte. Bei einer solchen Konstellation aber ist im allgemeinen die Annahme gerechtfertigt, daß der Arbeitnehmer der Arbeitslosenversicherung längerfristig angehört hat, worauf schon das LSG mit Recht hingewiesen hat. Die vom Gesetzgeber hier vorgenommene Generalisierung ist daher nicht ohne sachlichen Bezug; daß begründete Typisierungen und Generalisierungen im Bereich der sozialen Sicherheit zulässig sind, hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt zum Ausdruck gebracht (BVerfGE 17, 1, 23; 28, 324, 355; 40, 121, 136). Berücksichtigt man ferner, daß der Gesetzgeber mit der Regelung der §§ 106a, 242d AFG beabsichtigte, durch die Verlängerung des Alg-Anspruchs nicht nur den älteren Arbeitslosen unmittelbar zu helfen, sondern auch schon für das Haushaltsjahr 1985 den Bundeshaushalt um entsprechende Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe und, wenn auch in geringerem Umfange, die Haushalte der Träger der Sozialhilfe um (ergänzende) Aufwendungen für Arbeitslose zu entlasten, liegen triftige Gründe für die gefundene Problemlösung vor. Sie rechtfertigen es, daß von § 242d AFG auch Arbeitnehmer begünstigt werden, die in der verlängerten Rahmenfrist keine beitragspflichtigen Beschäftigungszeiten aufzuweisen haben, die nach den Maßstäben des § 106a AFG eine Verlängerung der Anspruchsdauer auf insgesamt 468 Tage begründen.

Härten, die jeder Stichtagsregelung innewohnen, müssen auch im Lichte des Art 3 Abs 1 GG grundsätzlich hingenommen werden, insbesondere wenn die gefundene Lösung, wie hier, sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen läßt. Hiernach müssen es Arbeitnehmer, die wie der Kläger kurz vor Vollendung des 49. Lebensjahres den Anspruch auf Alg erworben haben, hinnehmen, nicht in den Genuß der Verlängerung der Anspruchsdauer durch das AFG/RVÄndG zu kommen.

Ebenso kann sich der Kläger mit Erfolg nicht auf die Änderung der einschlägigen, die Dauer des Anspruchs auf Alg regelnden Vorschriften durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) - 7. AFGÄndG - und durch das während des Revisionsverfahrens erlassene Gesetz zur Verlängerung des Versicherungsschutzes bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit vom 27. Juni 1987 (BGBl I 1542) - AFGLeistungsVerlG - berufen.

Hatte das AFG/RVÄndG längere Anspruchsdauern als 312 Tage nur für Arbeitnehmer vorgesehen, die bei Entstehung des Anspruchs das 49. Lebensjahr vollendet hatten, hat das 7. AFGÄndG durch entsprechende Änderung des § 106a AFG und Einfügung des § 242f Abs 2 AFG auch Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 44. Lebensjahres einbezogen, die Dauer je nach Alter und Beschäftigungszeiten unterschiedlich gestaffelt und eine Erhöhung auf höchstens 624 Tage ermöglicht. Alle diese Vergünstigungen galten jedoch nur, wenn der Anspruch in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis 31. Dezember 1989 entstanden ist (§ 106a AFG nF) oder am 30. oder 31. Dezember 1985 noch nicht erschöpft war (§ 242f Abs 2 AFG). Keiner dieser beiden Tatbestände ist vorliegend gegeben, denn der Anspruch des Klägers war schon 1983 entstanden und am 11. Januar 1985 erschöpft.

Durch das AFGLeistungsVerlG ist schließlich § 106a AFG aufgehoben und § 106 AFG neu gefaßt worden. Die Dauer des Anspruchs auf Alg beträgt nunmehr 156 Tage. Sie verlängert sich nach Maßgabe der Dauer der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung innerhalb der auf sieben Jahre erweiterten Rahmenfrist und des Lebensjahres, das der Arbeitslose bei Entstehung des Anspruchs vollendet hat, wobei schon Arbeitnehmer nach Vollendung des 42. Lebensjahres begünstigt werden. Arbeitslose, die wie der Kläger bei Entstehung des Anspruchs das 44. Lebensjahr vollendet haben, können einen Anspruch mit einer Dauer bis zu 572 Wochentagen erwerben. Diese Neuregelung gilt jedoch nur für nach dem 30. Juni 1987 entstehende Ansprüche und Ansprüche auf Alg, die in der Zeit vom 27. bis 30. Juni 1987 noch nicht erschöpft waren (§ 242g Abs 1 AFG), mithin ebenfalls nicht für den 1983 entstandenen und 1985 erschöpften Anspruch des Klägers.

Schließlich kann der Kläger sein Begehren auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, fehlt es an einer unrichtigen oder unvollständigen Beratung des Klägers, weil im April 1983 von der zu § 242d AFG führenden Gesetzesänderung, die sich erst im Herbst 1984 abzeichnete, als die Beklagte wider Erwarten Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet hatte, nichts bekannt gewesen ist und bekannt sein konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665099

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