Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz. Arbeitsunfall. eheliche Beistandspflicht. Mitarbeit im Unternehmen des Ehegatten. unternehmerähnlich. arbeitnehmerähnlich

 

Orientierungssatz

Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes einer Verletzten, die im Kleintransportunternehmen ihres Ehemannes bei den Büroarbeiten und als Fahrerin ausgeholfen hat und bei einer Kurierfahrt für das Unternehmen verunglückt ist.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 2; BGB §§ 1353, 1256 Abs 2

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 17.05.1988; Aktenzeichen L 3 U 41/86)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 24.10.1985; Aktenzeichen S 2 U 133/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Unfallentschädigung. Am 16. Juni 1980 geriet die Klägerin in einem von ihr gesteuerten Personenkraftwagen, dessen Halter ihr Ehemann T.   L.      (T.) war, in einer Kurve von der Fahrbahn ab und schleuderte über eine Böschung. Dabei zog sie sich ua einen Bruch des linken Oberschenkels zu, der zur Amputation des Beines führte.

Der Unfall ereignete sich auf einer Fahrt für das Kleintransportunternehmen des T. Dieser hatte 1979 mit der R.             B.          G.               e.G. (RBG) einen "Kuriervertrag" geschlossen. Darin hatte er den Transport von Belegen und Datenträgern zwischen Bankgeschäftsstellen und der RBG übernommen. In diesem Unternehmen hatte T. eine Fahrerin eingestellt und bei der zuständigen Krankenkasse gemeldet. Bei Bedarf beschäftigte er auch andere Fahrer "auf Kilometergeldbasis".

Die Klägerin bezog aufgrund eines Nieren- und Herzleidens Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Sie führte den Haushalt auch für T. sowie für ihre 1967 geborene Tochter und half daneben im Kleintransportunternehmen bei den Büroarbeiten und als Fahrerin.

Die Beklagte lehnte es ab, den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall zu entschädigen, weil die Klägerin bei dem Unfall nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe (Bescheid vom 16. Juli 1981, Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 1982).

Während das Sozialgericht (SG) Nürnberg die Beklagte zur Entschädigung verurteilt hat (Urteil vom 20. September 1982), ist der Rechtsstreit zunächst von dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) an das SG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden (Urteil vom 10. April 1984). Nach weiteren Ermittlungen hat das SG die Beklagte erneut verurteilt, den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 24. Oktober 1985). Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 17. Mai 1988): Zwar habe die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht in einem Arbeitsverhältnis zu ihrem Ehemann gestanden, aber sie sei nach dem Gepräge ihrer Tätigkeiten ausschließlich arbeitnehmerähnlich tätig geworden. Unternehmerische Tätigkeiten habe nur der Ehemann verrichtet. Selbst wenn aber die Tätigkeit der Klägerin als unternehmerähnlich bewertet werden müßte, wäre die Klägerin gemäß § 543 Abs 2 iVm § 39 Abs 1 der Satzung der Beklagten unfallversichert gewesen. Diese Satzungsvorschrift sei verfassungskonform in der Weise auszulegen, daß auch die im Unternehmen des Ehemannes mitarbeitende Ehefrau versichert sei.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG habe übersehen, daß die Klage nicht als Leistungsklage zulässig sei. Als Bezieherin einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit könne ihr kein Anspruch auf Verletztenrente mehr entstanden sein, weil ein Erwerbsunfähiger keine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit iS von § 581 Reichsversicherungsordnung (RVO) mehr erfahren könne. Im übrigen habe die Klägerin im Unternehmen des T. nicht wie eine Arbeitnehmerin gearbeitet, sondern nur eheliche Gefälligkeitshandlungen vorgenommen. Denn die Motivation für ihre Tätigkeit habe in ihrer Ehe mit T. gelegen. Außerdem sei die Mitarbeit der Klägerin unternehmerähnlich gewesen. Die Ansicht des LSG, daß ausschließlich T. in dem Kleintransportunternehmen unternehmerisch tätig geworden sei, beruhe darauf, daß das LSG den Akteninhalt nicht sorgfältig durchgesehen und berücksichtigt habe.

Die Beklagte beantragt,

die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Klägerin steht dem Grunde nach der geltend gemachte Entschädigungsanspruch wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls (§ 548 Abs 1 RVO) zu, weil sie bei ihrem Unfall nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat. Sie war im Kleintransportunternehmen des T. wie eine Arbeitnehmerin tätig geworden. Das hat das LSG zutreffend erkannt.

Im Gegensatz zu der Meinung der Beklagten ist die Klage mit dem Begehren, den Unfall als Arbeitsunfall zu entschädigen, grundsätzlich zulässig, da im Hinblick auf die schweren Unfallfolgen mit Amputation des linken Beines im Oberschenkel ein Mindestanspruch auch auf Verletztenrente (§ 581 Abs 1 Nr 2 RVO) feststeht. Tritt die gesetzliche Unfallversicherung ein, dann erfaßt sie den Versicherten mit der ihm verbliebenen Erwerbsfähigkeit, auch wenn diese von Anfang an eingeschränkt ist, und schützt den Versicherten insoweit individuell in vollem Umfang (Ausgangswert 100 vH; s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 11. Aufl, S 568b). Voraussetzung dazu ist, daß überhaupt noch eine wirtschaftlich verwertbare Erwerbsfähigkeit vorliegt (Brackmann aaO S 568d). Das ist insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei Beziehern von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit häufig der Fall und steht bei der Klägerin im Hinblick auf den erheblichen Umfang ihrer vom LSG bindend festgestellten Tätigkeiten (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) außer Zweifel (s Brackmann aaO S 568e).

Zutreffend hat das LSG erkannt, daß der Unfall der Klägerin bei einer nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

Nach den Feststellungen des LSG in dem angefochtenen Urteil erlitt die Klägerin den Unfall auf einer Betriebsfahrt für das Unternehmen des T. In diesem Unternehmen war die Klägerin regelmäßig tätig. Vor allem stellte sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Sie übernahm Kurierfahrten und verrichtete Büroarbeit. Ihre Arbeiten fügten sich so in den Betrieb ein, daß sie die einem Arbeitnehmer vorbehaltenen Tätigkeiten verrichtete und T. die dem Unternehmer vorbehaltenen, was die einfache Struktur des Unternehmens ohne weiteres zuließ. Insbesondere behielt sich T. alle den Betrieb grundsätzlich berührenden Arbeiten vor, war für die Organisation verantwortlich und stellte die Berechnungsdaten für die Vergütung der Fahrer fest. Diese Feststellungen hat die Beklagte nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen. Ihre nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 12. Oktober 1988 mit Schriftsatz vom 14. Dezember 1988 vorgebrachten Rügen waren insoweit nicht mehr zu beachten (§ 164 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Feststellungen des LSG sind deshalb für das BSG bindend (§ 163 SGG).

Danach war die Klägerin jedenfalls iS von § 539 Abs 2 RVO arbeitnehmerähnlich im Unternehmen des T. tätig. Das hat das LSG zutreffend erkannt.

Nach Art und Umfang ihrer regelmäßigen Arbeiten für das Unternehmen scheidet auch die Annahme aus, die Klägerin habe rein ehelich geprägte Gefälligkeitshandlungen verrichtet. Dazu waren die Arbeiten zeitlich viel zu umfangreich und von der Qualität her gesehen typisch für Leistungen in einem Arbeitsverhältnis (s Brackmann aaO S 475w). Zu einem echten Arbeitsverhältnis fehlte lediglich die persönliche und wirtschaftliche Arbeitnehmerabhängigkeit (s Brackmann aaO S 476). Selbst wenn die Klägerin aus ehelicher Zuneigung für T. gearbeitet haben sollte, wäre das für den Unfallversicherungsschutz unerheblich, weil es insoweit auf die Beweggründe der Arbeitsleistung nicht ankommt (Brackmann aaO S 475u).

Jedenfalls beruhte die Mitarbeit der Klägerin auch nicht auf einer ehelichen Pflicht. Aus der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) folgt zwar eine gegenseitige Beistandspflicht der Ehepartner. Die Mitarbeit im Unternehmen des anderen Ehegatten ist jedoch im Gegensatz zu der vor dem 1. Juli 1977 geltenden Fassung des § 1356 Abs 2 BGB (geändert durch das 1. EheRG vom 14. Juni 1976 - BGBl I 1421) nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben. Damit war von diesem Zeitpunkt ab eine bis dahin insoweit bestehende Verpflichtung zur Mitarbeit entfallen, als sie nach den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Ehegatten üblich war. Ob und in welchem Umfang nach wie vor eine möglicherweise auf Zwangssituationen beschränkte eherechtliche Mitarbeitspflicht besteht, bedarf keiner Entscheidung. Zwar ist die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des LSG am Unfalltag für eine andere Arbeitnehmerin des Unternehmens kurzfristig eingesprungen. Die isolierte Betrachtung dieser einzelnen Fahrt reicht jedoch nicht aus, um die rechtliche Grundlage der in Frage stehenden Mitarbeit zu beurteilen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 14; Urteil vom 27. Oktober 1987 - 2 RU 9/87 -). Vielmehr kommt es auf eine umfassende Bewertung der Mitarbeit in einem größeren zeitlichen Zusammenhang an. Danach handelte die Klägerin nicht nur aufgrund einer einmaligen Zwangssituation. Nach den Feststellungen des LSG war über diesen einmaligen Einsatz hinaus eine regelmäßige Mitarbeit der Klägerin von vornherein eingeplant. Sie war der RBG als Ersatzfahrerin für den Ehemann gemeldet. Sie fuhr nicht nur gelegentlich, sondern regelmäßig.

Da der Klageanspruch aus den §§ 547, 548, 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO begründet ist, war es dem Senat versagt, auf die hilfsweise ausgeführten, wohl erwogenen auf Art 3 Abs 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) gestützten Gründe des LSG zu § 39 Abs 1 der Satzung der Beklagten einzugehen. Darin hat die Beklagte die Unternehmerversicherung zwar auch auf die unternehmerähnlich tätigen Ehemänner, nicht aber auf die unternehmerähnlich tätigen Ehefrauen der jeweiligen Unternehmerin oder des jeweiligen Unternehmers erstreckt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1666897

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