Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Arbeitslosigkeit. Beschäftigungslosigkeit. selbstständige Tätigkeit von 17 Wochenstunden. Teilarbeitslosengeldanspruch. versicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung. Verfassungsmäßigkeit. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die übergangslose Abschaffung des Selbstständigenprivilegs, wonach die Fortführung einer mindestens 15 Stunden, aber weniger als 18 Stunden wöchentlich umfassenden selbstständigen Tätigkeit Beschäftigungslosigkeit nicht ausschloss (§ 118 Abs 3 S 2 SGB 3), zum 1.1.2005 ist weder unter Gleichbehandlungs- noch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten zu beanstanden.

2. Teilarbeitslosigkeit liegt nicht vor, wenn eine neben einer selbstständigen Tätigkeit ausgeübte versicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung beendet wird.

 

Orientierungssatz

Ein Leistungsanspruch ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

 

Normenkette

SGB 3 § 118 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1997-12-16; SGB 3 § 119 Abs. 3 S. 1 Fassung: 2003-12-23; SGB 3 § 150 Abs. 2 Nr. 1; SGB 3 § 443j; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 03.09.2008; Aktenzeichen L 12 AL 54/07)

SG Düsseldorf (Gerichtsbescheid vom 09.05.2007; Aktenzeichen S 13 (20) AL 106/06)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger neben der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit von mindestens 17 Stunden wöchentlich ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) oder auf Teil-Alg zusteht.

Der Kläger bezog von der Beklagten bis 14. Mai 2003 Arbeitslosenhilfe. Zwischen dem 1. Juni 2003 und dem 31. Mai 2006 förderte die Beklagte durch die Gewährung eines Existenzgründungszuschusses eine selbständige Tätigkeit des Klägers von mehr als 15 Stunden wöchentlich als Einzelhandelskaufmann (Handel mit Eisenbahnmodellen). Während dieser Zeit übte der Kläger ohne vorherige Kontaktaufnahme mit der Beklagten zusätzlich eine beitragspflichtige Beschäftigung vom 30. August 2004 bis zum 15. Januar 2006 aus, zuletzt als Versandmitarbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden. Diese Tätigkeit wurde durch den Arbeitgeber gekündigt.

Am 16. Mai 2006 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Er gab an, neben seiner selbständigen Tätigkeit, die er montags, mittwochs, donnerstags und freitags jeweils für dreieinhalb Stunden und samstags für drei Stunden ausübe, könne er 20 Stunden wöchentlich abhängig beschäftigt tätig sein. Eine Verkürzung der Ladenöffnungszeiten sei ihm aber nicht möglich, so dass er sein Gewerbe nicht auf einen Nebenerwerb ummelden und es unter 15 Stunden wöchentlich ausüben könne. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Alg mit der Begründung ab, nach der gesetzlichen Regelung liege Arbeitslosigkeit bei Ausübung einer selbständigen Tätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich nicht vor (Bescheid vom 25. Juli 2006, Widerspruchsbescheid vom 21. August 2006).

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen angeführt, Voraussetzung für die Gewährung von Alg sei ua das Vorliegen von Arbeits- bzw Beschäftigungslosigkeit, welche nach § 119 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) nur dann nicht ausgeschlossen sei, wenn die selbständige Tätigkeit weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasse. Der Kläger übe unstreitig eine selbständige Beschäftigung von mehr als 15 Stunden wöchentlich aus. Damit sei er weder beschäftigungs- noch arbeitslos. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass er in der Vergangenheit neben seiner in diesem Umfang ausgeübten selbständigen Tätigkeit beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei. Die Ausnahmeregelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III, nach der die Fortführung einer mindestens 15 Stunden wöchentlich, aber weniger als 18 Stunden wöchentlich umfassenden selbständigen Tätigkeit Beschäftigungslosigkeit nicht ausschließe, sei zum 1. Januar 2005 ersatzlos gestrichen worden. Leistungen aufgrund von Beitragszahlungen aus Anlass seiner früheren Teilzeitbeschäftigung stünden dem Kläger zu, wenn er seine selbständige Tätigkeit aufgebe oder ihren Umfang auf weniger als 15 Stunden wöchentlich reduziere (Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2007).

Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen und zusätzlich angeführt, auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs könne die Regelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III nicht weiter oder entsprechend angewendet werden. Ein Kontakt zur Beklagten habe wegen der Aufnahme der bisherigen Teilzeitbeschäftigungen nicht stattgefunden. Anlass zur Spontanberatung habe nicht bestanden. Zudem sei völlig offen, was der Kläger getan hätte, wenn er über die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2005 und die möglichen Folgen für ihn belehrt worden wäre. Dies könne aber dahinstehen, da über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht die Tatsache ungeschehen gemacht werden könne, dass der Kläger jedenfalls 17 Stunden wöchentlich selbständig gearbeitet habe. Die 17 Stunden Öffnungszeiten des Geschäfts seien dem Kläger in jedem Fall als Arbeitszeit zuzurechnen. Auch die Gewährung von Teil-Alg nach § 150 SGB III sei nicht möglich, da der Kläger neben der - beendeten - versicherungspflichtigen Beschäftigung keine weitere versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe. Den Fall, dass die abhängige Beschäftigung bei Fortbestehen einer selbständigen Beschäftigung verloren gehe, habe der Gesetzgeber nicht geregelt und angesichts der Unterschiede zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit auch nicht regeln müssen (Urteil vom 3. September 2008).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Der Gesetzgeber habe die Regelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III nicht ersatzlos ohne Übergangsregelung für die vor dem 1. Januar 2005 begründeten Arbeitsverhältnisse und geförderten Existenzgründungen entfallen lassen dürfen. Deshalb müsse er im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in den Genuss der bisherigen Regelung kommen. Ausweislich der vorhandenen Verbis-Ausdrucke habe es zwischen dem 31. Mai und dem 16. Dezember 2005 mehrere Kontakte mit der Beklagten gegeben, anlässlich derer diese den Kläger hätte aufklären müssen. Dass ihm kein Anspruch auf Teil-Alg nach § 150 SGB III zustehe, stelle einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Der Grundtatbestand des Entfallens einer abhängigen Beschäftigung sei in beiden Fällen gleichermaßen gegeben, unabhängig davon, ob die fortgeführte Beschäftigung selbständig oder abhängig ausgeübt werde. Bleibe er ohne Leistungsanspruch, seien die Beitragszahlungen in der Vergangenheit ohne Äquivalent erbracht, da es ihm nicht wirtschaftlich sinnvoll möglich sei, seine selbständige Tätigkeit so weit einzuschränken, dass er die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch im Übrigen erfülle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2008, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. Mai 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte teilt die Auffassung der Vorinstanz.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2006 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg (dazu unter 1. und 2.). Auch steht ihm kein Anspruch auf Teil-Alg zu (dazu unter 3. und 4.). Nichts anderes folgt aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (dazu unter 5.).

1. Der Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit besteht nach § 117 Abs 1 Nr 1 SGB III iVm § 118 Abs 1 Nr 1 SGB III nur, wenn der Arbeitnehmer ua arbeitslos ist. Arbeitslosigkeit setzt gemäß § 119 Abs 1 Nr 1 SGB III Beschäftigungslosigkeit voraus. Der Kläger war indessen nicht arbeits- und beschäftigungslos. Nach § 119 Abs 3 Satz 1 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2848) schließt die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine Erwerbstätigkeit von 15 Stunden wöchentlich und mehr die Beschäftigungslosigkeit ausschließt (vgl Söhngen in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand August 2006, § 119 RdNr 37; vgl auch Gutzler in Mutschler/Barz/Schmidt-De Caluwe, SGB III, 3. Aufl 2008, § 119 RdNr 20). Nach den Feststellungen des LSG übte der Kläger in der Zeit, für die er Alg beansprucht, eine selbständige Tätigkeit von mehr als 15 Stunden wöchentlich aus. Hiervon ist mangels einer zulässigen Verfahrensrüge für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG) auszugehen, ohne dass es auf die weitergehenden Grundsätze zur Ermittlung der Kurzzeitigkeitsgrenze bei Selbständigkeit ankommt (hierzu BSG, Urteil vom 17. Oktober 2007 - B 11a AL 25/06 R, RdNr 17 mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR; zur abhängigen Beschäftigung auch BSG SozR 4-4300 § 118 Nr 2; SozR 4-4300 § 118 Nr 3).

2. Der Kläger kann sich auch nicht auf die bis zum 31. Dezember 2004 gültige Regelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III in der Fassung des Ersten SGB-III Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2970) berufen, nach der die Fortführung einer mindestens 15 Stunden wöchentlich, aber weniger als 18 Stunden wöchentlich umfassenden selbständigen Tätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen die Beschäftigungslosigkeit nicht ausschließt. Die Vorschrift war zum Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 2006 bereits - zusammen mit der damaligen Regelung des § 118 Abs 2, Abs 3 Satz 1 SGB III - durch die Neuregelung des § 119 Abs 3 SGB III ersetzt. Durch Art 1 Nr 62 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (aaO) wurden die bisherigen §§ 117-119 SGB III mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (Art 124 Abs 3) neu gefasst. Damit galt die Regelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III nur bis zum 31. Dezember 2004. Eine Übergangsregelung, nach der eine beim Inkrafttreten der Neuregelung des § 119 Abs 3 Satz 1 SGB III am 1. Januar 2005 bereits bestehende selbständige Tätigkeit ohne nachteilige Auswirkungen auf die Beschäftigungslosigkeit unter den Voraussetzungen des bisherigen § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III fortgeführt werden kann, besteht nicht. Die für das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt geschaffene Übergangsregelung des § 434j SGB III betrifft andere Sachverhalte.

Eine Fortgeltung der bisherigen Regelung - wie von der Revision gefordert - ist auch nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts nicht geboten. Dies gilt unabhängig davon, ob danach ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar ist, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden (Leistungsfall- bzw Versicherungsfallprinzip), oder ob diese Regel im Geltungsbereich des SGB III durch den Grundsatz abgelöst worden ist, dass neues Recht immer schon, aber auch noch Sachverhalte erfasst, deren maßgebliche Rechtsfolgen in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts fallen (Geltungszeitraumprinzip, vgl zuletzt BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG, Urteil vom 6. Mai 2009 - B 11 AL 4/07 R, RdNr 16, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, jeweils mwN; auch Kopp, SGb 1993, 593, 595 f). Beide Grundsätze führen im vorliegenden Fall übereinstimmend zur Nichtanwendung der Altregelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III. Denn sowohl die anspruchsbegründenden Ereignisse wie auch der Eintritt der Rechtsfolgen fallen hier in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts. Verfassungsrechtliche Grenzen, denen auch die Regeln des intertemporalen Rechts unterliegen (vgl Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, vor §§ 422 ff RdNr 5, Stand Oktober 2005 und § 434e RdNr 7, Stand Februar 2004), greifen zugunsten des Klägers nicht ein.

Insbesondere ist durch die übergangslose Abschaffung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III zum 1. Januar 2005 durch das am 27. Dezember 2003 verkündete Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (aaO) der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht verletzt. Die Aufhebung der Regelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III hat zwar mit Wirkung ab 1. Januar 2005 zu einer Einschränkung der bisher geltenden Voraussetzungen für den Alg-Leistungsbezug geführt. Eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung iS einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen (BVerfGE 11, 139, 145 f; 23, 12, 32) ist damit indessen nicht verbunden. Ob eine unechte Rückwirkung vorliegt, lässt der Senat mit Blick auf die hier erstmals zum 30. August 2004 aufgenommene Beschäftigung offen. Aber selbst wenn wegen der bereits zum 1. Juni 2003 aufgenommenen selbständigen Tätigkeit von einer unechten Rückwirkung auszugehen sein sollte, genügt die Neuregelung des § 119 Abs 3 SGB III den insoweit zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen. Regelungen, die eine unechte Rückwirkung entfalten, sind grundsätzlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (BVerfGE 95, 64, 86; 97, 378, 389; 101, 239, 263; 103, 392, 403). Dabei steht dem Gesetzgeber ein erheblicher Spielraum zur Verfügung (vgl BVerfGE 67, 1, 15; 76, 256, 359 f).

Das Interesse der Arbeitnehmer, neben einem möglichen Alg-Leistungsbezug einer selbständigen Tätigkeit auch zukünftig im bisherigen Umfang nachgehen zu dürfen, ist nicht als überwiegend schutzwürdig zu bewerten. Die Gesetzesbegründung gibt nämlich zur Neuregelung des § 119 Abs 3 Satz 1 SGB III an, dass die bislang bestehende Sonderregelung des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III, wonach die Fortführung einer mindestens 15 Stunden wöchentlich, aber weniger als 18 Stunden wöchentlich umfassenden selbständigen Tätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen Beschäftigungslosigkeit nicht ausschließt, im Interesse einer einheitlichen Rechtsgestaltung entfallen und die Arbeitsverwaltung damit zugleich von zusätzlichem Prüfaufwand entlastet werden sollte (BT-Drucks 15/1515, S 82). § 118 Abs 3 Satz 2 SGB III geht seinerseits auf eine vergleichbare Regelung des § 101 Abs 1 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zurück, welche im Zusammenhang mit der generellen Absenkung der die Beschäftigungslosigkeit ausschließenden Zeitgrenze der Erwerbstätigkeit von 18 auf 15 Stunden wöchentlich (§ 101 Abs 1 Satz 2 AFG iVm § 8 Sozialgesetzbuch Viertes Buch) als Privilegierung für Selbständige eingeführt wurde. Die darin liegende Ungleichbehandlung von Versicherten, die eine selbständige Nebentätigkeit weiterführen, gegenüber den Versicherten, die eine abhängige Nebentätigkeit fortführen, wurde schon damals in der Literatur kritisiert, aber noch als verfassungsrechtlich hinnehmbar eingestuft (Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 118 RdNr 132 f mwN, Stand August 2001). Gemessen am Ziel der Gleichbehandlung aller Versicherten und der Entlastung der Arbeitsverwaltung kann dem Bedürfnis einzelner Versicherter nach Privilegierung keinesfalls höheres Gewicht zukommen. Immerhin stand dem interessierten Personenkreis durch den zeitlichen Abstand zwischen Verkündung und Inkrafttreten mehr als ein Jahr zur Verfügung, um sich auf das neue Recht einzustellen. Dies gilt erst recht, wenn wie hier die versicherungspflichtige Beschäftigung zu einem Zeitpunkt aufgenommen wurde, als das Ende der Privilegierung der daneben möglichen Selbständigkeit bereits absehbar war. In diesem Zusammenhang stellt es - wie die Beklagte zu Recht hervorhebt - auch keinen Wertungswiderspruch dar, dass der Gesetzgeber noch ein Jahr zuvor zum 1. Januar 2003 mit der Vorschrift des § 421l SGB III den Existenzgründungszuschuss eingeführt hatte. Denn diese inzwischen wieder abgeschaffte Förderleistung diente dem Ziel, die Arbeitslosigkeit durch Unterstützung einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit zu überwinden, nicht etwa der Begünstigung einer selbständigen Tätigkeit während der Arbeitslosigkeit (vgl BSGE 101, 224 = SozR 4-4300 § 421l Nr 2 RdNr 26).

3. Ein Anspruch auf Teil-Alg setzt - sollte er zugleich im Antrag auf Alg enthalten und ein Vorverfahren durchgeführt sein - nach § 150 Abs 1 Nr 1 SGB III voraus, dass der Arbeitnehmer teilarbeitslos ist. Nach § 150 Abs 2 Nr 1 SGB III ist teilarbeitslos, wer eine versicherungspflichtige Beschäftigung verloren hat, die er neben einer weiteren versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeübt hat, und eine versicherungspflichtige Beschäftigung sucht. Hier hat der Kläger zwar zum 15. Januar 2006 seine versicherungspflichtige Beschäftigung als Versandmitarbeiter verloren. Diese hatte er jedoch nicht neben einer weiteren versicherungspflichtigen Beschäftigung, sondern neben einer nicht versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann (Handel mit Eisenbahnmodellen) ausgeübt. Damit war der Kläger nicht teilarbeitslos und hatte nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen keinen Anspruch auf Teil-Alg.

4. Die Regelung, nach der ein Anspruch auf Teil-Alg nur bei Teilarbeitslosigkeit besteht und die Teilarbeitslosigkeit den Verlust einer versicherungspflichtigen Beschäftigung voraussetzt, die neben einer anderen versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeübt wurde (§ 150 Abs 1 Nr 1, Abs 2 Nr 1 SGB III), nicht dagegen den Verlust einer versicherungspflichtigen Tätigkeit neben einer mindestens 15 Stunden wöchentlich ausgeübten selbständigen Tätigkeit erfasst, verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Zwar zeichnen sich beide Fälle neben dem Verlust der versicherungspflichtigen Beschäftigung dadurch aus, dass der Versicherte berechtigt wäre, sich dem Teilzeitarbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen (§ 120 Abs 4 SGB III). Einer rechtlichen Gleichstellung steht indessen die Zielsetzung des Teil-Alg entgegen. Denn mit dem durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl I 594) eingeführten Teil-Alg sollte dem Problem begegnet werden, dass Arbeitnehmer nach längerer paralleler Ausübung mehrerer versicherungspflichtiger Teilzeitbeschäftigungen und dem Verlust einer dieser Beschäftigungen sowie weiterer Ausübung der anderen Beschäftigung mangels Arbeitslosigkeit keine Leistungen erhalten konnten (vgl BT-Drucks 13/4941, S 146). Damit wollte der Gesetzgeber die Benachteiligung von Arbeitnehmern beseitigen, die sich durch Aufnahme von mehreren Teilzeitbeschäftigungen besonders flexibel zeigen (vgl BSG SozR 4-4300 § 150 Nr 2 RdNr 21 mwN). Das Teil-Alg sollte ausschließlich eine Lücke im System der Arbeitslosenversicherung schließen, die darin bestand, dass bis zum Inkrafttreten des SGB III (am 1. Januar 1998) der Verlust der einen von zwei versicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigungen überhaupt nicht geschützt war. Der begrenzten Zielsetzung des Lückenschlusses entspricht es daher, dass nicht nur die Verminderung der Arbeitszeit innerhalb eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses der Teilarbeitslosigkeit nicht gleichgestellt werden kann (BSGE 90, 270 = SozR 4-4300 § 150 Nr 1 RdNr 6 ff), sondern auch, dass der Verlust einer versicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung neben einer fortgeführten selbständigen Tätigkeit kein Teil-Alg auslöst. Auch wenn sich die Leistungshöhe beim Teil-Alg nur aus der verloren gegangenen Beschäftigung bestimmt (§§ 150 Abs 2, 129-139 SGB III; Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 150 RdNr 28, Stand Oktober 2005; vgl auch BT-Drucks 13/4941, S 181), war der Gesetzgeber insoweit nicht gehindert, den durch die Versicherungsfälle der Arbeitslosigkeit und der Teilarbeitslosigkeit begründeten Gesamtversicherungsschutz abweichend zu definieren. Im Übrigen ist der Kläger nicht gehindert, einen Anspruch auf Alg wie beim Verlust einer isolierten Teilzeitbeschäftigung geltend zu machen, wenn er dessen Voraussetzungen durch Reduzierung seiner selbständigen Tätigkeit herbeiführt.

5. Ein Leistungsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht unter Zugrundelegung der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verbleibt kein Raum, wenn ein eingetretener Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (BSG SozR 4-4300 § 118 Nr 2 RdNr 18 mwN). Dies ist vorliegend jedoch der Fall, weil eine Amtshandlung nicht die tatsächlich unterbliebene Reduzierung der selbständigen Tätigkeit für den streitigen Zeitraum zu ersetzen vermag. Hiervon abgesehen dürfte ein Herstellungsanspruch auch daran scheitern, dass der Kläger stets erklärt hat, seine selbständige Tätigkeit gar nicht reduzieren zu können. Wieso sich die Situation unter der Annahme einer Beratungspflicht der Beklagten anders gestaltet hätte, ist insoweit auch mit Blick auf die bis Mai 2006 bezogene Förderleistung des Existenzgründungszuschusses (§ 421l SGB III) nicht nachvollziehbar.

6. Nicht entscheidungserheblich ist in diesem Kontext die weitere Frage, ob und inwieweit das Ausmaß der versicherungspflichtigen Beschäftigung neben der selbständigen Tätigkeit dem Sinn und Zweck des überwiegend parallel bezogenen Existenzgründungszuschusses widersprochen hat (vgl § 421l Abs 3 Satz 2 SGB III; hierzu Link in Eicher/Schlegel, SGB III, § 421l RdNr 22, Stand Juni 2004).

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger mit seiner Revision vollständig unterlegen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2314108

DB 2010, 10

NJW 2010, 8

FA 2010, 256

NZA 2010, 934

NZS 2010, 696

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