Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. Hilfeleistung. gemeine Gefahr. Handlungstendenz. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Wie-Beschäftigung. Schneeräumen auf Gehweg

 

Leitsatz (amtlich)

Gemeine Gefahr ist ein Zustand, bei dem wegen einer ungewöhnlichen Gefahrenlage ohne sofortiges Eingreifen eine erhebliche Schädigung von Personen oder bedeutenden Sachwerten unmittelbar droht.

 

Normenkette

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a; StGB § 323c; SGB VII § 2 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.02.2005; Aktenzeichen L 6 U 3923/02)

SG Reutlingen (Urteil vom 23.07.2002; Aktenzeichen S 1 U 507/02)

OLG Celle (Urteil vom 01.10.1987; Aktenzeichen 22 U 50/87)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin am 18. Februar 1999 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die im Jahre 1947 geborene Klägerin bewohnt in einem Mietshaus mit insgesamt drei Parteien die Erdgeschosswohnung. Nach dem Mietvertrag und den ergänzenden Bestimmungen der Hausordnung sind die Mieter im wöchentlichen Wechsel verpflichtet, Schnee und Eis vom Bürgersteig, dem Hauseingang und der Hauseingangstreppe sowie durch Schnee oder Eis entstandene Glätte durch Aufstreuen von Sand, Salz oder anderen geeigneten Mitteln zu beseitigen. Am 18. Februar 1999, als eigentlich die Mieterin der Dachgeschosswohnung, Frau G…, für den Räum- und Streudienst zuständig war, stürzte die Klägerin gegen 10.00 Uhr beim Schneeräumen und zog sich einen Bruch des linken Unterarms mit Gelenkbeteiligung zu. Die Klägerin war zuvor von Frau G… aufgefordert worden, sie anzurufen, wenn es schneie; sie war jedoch nicht gebeten worden, für Frau G… die Schneeräumpflicht zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 24. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2002 lehnte der Rechtsvorgänger der Beklagten, der Badische Gemeindeunfallversicherungsverband, die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Unfalls ab. Die Klägerin habe weder gemäß § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) noch gemäß § 2 Abs 2 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Einsetzendes Schneetreiben sei kein Unglücksfall und auch keine gemeine Gefahr oder Not iS des § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII. Die Klägerin sei auch nicht wie eine Beschäftigte tätig gewesen (§ 2 Abs 2 SGB VII). Unter Bewohnern eines Mehrfamilienhauses sei es als allgemein üblich anzusehen, unaufgefordert mietvertragliche Pflichten von Mitmietern zu übernehmen, wenn diese abwesend seien. Darüber hinaus habe die Klägerin als Mieterin ein eigenes Interesse gehabt, das Grundstück und den davor liegenden Gehsteig ungehindert betreten zu können. Ihre Tätigkeit habe somit nicht wesentlich dem Haushalt der Frau G… gedient.

Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 18. Februar 1999 als Versicherungsfall anzuerkennen sowie der Klägerin die gesetzlichen Leistungen zu gewähren (Urteil vom 23. Juli 2002). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Februar 2005). Die Klägerin sei nicht als sog Nothelferin tätig gewesen, denn ein normaler Schneefall mit nachfolgender Schneeglätte begründe keine gemeine Gefahr oder gemeine Not, aus der sich die naheliegende Möglichkeit eines Körperschadens ergebe. Der Versicherungsschutz nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII scheitere daran, dass die Klägerin mit der unfallbringenden Tätigkeit weder ein Unternehmen der Vermieterin noch der Mitmieterin Frau G… unterstützt habe. Die Klägerin sei daher nicht wie eine Beschäftigte, sondern wie eine Unternehmerin tätig geworden. Nach ihren eigenen Angaben sei sie von niemandem zum Schneeschippen am Unfalltag aufgefordert worden, sondern habe damit aus eigenem Antrieb begonnen, sodass ihre Handlungstendenz nicht auf eine fremdnützige Tätigkeit gerichtet gewesen sei. Für die Annahme einer unternehmerähnlichen Tätigkeit spreche auch, dass es allein im Ermessen der Klägerin gelegen habe, ob und ggf wann sie Schnee räumte.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Der Auffassung des LSG, dass Schneeglätte auf Gehwegen keine gemeine Gefahr oder Not begründen könne, sei nicht zu folgen. Im Winter bestehe die Gefahr, dass eine Person auf einem vom Schnee ungeräumten oder sonstigen eisglatten Bürgersteig ausrutsche und sich dabei Verletzungen zuziehe. Der Normzweck des § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII, nämlich die Absicherung des Hilfegebots des § 323c des Strafgesetzbuches (StGB), könne mit der vom Staat den Anwohnern auferlegten Pflicht des Schneeräumens als Verkehrssicherungspflicht ohne weiteres gleichgestellt werden. Denn die Ortsbehörde verlagere ihre Pflicht zum Schneeräumen auf die Anlieger und diese wiederum, wo dies möglich sei, auf die Mieter. Diese Verpflichtung müsse ebenfalls unfallversicherungsrechtlich abgesichert sein. Deshalb komme es hier zunächst darauf an, ob jemand im wohlverstandenen Interesse aus seiner subjektiven Sicht bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leiste oder dies zumindest wolle. Wenn aber ein Unwetter eine gemeine Gefahr auszulösen in der Lage sei, müsse dies auch für einen Schneefall mit Glättegefahr zutreffen.

Daneben habe sie auch als sog Wie-Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII begründe zwar keine allgemeine Volksversicherung, schütze aber fremdnütziges Verhalten wie das ihre, wobei es auf das Handlungsmotiv nicht ankomme. Die Tätigkeit des Schneeräumens am Unfalltag habe einem fremden Unternehmen, nämlich dem der ortsabwesenden Mitmieterin, gedient, da ein Schadensfall, etwa durch den Sturz eines Passanten, finanzielle Ersatzleistungen ausgelöst hätte. Das Schneeräumen für die Mitmieterin oder die Vermieterin habe aus diesem Grunde auch deren wirklichen oder mutmaßlichen Willen gedient. Es habe sich um eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit gehandelt, wie sie beispielsweise von Firmen, die Winterdienste anbieten, durchgeführt werde. Damit werde auch gleichzeitig der wirtschaftliche Wert für das Unternehmen bestätigt. Da weder mit der Mitmieterin noch mit der Vermieterin ein verwandtschaftliches oder freundschaftliches Verhältnis bestanden habe, könne die Schneeräumtätigkeit nicht als reine Gefälligkeit abgetan werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. Februar 2005 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Juli 2002 zurückzuweisen,

hilfsweise,

anstelle der Beklagten die Beigeladene zur Gewährung der gesetzlichen Leistungen aus Anlass des Ereignisses vom 18. Februar 1999 zu verurteilen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig. Die Klägerin erstrebt in erster Linie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, das die Beklagte verpflichtet hatte, den Sturz beim Schneeräumen als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihr “die gesetzlichen Leistungen zu gewähren” (zur Auslegung eines derartigen Urteilstenors und zur Unzulässigkeit eines nicht auf konkrete Leistungen bezogenen “Grundurteils” siehe BSG SozR 4-2700 § 2 Nr 3; Senatsurteil vom 15. Februar 2005 – B 2 U 1/04 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für den Fall der Unzuständigkeit der Beklagten will sie mit dem Hilfsantrag die Feststellung erreichen, dass die Beigeladene der für die Entschädigung des Arbeitsunfalls zuständige Versicherungsträger ist. Grundlage dafür ist § 75 Abs 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), der in einer solchen Konstellation eine Verurteilung der Beigeladenen erlaubt.

In der Sache selbst hat die Revision keinen Erfolg. Der Unfall der Klägerin beim Schneeräumen auf dem öffentlichen Bürgersteig am 18. Februar 1999 war kein Arbeitsunfall. Demgemäß kommen weder die Beklagte noch die Beigeladene als leistungspflichtig in Betracht.

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten, infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Dass die Klägerin bei dem Räumen des Bürgersteiges vom Schnee am 18. Februar 1999 gegen 10.00 Uhr einen Unfall erlitten und sich dabei schwere Verletzungen zugezogen hat, hat das LSG bindend (§ 163 SGG) festgestellt. Bei der zum Unfall führenden Tätigkeit stand sie indes nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Insbesondere hat sie nicht als Beschäftigte iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gearbeitet, was auch die Revision nicht in Zweifel zieht.

Eine beschäftigtenähnliche Tätigkeit iS des § 2 Abs 2 Satz 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII lag ebenfalls nicht vor, weil die Klägerin nicht “wie eine Versicherte” tätig war. Wie die inhaltlich übereinstimmende Vorgängerbestimmung in § 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) will § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII aus sozialpolitischen und rechtssystematischen Gründen den Versicherungsschutz auf Tätigkeiten erstrecken, die zwar nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber einer abhängigen Beschäftigung ähneln, indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (ständige Rechtsprechung, vgl BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 20 sowie zuletzt Senatsurteile vom 31. Mai 2005 – B 2 U 35/04 R – und vom 5. Juli 2005 – B 2 U 22/04 R –, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; ferner Wiester in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 2005, § 2 SGB VII RdNr 804, 818 ff mwN).

Als fremdes Unternehmen, dem die Tätigkeit der Klägerin gedient haben könnte, kommt allein der Haushalt der Frau G… in Betracht. Ein Tätigwerden im Interesse der Hauseigentümerin durch Wahrnehmung von Aufgaben der Hausbetreuung bzw Hausverwaltung scheidet dagegen aus, weil die Eigentümerin die an sich sie treffende Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Hauseingangs und der Haustreppe sowie des öffentlichen Gehwegs vertraglich auf die drei Mietparteien übertragen hatte.

Das Schneeräumen am Unfalltag durch die Klägerin kann aber auch nicht als eine den Versicherungsschutz nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII begründende Tätigkeit für den Haushalt der Frau G… gewertet werden, denn es hat deren wirklichen oder mutmaßlichen Willen nicht entsprochen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hatte Frau G… die Klägerin zwar aufgefordert, sie anzurufen, wenn es schneie; sie hatte sie jedoch nicht gebeten, die Schneeräumpflicht für sie zu übernehmen. Ging es Frau G… aber erklärtermaßen nur darum, bei einsetzendem Schneefall benachrichtigt zu werden, um selbst das Erforderliche veranlassen zu können, so konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, sie erfülle einen Wunsch ihrer Mitmieterin, wenn sie an deren Stelle den Schnee räume. Für die Erörterung eines mutmaßlichen Willens ist grundsätzlich kein Raum, wenn der Inhaber der Verkehrssicherungspflicht wie hier seinen wirklichen, abweichenden Willen ausdrücklich geäußert hat. Aus den von der Revision zitierten Urteilen des Oberlandesgerichts Celle vom 1. Oktober 1987 – 22 U 50/87 (Zeitschrift für Schadensrecht 1987, 363) und des LSG Rheinland-Pfalz vom 31. Januar 1990 – L 3 U 121/89 (HV-Info 1990, 1256) ergibt sich nichts anderes. In den dortigen Fällen, in denen die Gerichte auf das Interesse bzw den mutmaßlichen Willen der jeweils für den Winterdienst verantwortlichen Person abgestellt haben, war ein entgegenstehender tatsächlicher Wille nicht festgestellt worden und hatte deshalb auch für die jeweilige Entscheidung keine Rolle gespielt. Ob die Klägerin, wie das LSG angenommen hat, mit dem Schneeräumen auch wesentlich eigene Zwecke verfolgt hat und damit eher wie eine Unternehmerin als wie eine Beschäftigte tätig war, muss bei dieser Sachlage nicht erörtert werden, zumal das angefochtene Urteil dazu keine tatsächlichen Feststellungen enthält.

Die Klägerin hat schließlich im Unfallzeitpunkt auch nicht als Nothelferin nach § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII unter Versicherungsschutz gestanden. Nach der genannten Vorschrift sind in der Unfallversicherung kraft Gesetzes Personen versichert, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Da im vorliegenden Fall kein Unglücksfall eingetreten war und sich keine konkrete Person in einer Gefahrenlage befand, käme eine Versicherung nur unter dem Aspekt der Hilfeleistung bei gemeiner Gefahr in Betracht. Das Vorliegen einer gemeinen Gefahr iS des § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII hat das Berufungsgericht indes zu Recht verneint.

Der Begriff der gemeinen Gefahr wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich definiert. Einigkeit besteht darüber, dass es sich um eine Gefahr handeln muss, die der Allgemeinheit droht, also beliebige Personen oder Sachen treffen kann, die in den Gefahrenbereich gelangen oder sich in ihm befinden (BSG Urteil vom 29. Mai 1973 – 2 RU 92/70 – USK 73170, Urteil vom 26. Juni 1986 – 2 RU 47/85 – USK 8673, Urteil vom 29. September 1992 – 2 RU 44/91 – SozR 3-2200 § 539 Nr 19; BGH Urteil vom 20. März 1979 – VI ZR 14/78 – NJW 1979, 1410). Wie die Gefahr beschaffen und wie hoch das Risiko eines Schadenseintritts sein muss, wird dagegen unterschiedlich ausgedrückt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in der Mehrzahl seiner Entscheidungen die gemeine Gefahr als einen Zustand charakterisiert, in dem “nach den objektiven Umständen der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich gelten kann” (zB Urteil vom 11. Dezember 1980 – 2/8a RU 102/78 – USK 80300; Urteil vom 29. September 1992 = SozR 3-2200 § 539 Nr 19; Urteil vom 10. Oktober 2002 – B 2 U 8/02 R – HVBG-Info 2002, 3598). Ähnlich formuliert der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH), der in einem zu § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO ergangenen Urteil vom 20. März 1979 (– VI ZR 14/78 – NJW 1979, 1410 = USK 79122) eine gemeine Gefahr mit der Begründung angenommen hat, der Eintritt eines Schadens habe dem Verletzten “in hohem Maße als wahrscheinlich” erscheinen müssen. Im – scheinbaren – Gegensatz dazu stehen Entscheidungen des BSG, nach denen es für die Annahme einer Gemeingefahr ausreicht, wenn “die ernste und naheliegende Besorgnis eines Schadens” begründet ist (Urteil vom 30. Oktober 1974 – 2 RU 100/73 – USK 74130) bzw wenn “die naheliegende Möglichkeit eines Körperschadens” besteht (Urteil vom 30. Januar 1986 = SozR 2200 § 539 Nr 116 S 330). Die zuletzt genannte Begriffsbestimmung hat sich das LSG in dem angefochtenen Urteil zu Eigen gemacht.

Bei genauerem Hinsehen verbinden sich mit dem unterschiedlichen Sprachgebrauch jedoch keine Unterschiede in der Sache. Soweit das BSG die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts verlangt, verwendet es den Begriff der Wahrscheinlichkeit in einer anderen Bedeutung als im Beweisrecht, wo er einen bestimmten Grad der Überzeugung des Gerichts von der Existenz einer Tatsache oder eines Geschehensablaufs kennzeichnet. Mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein Schadensrisiko verwirklichen wird, lässt sich nicht in Prozentzahlen angeben. Vielmehr kann, wie der BGH zum Begriff der Gemeingefahr im früheren § 315 Abs 3 StGB ausgeführt hat, nur einerseits von einer “entfernten”, andererseits von einer “nahen” Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses gesprochen werden (BGHSt 18, 271). Mit der Wendung, der Eintritt eines Schadens müsse wahrscheinlich sein und die bloß entfernte Möglichkeit einer Schädigung reiche für die Annahme einer Gefahr nicht aus, ist deshalb im Ergebnis nichts anderes gemeint als das, was in anderen Entscheidungen treffender mit der Notwendigkeit einer ernsten Besorgnis oder einer naheliegenden Möglichkeit eines Schadens umschrieben wird.

Neben dem Erfordernis einer akuten Gefahrenlage ist dem Rechtsbegriff der gemeinen Gefahr eine weitere Voraussetzung immanent, die sich aus dem Zweck des § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII ergibt. Die Einbeziehung des von der Vorschrift erfassten Personenkreises in den Unfallversicherungsschutz soll das durch § 323c StGB strafbewehrte Gebot absichern, bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe zu leisten, wenn dies erforderlich und zumutbar ist. Der Versicherungsschutz ist deshalb auf solche Notsituationen beschränkt, in denen aufgrund der Art und des Ausmaßes der Gefährdung jedermann von Gesetzes wegen zur Hilfeleistung verpflichtet ist. Das Hilfegebot des § 323c StGB setzt nicht schon bei alltäglichen Gefahrensituationen ein, deren Risiken die Betroffenen kennen und auf die sie sich einrichten können, sondern erst dann, wenn es aufgrund ungewöhnlicher Umstände zu einer nicht vorhersehbaren und ohne fremde Hilfe nicht beherrschbaren Gefahrenlage kommt, wenn also die Selbstschutzmöglichkeiten deutlich vermindert sind (vgl Schmitz in Münchener Kommentar zum StGB, Band 3, § 243 RdNr 53). Erst dann ist die Hilfeleistung iS des § 323c StGB erforderlich und damit im konkreten Fall geboten. Entsprechend hat auch die Unfallversicherung nur einzutreten, wenn eine solche Ausnahmesituation gegeben ist.

Im Hinblick auf diese Überlegungen und zur Beseitigung terminologischer Unklarheiten präzisiert der Senat seine Rechtsprechung dahin, dass unter einer gemeinen Gefahr iS des § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII ein Zustand zu verstehen ist, bei dem wegen einer ungewöhnlichen Gefahrenlage ohne sofortiges Eingreifen eine erhebliche Schädigung von Personen oder bedeutenden Sachwerten unmittelbar droht.

Nach diesem rechtlichen Maßstab kann bei Schneeglätte auf einem Gehweg nicht von einer gemeinen Gefahr gesprochen werden. Witterungsbedingte Zustände, die sich in dem in Mitteleuropa gewohnten Rahmen halten, begründen in der Regel schon deshalb keine den einzelnen Bürger zum Eingreifen nötigende Gefahrenlage, weil die damit verbundenen Unfallrisiken bekannt sind und die Betroffenen sich darauf einstellen können. Abgesehen von ausgesprochenen Wetterextremen oder singulären Gefahrenlagen fehlt es von vornherein an einer Notsituation, die eine Handlungspflicht für unbeteiligte Dritte begründet. Bei Schneefall und Glättebildung besteht zwar für Verkehrsteilnehmer ein erhöhtes Unfallrisiko. Speziell Fußgänger können jedoch schon wegen ihrer langsamen Fortbewegung die Glätte rechtzeitig erkennen und die glatte Stelle umgehen oder sich besonders vorsichtig bewegen. Sie sind deshalb bei witterungsangepasstem Verhalten nicht in einem Maße gefährdet, dass ihnen ein körperlicher Schaden unmittelbar droht. Im vorliegenden Fall haben im Unfallzeitpunkt normale, der Jahreszeit entsprechende winterliche Verhältnisse geherrscht. Eine darüber hinausgehende besondere Gefahrensituation, aus der sich die naheliegende Möglichkeit von Unfällen mit erheblichen Personen- oder Sachschäden ableiten ließe, hat die Klägerin nicht geltend gemacht und das Berufungsgericht nicht festgestellt.

Dass die Klägerin möglicherweise die Vorstellung hatte, wegen einer konkret drohenden Unfallgefahr Hilfe leisten zu müssen, kann allein den Versicherungsschutz nach § 2 Abs 1 Nr 13 Buchst a SGB VII nicht begründen. Zwar kommt nach der Rechtsprechung des Senats auch bei den Tatbeständen der sog “unechten” Unfallversicherung der Handlungstendenz des Verletzten im Unfallzeitpunkt für den inneren Zusammenhang mit einer unter Unfallversicherungsschutz stehenden Tätigkeit maßgebliche Bedeutung zu (siehe dazu Urteil vom 5. März 2002 – B 2 U 9/01 R – SGb 2002, 441). Indes kann allein die subjektive Vorstellung des Handelnden, es bestehe eine gemeine Gefahr und er wolle insoweit Hilfe leisten, den Versicherungsschutz nicht begründen. Die Handlungstendenz muss vielmehr nach gefestigter Rechtsprechung durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt werden (zuletzt: BSG SozR 4-2700 § 8 Nr 6 und Nr 10 mwN). Gemeint ist damit, dass die auf die Belange des Unternehmens gerichtete Handlungstendenz anhand objektiver Kriterien nachvollziehbar sein muss (Senatsurteil vom 12. April 2005 – B 2 U 5/04 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Speziell für den Tatbestand einer gemeinen Gefahr oder Not hat der Senat entschieden, es komme darauf an, dass der Hilfeleistende nach den – objektiven – Umständen des Falles annehmen durfte, seine Hilfe diene der Beseitigung oder Beschränkung einer gemeinen Gefahr oder Not (Urteil vom 11. Dezember 1980 – 2/8a RU 102/78 – USK 80300). Diese Prüfung bewertet und relativiert die subjektive Vorstellung des Handelnden nach den objektiven Gegebenheiten. Sie setzt zwar nicht voraus, dass objektiv eine gemeine Gefahr vorgelegen hat, verlangt jedoch, dass die Einschätzung des Handelnden bei lebensnaher Betrachtung anhand der objektiven Sachlage nachvollziehbar ist. Dies wäre bei der hier gegebenen Sachlage nicht der Fall, sodass sich tatsächliche Feststellungen des LSG zu den subjektiven Vorstellungen der Klägerin im Unfallzeitpunkt erübrigen.

Da nach alledem bei der unfallbringenden Tätigkeit kein Versicherungsschutz bestanden hat, war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1476969

NZA 2006, 648

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