Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 25.04.1997; Aktenzeichen L 10 Ar 894/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. April 1997 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Verkürzung der in § 18 Abs 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vorgesehenen Sperrfrist bei Massenentlassungen.

Der Kläger ist Konkursverwalter der Bekleidungswerke W. … GmbH in D. …, die am 14. September 1992 zahlungsunfähig geworden war. Über ihr Vermögen wurde am 30. September 1992 das Konkursverfahren eröffnet.

Mit am 23. September 1992 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 22. September 1992 zeigte der Kläger die Entlassung von 21 der insgesamt 117 Arbeitnehmer des Betriebes an und beantragte gleichzeitig eine Abkürzung der gesetzlichen Sperrfrist gemäß § 18 Abs 1 KSchG, weil erst nach den Kündigungen eine ordnungsgemäße Abwicklung des Konkursverfahrens möglich sein werde; eine Weiterführung des Geschäftsbetriebes nach Konkurseröffnung sei im Hinblick auf die finanzielle Situation der Gemeinschuldnerin ausgeschlossen.

Mit Bescheid vom 9. November 1992 lehnte das Landesarbeitsamt Hessen den Antrag auf Verkürzung der gesetzlichen Sperrfrist (24. September bis 23. Oktober 1992) ab und vertrat die Auffassung: Die angezeigten Entlassungen zum 14. Oktober 1992 seien nicht zulässig. Die Einhaltung der Sperrfrist sei der im KSchG vorgesehene Normalfall. Die Begründung des Antrags habe bei gleichmäßiger Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sowie des öffentlichen Interesses an der Verhütung der Arbeitslosigkeit keinen Ausnahmetatbestand erkennen lassen. Die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens allein sei kein Grund für eine Verkürzung der Sperrfrist. Stelle man die Zahl der Arbeitslosmeldungen im Sperrfristzeitraum der Anzahl der in diesem Zeitraum durchgeführten Vermittlungen gegenüber, so werde deutlich, daß das Arbeitsamt für seine Vermittlungsbemühungen bei einem Teil der betroffenen Arbeitnehmer zumindest die gesetzliche Sperrfrist von einem Monat benötige. Zudem habe der Kläger die Mitteilung über die betrieblichen Veränderungen nach § 8 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erst am 23. September 1992 und damit nicht rechtzeitig angezeigt.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend: Die Entscheidung werde der besonderen konkursrechtlichen Problematik des Falles nicht gerecht. Bis zum 30. September 1992 habe eine Entscheidung über den Konkursantrag herbeigeführt werden müssen. In der von ihm erstellten Masserechnung seien sämtliche Ansprüche der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Kündigungsfristen in einer Größenordnung von 2,3 Millionen DM eingestellt worden. Die Masseschulden hätten sich auf 3,5 Millionen DM belaufen, die Aktiva auf 5,5 Millionen DM. Dem Masseüberschuß von etwa 2 Millionen DM hätten Ansprüche aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger von 2 Millionen DM gegenübergestanden, so daß zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung gerade noch eine Deckung der Masseverbindlichkeiten gegeben gewesen sei. Die Masseverbindlichkeiten würden sich unter Berücksichtigung der Entscheidung noch um mindestens 500.000,– DM erhöhen. Würde das Konkursverfahren wegen Masseunzulänglichkeit vorzeitig eingestellt, sei das nicht im Interesse der Arbeitnehmer, weil in diesem Fall eine geordnete Konkursabwicklung nicht mehr gewährleistet sei. Der Widerspruch wurde von dem Landesarbeitsamt Hessen mit Bescheid vom 16. März 1993 und folgender Begründung zurückgewiesen: Der dritte Abschnitt des KSchG solle der Arbeitsverwaltung einen zeitlichen Handlungsrahmen für eine geregelte Arbeitsvermittlung einräumen. Die Anzeigepflicht nach § 8 AFG diene dem arbeitsmarktpolitischen Interesse an einer frühzeitigen Einleitung der erforderlichen Maßnahmen. Im Hinblick darauf, daß die Zahlungsunfähigkeit bereits am 14. September 1992 eingetreten gewesen sei, sei die am 23. September 1992 eingegangene Anzeige nicht rechtzeitig erfolgt. Bei der nach § 20 Abs 3 KSchG vorzunehmenden Interessenabwägung habe das Interesse des Klägers, den Arbeitnehmern zum frühestmöglichen Zeitpunkt kündigen zu können, um insbesondere die Auszahlungen der bevorrechtigten Masseverbindlichkeiten zu gewährleisten, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Verhütung der Arbeitslosigkeit zurückzutreten. Da der überwiegende Teil der gekündigten Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Sperrfrist eine Arbeitsstelle gefunden habe, sprächen auch ihre Interessen gegen eine Verkürzung der Sperrfrist.

Mit Urteil vom 13. Juni 1994 hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main die Klage unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid abgewiesen und ergänzend darauf hingewiesen: Eine fehlerhafte Ermessensentscheidung liege nicht vor; es sei kein Anhalt gegeben, daß das Landesarbeitsamt sich von sach- oder zweckfremden Erwägungen habe leiten lassen oder willkürlich die beantragte Abkürzung der Sperrfrist versagt habe.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren bestimmte der Vorsitzende des 10. Senats des Landessozialgerichts (LSG) mit Verfügung vom 3. April 1997 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25. April 1997, 9.30 Uhr. Mit am 17. April 1997 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz bat der als Rechtsanwalt zugelassene Kläger um Verlegung des Termins, da er an diesem Tag um 8 Uhr 30 als Gutachter vor der Strafkammer des Landgerichts Darmstadt geladen sei. Der Antrag wurde mit Verfügung des Vorsitzenden vom 18. April 1997 mit der Begründung abgelehnt, der Termin vom 25. April 1997 könne durch ein anderes Mitglied der Sozietät wahrgenommen werden. In der mündlichen Verhandlung vom 25. April 1997 überreichte ein anderer Rechtsanwalt einen Schriftsatz des Klägers mit dem Antrag, den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung war ausgeführt: Der Vorsitzende habe zu Unrecht die Terminsverlegung abgelehnt; sämtliche anderen Kollegen in der Sozietät hätten anderweitige Gerichtstermine wahrzunehmen und seien daran gehindert, sich in die umfangreiche, ausschließlich konkursrechtliche Fragen betreffende Problematik einzuarbeiten; er habe als Partei ein Recht darauf, in eigener Sache selbst vor Gericht zu erscheinen und rechtliche Ausführungen zu machen. Beigefügt war dem Antrag die Ladungsverfügung der Strafkammer des Landgerichts vom 14. Januar 1997 auf Freitag, den 25. April 1997, 8.30 Uhr. Auf der Rückseite der Ladungsverfügung vermerkte der Vorsitzende: „Ich halte mich nicht für befangen”. Nach dem Terminsprotokoll zog sich der Senat – mit dem Vorsitzenden – nach Überreichung des Schriftsatzes zur Beratung zurück und verkündete danach unter Mitwirkung des Vorsitzenden: „Der Antrag, den Vorsitzenden Richter Dr. … wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.”

Nach Antragstellung hat das LSG die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Zur Begründung hat es auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger gerügt hatte, das Urteil sei „unter Verletzung des rechtlichen Gehörs durch ein nicht ordnungsgemäß besetztes Gericht gefällt worden”, hat das Bundessozialgericht (BSG) die Revision zugelassen.

Der Kläger rügt eine Verletzung von § 18 Abs 3 KSchG und trägt hierzu vor: Zu Unrecht würden die angefochtenen Bescheide sowie die Urteile auf eine verspätete Anzeige nach § 8 AFG abstellen. Die Mitteilung sei rechtzeitig erfolgt. Sowohl die Beklagte als auch die Gerichte würden verkennen, daß der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens eine Zäsur sei, die eine Zukunftsbewertung des Unternehmens erfordere. Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit am 14. September 1992 habe er als Sequester nur etwas länger als eine Woche benötigt, um die Anträge nach § 17 KSchG zu stellen. Das Landesarbeitsamt Nordbayern habe für die Arbeitnehmer des Zweigwerks in F. … der Verkürzung der Sperrfrist zugestimmt und damit eine andere Entscheidung als das Landesarbeitsamt Hessen getroffen. An diese Wertung sei die Beklagte gebunden gewesen; dies habe sie ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt. Ferner nimmt er wegen der „schwerwiegenden Verfahrensmängel” im Verfahren vor dem LSG Bezug auf den Inhalt der Beschwerdeschrift vom 12. August 1997.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. April 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 13. Juni 1994 und den Bescheid der Beklagten vom 9. November 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache – an einen anderen Senat – des LSG begründet.

Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel, der ein absoluter Revisionsgrund ist. Denn in der mündlichen Verhandlung, aufgrund deren das Urteil ergangen ist, war das LSG nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 551 Nr 1 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫ iVm § 202 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

1. Der Kläger hat entsprechend den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG den Verfahrensmangel auch ordnungsgemäß gerügt. Denn er hat – die Richtigkeit seines Vorbringens unterstellt – einen der in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG (iVm § 551 Nr 1 ZPO iVm § 202 SGG) aufgezählten Gründe substantiiert und schlüssig dargetan, indem er unter Bezugnahme auf die Beschwerdeschrift vom 12. August 1997 vorgetragen hat, das LSG sei bei der angefochtenen Entscheidung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil ein abgelehnter Richter mitgewirkt habe. Zwar kann eine Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nur erfolgen, wenn die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird; denn bei Mängeln des Verfahrens sind gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG neben der Rechtsnorm auch die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 3). Die Rechtsprechung hat jedoch dann eine Ausnahme gemacht, wenn auf die Beschwerde die Revision ausdrücklich wegen eines Verfahrensmangel zugelassen worden ist. In diesem Fall ist den Anforderungen an die Revisionsbegründung genügt, wenn auf die zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eingereichten Schriftsätze Bezug genommen wird (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 164 Nr 18); würde man eine Bezugnahme nicht gestatten, so würde dies zu einer Förmelei, zu einer formelhaften Wiederholung des früheren Vortrags zwingen. Um einen vergleichbaren Fall, der ausnahmsweise eine Bezugnahme auf die Beschwerdeschrift erlaubt, handelt es sich hier. Der Senat hat zwar die Revision im Beschluß vom 19. März 1998 nicht ausdrücklich wegen eines Verfahrensmangels zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde war jedoch ausschließlich auf die nicht vorschriftsmäßige Besetzung und damit auf den absoluten Revisionsgrund des § 551 Nr 1 ZPO iVm § 202 SGG gestützt. Allein aus diesem Grund konnte die Revision zugelassen worden sein. Im Hinblick hierauf bestand keine Unklarheit über die prozessuale Prüfung (vgl hierzu auch entsprechend BVerwGE 80, 321, 322 f; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 9).

2. Der absolute Revisionsgrund liegt auch vor. Denn in der mündlichen Verhandlung vom 25. April 1997 war das LSG nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 551 Nr 1 ZPO iVm § 202 SGG), weil an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der zwar erfolglos abgelehnt worden war, das Verfahren über die Zurückweisung des ihn betreffenden Ablehnungsgesuchs jedoch auf Willkür beruhte (vgl hierzu BVerfGE 29, 45, 49; 31, 145, 164; 37, 65, 67).

Mit der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts rügt der Kläger eine Verletzung von Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG). Nach diesem Verfahrensgrundrecht haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens Anspruch auf den gesetzlichen Richter, der sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozeßordnungen sowie den Geschäftsverteilungsplänen und den Besetzungsregelungen ergibt. Darüber hinaus wird ihnen durch die Verfassung gewährleistet, daß sie nicht vor einem Richter stehen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (vgl BVerfGE 21, 139, 145 f; SozR 3-1500 § 60 Nr 2 S 8). Der Verfassungsgrundsatz ist verletzt; denn die „Zwischenentscheidung” des LSG über den Antrag des Klägers, den Vorsitzenden des Senats als befangen abzulehnen, war willkürlich und daher mit einem so schwerwiegenden Mangel behaftet, daß sie keinen Bestand haben kann. Infolgedessen hat bei der angefochtenen Entscheidung des LSG ein dazu nicht berufener Richter – entgegen § 47 ZPO – mitgewirkt.

Zwar ist das Revisionsgericht im Hinblick auf § 548 ZPO (iVm § 202 SGG) an Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, gebunden, sofern sie unanfechtbar sind. Dies gilt also grundsätzlich auch für Entscheidungen der Vorinstanz, in denen ein Ablehnungsgesuch, wenn auch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen worden ist (§§ 60, 177 SGG; vgl hierzu entsprechend BVerfGE 31, 145, 164). Nur dann, wenn der zuvor erfolglos abgelehnte Richter an der Entscheidung eines Gerichts mitgewirkt hat und die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind, wird gegen das Gebot des gesetzlichen Richters iS des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG verstoßen. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob ein vorsätzliches Fehlverhalten festgestellt werden kann (vgl BVerfGE 37, 67, 75). Willkürlich ist eine Entscheidung eines Gerichts nur dann, wenn sie unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles sich so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, daß sie nicht zu rechtfertigen ist. Dies bedeutet, daß Art 101 Abs 1 Satz 2 GG auch durch eine gerichtliche Entscheidung verletzt wird, die bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl BVerfGE 29, 45, 48 f), und zwar nicht nur soweit es ihren Inhalt, sondern auch das Verfahren betrifft.

Von letzterem ist auszugehen. Die nicht nachvollziehbare Verfahrensweise des LSG bei der Zurückweisung des Befangenheitsantrags läßt den Schluß zu, die Entscheidung berücksichtige gerade nicht den in den Vorschriften über die Ablehnung eines Richters zum Ausdruck gekommenen Grundsatz, daß die richterliche Tätigkeit Neutralität und Distanz des Richters gegenüber den Verfahrensbeteiligten verlangt. Sie läßt vielmehr den Eindruck entstehen, eine ordnungsgemäße, der Unparteilichkeit des Richters dienende Entscheidung, entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen über den Befangenheitsantrag, werde verhindert (§ 60 SGG iVm §§ 41 ff ZPO).

Bei der Bewertung des den Befangenheitsantrag auslösenden Vorgangs ist von Bedeutung, daß das Verfahren bereits seit fast drei Jahren beim LSG anhängig war und daß der Kläger bereits lange Zeit vor der mündlichen Verhandlung, im Januar 1997, eine Ladung als Gutachter zu einem Strafverfahren vor der Strafkammer des Landgerichts Darmstadt erhalten hatte. Ferner war in der Begründung für die Zurückweisung des Antrags auf Terminsverlegung insofern von fehlerhaften Voraussetzungen ausgegangen worden, als der Kläger als Konkursverwalter sich in dem Rechtsstreit selbst vertreten hat und nicht als Mitglied einer Rechtsanwaltssozietät tätig geworden war. Infolgedessen mußte er sich grundsätzlich auch nicht ohne weiteres durch ein Mitglied seiner Sozietät vertreten lassen. Beim weiteren Verlauf fällt ins Gewicht, daß der Vorsitzende auf der am Sitzungstag überreichten Ladungsverfügung vermerkte, er halte sich nicht für befangen (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 3 ZPO). Er ging also erkennbar davon aus, der Antrag sei zulässig und damit die Frage zu entscheiden, ob das Gesuch auf Ablehnung begründet oder unbegründet sei. Dennoch hat er an der Beratung und Beschlußfassung teilgenommen, obwohl der abgelehnte Richter in der Sache vom Eingang des Ablehnungsgesuchs an bis zur Entscheidung über die Ablehnung grundsätzlich nicht mitwirken darf (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 47 ZPO). Nicht erkennbar und auch im Protokoll nicht festgehalten ist, weshalb der Senat des LSG dennoch zu der Annahme gelangen konnte, der abgelehnte Richter dürfe mitwirken. Dies hätte nur der Fall sein können, wenn der Ablehnungsantrag rechtsmißbräuchlich gewesen wäre. Rechtsmißbräuchlich und damit unzulässig ist ein Gesuch nur in eng begrenzten Fällen, dann etwa, wenn feststeht, daß das Gesuch nur der Verschleppung dienen soll oder wenn vorgebrachte Gründe offenbar unsinnig sind oder – bei wiederholter Antragstellung – wenn keine neuen Gründe vorgebracht werden (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 60 RdNr 10b). Anhaltspunkte für derartige Fallgestaltungen liegen nicht vor; eine schriftliche Begründung des Beschlusses und damit Gründe für die Vorgehensweise des LSG sind in den Akten nicht enthalten.

Nach alledem ist die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht verständlich und damit offensichtlich unhaltbar. Dies folgt aus dem Geschehensablauf nach Terminsanberaumung sowie dem Gang der mündlichen Verhandlung und der Tatsache, daß der abgelehnte Richter bei der Beschlußfassung über den offensichtlich nicht rechtsmißbräuchlichen Antrag mitgewirkt hat. Der das Gesuch zurückweisende Beschluß hat infolgedessen keinen Bestand, so daß der abgelehnte Richter an der Entscheidung des LSG nicht hätte mitwirken dürfen.

3. Der hier vorliegende absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 551 Nr 1 ZPO iVm § 202 SGG) führt – nach der entsprechenden Rüge – zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil unwiderlegbar feststeht, daß die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruht. § 170 Abs 1 Satz 2 SGG, wonach die Revision zurückzuweisen ist, wenn die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung ergeben, die Entscheidung sich aber aus anderen Gründen als richtig darstellt, ist grundsätzlich nicht anwendbar, wenn ein absoluter Revisionsgrund vorliegt (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 368a Nr 21 S 74 f; SozR 3-1500 § 164 Nr 6 S 11; Urteil vom 29. September 1994 – 4 RA 52/93 –; SozR 3-1750 § 551 Nr 5 S 14 und Nr 7 S 24). Ob ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen, etwa im Falle des § 551 Nr 7 ZPO etwas anderes gilt (so BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 12, Urteil vom 14. September 1994, – 3/1 RK 36/93), kann dahinstehen. Denn bei der zulässigen und begründeten Rüge des nicht vorschriftsmäßig besetzten Gerichts handelt es sich um einen die Grundlagen des Verfahrens betreffenden Mangel, der so wesentlich ist, daß ein Einfluß auf die Sachentscheidung unwiderlegbar vermutet und unterstellt wird, das Urteil des Berufungsgerichts sei wegen elementarer rechtsstaatlicher Mängel kein geeigneter Gegenstand einer revisionsgerichtlichen Überprüfung (vgl hierzu BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 6 S 11; SozR 2200 § 368a Nr 21 S 74 f).

Die Revision hat mithin im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung Erfolg.

Die Verweisung an einen anderen Senat des LSG gemäß § 565 ZPO iVm § 202 SGG ist im Interesse einer unbefangenen Rechtsfindung, zur Vermeidung eines – möglichen – Anscheins der Voreingenommenheit, geboten (vgl hierzu BVerfGE 20, 336, 343 ff; BSGE 32, 253, 255; BSG, Urteile vom 24. März 1976 – 9 RV 92/74 – und vom 31. März 1998 – B 8 Kn 7/97 R).

Bei seiner Entscheidung wird das LSG auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175838

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