Verfahrensgang

SG Hannover (Urteil vom 28.09.1987; Aktenzeichen S 11 Kr 29/86)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. September 1987 – S 11 Kr 29/86 – wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Aufwendungen für Krankenbehandlung zu erstatten hat.

Der klagende Landkreis Nienburg/Weser hat für die in der Zeit zwischen dem 30. September 1982 und 25. Februar 1983 bei der polnischen Asylbewerberin Frau M erforderlich gewordene Krankenbehandlung Krankenhilfe gemäß § 37 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt und dafür Kosten in Höhe von insgesamt 182,11 DM aufgewendet. Bereits am 21. September 1982 hatten die Eheleute M beim Arbeitsamt Nienburg die Gewährung von Arbeitslosengeld bzw Arbeitslosenhilfe beantragt, woraufhin ein Feststellungsverfahren bezüglich der deutschen Volkszugehörigkeit des Herrn M durchgeführt wurde. Mit Bescheid vom 27. August 1984 bewilligte das Arbeitsamt Nienburg Frau M Arbeitslosengeld rückwirkend ab 21. September 1982. Damit bestand für Frau M ab 21. September 1982 Versicherungspflicht in der Krankenversicherung bei der Beklagten.

Den vom Kläger mit Schreiben vom 3. Oktober 1984 geltend gemachten Erstattungsanspruch gemäß § 104 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Erstattungsanspruch sei gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen, weil er nicht innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht worden sei (Schreiben vom 18. April und 6. Juni 1985).

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen und ausgeführt, der Ausschluß des Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X richte sich sowohl nach der – bis zum 30. Juni 1983 in Kraft gewesenen – Vorschrift des § 1539 Reichsversicherungsordnung (RVO) als auch nach § 111 SGB X. Der Kläger habe seinen Erstattungsanspruch nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Unterstützung bei der Beklagten geltend gemacht, soweit diese Leistungen von ihm bis zum Ablauf des Jahres 1983 erbracht worden seien, und er habe sie auch nicht bis zum Ablauf des Monats Juni 1984 bei der Beklagten geltend gemacht, soweit es sich um Unterstützungsleistungen aus dem Jahre 1983 handele. Mit dieser Auffassung folge die Kammer der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (Hinweis auf SozR Nr 2 zu § 1539 RVO).

Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit der schriftlich erklärten Zustimmung der Beklagten die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 111 SGB X sowie des § 1539 RVO. Angesichts der fortlaufend gewährten einheitlichen Unterstützung unterliege nicht nur die Vergütung für in 1983 erbrachte ärztliche Leistungen, sondern der Gesamtbetrag der im Hilfezeitraum erbrachten Krankenhilfe dem neuen Recht nach § 111 SGB X. Zwar treffe es zu, daß § 1539 RVO keine ausdrückliche Regelung darüber enthalten habe, wie zu verfahren sei, wenn der Fürsorgeträger ohne sein Verschulden erst nach Ablauf der sechs Monate davon Kenntnis erhalten habe, daß die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch gegeben seien. Jedoch bestimme § 111 Satz 2 SGB X ausdrücklich, daß der Lauf der Frist frühestens mit Entstehung des Erstattungsanspruchs beginne. Danach habe ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte für die in Rede stehenden Leistungen erst mit der Entscheidung des Arbeitsamtes Nienburg vom 27. August 1984 entstehen können, als den Eheleuten M rückwirkend für die Zeit vom 21. September 1982 an Arbeitslosengeld bewilligt worden sei. Erst mit dieser Entscheidung sei die Beklagte – rückwirkend – vorrangig zur Leistung von Krankenhilfe verpflichtet gewesen. Der Erstattungsanspruch sei unverzüglich unter dem 3. Oktober 1984 gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. September 1987 – S 11 Kr 29/86 – aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Beteiligten und das SG sind zutreffend davon ausgegangen, daß der im Streit befindliche Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff SGB X zu beurteilen ist. Da der Kläger seinen Ersatzanspruch im Oktober 1984 und damit erst nach dem Inkrafttreten des Art 1 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) – hier: 1. Juli 1983 – geltend gemacht hat, handelt es sich nicht um ein Verfahren, das schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 4. November 1982 begonnen hatte und das daher auch nicht gemäß Art II § 21 dieses Gesetzes übergeleitet werden mußte (vgl Urteil des BSG vom 19. Februar 1986 – Az.: 8 RK 64/84 – in: SozR 1300 § 111 Nr 2).

Das SG hat auch zutreffend die Voraussetzungen des § 104 Abs 1 SGB X als erfüllt angesehen. Hiernach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne daß die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Auch die Beklagte sieht die Voraussetzungen des § 104 Abs 1 SGB X als gegeben an.

Der von dem Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch sowohl nach der – bis zum 30. Juni 1983 in Kraft gewesenen – Vorschrift des § 1539 RVO als auch nach § 111 SGB X ausgeschlossen. Die beiden genannten Vorschriften gelangen parallel zur Anwendung, da sowohl vor dem 1. Januar 1983 als auch nach diesem Zeitpunkt liegende Erstattungsansprüche im Streit sind (vgl Urteile des BSG in: SozR 1300 § 111 Nrn 1 und 2). § 1539 RVO bestimmte, daß der Anspruch auf Ersatz (§§ 1531 bis 1537 RVO) ausgeschlossen ist, „wenn er nicht spätestens sechs Monate nach Ablauf der Unterstützung bei dem Träger der Reichsversicherung geltend gemacht wird”. § 111 SGB X legt fest, daß der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen ist, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit Entstehung des Erstattungsanspruchs. Nach den vom SG getroffenen Feststellungen hat der Kläger erst mit Schreiben vom 3. Oktober 1984 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X angemeldet. Damit hat der Kläger seinen Erstattungsanspruch nicht innerhalb von sechs bzw zwölf Monaten nach Ablauf der Unterstützung bei der Beklagten geltend gemacht.

Dem Ablauf der Ausschlußfrist – sowohl der sechsmonatigen Frist nach § 1539 RVO als auch der zwölfmonatigen Frist nach § 111 SGB X – steht nicht entgegen, daß dem erstattungsberechtigten Sozialleistungsträger der zuständige Sozialleistungsträger vor Ablauf der Frist nicht bekannt war (vgl Urteil des BSG in: SozR Nr 2 zu § 1539 RVO; von Wulffen in: Schroeder-Printzen ua, Kommentar zum SGB X, § 111 Anm 4).

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 111 Satz 2 SGB X berufen, wonach der Lauf der Frist frühestens mit Entstehung des Erstattungsanspruchs beginnt. Den Standpunkt, daß erst der Bewilligungsbescheid des erstattungspflichtigen Leistungsträgers den Erstattungsanspruch zum Entstehen bringe und deshalb erst von diesem Zeitpunkt an die zwölfmonatige Ausschlußfrist nach § 111 SGB X zu laufen beginne, so daß hier – im Ergebnis – vom Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides des Arbeitsamtes Nienburg auszugehen sei, vermag der Senat nicht zu teilen. Ein Rechtsanspruch entsteht grundsätzlich nicht erst mit der behördlichen bzw gerichtlichen Entscheidung über ihn, sondern mit dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld waren hier nicht erst mit dem Bewilligungsbescheid vom 27. August 1984 gegeben. Zwar ist nach § 155 Abs 1 AFG (erst) derjenige für den Fall der Krankheit versichert, der Arbeitslosengeld bezieht. Für die Versicherung genügt es aber, daß ein Anspruch auf Auszahlung der Leistung gegeben war (BSG SozR 4100 § 159 Nr 5). Das war jedoch schon am Ende der Leistungszeit des Klägers, nämlich am 25. Februar 1983 der Fall, nachdem Frau M bereits am 21. September 1982 Arbeitslosenhilfe beantragt hatte. Ebensowenig aber, wie für den Beginn und den Ablauf der Ausschlußfrist die Kenntnis des Erstattungsschuldners von Bedeutung ist, kann es dabei darauf ankommen, ob der Erstattungsberechtigte wußte, daß dem Leistungsberechtigten ein anderweitiger Anspruch zustand.

Daß der Kläger seine Leistung ein Jahr vor seiner Geltendmachung des Ersatzanspruchs, nämlich am 3. Oktober 1983, bereits erbracht hatte, ist unstreitig.

Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173678

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