Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 25.11.1988)

SG Bayreuth (Urteil vom 30.09.1987)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 1988, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 30. September 1987 sowie der Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1986 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 30. November 1981 und 11. Oktober 1982 verurteilt, dem Kläger ein Krankengeld für die Zeit vom 21. November 1981 bis 30. September 1982 von kalendertäglich 77,34 DM und für die Zeit vom 1. Oktober 1982 bis 8. April 1983 von kalendertäglich 81,79 DM zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Krankengeldes.

Der als Treuhandgehilfe bei einer Steuerbevollmächtigten-Kanzlei angestellte Kläger wurde am 10. Oktober 1981 wegen Schreibkrampfund Erschöpfungssyndrom arbeitsunfähig krank geschrieben. Die beklagte Krankenkasse gewährte ihm – nach vorangegangener Gehaltsfortzahlung – vom 21. November 1981 bis 8. April 1983 Krankengeld, und zwar zunächst kalendertäglich in Höhe von 69,24 DM und ab 1. Oktober 1982 in Höhe von 73,23 DM (Mitteilungen vom 30. November 1981 und 11. Oktober 1982).

Ein bezüglich der Höhe des Krankengeldes anhängiges sozialgerichtliches Verfahren beendeten die Beteiligten durch einen außergerichtlichen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, ihre bisherigen Entscheidungen gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) zu überprüfen und die Krankengeldberechnung aufzuschlüsseln. Daraufhin erging der Bescheid vom 17. Februar 1986, mit dem die Beklagte die Gewährung eines höheren Krankengeldes ablehnte, da diese Leistung das Nettoarbeitsentgelt nicht überschreiten dürfe. Zur Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts sei vom Bruttoarbeitsentgelt aber auch der Betrag abzuziehen, der für den Kläger im Falle der Versicherungspflicht monatlich an die Rentenversicherung abzuführen wäre. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 21. Mai 1986 zurück.

Die auf höheres Krankengeld gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteile vom 30. September 1987 und 25. November 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinen Entscheidungsgründen ua ausgeführt: Eine Rücknahme der Krankengeldbescheide vom 30. November 1981 und 11. Oktober 1982 und eine Neufeststellung nach § 44 SGB X komme nicht in Betracht. Die Beklagte habe das Krankengeld richtig berechnet. Nach § 182 Abs 4 Satz 1 iVm Abs 5 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) betrage der Regellohn beim Kläger 96,67 DM, nämlich den 30. Teil des im September 1981 erzielten Monatsgehaltes von 2.900,– DM. Da das Krankengeld den Betrag des entgangenen Nettoarbeitsentgelts nicht überschreiten dürfe (§ 182 Abs 4 Satz 1 2. Halbsatz RVO aF), ergebe sich indessen eine Einschränkung. Was unter Nettoarbeitsentgelt zu verstehen sei, habe der Gesetzgeber nicht definiert. Es handele sich dabei um keine selbständige Berechnungsgröße, sondern um das Bruttoarbeitsentgelt, vermindert um die gesetzlichen Abzüge. Es beständen jedoch keine Bedenken dagegen, daß die Beklagte unter den gesetzlichen Abzügen auch die Versicherungsbeiträge in Ansatz bringe, die der Kläger statt der Sozialversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Angestellten-Rentenversicherung privat für seine Altersvorsorge zu entrichten habe. Der dafür von ihm aufgewandte freiwillige Betrag übersteige denjenigen, den er als Pflichtversicherter zuletzt zu zahlen gehabt hätte, nämlich 9,25 % von 2.900,– DM = 268,25 DM an Pflichtbeiträgen (§ 112 Abs 1 und Abs 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-). Die Beklagte habe zu Recht die Versicherungsbeiträge nicht in voller Höhe berücksichtigt, sondern nur bis zu der Höhe, wie sie vom Kläger als Pflichtversicherter zu tragen gewesen wären. Dies entspreche dem Gesetzessinn. Danach würden Versicherte, die wie der Kläger von der Versicherungspflicht der Rentenversicherung nach § 7 Abs 1 AVG bzw nach Art 2 §§ 1 bis 1c Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) befreit seien, den Versicherungspflichtigen insoweit gleichgestellt, als sie gemäß § 113 AVG Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß in gleicher Höhe hätten. Diese Gleichstellung dort rechtfertige die Gleichstellung bei der Berechnung des Nettoarbeitsentgelts. Dagegen könne der Kläger auch nicht mit Erfolg einwenden, er müsse während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die Beiträge zu seiner privaten Lebensversicherung und zur freiwilligen Angestelltenversicherung weiterzahlen, während für Pflichtversicherte die Beitragszahlung entfalle und bei der Rentenberechnung später eine Ausfallzeit nach § 1236 Abs 1 RVO angerechnet werde.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 182 RVO und des Art 3 des Grundgesetzes (GG). Die Vorinstanzen hätten nicht nur den Begriff des Nettoarbeitsentgelts verkannt, sondern auch den im Rentenrecht geltenden Grundsatz der Beitragsbezogenheit der Leistung mißachtet. Unter den gesetzlichen Abzügen zur Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts dürften nämlich nicht die Versicherungsbeiträge in Ansatz gebracht werden, die er, der Kläger, zur Angestelltenversicherung zu tragen hätte, wenn er nicht von der Versicherungspflicht befreit wäre. Eine entsprechende gesetzliche Regelung gebe es nicht. Eine derartige Norm würde sich auch vom Wortlaut her widersprechen. Denn wenn ein Arbeitnehmer von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sei, habe er auch keine gesetzliche Pflicht mehr, vom Arbeitsentgelt Abzüge hinnehmen zu müssen. Was aber zwischen dem von der Versicherungspflicht befreiten Arbeitnehmer und der gesetzlichen Rentenversicherung bzw dem Arbeitgeber als bindend wirke, müsse auch bei der Berechnung des Krankengeldes gelten. Da keine gesetzliche Pflicht zur Zahlung von Beiträgen an die gesetzliche Rentenversicherung mehr bestehe, könne es sich aufgrund der Befreiung auch nicht mehr um gesetzliche Abzüge handeln. Auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise führe zu keinem anderen Ergebnis. Bei der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung erhalte der Versicherte nicht nur ein niedrigeres Krankengeld, sondern müsse seinerseits zusätzlich mindestens den gleichen Betrag noch einmal aufwenden, um seine private Altersversorgung aufrechtzuerhalten. Es erfolge wirtschaftlich somit eine doppelte Anrechnung, einmal bei der Berechnung des Krankengeldes und ein weiteres Mal durch die Weiterzahlung der Prämie an das private Versicherungsunternehmen. Da es aber die Aufgabe des Krankengeldes sei, das durch die Arbeitsunfähigkeit wegfallende Arbeitsentgelt zu ersetzen und dem Versicherten und seinen Angehörigen auch während einer Krankheit eine angemessene Lebenshaltung zu sichern, dürfe die Anrechnung nur einmal erfolgen. Ein sinnvoller Ausgleich sei nur in der Nichtberücksichtigung des Beitrags bei der Berechnung des Krankengeldes zu sehen. Die Berechnung der Beklagten lasse sich auch nicht mit dem Gleichheitssatz des Art 3 GG in Einklang bringen. Die strittige Zeit dürfe nur dann als Ausfallzeit berücksichtigt werden, wenn eine Halbbelegung gegeben sei. Gerade hieran fehle es aber im vorliegenden Falle. Wenn die Beklagte gleichwohl Beiträge vom Krankengeld abziehe, obwohl für diese Beiträge die Ausfallzeit nicht angerechnet werden könne, verstoße sie gegen den Grundsatz der Beitragsbezogenheit der Leistung und somit auch gegen Art 3 GG. Der Versicherte werde in einem solchen Falle gegenüber anderen Versicherten benachteiligt. Einerseits werde er mit Beiträgen belastet, andererseits erhalte er aber kein Äquivalent in Gestalt von Rentenanwartschaften.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 1988, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 30. September 1987 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1986 aufzuheben sowie unter Abänderung der Bescheide vom 30. November 1981 und 11. Oktober 1982 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Krankengeld für die Zeit vom 21. November 1981 bis 30. September 1982 von kalendertäglich 77,34 DM und für die Zeit vom 1. Oktober 1982 bis 8. April 1983 von kalendertäglich 81,79 DM zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Nur die vom LSG vorgenommene Auslegung ermögliche eine Gleichbehandlung der Versicherten. Die Gründe, die den Gesetzgeber zur Einführung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung bewogen hätten, dürften nicht zu einer Bevorzugung dieses Personenkreises bei der Gewährung von Krankengeld führen. Hätte der Gesetzgeber dies beabsichtigt, wäre es bei der Neuregelung des § 182 RVO zum 1. Januar 1983 und der Einführung des § 47 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zum 1. Januar 1989 zum Ausdruck gekommen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision hat Erfolg. Dem Kläger steht für die streitige Zeit ein höheres Krankengeld zu.

Bei den „Mitteilungen” vom 30. November 1981 und 11. Oktober 1982 handelt es sich um Verwaltungsakte (§ 31 SGB X). Mit ihnen hat die Beklagte – wenn auch ohne Aufschlüsselung der Berechnung – das Krankengeld für die Zeit vom 21. November 1981 bis 8. April 1983 festgesetzt. Die „Mitteilungen” regeln damit einen Einzelfall auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts und sind auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Da die Bescheide keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten und nicht innerhalb eines Jahres gegen sie Widerspruch eingelegt wurde, sind die Verwaltungsentscheidungen in der Sache gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden. Der Kläger kann jedoch ihre Änderung nach § 44 SGB X verlangen. Denn die Beklagte hat das Recht unrichtig angewandt und dem Kläger einen Teil des ihm zustehenden Krankengeldes nicht erbracht. Bei der Berechnung des Krankengeldes ist die Höchstgrenze für diese Leistung – das Nettoarbeitsentgelt – fehlerhaft ermittelt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen darf zur Feststellung des Nettoarbeitsentgelts vom Bruttoarbeitsentgelt nicht auch der Betrag abgezogen werden, den der Kläger, wenn er versicherungspflichtig wäre, als Arbeitnehmeranteil zur Rentenversicherung entrichten müßte.

Die Krankengeldberechnung richtet sich hier nach Abschnitt F Leistungen – Unterabschnitt Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit Ziffer 2 – der Versicherungsbedingungen der beklagten Krankenkasse und den damit inhaltlich übereinstimmenden Vorschriften des § 182 Abs 4 Satz 1 RVO idF vor Änderung durch Art 2 Nr 3b des Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 (Rentenanpassungsgesetz 1982) vom 1. Dezember 1981 (BGBl I, 1205) bzw des § 182 Abs 4 Sätze 1 und 2 RVO idF des Rentenanpassungsgesetzes 1982 – jeweils iVm § 182 Abs 5 RVO – (vgl die ab 1. Januar 1989 geltende Regelung des § 47 Abs 1 SGB V).

Auf der Grundlage dieser Bestimmungen gehen die Beteiligten übereinstimmend zu Recht davon aus, daß dem Kläger nach dem im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum (September 1981) erzielten Arbeitsentgelts von 2.900,– DM gemäß § 182 Abs 4 und Abs 5 RVO ein kalendertägliches Krankengeld von 77,34 DM zustehen würde, das 80 vH des Regellohns entspricht (2.900,– DM: 30 = 96,67 DM; davon 80 vH = 77,34 DM). Das Krankengeld darf aber nur in dieser Höhe gewährt werden, wenn der errechnete Betrag das regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht überschreitet. Was man unter dem Nettoarbeitsentgelt zu verstehen hat, ist weder in den Versicherungsbedingungen noch in der RVO definiert. § 14 Abs 2 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IV), dessen Gemeinsame Vorschriften (Erstes Kapitel) auch für die gesetzliche Krankenversicherung gelten (§ 1 Abs 2 SGB IV), macht indessen deutlich, daß es sich bei dem Nettoarbeitsentgelt um den Betrag des Arbeitsentgelts handelt, der nach Abzug der Steuern und des auf den Arbeitnehmer entfallenden gesetzlichen Anteils der Beiträge zur Sozialversicherung und seines Beitrags zur Bundesanstalt für Arbeit verbleibt. Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung zur Krankengeldberechnung (BSGE 35, 126, 129; ebenso Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II § 182 Anm 16f mN; abweichend Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, S 392g – 59. Nachtrag – und Krauskopf, 3. Aufl, § 47 SGB V RdNr 6 – jeweils unter Hinweis auf die Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 2. Dezember 1980, DOK 1981, 387 = BKK 1981, 128 – sowie Höfler in Kasseler Kommentar, § 47 SGB V RdNr 6 unter Hinweis auf das hier angefochtene Urteil des LSG). Mit der Begrenzung des Krankengelds auf das Nettoarbeitsentgelt will der Gesetzgeber verhindern, daß der Versicherte während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit effektiv ein höheres Einkommen hat als vorher (BSGE 35, 126, 129; vgl auch Höfler, aaO, RdNr 4). Sein Einkommen darf sich im Krankheitsfalle aber auch nicht wesentlich mindern. Das Krankengeld soll anstelle des Lohnes den Unterhalt des Erkrankten sichern (BSGE 5, 283, 287, 288; 18, 236, 238) und gewährleisten, daß sein Lebensstandard nicht infolge der Erkrankung absinkt (BSGE 61, 66, 72f).

Da der Kläger von der Versicherungspflicht befreit ist, muß er keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichten. Die gewährte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht war nach Art 2 § 1 Abs 1 Buchstabe b AnVNG davon abhängig, daß der Angestellte mit einem öffentlichen oder privaten Versicherungsunternehmen für sich oder seine Hinterbliebenen einen Versicherungsvertrag für den Fall des Todes und des Erlebens des 65. oder eines niedrigeren Lebensjahres bis zum 30. Juni 1968 mit Wirkung vom 1. Januar 1968 oder früher abgeschlossen hatte und für diese Versicherung mindestens ebensoviel aufgewendet wird, wie für ihn Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen wären. Damit beruht jedenfalls der Abschluß eines Lebensversicherungsvertrages mit einem privaten Versicherungsunternehmen auf gesetzlicher Pflicht, so daß es naheliegen könnte, die von der Versicherungspflicht befreiten mit den versicherungspflichtigen Angestellten – soweit es um die Höhe des Krankengeldes geht – gleichzustellen. Dem steht jedoch die gesetzliche Regelung – insbesondere § 14 Abs 2 SGB IV – entgegen. Denn bei der Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts sind neben den Steuern und dem Beitrag zur Bundesanstalt für Arbeit nur Beiträge zur Sozialversicherung vom Bruttoarbeitsentgelt abzuziehen. Den Abzug von Prämien zu einer privaten Lebensversicherung sieht das Gesetz nicht vor. Es enthält auch keine Regelung, daß anstelle oder jedenfalls bis zur Höhe solcher Prämien der Betrag abzuziehen wäre, der als gesetzlicher Anteil des Krankengeldberechtigten an die Rentenversicherung abgeführt werden müßte, wenn der Angestellte der Versicherungspflicht unterläge.

Der Senat hat daher geprüft, ob der Gesetzgeber bei der Schaffung der Bestimmungen über die Befreiung von der Versicherungspflicht oder während der parlamentarischen Beratungen des § 14 Abs 2 SGB IV die Auswirkungen für die Krankengeldberechnung erörtert hat. Das ist – soweit ersichtlich – nicht der Fall. Denn in den Gesetzesmaterialien (s zB BT-Drucks 7/5457, S 4 zur Begründung des Vorschlages, durch den es zur Einfügung des Abs 2 in § 14 des Entwurfs des SGB IV kam) findet sich kein entsprechender Hinweis. Dieser Umstand muß allerdings noch nicht bedeuten, daß eine Gesetzeslücke vorliegt. Gegen die Annahme einer Lücke spricht, daß der Versicherte im Falle der Arbeitsunfähigkeit finanziell so dastehen soll, wie er vor der Erkrankung gestanden hat. Dies würde beim Abzug eines Betrages in Höhe des fiktiven Arbeitnehmeranteils eines Rentenversicherungspflichtigen vom Bruttoarbeitsentgelt nicht erreicht. Denn der von der Versicherungspflicht Befreite würde dann zwar ein gleichhohes Krankengeld wie ein Versicherungspflichtiger erhalten, müßte aber – soweit nicht eine Unterbrechung der Zahlungspflicht vereinbart ist – die Prämien für die private Lebensversicherung auch für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit aufbringen, während der Versicherungspflichtige nach der hier anwendbaren Regelung, die bis zur Einfügung des § 112b AVG durch Art 2 Nr 30 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I, 1532) mit Wirkung vom 1. Januar 1984 gegolten hat, keine Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten hatte.

Aber selbst wenn man davon ausgeht, daß eine Gesetzeslücke gegeben ist (vgl dazu BSGE 60, 176, 178 mwN = SozR 2600 § 57 Nr 3), steht damit noch nicht fest, daß diese Lücke durch die Rechtsprechung ausgefüllt werden darf. Sind nämlich verschiedenartige gesetzliche Regelungen denkbar, die einer näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedürften, kommt eine Lückenausfüllung durch richterliche Rechtsfortbildung nicht in Betracht. Ein gesetzgeberischer Plan, der vollendet oder richtiggestellt werden könnte, ist dann insoweit nicht zu erkennen (BSGE 56, 201, 206 f = SozR 4100 § 141b Nr 31). Ein solcher Fall liegt hier vor. Es sind nämlich, anders als die Beklagte dies sieht, mehrere Lösungsmöglichkeiten denkbar: So könnte der Gesetzgeber es als sozialpolitisch wünschenswert ansehen, versicherungspflichtige und von der Versicherungspflicht befreite Angestellte hinsichtlich der Höhe des zu gewährenden Krankengeldes gleich zu behandeln. Hierzu wäre er im Rahmen des ihm eingeräumten weiten Ermessens berechtigt, ohne gegen Art 3 Abs 1 GG zu verstoßen. Der Gleichheitssatz verbietet nur, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Welche Elemente des zu regelnden Sachverhalts dabei so bedeutsam sind, daß ihrer Gleichheit oder Verschiedenheit bei der Ausgestaltung der Regelung Rechnung getragen werden muß, hat grundsätzlich der Gesetzgeber zu entscheiden, sofern nicht schon die Verfassung selbst Wertungen enthält, die dann auch den Gesetzgeber binden (BSGE 58, 134, 142 mN aus der Rechtsprechung des BVerfG = SozR 2200 § 385 Nr 14). Die Gleichbehandlung beider Gruppen ließe sich möglicherweise damit rechtfertigen, daß die Befreiung eines Versicherungspflichtigen von der Rentenversicherungspflicht und die Altersvorsorge durch Abschluß einer Lebensversicherung dem Arbeitnehmer eine Reihe von Vorteilen bringt und daß dies der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten keine Mehrbelastungen bringen darf. Das gesetzgeberische Ermessen würde aber auch nicht überschritten, wenn im Hinblick auf das Lebensstandardprinzip eine Regelung getroffen würde, nach der der von der Versicherungspflicht Befreite wegen der Pflicht zur Fortzahlung der Prämien einen pauschalierten Zuschlag zum Krankengeld erhält. Der Gesetzgeber könnte sich aber schließlich – um noch ein weiteres Beispiel zu nennen – dafür entscheiden, nur einen (Teil-)Betrag der Prämien für die private Lebensversicherung für abzugspflichtig zu erklären, der unter dem fiktiven Arbeitnehmeranteil liegt, den der Angestellte zur Rentenversicherung zu entrichten hätte, wenn er versicherungspflichtig geblieben wäre. Für eine solche Lösung spräche, daß der von der Versicherungspflicht Befreite für eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit jedenfalls dann keine Leistungen aus der Rentenversicherung erwarten kann, wenn er – zB infolge der Befreiung von der Versicherungspflicht – die Halbbelegung nicht erreicht hat und nicht mehr erreichen kann und deshalb – anders als der Versicherungspflichtige – für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht den Vorteil einer rentenrechtlichen Ausfallzeit (§ 36 Abs 1 Nr 1 und Abs 3 AVG) erlangt.

Ob der Arbeitgeber für bestimmte Versichertengruppen, die von der Versicherungspflicht befreit sind, nach § 113 AVG den Beitragsanteil zu entrichten hat, den er entrichten müßte, wenn der Versicherte versicherungspflichtig wäre, spielt in diesem Zusammenhang rechtlich keine Rolle. Es geht bei der Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts – entgegen der Auffassung des LSG – nicht um die Aufwendungen, die der Arbeitgeber zu erbringen hat, sondern allein um den Betrag, den der Arbeitnehmer im Falle der Versicherungspflicht als Arbeitnehmeranteil zu tragen hätte. Ist es demnach dem Senat – vorausgesetzt, daß überhaupt eine Gesetzeslücke vorliegt – verwehrt, im Wege ergänzender Rechtsfortbildung anzunehmen, daß bei der Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts ein fiktiver Arbeitnehmeranteil abgezogen werden darf, so erhöht sich – abweichend von der Berechnung der Beklagten – das Nettoarbeitsentgelt um 268,25 DM auf 2.345,35 DM. Pro Kalendertag ergäbe sich damit ein Betrag von 78,18 DM (2.345,35 DM: 30 Kalendertage = 78,178 DM). Dieser liegt höher als 80 vH des Regellohns (= 77,34 DM kalendertäglich), so daß die Nettoarbeitsentgeltgrenze nicht zu einer Kürzung führt und dem Kläger deshalb für die Zeit vom 21. November 1981 bis zum 30. September 1982 ein Krankengeld von kalendertäglich 77,34 DM zu gewähren ist und für die Zeit vom 1. Oktober 1982 bis 8. April 1983 von kalendertäglich 81,79 DM (5,76 % von 77,34 DM = 4,45 DM + 77,34 = 81,79 DM; § 182 Abs 8 RVO iVm Art 1 § 3 Rentenanpassungsgesetz 1982; vgl dazu Peters, aaO, § 182 Anm 22, Maier-Kaufmann in Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, Art 1 RAG Erl I).

Da die Bescheide der Beklagten vom 30. November 1981 und vom 11. Oktober 1982 das dem Kläger zustehende Krankengeld unrichtig festgesetzt haben, sind sie in Anwendung des § 44 SGB X zu ändern und die die Rücknahme dieser Bescheide ablehnende Verwaltungsentscheidung vom 17. Februar 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1986 sowie die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben. Auf die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, dem Kläger das begehrte höhere Krankengeld für die streitige Zeit zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 139

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