Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirkung der Mitgliedsbescheinigung. Nachweis der Ersatzkassenmitgliedschaft. unrichtige Mitgliedsbescheinigung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist die Vorlage einer Mitgliedsbescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO versehentlich unterblieben und deswegen eine Doppelmitgliedschaft bei der Ersatzkasse und der gesetzlichen Krankenkasse entstanden, kann letztere für die zurückliegende Zeit, in der nicht sie, sondern die Ersatzkasse Versicherungsschutz gewährt hat, nach Treu und Glauben keine Beiträge verlangen.

 

Orientierungssatz

1. Die Vorlage einer Mitgliedsbescheinigung iS des § 517 Abs 2 RVO wirkt grundsätzlich - vorbehaltlich des § 519 Abs 1 RVO (Vorlage der Bescheinigung noch innerhalb der Meldefrist) - nicht zurück.

2. Der Nachweis der Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse kann nicht durch andere Beweismittel ersetzt werden, insbesondere nicht durch eine einfache Mitteilung des angeblich bei einer Ersatzkasse versicherten Arbeitnehmers oder die "sichere Kenntnis" des Arbeitgebers von einer solchen Versicherung (vgl § 519 Abs 1 S 2 und 3 RVO; danach bewirkt eine zwar glaubhaft, aber "in anderer Weise" als durch eine Bescheinigung iS des § 517 Abs 2 RVO nachgewiesene Ersatzkassenmitgliedschaft lediglich eine Verlängerung der Meldefrist).

3. Hat eine Ersatzkasse die Mitgliedschaft bei ihr nicht sorgfältig genug geprüft und zu Unrecht eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO ausgestellt, gelten andere Grundsätze als im vorliegenden Fall. Dort ist ein Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts zu korrigieren, der auch berichtigt werden kann, weil die unrichtige Bescheinigung der Ersatzkasse die gesetzliche Krankenkasse und die Versicherungsbehörden nicht bindet.

 

Normenkette

BGB § 242 Fassung: 1896-08-18; RVO § 517 Abs 2 Fassung: 1924-12-15, § 519 Abs 1, § 234 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 10.12.1981; Aktenzeichen L 5 Ka 4/81)

SG Speyer (Entscheidung vom 01.12.1980; Aktenzeichen S 9 K 34/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob für den Kläger zu 2) und den Rechtsvorgänger der Kläger zu 3a) und 3b) (E. W.) für eine zurückliegende Zeit Pflichtbeiträge zur Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) neben den bereits zu einer Ersatzkasse entrichteten Beiträgen zu entrichten sind, weil eine Befreiungsbescheinigung nach § 517 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) während der streitigen Zeit nicht vorgelegen hat.

Der Kläger zu 2) ist seit 1958 Mitglied der Barmer Ersatzkasse -BEK- (Beigeladene zu 2). 1971 begann er eine Tätigkeit als Angestellter bei der Klägerin zu 1), in der er bis Ende 1977 wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtig war. In dieser Zeit, aber auch in der Folgezeit, wurde er bei der BEK als freiwilliges Mitglied geführt. Bei einer Betriebsprüfung im August 1979 stellte die Beklagte fest, daß das Einkommen des Klägers zu 2) ab 1. Januar 1978 die Versicherungspflichtgrenze nicht mehr überschritt.

Der Rechtsvorgänger der Kläger zu 3a) und 3b) war seit 1955 bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse -DAK(Beigeladene zu 1) versichert. Er begann 1958 eine Tätigkeit als Angestellter bei der Klägerin zu 1) und war dort ebenfalls zunächst wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtig.

Ab 1. April 1970 erhielt er Altersruhegeld (ARG), arbeitete jedoch zunächst unverändert in seinem bisherigen Beschäftigungsverhältnis weiter. Die DAK führte ihn von diesem Zeitpunkt an in der Rentnerkrankenversicherung. Ab 1. Juli 1976 reduzierte er seine Tätigkeit auf Halbtagsarbeit und unterschritt infolgedessen die Versicherungspflichtgrenze. Die DAK führte ihn jedoch in Unkenntnis der nunmehr eingetretenen Versicherungspflicht weiterhin in der Rentnerkrankenversicherung. Auch dieser Sachverhalt wurde von der Beklagten anläßlich der Betriebsprüfung im August 1979 festgestellt.

Die Beklagte forderte daraufhin mit Bescheid vom 26. September 1979 von der Klägerin zu 1) Krankenversicherungsbeiträge für den Kläger zu 2) für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis 31. Juli 1979 und für den Rechtsvorgänger der Kläger zu 3a) und 3b) für die Zeit vom 1. Juli 1976 bis 31. Juli 1979. Durch Bescheide vom 27. September 1979 entschied sie gegenüber dem Kläger zu 2) und dem Rechtsvorgänger der Kläger zu 3a) und 3b), daß für sie ab 1. Januar 1978 bzw 1. Juli 1976 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe.

Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 5. Februar 1980; Urteil des Sozialgerichts Speyer -SG- vom 1. Dezember 1980; Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz -LSG- vom 10. Dezember 1981).

Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß die Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft bei der gesetzlichen Krankenkasse nur durch Vorlage einer Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO erfolgen könne. Da eine solche Bescheinigung bei beiden Angestellten der Klägerin zu 1) während der fraglichen Zeit nicht vorgelegen habe, habe neben der Versicherung bei der Ersatzkasse eine Pflichtmitgliedschaft bei der zuständigen AOK von dem Zeitpunkt des Unterschreitens der Versicherungspflichtgrenze an bestanden. Eine Doppelmitgliedschaft bei AOK und Ersatzkasse sei gesetzlich zugelassen. Es seien deshalb für die streitige Zeit auch Beiträge zu zahlen. Diese Forderung verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, da hier ein gesetzlicher Anspruch der Kasse auf die Beiträge bestehe. Über einen Erlaß der Ansprüche gem § 76 Abs 2 Nr 3 des Sozialgesetzbuches -Viertes Buch- (SGB 4) sei nicht zu entscheiden gewesen.

Mit ihrer Revision machen die Kläger zu 1) und 2) geltend, daß eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO bei Beginn der Beschäftigung vorgelegt worden sei. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, diese Bescheinigung über Jahre hinweg aufzubewahren. In jedem Falle treffe die Beweislast für die Nichtvorlage der Bescheinigung die Beklagte, weil sie aus dem Nichtvorhandensein der Bescheinigung Rechte herleiten wolle. Im übrigen sei es "formalistisch", auf der Vorlage der Bescheinigung zu bestehen, da allen Beteiligten die Versicherung bei der Ersatzkasse bekannt gewesen sei und der Rechtsvorgänger der Kläger zu 3a) und 3b) zudem der mit den Versicherungsangelegenheiten betraute Sachbearbeiter der Klägerin zu 1) gewesen sei. Man habe von ihm nicht verlangen können, sich selbst eine Befreiungsbescheinigung vorzulegen.

Die Kläger führen ferner aus, daß die rückwirkende Einziehung von Beiträgen zur AOK zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen und auch verfassungsrechtlich bedenklichen Doppelversicherung führe. Es sei zwar richtig, daß das Gesetz eine Doppelmitgliedschaft zulasse; dies könne jedoch nur auf freiwilliger Basis erfolgen und nicht zwangsweise (sei es auch nur als Folge eines Irrtums).

Die Kläger zu 1) und 2) beantragen,

die Urteile des LSG und des SG sowie die Bescheide vom 26. und 27. September 1979 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 5. Februar 1980 aufzuheben.

Die Kläger zu 3a) und 3b) haben keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, daß das LSG eine Vorlage von Bescheinigungen nach § 517 Abs 2 RVO nicht festgestellt habe und begründete Revisionsrügen hiergegen nicht vorgetragen worden seien. Zur Sache ist sie der Auffassung, daß die Befreiungsbescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO nicht nur vorgelegt, sondern vom Arbeitgeber auch aufbewahrt werden müsse, um der AOK eine zuverlässige Grundlage für Betriebsprüfungen zu bieten. Sie hält Doppelmitgliedschaften auch unter den im vorliegenden Fall gegebenen Voraussetzungen für zulässig.

Die Beigeladene zu 1) hat sich für den bei ihr versichert gewesenen Rechtsvorgänger der Kläger zu 3a) und 3b) der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Dieser habe im übrigen seine freiwillige Versicherung seinerzeit zum Zeitpunkt des Rentenbeginns gekündigt und später nicht wieder aufgenommen.

Die Beigeladene zu 2) hat ebenfalls Revision eingelegt und den gleichen Antrag gestellt wie die Kläger zu 1) und 2). Sie ist der Auffassung, daß es bei Wiedereintritt der Versicherungspflicht während einer Ersatzkassenmitgliedschaft der Vorlage einer Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO nicht bedarf. Der Wille des Versicherten, nicht doppelt versichert zu sein, sei in diesen Fällen hinreichend deutlich. Ihm dürfe keine Doppelmitgliedschaft aufgezwungen werden. Im übrigen ist sie der Auffassung, daß das LSG über den Erlaß der Beitragsansprüche hätte entscheiden müssen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind zulässig. Auch die Berufung der Beigeladenen zu 2) war zulässig; die Berufungsfrist war nicht - wie die Beklagte meint - bei Einlegung der Berufung verstrichen. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2) am 11. Dezember 1980 zugestellt worden. Ihre Berufung ist am 12. Januar 1981 (einem Montag) beim LSG eingegangen. Dadurch war die Berufungsfrist gewahrt, weil das Ende der Frist von einem Monat (§ 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) auf den 11. Januar 1981, einen Sonntag, fiel (§ 64 Abs 3 SGG).

Die Revisionen sind auch im wesentlichen begründet. Die vorinstanzlichen Urteile und der der Klägerin zu 1) erteilte Bescheid der Beklagten sind aufzuheben, soweit sie Beiträge für den Kläger zu 2) betreffen. Soweit dagegen für den Rechtsvorgänger der Kläger zu 3a) und 3b) Beiträge gefordert werden, ist unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger zu 2) ist seit 1958 Mitglied der BEK. Als er 1971 bei der Klägerin zu 1) eintrat, war er wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtig und wurde deshalb zu Recht als freiwilliges Mitglied bei der BEK geführt; der Vorlage einer Mitgliedsbescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO bedurfte es nicht. Erst Anfang 1978 wurde er wegen Unterschreitens der Versicherungspflichtgrenze versicherungspflichtig (§ 165 Abs 1 Nr 2 RVO) und damit zugleich Mitglied der AOK seines Beschäftigungsorts (§ 234 Abs 1 RVO).

Von dieser Mitgliedschaft war der Kläger zu 2) in der streitigen Zeit nicht nach § 517 RVO befreit. Dazu hätte es nach § 517 Abs 2 RVO der Vorlage einer Bescheinigung der Ersatzkasse beim Arbeitgeber bedurft. Hieran fehlt es; das LSG hat festgestellt, daß eine solche Bescheinigung erst im September 1979 vorgelegt worden ist. Die Vorlage einer Mitgliedsbescheinigung iS des § 517 Abs 2 RVO wirkt grundsätzlich - vorbehaltlich des § 519 Abs 1 RVO (Vorlage der Bescheinigung noch innerhalb der Meldefrist) - nicht zurück.

Zu Unrecht meinen die Revisionskläger, das LSG habe bei seiner Entscheidung Beweislastgrundsätze verkannt. Die Kläger wollen aus der von ihnen behaupteten Vorlage einer Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO die Befreiung von einer sie belastenden Mitgliedschaft des Klägers zu 2) bei der Beklagten herleiten. Deshalb trifft sie die Folge einer Nichterweislichkeit ihrer Behauptung. Diese Folge ist unabhängig davon, ob nur eine Vorlagepflicht des Arbeitnehmers oder auch eine Aufbewahrungspflicht des Arbeitgebers besteht (s zu letzterer § 3 Abs 1 Nr 2 der Beitragsüberwachungsverordnung vom 28. Juni 1963, BGBl I 445). Im übrigen hat das LSG seine Entscheidung nicht auf Beweislastgrundsätze gestützt, sondern aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens festgestellt, daß der Klägerin zu 1) vor September 1979 keine Bescheinigung vorgelegt worden ist. Hiergegen sind wirksame Revisionsrügen nicht erhoben worden.

Die Vorlage der Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO war auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie, wie die Revisionskläger meinen, heute ihren Sinn verloren habe und nur noch als "reiner Formalismus" anzusehen sei. Es ist zwar richtig, daß sich der ursprüngliche Zweck der Vorschrift inzwischen gewandelt hat. Als § 517 Abs 2 RVO seine heutige Fassung erhielt (Verordnung vom 27. September 1923, RGBl I 908), konnte es noch sinnvoll erscheinen, daß sich Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse außerdem bei einer Ersatzkasse als "Zuschußkasse" versicherten (vgl Hoffmann, RVO, 2. Buch Krankenversicherung, 4. Aufl 1913, § 517 Anm 1). Mit der Vorlage der Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO entschied sich der Versicherte dann gegen eine Doppelversicherung bei der gesetzlichen Krankenkasse und einer Ersatzkasse. Heute wird eine solche Doppelversicherung dagegen regelmäßig die Folge eines Versehens sein (so schon BSG SozR Nr 2 zu § 507 RVO, Bl Aa 3 Rs).

Die Klarstellung der Absichten des Versicherten war aber nie das einzige Ziel des § 517 Abs 2 RVO. Die Vorschrift hatte und hat vielmehr auch den Zweck, die Ersatzkasse zu veranlassen, vor Ausstellung einer Mitgliedsbescheinigung die Berechtigung der Versicherung bei ihr sorgfältig zu prüfen. Ferner sollte und soll die Vorlage der Bescheinigung für den Arbeitgeber und Dritte Klarheit darüber schaffen, daß der Vorlegende einer Ersatzkasse angehört, auch wenn die von der Ersatzkasse ausgestellte Bescheinigung die Versicherungsbehörden und die gesetzlichen Krankenkassen nicht bindet (§ 518 Satz 3 RVO; BSGE 19, 178; 24, 256). Solange jedenfalls eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO nicht ausgestellt und dem Arbeitgeber vorgelegt worden ist, hat der Arbeitnehmer die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse nicht nachgewiesen. Dieser Nachweis kann auch nicht durch andere Beweismittel ersetzt werden, insbesondere nicht durch eine einfache Mitteilung des angeblich bei einer Ersatzkasse versicherten Arbeitnehmers oder die "sichere Kenntnis" des Arbeitgebers von einer solchen Versicherung (vgl § 519 Abs 1 Sätze 2 und 3 RVO; danach bewirkt eine zwar glaubhaft, aber "in anderer Weise" als durch eine Bescheinigung iS des § 517 Abs 2 RVO nachgewiesene Ersatzkassenmitgliedschaft lediglich eine Verlängerung der Meldefrist). Ein versicherungspflichtiges Mitglied einer Ersatzkasse kann mithin das Recht auf Befreiung von der Mitgliedschaft bei der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse nur dadurch ausüben, daß es dem Arbeitgeber eine Mitgliedsbescheinigung der Ersatzkasse nach § 517 Abs 2 RVO vorlegt. Da dies hier vor September 1979 nicht geschehen ist, war der Kläger zu 2) während der streitigen Zeit (Januar 1978 bis Juli 1979) auch Mitglied der Beklagten.

Gleichwohl kann die Beklagte einen Beitragsanspruch für diese Zeit nicht mehr geltend machen; denn ihre Forderung verstößt gegen Treu und Glauben.

Wie der erkennende Senat in Anknüpfung an frühere Entscheidungen des RVA (AN 17, 396; 37, 73) und des BSG (BSGE 17, 173, 176; 21, 52, 55; 39, 235, 237) entschieden hat, kann es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn die Krankenkasse Beiträge für einen Zeitraum nachfordert, in dem der Versicherte mangels Kenntnis von seiner Versicherung keine Leistungsansprüche erheben konnte (BSGE 51, 89, 97). Dem hat sich der 5. Senat des BSG angeschlossen (Urteil vom 30. November 1983 - 5a RKn 3/83 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Der vorliegende Fall liegt allerdings anders als die bisher entschiedenen Fälle. In den meisten der genannten Entscheidungen wurde der Verstoß gegen Treu und Glauben aus der Unzulässigkeit eines widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) hergeleitet, etwa wenn der Versicherte von einer Krankenkasse oder einem Rentenversicherungsträger nicht rechtzeitig über das Bestehen einer Versicherung informiert worden war oder ein Versicherungsträger sonst dazu beigetragen hatte, daß der Versicherte von dem Versicherungsschutz keinen Gebrauch hatte machen können. In anderen Entscheidungen (zB BSGE 39, 235) war ein Versicherungsverhältnis erst rückwirkend begründet worden. Trotz unterschiedlicher Fallkonstellation ist allen diesen Entscheidungen und dem vorliegenden Fall jedoch gemeinsam, daß nachträglich Beiträge für einen Zeitraum gefordert werden, in dem der Versicherte von seinem Versicherungsverhältnis nichts wußte und deshalb keine Leistungsansprüche erheben konnte. Schon dies nötigt zu einer sorgfältigen Prüfung, ob die Beitragsforderung nicht gegen Treu und Glauben verstößt.

Ein solcher Verstoß liegt im vorliegenden Fall darin, daß die Beklagte sich auf eine formale Rechtsposition - eine unabsichtlich begründete "Doppelmitgliedschaft" bei ihr - beruft, um daraus einseitig Vorteile in Gestalt von Beitragseinnahmen zu ziehen, die mit dem Normzweck nicht mehr vereinbar sind. Bereits oben ist auf den inzwischen veränderten Sinngehalt des § 517 Abs 2 RVO hingewiesen worden. Die Vorschrift dient heute im wesentlichen der Rechtsklarheit und soll die Ersatzkasse vor allem zur sorgfältigen Prüfung ihrer Versicherungsverhältnisse veranlassen; sie hat also in erster Linie Ordnungsfunktion. Die Doppelversicherung bei einer Ersatzkasse und einer gesetzlichen Krankenkasse kann kaum noch das Ergebnis einer sinnvollen Entscheidung des Versicherten sein, sondern ist in aller Regel Folge eines Versehens. Würde daraus dennoch eine Beitragspflicht auch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse entstehen, so wäre diese nicht durch einen dafür gewährten Versicherungsschutz gerechtfertigt, sondern lediglich Sanktion für einen Ordnungsverstoß. Einem solchen Zweck darf das Beitragsrecht der Sozialversicherung indessen nicht dienstbar gemacht werden, wenn es seiner eigentlichen Funktion - die Lasten der Finanzierung eines sozialen Sicherungssystems gerecht auf die "Nutznießer" dieses Systems zu verteilen - nicht entfremdet werden soll. Dabei verkennt der Senat nicht, daß in der - vom Solidaritätsprinzip beherrschten - Sozialversicherung Vorteile und Lasten für den einzelnen Versicherten nicht äquivalent zu sein brauchen, daß Beiträge daher uU auch für Zeiten (nach)gezahlt werden müssen, für die Versicherungsschutz nicht oder nicht voll in Anspruch genommen werden konnte; das gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber eine rechtzeitige Meldung eines - etwa irrtümlich als nicht versicherungspflichtig angesehenen - Arbeitnehmers unterlassen hatte. Dieser Gesichtspunkt scheidet hier jedoch aus, weil der Kläger zu 2) - unter Beteiligung der Klägerin zu 1) - bereits durch die Entrichtung von Beiträgen zur Ersatzkasse seiner Solidarpflicht voll genügt hat. Der Beklagten entgeht auch keine Beitragsleistung, die ihr bei richtigem (korrekten) Verhalten der Beteiligten zugestanden hätte. Wenn alle Beteiligten sich nämlich von Anfang an über die Rechtslage klar gewesen wären und sich entsprechend verhalten hätten, wäre weder eine Mitgliedschaft bei der beklagten AOK noch eine Beitragsforderung für sie entstanden.

Die Beklagte befürchtet allerdings Nachteile für die gesetzlichen Krankenkassen, wenn die fehlende oder nicht rechtzeitige Vorlage einer Befreiungsbescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO ohne beitragsrechtliche Folgen für die Beteiligten bliebe; vor allem könnte dadurch ihrer Meinung nach eine unsorgfältige Prüfung der Zugehörigkeit zum Mitgliederkreis der Ersatzkasse oder gar eine willkürliche Überschreitung dieses Kreises begünstigt werden. Selbst wenn dies zuträfe, würde es eine Belastung der Beteiligten mit doppelten Beiträgen - als "Strafe" für ihre Unachtsamkeit - nicht rechtfertigen. Hier wäre es vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, sachgerechte Sanktionen vorzusehen. Im übrigen erscheint die Befürchtung der Beklagten weitgehend unbegründet. Hat eine Ersatzkasse die Mitgliedschaft bei ihr nicht sorgfältig genug geprüft und zu Unrecht eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO ausgestellt, gelten andere Grundsätze als im vorliegenden Fall. Dort ist ein Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts zu korrigieren, der auch berichtigt werden kann, weil, wie ausgeführt, die unrichtige Bescheinigung der Ersatzkasse die gesetzliche Krankenkasse und die Versicherungsbehörden nicht bindet. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor. An der Berechtigung des Klägers zu 2), Mitglied der Beigeladenen zu 2) zu sein, besteht kein Zweifel; der beklagten AOK ist kein Mitglied genommen worden, das bei ihr zu versichern gewesen wäre; ihr sind keine Beiträge entgangen, die sie zu beanspruchen gehabt hätte. Abschließend ist deshalb festzustellen, daß eine Mitgliedschaft des Klägers zu 2) bei der Beklagten zwar bestand, Beiträge für die streitige Zeit jedoch von ihr nicht erhoben werden dürfen.

Anders liegt es dagegen bei der Beitragsforderung für den inzwischen verstorbenen Kläger W.. Für ihn gelten zwar grundsätzlich die gleichen rechtlichen Überlegungen. Jedoch scheint W. nach den während des Revisionsverfahrens vervollständigten Verwaltungsakten der Beigeladenen zu 1) mit dem Beginn der Rentnerkrankenversicherung (27. Januar 1970) seine frühere freiwillige Versicherung bei der DAK gekündigt und später auch nicht wieder aufgenommen zu haben. Der Senat kann dies bei seiner Entscheidung allerdings nicht berücksichtigen, weil entsprechende Feststellungen des LSG fehlen. Sie sind aber entscheidungserheblich. Hatte W. nämlich seine freiwillige Versicherung bei der DAK 1970 gekündigt, so bestand für ihn seitdem lediglich eine Rentnerkrankenversicherung bei der DAK, für die weder er noch sein Arbeitgeber Beiträge zu entrichten hatte (§§ 165 Abs 1 Nr 3 und Abs 6, 257a Abs 1 Satz 1, 514 Abs 3 RVO, alle idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1967, BGBl I 1259; § 381 Abs 2 RVO idF des Gesetzes vom 14. April 1970, BGBl I 337). Als er dann wegen Reduzierung seiner Tätigkeit auf Halbtagsarbeit (1. Juli 1976) nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO versicherungspflichtig wurde, dürfte er Mitglied der beklagten AOK geworden und die Rentnerkrankenversicherung bei der DAK zu Unrecht weitergeführt worden sein (§ 165 Abs 6 RVO aF), ohne daß dies jedoch zunächst beiden Kassen bekannt wurde. Es hätte also für ihn weder eine Doppelversicherung bestanden noch wäre von ihm und der Klägerin zu 1) ein Beitrag zur Solidargemeinschaft geleistet worden; deshalb würden die wesentlichen Überlegungen, die im Falle des Klägers zu 2) eine Erhebung von Beiträgen der Beklagten für die streitige Zeit als mißbräuchlich erscheinen lassen, bei ihm entfallen. Die erforderlichen Feststellungen in bezug auf die Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft muß das LSG aber noch nachholen.

Zu Recht hat das LSG nicht darüber entschieden, ob die Beklagte Beitragsansprüche nach § 76 Abs 2 Nr 3 SGB 4 erlassen darf oder uU bei pflichtgemäßer Ermessensausübung auch zu erlassen hat; insoweit müßte die Beklagte zunächst eine gesonderte Ermessensentscheidung im Rahmen des Einziehungsverfahrens treffen, die bisher nicht vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Klägers zu 2) auf § 193 SGG. Im übrigen war sie dem LSG vorzubehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 179

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