Leitsatz (amtlich)

SGG § 153 Abs 2 S 2 betrifft nicht die zahlenmäßige Beschränkung auf nur ein Mitglied des Senats im Falle der Verhinderung, sondern die Art und Weise der Unterschriftsleistung.

 

Normenkette

SGG § 153 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 14. Mai 1953 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Kläger gegen das vorbezeichnete Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Schleswig ist - mangels Zulassung durch das Berufungsgericht - nicht statthaft, da die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) für die Statthaftigkeit einer nicht zugelassenen Revision nicht gegeben sind.

Die Kläger rügen einen wesentlichen Mangel im Verfahren (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). der darin bestehe, daß das angefochtene Urteil entgegen der Vorschrift des § 153 Abs. 2 SGG nur die Unterschrift eines der Berufsrichter - mit dem Verhinderungsvermerk für die beiden anderen - trage, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben; die Vorschrift des § 153 Abs. 2 Satz 2 SGG sehe aber die Möglichkeit eines Verhinderungsvermerks durch den Vorsitzenden oder den dienstältesten besitzenden Berufsrichter nur für ein Mitglied des Senats vor. Diese Rechtsauffassung ist irrig. Die Worte im Gesetz, "ist ein Mitglied verhindert usw." betreffen nicht, wie die Revision meint, die zahlenmäßige Beschränkung auf nur ein Mitglied im Falle der Verhinderung, sondern lediglich die Art und Weise der Unterschriftsleistung; denn mit ihnen wird nur zum Ausdruck gebracht, daß das Urteil mindestens eine der Unterschriften der mitwirkenden Berufsrichter tragen muß; dieser hat die Verhinderung eines oder auch zweier Mitglieder unter dem Urteil mit Angabe der Hinderungsgründe zu vermerken. Diese Auslegung wird auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 2 SGG gerecht: Das durch die Verkündung (§ 132 SGG) ohnehin voll wirksam gewordene Urteil soll grundsätzlich die Unterschrift aller mitwirkenden Berufsrichter tragen; im Falle der Unterschrift durch zwei oder auch nur ein Mitglied des Senats mit der gleichzeitigen Angabe des Hinderungsgrundes soll dargetan werden, daß jeder an der Unterschrift verhinderte auch an der getroffenen Entscheidung beteiligt gewesen ist. Im übrigen stellt selbst das Fehlen aller Unterschriften keinen wesentlichen Mangel im Verfahren dar. Denn das durch die Verkündung des Urteils bereits abgeschlossene Verfahren wird durch die Unterschriften der mitwirkenden Richter nicht mehr berührt; das Fehlen aller Unterschriften wäre deshalb lediglich ein Mangel des Urteils selbst, der allenfalls die Wirksamkeit der Zustellung beeinträchtigen kann. Daraus ergibt sich auch die in Rechtsprechung und Schrifttum herrschende Rechtsauffassung, daß fehlende Unterschriften jederzeit, auch noch in der Rechtsmittelinstanz, nachgeholt werden können (RG. 150 S. 148; Baumbach-Lauterbach, ZPO 25. Aufl., § 315 Anm. C).

Die Revision rügt weiter die Verletzung des § 62 SGG: Das LSG. habe das rechtliche Gehör im Sinne dieser Vorschrift dadurch versagt, daß es die gutachtliche Stellungnahme des in der mündlichen Verhandlung am 14. Mai 1958 als Sachverständigen gehörten Prof. Dr. med. A... aus Kiel nur habe mündlich vortragen lassen; dadurch sei es den Klägern verwehrt gewesen, dieser Stellungnahme entgegenzutreten. Die Rüge entbehrt jeder Grundlage. Denn ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 14. Mai 1958 war zu der mündlichen Verhandlung an diesem Tage nicht nur die Klägerin zu 1) persönlich, sondern für sie und die übrigen Kläger auch ihr Prozeßbevollmächtigter Benno U... vom Reichsbund erschienen. Für die Kläger bestand deshalb durchaus die Möglichkeit, in der mündlichen Verhandlung den - im übrigen als Anlage zur Sitzungsniederschrift schriftliche beigefügten - Ausführungen des Sachverständigen entgegenzutreten. Zudem enthält die Sitzungsniederschrift in unmittelbarem Anschluß an die Erstattung der gutachtlichen Stellungnahme durch Prof. Dr. A... den ausdrücklichen Vermerk: "Die Beteiligten verhandelten hierauf unter Wiederholung ihrer Anträge erneut zur Sache". Es ist deshalb nicht erkennbar, wie die Revision hier eine Versagung des rechtlichen Gehörs sehen will.

Die Kläger rügen auch, das LSG. habe entgegen der ihm obliegenden Amtsermittlungspflicht den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt; es sei vor seiner Urteilsfindung verpflichtet gewesen, entweder noch ein Obergutachten zu der im Streit stehenden Frage einzuholen oder aber wenigstens das Gutachten des Prof. Dr. R... (Dr. med. H) noch den schon zuvor gehörten Gutachtern Prof. Dr. B... (Dr. med. V...) und Prof. Dr. B... (Prof. Dr. K...) zur Stellungnahme vorzulegen; darüber hinaus habe es antragsgemäß noch einmal den Dr. med. E... in Itzehoe hören müssen, da dieser im Besitz von Aufzeichnungen sei, die er abzugeben nur auf Anforderung durch das Gericht bereit gewesen sei. Die Rüge geht fehl. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ohne dabei an das Vorbringen der Beteiligten und auch an etwaige Beweisanträge gebunden zu sein. Es bestimmt allein und im Rahmen seines richterlichen Ermessens die Ermittlungen und Maßnahmen, die nach seiner Beurteilung der Rechtslage zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind; sein Ermessen wird lediglich durch die Pflicht zur Aufklärung in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt (BSG. 2 S. 236). Das Gericht hat daher sorgfältig zu prüfen, ob in dem von ihm zu entscheidenden Rechtsstreit die vorhandenen Beweisunterlagen zur Entscheidung ausreichen oder ob eine weitere Beweiserhebung erforderlich ist. Im vorliegenden Falle war das LSG. entgegen der Ansicht der Revision nicht verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Für seine Würdigung standen ihm neben dem Befundbericht des Facharztes für Chirurgie Dr. P... in Kellinghusen, schriftlichen Bekundungen von Zeugen und zahlreichen ärztlichen und fachärztlichen Stellungnahmen die ausführlichen Gutachten des Pathologischen Instituts der Universität Kiel (Prof. Dr. B... und Prof. Dr. K...) vom 25. Februar 1954, der Chirurgischen Universitäts-Klinik in Heidelberg (Prof. Dr. B... und Dr. med. V...) vom 25. September 1954 und des Pathologischen Instituts der Universität Heidelberg (Prof. Dr. R... und Dr. med. H...) vom 17. März 1955 zur Verfügung; daneben lagen noch eingehende fachärztliche Gutachten des Facharztes für innere Krankheiten. Dr. med. D... (Versorgungsärztliche Untersuchungsstelle Neumünster) vom 7. Dezember 1954 und 8. September 1955 sowie Stellungnahmen der Gerichtsärzte Dr. med. H... in Itzehoe vom 28. November 1953, Dr. med. L... in Itzehoe vom 21. Juli 1955 und Prof. Dr. A... in Kiel vom 14. Mai 1958 vor. Diese umfangreichen Beweisunterlagen, zu denen u.a. auch noch die ärztliche Bescheinigung des von der Revision angeführten Dr. med. E... in Itzehoe vom 22. Juni/18. Juli 1953 und dessen gutachtliche Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG.) Schleswig am 21. Juli 1955 gehören, haben dem Berufungsgericht, wie aus dem angefochtenen Urteil zu entnehmen ist, nach Würdigung und Abwägung aller für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände ausgereicht, um den Sachverhalt als hinreichend aufgeklärt anzusehen und den Rechtsstreit zu entscheiden. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht ist dabei nicht ersichtlich. Sie kann auch nicht, wie die Revision meint, daraus hergeleitet werden, daß das LSG. nicht ein Obergutachten eingeholt oder das Gutachten des Prof. Dr. B... (Dr. H...) vom 17. März 1955 den Erstellern der zu Gunsten der Kläger sprechenden Gutachten (Prof. Dr. P... Prof. Dr. K... und Prof. Dr. B... /Dr. med. V...) zur nochmaligen Stellungnahme zugeleitet hat. Das wäre nur dann der Fall, wenn der im Zeitpunkt der Entscheidung bekannte Sachverhalt das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (BSG. in SozR. SGG § 103 Bl. Da 2 Nr. 7). Bei der Vielzahl der vorliegenden Gutachten bedurfte es aber dieser zusätzlichen Ermittlungen nicht mehr. Dasselbe gilt für die von der Revision gerügte Unterlassung der nochmaligen Anhörung des Dr. med. E... in Itzehoe, von dem bereits die ärztliche Bescheinigung vom 22. Juni/18. Juli 1953 und seine gutachtliche Stellungnahme vom 21. Juli 1955 vorlagen. Daß im übrigen das LSG. die nochmalige Anhörung des Dr. med. E... auch nicht mehr für erforderlich gehalten hat, erhellt schon daraus, daß es gemäß § 106 SGG bei den Klägern angefragt hat, ob der Antrag auf Anhörung des Dr. med. E... als solcher nach § 109 SGG, mit dem die gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes entgegen dem Willen des Gerichts erzwungen werden kann, angesehen werden solle. Nach allem hat das Berufungsgericht seine Sachaufklärungspflicht nicht verletzt.

Endlich konnte auch die Rüge einer Verletzung der prozessualen Vorschriften über die Beweiswürdigung (§ 128 SGG) keinen Erfolg haben. Nach § 128 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Danach wird durch eine mangelhafte Beweiswürdigung grundsätzlich nicht der Gang des Verfahrens, sondern der Inhalt der getroffenen Entscheidung berührt. Ein Mangel des Verfahrens in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat. Insoweit kommt insbesondere ein Verstoß gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze in Betracht (BSG. 2 S. 236 [237]). Ein solcher Mangel des angefochtenen Urteils ist jedoch nicht erkennbar. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der zum Tod führende Brustdrüsenkrebs des Ehemannes und Vaters der Kläger die Folge des von ihm geleisteten Wehrdienstes oder der durchgemachten Kriegsgefangenschaft ist, unter Würdigung der ihm vorliegenden Beweisunterlagen verneint und das Ergebnis seiner Würdigung widerspruchsfrei in den Urteilsgründen dargelegt. Wenn es sich dabei seine richterliche Überzeugung aus den zu Ungunsten der Kläger sprechenden Gutachten des Prof. Dr. R... (Dr. med. H...), des Prof. Dr. A... und des Dr. D... gebildet und diesen Gutachten angeschlossen hat, so hat es von dem ihm zustehenden Recht der freien richterlichen Beweiswürdigung in gesetzlich nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Denn die angeführten Gutachten sind, auch wenn sie von den übrigen, von der Revision als allein zutreffend bezeichneten Gutachten in der Beurteilung abweichen, in sich schlüssig und enthalten keine Widersprüche. Dabei trifft nicht zu, daß das Berufungsgericht, das die Revision vorträgt, seine eigene Auffassung in der schwierigen medizinischen Frage an die Stelle der gehörten Gutachter gesetzt habe; es hat vielmehr klar zum Ausdruck gebracht und eingehend dargelegt, daß und aus welchen Gründen es sich der - von den Klägern abgelehnten - Gruppe der ärztlichen Gutachter angeschlossen hat. Im übrigen bezieht sich die Revision bei ihren Ausführungen zu den Gutachten des Prof. Dr. R... und des Dr. D... und bei dem dabei erhobenen Vorwurf das LSG. habe unzulässigerweise diese "Parteigutachten" bei der Urteilsfindung verwertet, zu Unrecht auf den Beschluß des 2. Senats des BSG. vom 23. September 1957 - Az. 2 RU 113/57 - (SozR. SGG § 118 Bl. Da 1 Nr. 3). Es trifft zwar zu, daß es sich bei diesen Gutachten nicht um Beweismittel im Sinne des Beweises durch Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO) handelt. Aus dem angefochtenen Urteil ist aber auch nicht ersichtlich, daß das LSG. die Gutachten des Prof. Dr. R... und des Dr. D... als "Sachverständigengutachten" gewertet oder ihre Natur "verkannt" hat. Dazu gilt noch folgendes: Zu Beweiserhebungen sind nur die Gerichte befugt. Jedoch ist es allen Beteiligten unbenommen, ein vom Gericht eingeholtes Gutachten nicht nur mit eigenen Ausführungen, sondern auch mit sogenannten Privatgutachten anzugreifen. Die Gerichte sind nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, solche ihnen im Rahmen des Vorbringens der Beteiligten vorgelegten Gutachten zu würdigen; denn sie haben sich ihre richterliche Überzeugung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden (§ 128 Abs. 1 SGG). Das LSG. hat danach nicht gegen die Vorschrift des § 128 SGG verstoßen, wenn es sich auch mit den vom Beklagten vorgelegten Gutachten auseinandergesetzt und schließlich nach eingehender Würdigung und Abwägung sich ihnen angeschlossen hat.

Danach liegen die gerügten Verfahrensverstöße nicht vor. Da darüber hinaus eine Verletzung des Gesetzes bei Beurteilung der Zusammenhangsfrage im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht geltend gemacht worden ist, ist die Revision der Kläger nicht statthaft. Sie war nach der Vorschrift des § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwehdung des § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324021

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