Entscheidungsstichwort (Thema)

Bezugsdauer des Krankengelds. Nichtanrechnung der Zeiten von voll erstattetem Krankengeld

 

Leitsatz (amtlich)

Auf die Bezugsdauer von 78 Wochen (RVO § 183 Abs 2 S 1) wird eine Zeit nicht angerechnet, in der die Krankenkassen zwar Krankengeld gezahlt, dieses aber in vollem Umfange von der Versorgungsverwaltung ersetzt erhalten hat (BVG § 19 Abs 2).

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12; BVG §§ 17, 19 Abs. 2 Fassung: 1964-02-11

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. Juni 1973 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Zeit der Gewährung von Krankengeld, das nach § 19 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) der Krankenkasse erstattet wurde, weil die Arbeitsunfähigkeit durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden ist, auf die Bezugszeit von Krankengeld nach § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzurechnen ist.

Der Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert; er ist Kriegsbeschädigter. Nachdem er am 21. August 1968 arbeitsunfähig erkrankte, gewährte ihm die Beklagte vom 22. August 1968 bis 24. Dezember 1968 und vom 2. Januar 1969 bis 18. Februar 1970 Krankengeld. Vom 25. Dezember 1968 bis 1. Januar 1969 ruhte der Krankengeldanspruch gemäß § 189 RVO. Infolge der Arbeitsunfähigkeit, die zunächst auf ein anerkanntes Versorgungsleiden zurückzuführen war, bezog der Kläger in der Zeit vom 3. Oktober 1968 bis 24. Dezember 1968 sowie vom 2. Januar 1969 bis 19. Juni 1970 Einkommensausgleich vom Versorgungsamt Hamburg. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers dauerte darüber hinaus bis zum 31. August 1970 an, war jedoch nicht mehr schädigungsbedingt. Für die Dauer der Gewährung von Einkommensausgleich erhielt die Beklagte das von ihr aufgewendete Krankengeld in vollem Umfange gemäß § 19 Abs. 2 BVG erstattet.

Der Antrag des Klägers, ihm für die Zeit vom 20. Juni bis 31. August 1970 Krankengeld zu gewähren, wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 2. September 1970 abgelehnt. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 1970 zurück: Da auf die Leistungsdauer des Krankengeldes nach § 183 Abs. 2 RVO auch die Zeiten des Bezugs von Krankengeld während der Gewährung des Einkommensausgleichs anzurechnen seien, habe ihre Verpflichtung zur Zahlung von Krankengeld mit dem 18. Februar 1970 geendet. Der Kläger ist jedoch der Ansicht, der Leistungsablauf für das Krankengeld sei noch nicht eingetreten. Zeiten, für die die Beklagte vollen Ersatz für ihre Aufwendungen erhalten habe, könnten nicht als Bezugszeiten i.S. des § 183 Abs. 2 RVO angesehen werden.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil bestätigt (Urteil vom 6. Juni 1973): Auf die Leistungsdauer nach § 183 Abs. 2 RVO seien nur solche Zeiten anzurechnen, für die die Beklagte auch tatsächlich die Kosten des Krankengeldes zu tragen habe, nicht aber solche Zeiten, für die sie wirtschaftlich nicht einzutreten habe. Dies entspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 183 Abs. 2 RVO bezüglich des Verletztengeldes, des nachträglich bewilligten Übergangsgeldes und der nachträglich bewilligten Erwerbsunfähigkeitsrente. Es sei nicht entscheidend, daß im Gegensatz zu den höchstrichterlich entschiedenen Fällen der Anspruch auf Krankengeld neben dem Anspruch auf Einkommensausgleich bestehen bleibe. Aus dem gesetzgeberischen Zweck des § 183 Abs. 2 RVO ergäbe sich vielmehr, daß maßgebliches Kriterium allein die wirtschaftliche Belastung der Beklagten sei und nicht das Zusammentreffen beider Ansprüche. Infolge der Erstattung des Krankengeldes sei die Beklagte im Ergebnis wirtschaftlich nicht belastet worden. Der Anspruch des Klägers auf Krankengeld, den er durch eigene Beiträge erworben habe, habe sich daher noch nicht erschöpft.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision: Es komme nicht auf ihre wirtschaftliche Belastung, sondern nach § 183 Abs. 2 RVO entscheidend darauf an, daß dem Kläger neben seinem Anspruch auf Einkommensausgleich auch weiterhin der Anspruch auf Krankengeld zugestanden habe. Die Erstattung des Krankengeldes gemäß § 19 Abs. 2 BVG beeinflusse den Krankengeldanspruch des Klägers deshalb nicht. Folge einer Nichtanrechnung der Bezugsdauer des Krankengeldes wäre, daß ein Leistungsablauf nach § 183 Abs. 2 RVO bei schädigungsbedingten Leiden nicht eintreten könne.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Dezember 1972 und des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. Juni 1973 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. Juni 1973 zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, in die Bezugszeit des § 183 Abs. 2 RVO könnten nur solche Zeiten einbezogen werden, für die die Krankenkasse auch tatsächlich Aufwendungen erbracht habe. Dabei beruft er sich insbesondere auf das Urteil des Senats vom 11. März 1970 (BSGE 31, 72) und auf die seiner Ansicht nach überzeugenden Urteilsgründe des LSG.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO wird Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gewährt, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für höchstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Ziel dieser Regelung ist es, die Krankenkasse trotz der an sich zeitlich unbegrenzten Dauer des Krankengeldes in den Fällen zu entlasten, in denen eine Krankheit länger dauert (BSGE 31, 72, 73). Abgesehen von den Fällen des Ruhens des Krankengeldanspruchs kommt daher als Bezugszeit i.S. des § 183 Abs. 2 RVO nur eine Zeit in Betracht, für die die Krankenkasse auch tatsächlich Leistungen an Krankengeld zu tragen hat, nicht aber eine solche Zeit, für die die Krankenkasse zwar Krankengeld gezahlt, dafür aber in vollem Umfange Ersatz erhalten hat (Urteil des Senats vom 10. November 1970 - 3 RK 57/70 - SozR § 183 RVO Nr. 55, S. Aa 55 R; Urteil vom 16. Juli 1971 - 3 RK 101/69 - Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung 1972, 84, 85). Nach dieser Rechtsprechung ist auf die Bezugsdauer von 78 Wochen nicht die Zeit anzurechnen, in der die Krankenkasse zwar Krankengeld gezahlt, dieses aber in vollem Umfang auf Grund des Übergangs des Anspruchs auf ein nachträglich bewilligtes Übergangsgeld vom Rentenversicherungsträger ersetzt erhalten hat.

Diesem Sachverhalt steht in seiner rechtlichen Wirkung der hier zu entscheidende Fall gleich, daß ein Versicherter während einer auf einer anerkannten Schädigungsfolge beruhenden Arbeitsunfähigkeit Krankengeld und außerdem Einkommensausgleich (§ 17 BVG), auf das Krankengeld anzurechnen ist (vgl. § 17 Abs. 5 Satz 2 BVG), bezieht; das Krankengeld wird der Krankenkasse erstattet (§ 19 Abs. 2 BVG). Auch in diesem Fall muß daher der rechtliche Gesichtspunkt zum Tragen kommen, daß zugunsten der Krankenkasse - abgesehen von den Zeiten des Ruhens des Krankengeldanspruchs - nur solche Zeiten als Bezugsdauer i. S. des § 183 Abs. 2 RVO gewertet werden dürfen, die für sie zu einer wirtschaftlichen Belastung geführt haben. Der formale Unterschied, daß in diesem Falle der Krankenkasse ein Erstattungsanspruch in Höhe des gezahlten Krankengelds zusteht, während sie in dem früher entschiedenen Fall des Zusammentreffens von Krankengeld und nachträglich bewilligtem Übergangsgeld durch Übergang des Anspruchs auf Übergangsgeld in entsprechender Höhe entschädigt wird, ist für diese Beurteilung ohne Belang.

Dieser Auffassung steht nicht entgegen, daß bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit wegen der Schädigungsfolgen und der hierdurch bedingten Pflicht zur Erstattung des Krankengelds (§ 19 Abs. 2 BVG) eine "Aussteuerung" i.S. des § 183 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. RVO nicht eintreten kann, was zur Folge hat, daß der Versicherte über die 78-Wochen-Frist hinaus entweder Krankengeld und den Aufstockungsbetrag des Einkommensausgleichs (§ 17 Abs. 5 Satz 2 BVG) oder - unter den Voraussetzungen für den Wegfall des Einkommensausgleichs (§ 18 a Abs. 7 BVG) - Krankengeld allein erhalten kann. Diese Besserstellung des wegen Schädigungsfolgen versorgungsberechtigten Versicherten ist eine vom Gesetz gewollte Auswirkung des besonderen Rechtsstands des Kriegsopfers.

Da die Beklagte somit zur Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 20. Juni 1970 bis 31. August 1970 verpflichtet ist, kann die Revision keinen Erfolg haben. Sie ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647837

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