Beteiligte

Pflegekasse bei der AOK – Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz

 

Nachgehend

BVerfG (Urteil vom 03.04.2001; Aktenzeichen 1 BvR 81/98)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. August 1996 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob der Kläger berechtigt ist, Mitglied der sozialen Pflegeversicherung zu werden.

Der 1920 geborene Kläger ist infolge eines in der Kindheit erlittenen Unfalls geistig behindert. Der nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) festgestellte Grad der Behinderung beträgt 100. Nach Angaben des Klägers hatte sein Vater bis zu seinem 27. Lebensjahr für ihn Familienhilfeansprüche in der gesetzlichen Krankenversicherung. Seitdem ist er weder gesetzlich noch privat krankenversichert. Seinen Lebensunterhalt und die bei Krankheit anfallenden Kosten bestreitet er aus dem von seinen Eltern hinterlassenen Vermögen. Der Kläger ist nicht verheiratet. Für ihn ist ein Betreuer bestellt.

Der Kläger beantragte im November 1994 bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Rheinland-Pfalz die Aufnahme als Mitglied der sozialen Pflegeversicherung. Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 23. November 1994 und Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 1995). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Feststellung der Mitgliedschaft bei der Beklagten abgewiesen (Urteil vom 22. März 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 1. August 1996). Der Kläger sei in der sozialen Pflegeversicherung weder versicherungspflichtig noch zur freiwilligen Versicherung berechtigt. Dieses sei nicht verfassungswidrig.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt, der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ≪GG≫) sei verletzt, wenn Personen in seiner Lage nicht in der sozialen Pflegeversicherung Mitglied werden könnten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG vom 1. August 1996, das Urteil des SG vom 22. März 1996 und den Bescheid der AOK Rheinland-Pfalz vom 23. November 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der beklagen Pflegekasse vom 23. Mai 1995 aufzuheben sowie festzustellen, daß er Mitglied der beklagten Pflegekasse ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zutreffend zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig. Der Kläger ist nicht Mitglied der sozialen Pflegeversicherung.

Beklagte ist die Pflegekasse bei der AOK. Die Pflegekasse ist eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 46 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Soziale Pflegeversicherung, SGB XI). Sie ist für die Entscheidung über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung in diesem Versicherungszweig zuständig. Eine Zuständigkeit der AOK als Krankenkasse (Einzugsstelle) nach § 28h Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) scheidet hier aus. Allerdings durfte bis zur Aufnahme der Tätigkeit der Pflegekasse die AOK entscheiden, weil bis dahin die Krankenkassen nach Art 46 Abs. 1 Satz 1 des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl. I 1014) die Rechte und Pflichten der bei ihnen errichteten Pflegekassen wahrnahmen. Hieraus ergibt sich die Zuständigkeit der AOK für den Erlaß des Bescheides vom 23. November 1994, sofern die Pflegekasse bis dahin ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hatte. Ansonsten und anschließend, insbesondere bei Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 1995, war die Pflegekasse zuständig. Soweit dieses nicht zum Ausdruck gebracht worden ist, führt das nicht zu einer Beanstandung des Bescheides. Da zwischen der Krankenkasse und der Pflegekasse Organidentität besteht (§ 46 Abs. 2 Satz 2 SGB XI) und hier die Zuständigkeit der Pflegekasse nach Aufnahme ihrer Tätigkeit gegeben ist, war nicht zweifelhaft, daß jedenfalls der Widerspruchsbescheid von der Pflegekasse stammte. Die Beklagte sollte dieses allerdings künftig auch ausdrücklich angeben (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren, SGB X). Im Prozeß hat der Senat das Rubrum auf der Beklagtenseite zur Klarstellung ergänzt.

Der Kläger ist nicht Mitglied der Beklagten als Trägerin der sozialen Pflegeversicherung geworden. Er ist in der sozialen Pflegeversicherung nicht versicherungspflichtig. Zunächst gehört er nicht zum Kreis der nach § 20 SGB XI Versicherungspflichtigen. Dies sind im wesentlichen die Versicherungspflichtigen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nrn 1 bis 11 SGB XI) sowie die freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 20 Abs. 3 SGB XI). Die Abweichungen in der Bezeichnung des versicherungspflichtigen Personenkreises in § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB XI einerseits und § 5 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) andererseits (vgl. hierzu Peters, Kasseler Komm, § 20 SGB XI RdNrn 10ff.) sind hier ohne Belang. Der Kläger gehört ferner nicht zu den nach § 21 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtigen Personen. Er ist auch nicht nach § 26 SGB XI zur freiwilligen Versicherung in der sozialen Pflegeversicherung berechtigt. Ein solches Recht besteht nur als Recht zur Weiterversicherung für Personen, die schon Mitglied der Pflegeversicherung waren und aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind. Dieses trifft auf den Kläger nicht zu. Er ist schließlich nicht nach § 25 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung familienversichert. Eine Mitgliedschaft, von der eine Familienversicherung abgeleitet werden könnte („Stammversicherung”), besteht für den Kläger nicht. Dieses Erfordernis wird durch Art 40 PflegeVG nicht ersetzt. Nach dieser Vorschrift besteht Familienversicherung auch für Behinderte, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des SGB XI die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Halbsatz 2 SGB XI nicht erfüllen, diese aber erfüllt hätten, wenn die Pflegeversicherung zum Zeitpunkt des Eintritts der Behinderung bereits bestanden hätte. Damit werden lediglich ältere behinderte Kinder von Stammversicherten ebenso in die Familienversicherung eingezogen wie ihre behinderten Kinder, die beim Inkrafttreten des SGB XI die Altersgrenzen des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nrn 1 bis 3 SGB XI noch nicht überschritten hatten. Auch diese Familienversicherung besteht indes höchstens so lange, wie ein Stammversicherter vorhanden ist.

Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, daß der Ausschluß des Klägers von der sozialen Pflegeversicherung mit dem GG unvereinbar ist oder daß er von Verfassungs wegen ein Recht hat, in der sozialen Pflegeversicherung versichert zu sein.

Allerdings erfaßt die Versicherungspflicht nach dem SGB XI annähernd die gesamte Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Es sind alle in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung und alle in der privaten Krankenversicherung Versicherten in der privaten Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Darüber hinaus sind es in der sozialen Pflegeversicherung die in § 21 SGB XI genannten Personen, soweit sie nicht schon in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind. Die Personengruppen des § 21 SGB XI haben fast ausnahmslos nach anderen Rechtsvorschriften Anspruch auf Krankenversorgung. Die Zahl der nicht in der sozialen und der privaten Pflegeversicherung Versicherungspflichtigen dürfte deutlich unter 1 v.H. der Wohnbevölkerung liegen. Diese Personen können sich zwar grundsätzlich freiwillig bei privaten Versicherungsunternehmen gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichern. Für Personen wie den Kläger bestand diese Gelegenheit jedoch tatsächlich nicht, weil die private Versicherung sie aus Alters- oder Risikogründen nicht zu tragbaren Beiträgen aufnimmt. Von Verfassungs wegen brauchte ihnen gleichwohl die soziale Pflegeversicherung nicht eröffnet zu werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gehört die Fürsorge für Hilfsbedürftige zu den selbstverständlichen Pflichten des Sozialstaates (Art 20 Abs. 1 GG). Sie schließt die soziale Hilfe für die Mitbürger ein, die wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert und außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Die staatliche Gemeinschaft muß ihnen jedenfalls die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein sichern und sich darüber hinaus bemühen, sie soweit möglich in die Gesellschaft einzugliedern, ihre angemessene Betreuung in der Familie oder durch Dritte zu fördern sowie notwendigen Pflegeeinrichtungen zu schaffen (vgl. BVerfGE 40, 121, 143 = SozR 2400 § 44 Nr. 1). Das BVerfG hat dem so umschriebenen Prinzip des Sozialstaats bisher jedoch nicht das Gebot entnommen, die Sicherung gegen Lebensrisiken jedem Bürger durch Zugang zu einer Versicherung zu ermöglichen. Reichen die eigenen Mittel nicht aus, die Kosten für den notwendigen Lebensbedarf zu tragen, entspricht der Staat vielmehr seiner Pflicht, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein einschließlich der Pflege bei Pflegebedürftigkeit zu sichern, durch die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Eine darüber hinausgehende Pflicht des Staates, jedem den Beitritt zu einer solidarisch finanzierten Pflegeversicherung zu ermöglichen, ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip nicht.

Soweit der Kläger von der sozialen Pflegeversicherung ausgeschlossen ist, wird auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Dieser soll verhindern, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 87, 1, 36 = SozR 3-5761 allgemein Nr. 1 m.w.N.). Hieraus ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus Wortlaut und Sinn des Art 3 Abs. 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen. Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen als solchen regelmäßig einer strengen Bindung (BVerfGE 55, 72, 88). Diese ist jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfGE 92, 53, 68, 69 = SozR 3-2200 § 385 Nr. 6 m.w.N.). Eine nach diesen Maßstäben rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung besteht hier zwischen der Gruppe der in der sozialen und privaten Pflegeversicherung Pflichtversicherten einerseits und der Gruppe der nicht Versicherungspflichtigen andererseits. Die zweite Gruppe wird nach dem Merkmal abgegrenzt, daß zu ihr diejenigen gehören, die auch gegen das Risiko der Krankheit nicht versichert oder in anderer Weise abgesichert sind. Die Ungleichbehandlung ist allerdings nicht von solcher Art, daß sie in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig wäre, weil sie Grundrechte der nicht Gesicherten beeinträchtigen würde. Die Nichtbegründung einer Versicherungspflicht kann schwerlich als Grundrechtsbeeinträchtigung angesehen werden. Ein spezielles Grundrecht, das durch den Ausschluß von der Versicherungspflicht verletzt sein könnte, ist nicht zu erkennen.

Gemessen an Art 3 Abs. 1 GG ist die Anknüpfung von Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung im SGB XI an einen schon bestehenden Krankenversicherungs- oder Krankenversorgungsschutz und die Nichteinbeziehung der nicht in gleicher Weise gegen das Risiko Krankheit Gesicherten wegen der Art der abgesicherten Risiken sachlich gerechtfertigt.

Bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit entsteht der abgesicherte Bedarfsfall gleichermaßen, wenn körperliche oder geistige Funktionen des Versicherten beeinträchtigt sind und Behandlung oder Versorgung mit pflegerischen Leistungen notwendig ist. Mit der Versicherung gegen das Risiko der Krankheit wird dabei ein wirtschaftlich bedeutsameres Risiko abgedeckt als mit der Versicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit. Dies wird an den weit höheren Beitragssätzen in der Krankenversicherung (durchschnittlicher allgemeiner Beitragssatz West am 1. Juli 1996 = 13, 4 v.H. ≪vgl BKK 1996 S. 92≫) gegenüber dem Beitragssatz in der Pflegeversicherung (seit 1. Juli 1996 = 1, 7 vH; vorher 1 vH) deutlich.

Demgegenüber kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, die Anknüpfung der Versicherungspflicht an die Krankenversicherung sei nicht gerechtfertigt, weil mit der Pflegebedürftigkeit ein neues und anders geartetes Risiko abgedeckt sei. Dieses Risiko sei zwar nicht für die Gesamtheit der Versicherten aber im Einzelfall insbesondere auch wegen des typischen Zeitpunkts des Risikoeintritts und der bei Risikoeintritt entstehenden Kosten ein wirtschaftlich bedeutsameres Risiko als das Risiko Krankheit. Dieser Einwand ist unzutreffend. Die Risiken der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit erscheinen sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts der zu erwartenden höchsten Belastung als auch des Umfangs der möglichen Kosten als vergleichbar. Dabei geht der Senat davon aus, daß Pflegebedürftigkeit mit ihren beträchtlichen Kosten in der Regel erst im höheren Alter eintritt. Vergleichbare Belastungen können jedoch typischerweise durch Krankheit ebenfalls entstehen. Die durch Krankheit verursachten Kosten steigen in höherem Alter erheblich. Während 1994 in der allgemeinen Krankenversicherung (AKV) je versicherter Person Leistungsausgaben von 2.298, 82 DM erbracht wurden, betrugen diese in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) 5.898, 75 DM (vgl. die Übersicht über die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die Versicherten der AKV und der KVdR in: Bundesministerium für Gesundheit, Die gesetzliche Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1994 – Statistischer und finanzieller Bericht, S. 19f.). Die weitaus höchsten Kosten wegen Krankenbehandlung entstehen dabei sogar in der Regel erst in den letzten Lebensjahren (vgl. hierzu die Darstellung der Morbiditätsentwicklung im höheren Lebensalter in: Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, Sondergutachten 1996, Nomos Verlagsgesellschaft, S. 97ff.). Von jeher bestand die Gefahr, daß sowohl bei Eintritt von Krankheit als auch bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit Kosten entstanden, die sogar Vermögen verzehrten, dessen Erträge üblicherweise für den Lebensunterhalt ausreichten. Es erscheint deshalb hinreichend gerechtfertigt, nur diejenigen in die Versicherungspflicht nach dem SGB XI einzubeziehen, die entweder kraft Gesetzes oder aufgrund eigenen Entschlusses gegen das wirtschaftlich bedeutsamere Risiko der Krankheit abgesichert sind. Bei einer zwangsweisen Einbeziehung solcher Personen in die Pflegeversicherung, die nicht einmal für den Fall der Krankheit gesichert sind, könnte dem Gesetzgeber entgegenhalten werden, er ordne unter Verletzung des Art 2 Abs. 1 GG die Versicherung gegen das insgesamt geringere Risiko (Pflegebedürftigkeit) an, obwohl er einen Bedarf an einer gesetzlichen Absicherung gegen das höhere Risiko der Krankheit nicht anerkannt habe.

Gegen die Beschränkung der Versicherungspflicht im SGB XI spricht nicht, daß der Gesetzgeber sie zumindest in einem Fall auch auf eine Personengruppe erstreckt hat, die weder krankenversichert ist noch einen anderweitigen Anspruch auf Krankenversorgung hat. Soweit nach § 21 Nr. 2 SGB XI auch diejenigen in die Versicherungspflicht einbezogen sind, die eine Kriegsschadensrente nur als Entschädigungsrente (§§ 279ff. des Lastenausgleichsgesetzes ≪LAG≫) beziehen und die als solche keinen Anspruch auf Krankenversorgung (§ 276 LAG) haben (vgl. dazu Peters, Kasseler Komm, § 21 SGB XI RdNr 9), wird dies sachlich gerechtfertigt durch die Absicht, alle Bezieher einer Kriegsschadensrente als einer besonderen staatlichen Unterstützung gleichzubehandeln. Wegen entfallender Einkünfte wird bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit ein Bezieher von Entschädigungsrente außerdem häufig Anspruch auf Unterhaltshilfe nach § 267ff. LAG und auf diesem Wege einen Anspruch auf Krankenversorgung (§ 276 LAG) haben. Dieser Anspruch rechtfertigt dann wiederum auch im Rahmen des § 21 SGB XI die Einbeziehung in die Pflegeversicherung. Durch die vorherige Einbeziehung in die Versicherungspflicht wird deshalb uU sogar der Personenkreis, der zunächst nur eine Entschädigungsrente bezieht, gerechter zur Finanzierung der Pflegeversicherung herangezogen. Darüber hinaus ist die Zahl der Betroffenen sehr gering. Im Jahr 1996 gab es 59.551 Empfänger von Kriegsschadensrente und laufenden Beihilfen nach den LAG und anderen Kriegsfolgegesetzen (vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1996, S. 481). Die Zahl der Bezieher von Entschädigungsrente nach § 279 LAG, die nicht entweder zugleich Unterhaltshilfe nach § 267 LAG beziehen oder nach den §§ 21 oder 23 SGB XI versicherungspflichtig sind, kann wiederum nur einen Bruchteil dieser geringen Zahl ausmachen.

Zu Unrecht macht die Revision geltend, der Gesetzgeber habe die Anknüpfung der Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung an eine bestehende Krankenversicherung für einen erheblichen Personenkreis durchbrochen, weil sich nach § 23 Abs. 3 SGB XI auch nicht krankenversicherte Beamte in der privaten Pflegeversicherung versichern könnten und müßten. Der Senat hat hier nicht zu entscheiden, ob § 23 Abs. 3 SGB XI für die bisher nicht gegen Krankheit privat versicherten Beamten die Pflicht begründet, einen Pflegeversicherungsvertrag abzuschließen (so z.B. Udsching, Komm zum SGB XI, § 23 RdNr 7) oder ob diese Vorschrift nur die Beamten meint, die privat krankenversichert sind, und für sie lediglich die Befugnis enthält, den Umfang der nach § 23 Abs. 1 SGB XI vorgeschriebenen Versicherung zu begrenzen (vgl. Peters, Kasseler Komm, § 23 SGB XI RdNr 7). Auch wenn man von einer in § 23 Abs. 3 SGB XI angeordneten Pflicht aller Beamten zum Abschluß eines privaten Pflegeversicherungsvertrages ausgeht, würde diese Pflicht doch nur dem Umstand Rechnung tragen, daß schon bisher die Beihilfe die bei Pflegebedürftigkeit entstehenden Kosten mit umfaßte. Beamte erhalten deshalb in § 23 Abs. 3 SGB XI nicht erstmals ein Recht, das Risiko der Pflege abzudecken; es war bei ihnen vielmehr schon bisher erfaßt, wenn auch auf andere Weise. Darin liegt ein Unterschied zu den Angehörigen der Gruppe, die wie der Kläger bisher weder gegen das Risiko der Krankheit noch gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert waren und die auch weiterhin zur Absicherung dieser Risiken nicht berechtigt sind.

Die Revision sieht den Kläger zu Unrecht als benachteiligt an, weil Sozialhilfeempfänger versicherungspflichtig seien. Die in Art 28 Abs. 1 des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I 2266) zum 1. Januar 1997 vorgesehene Krankenversicherungspflicht derjenigen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erhalten, ist bisher nicht wirksam geworden und kann daher auch in der Pflegeversicherung nicht gelten. Das zur Durchführung der Versicherungspflicht notwendige Gesetz (vgl. Art 28 Abs. 2 GSG) ist bisher nicht ergangen. Im übrigen wäre der Gesetzgeber selbst bei einem Wirksamwerden der Versicherungspflicht nach Art 28 Abs. 1 GSG, die an die wirtschaftliche Bedarfslage der Hilfeempfänger anknüpfen soll, nicht ohne weiteres gehalten, nicht hilfebedürftige Personen in die Versicherungspflicht einzubeziehen.

Die Revision kann nicht mit Erfolg geltend machen, daß jedenfalls Personen in der Lage des Klägers, die sich wegen der „Risikonähe” nicht mehr privat versichern könnten, Zugang zur sozialen Pflegeversicherung erhalten müßten. Die Ungleichbehandlung zwischen den Gruppen der nach dem SGB XI Versicherten einerseits und den hiervon Ausgeschlossenen andererseits wird allerdings besonders bei denjenigen erkennbar, die bereits pflegebedürftig sind oder bei denen der Eintritt von Pflegebedürftigkeit so wahrscheinlich ist, daß sie bei einem privaten Versicherungsunternehmen nicht mehr versicherbar ist. Letztere müssen die Kosten der Pflege auf Dauer selbst tragen, während Pflichtversicherte seit Inkrafttreten des SGB XI selbst bei bereits eingetretenem Risikofall versichert sind und dementsprechend Leistungen schon seit April 1995 in Anspruch nehmen konnten, ohne vorher Beiträge geleistet zu haben. Die Nichtbegründung einer Versicherungspflicht für alle, bei denen das Risiko der Pflegebedürftigkeit bereits eingetreten ist oder die Absicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen nicht mehr möglich war, ist jedoch gerechtfertigt, weil dieser Personenkreis mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht festzustellen und deshalb die Versicherungspflicht nicht durchsetzbar ist. Die praktischen Schwierigkeiten waren für den Gesetzgeber ein Grund, diesen Personenkreis nicht in die Versicherungspflicht einzubeziehen (vgl. BT-Drucks 12/5262 S. 101).

Unter diesen Umständen wäre allenfalls in Betracht gekommen, Personen, die nicht nach den Vorschriften des SGB XI versicherungspflichtig oder privat pflegeversichert sind, ein Beitrittsrecht zur sozialen Pflegeversicherung einzuräumen. Ein solches Beitrittsrecht begegnet jedoch, selbst wenn es mit Inkrafttreten des SGB XI nur zeitlich begrenzt eingeräumt worden wäre, seinerseits gemessen an Art 3 Abs. 1 GG Bedenken. Von einem solchen Beitrittsrecht würden nur Personen Gebrauch machen, bei denen Pflegebedürftigkeit bereits eingetreten ist oder ihr baldiger Eintritt abzusehen ist. Von den anderen Berechtigten wäre ein Beitritt nicht zu erwarten, weil sie sich bisher nicht einmal gegen das höhere Risiko der Krankheit versichert haben. Damit hätte der Gesetzgeber durch ein allgemeines Beitrittsrecht die Versicherungspflichtigen, die nach anderen, risikounabhängigen Merkmalen ausgewählt sind, allein mit den „Risikofällen” der bisher nicht versicherten Gruppe belastet. Dieses durfte er vermeiden.

Behinderte wie der Kläger sind nicht ungerechtfertigt benachteiligt, wenn ihnen wegen der Behinderung kein Beitritt zur sozialen Pflegeversicherung eröffnet ist. Ein Beitrittsrecht gebietet auch das Benachteiligungsverbot für Behinderte in Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht. Behinderte sind durch zahlreiche Vorschriften in die gesetzliche Krankenversicherung und damit in die soziale Pflegeversicherung einbezogen. Behinderte in Werkstätten oder in Anstalten und Heimen sind nach Maßgabe der § 5 Abs. 1 Nrn 7, 8 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nrn 7, 8 SGB XI versicherungspflichtig. Behinderte Kinder eines Mitglieds sind unter bestimmten Voraussetzungen ohne Altersgrenze familienversichert (§ 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB V und § 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB XI, vgl. auch Art 40 PflegeVG); sie haben bei Erlöschen der Familienversicherung ein Recht zur freiwilligen Versicherung in der Krankenversicherung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) und werden bei Ausübung dieses Rechts nach § 20 Abs. 3 SGB XI in der Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Für die Krankenversicherung bestanden vor dem Inkrafttreten des SGB V im Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 (BGBl. I S. 1061 ≪SVBG≫) und in der Reichsversicherungsordnung (RVO) vergleichbare Vorschriften: §§ 1 und 2 SVBG zur Versicherungspflicht der in Werkstätten beschäftigten Behinderten; § 205 Abs. 3 Satz 2 RVO (idF des Art 2 § 1 Nr. 4 SVBG) und später § 205 Abs. 3 Satz 4 RVO (idF des § 1 Nr. 11 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Studenten vom 24. Juni 1975 ≪BGBl. I S. 1536≫) zum Anspruch auf Familienhilfe für behinderte Kinder ohne Altersgrenze; § 176b Abs. 1 Nr. 2 RVO (eingefügt durch § 21 Nr. 3 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes vom 7. August 1974 ≪BGBl. I S. 1882≫) zum Recht auf Weiterversicherung nach Erlöschen des Familienhilfeanspruchs. Beim Kläger des vorliegenden Verfahrens wurde allerdings durch diese Regelungen ein dauernder Krankenversicherungsschutz nicht begründet, weil die Vorschriften bei ihrer Einführung Personen in seinem Alter nicht mehr erfaßten oder er sonst ihre Voraussetzungen nicht erfüllte. Als er nach seinem Vorbringen im Alter von 27 Jahren (dh 1947) aus der Mitversicherung bei seinem Vater ausschied, gab es eine unbegrenzte Mitversicherung für behinderte Kinder oder ein Beitrittsrecht bei Ende der Mitversicherung noch nicht.

Trotzdem bestand auch für den Kläger zeitweise ein Recht, der gesetzlichen Krankenversicherung beizutreten. Soweit Schwerbehinderte wie er nicht schon nach den genannten anderen Vorschriften versichert waren, konnten sie der gesetzlichen Krankenversicherung seit dem 1. Juli 1975 beitreten (§ 176c RVO, eingefügt durch Art 2 § 1 Nr. 2 SVBG; heute § 9 Abs. 1 Nr. 4 SGB V). Ein solcher Beitritt löst seit 1995 Pflegeversicherungspflicht aus (§ 20 Abs. 3 SGB XI). Das Beitrittsrecht ist seit 1982 zwar fristgebunden (vgl. § 176c Satz 1 RVO i.d.F. des Art 1 Nr. 1 des Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetzes vom 22. Dezember 1981 ≪BGBl. I S. 1578≫; heute § 9 Abs. 2 Nr. 4 SGB V), jedoch weiterhin so ausgestaltet, daß nach Feststellung der Behinderung grundsätzlich jeder der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten kann, der dies wegen der Behinderung vorher nicht konnte. Der Gesetzgeber hat damit in der Vergangenheit für Schwerbehinderte die gesetzliche Krankenversicherung weit geöffnet. Auch der Kläger hätte als Schwerbehinderter jedenfalls von Juli 1975 bis Juni 1976 trotz seines Alters von damals 55 Jahren Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werden können. Die später nach § 176c Satz 2 RVO (heute § 9 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 SGB V) zulässige Satzungsregelung über eine Altersgrenze für den Beitritt durfte bis zum 1. Juli 1976 nicht eingeführt werden (vgl. Art 3 § 1 SVBG). Der Gesetzgeber konnte demnach für Behinderte davon ausgehen, daß sie sich in der Regel gegen das Risiko der Krankheit abgesichert hatten, wenn sie hierfür einen Bedarf sahen. Dabei ist dem Kläger eine Entscheidung seines Vormunds zuzurechnen. Wenn dieser, wie der Kläger geltend macht, das gesetzliche Beitrittsrecht nicht gekannt haben sollte, so war der Gesetzgeber deswegen verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, ein Beitrittsrecht zur sozialen Pflegeversicherung einzuräumen.

Hiernach hat der Senat von einer Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs. 1 Satz 1 GG abgesehen und die Revision zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 605821

BSGE, 168

NJW 1998, 2766

NZS 1998, 338

SozSi 1998, 276

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