Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 17.12.1996; Aktenzeichen L 8 Ar 196/96)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Dezember 1996 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger ist mit dem Begehren, den Jahresarbeitsverdienst (JAV), der der Berechnung der ihm vom Beklagten wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 22. September 1972 gewährten Verletztenrente zugrundeliegt, zu erhöhen, ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 3. September 1993 idF des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 1993; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 30. März 1995 sowie Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 17. Dezember 1996). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, der im Vorprozeß im Anschluß an das damalige Urteil des SG vom 7. April 1989 während des nachfolgenden Berufungsverfahrens im Februar 1991 zwischen den Beteiligten hinsichtlich des JAV geschlossene außergerichtliche Vergleich stehe der Geltendmachung des im vorliegenden Rechtsstreit verfolgten Anspruchs auf Erhöhung des JAV nach § 573 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entgegen. Mit dem damaligen Abschluß des Vergleichs hätten sich die Beteiligten zugleich auf die Nichtanwendbarkeit dieser Vorschrift geeinigt.

Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zurückzuweisen. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen teils nicht vor, teils sind sie unzulässig.

Der Beschwerdeführer rügt als Verfahrensmangel, das angefochtene Urteil sei nicht von den gesetzlichen Richtern gefällt worden, weil die mitwirkende Richterin am LSG P. … … gemäß § 60 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 41 Nr 6 der Zivilprozeßordnung (ZPO) von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen gewesen sei. Sie habe zwar nicht an dem Gerichtsbescheid des SG vom 30. März 1995, aber an dem früheren Urteil des SG vom 7. April 1989 mitgewirkt. Dieses stehe sowohl vom Sachverhalt als auch von den Anträgen her in so enger Verbindung mit dem vorliegenden Verfahren, daß es wie eine Mitwirkung in der Sache in einem früheren Rechtszuge gemäß § 41 Nr 6 ZPO anzusehen sei.

Diese Rüge, das LSG sei bei seiner Entscheidung vorschriftswidrig besetzt gewesen, ist unbegründet. Denn der Ausschließungsgrund gemäß § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO lag nicht vor. Ausgeschlossen von der Ausübung des Richteramtes nach dieser Vorschrift ist ein Richter in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszuge (oder im schiedsrichterlichen Verfahren) bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Entgegen der Ansicht des Klägers führt nur die Mitwirkung am vorinstanzlichen Urteil zum Ausschluß, nicht dagegen diejenige an einem abgeschlossenen vorangegangenen Gerichtsverfahren. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, wonach nur eine Mitwirkung in der unteren und höheren Instanz desselben Verfahrens zum Ausschluß führen soll (BSG SozR Nr 1 zu § 41 ZPO; BVerfGE 78, 331, 338; BVerwG DÖV 1980, 568; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, III, RdNr 174; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 5. Aufl 1993, § 60 RdNr 4; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl 1994, § 54 RdNr 7). Das frühere Gerichtsverfahren war durch den Vergleich vom Februar 1991 beendet.

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt auch im Zusammenhang mit § 60 Abs 2 SGG eine erweiternde Auslegung der Ausschließungsbestimmung des § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO nicht in Betracht. Die in § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 ZPO und in § 60 Abs 2 SGG gesetzlich aufgezählten Gründe für den Ausschluß eines Richters von der Ausübung des Richteramts können nicht im Wege der Interpretation erweitert werden (BSG SozR Nr 1 zu § 41 ZPO; vgl auch BVerwG DÖV 1980, 568; NVwZ 1990, 460). Die Gründe für die Ausschließung vom Richteramt sind abschließend aufgezählt und einer analogen Anwendung auf ähnlich liegende Fälle nicht zugänglich (Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl 1995, § 41 ZPO RdNr 1; Kopp, aaO, RdNr 5; Meyer-Ladewig, aaO).

Soweit der Kläger des weiteren rügt, das LSG sei seinen Beweisanträgen vom 26. Juni 1995, 10. Juni 1996 und 10. Dezember 1996, über die Höhe des zutreffenden JAV das Gutachten eines vom statistischen Bundesamt zu benennenden Sachverständigen einzuholen, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt und habe damit gegen § 103 SGG verstoßen, ist die Rüge unzulässig. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung des § 103 SGG kann der Verfahrensmangel nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Kläger trägt zwar vor, er habe am 26. Juni 1995, 10. Juni 1996 und 10. Dezember 1996 einen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Dieser Vortrag genügt aber nicht den Anforderungen, die an einen vom LSG zu berücksichtigenden Beweisantrag zu stellen sind. Zur Berücksichtigungsfähigkeit eines Beweisantrags hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß es jedenfalls rechtskundig vertretenen Beteiligten obliegt, in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (vgl ua Beschlüsse des Senats vom 11. Dezember 1996 – 2 BU 232/96 – und vom 3. März 1997 – 2 BU 19/97 – sowie Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ≪BVerfG≫ vom 19. Februar 1992 = SozR 3-1500 § 160 Nr 6). Es ist der Sinn der erneuten Antragstellung, zum Schluß der mündlichen Verhandlung auch darzustellen, welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Verhandlung noch abschließend gestellt werden, mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen muß, wenn es ihnen nicht folgt. Der – rechtskundig vertretene – Kläger hätte deshalb in der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 1996 einen entsprechenden auf § 103 SGG gestützten Beweisantrag zumindest hilfsweise zu seinem Sachantrag stellen müssen. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 17. Dezember 1996 ist dies nicht geschehen.

Soweit der Kläger eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in zwei Entscheidungen – BSGE 11, 161; BSG SozR 3900 § 40 VerwVG Nr 2 – rügt, fehlt es an einer schlüssigen Begründung. Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann ausreichend begründet, wenn erklärt wird, mit welchem genau bestimmten, entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil von welcher genau bestimmten, die Entscheidung tragenden rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29 und 54), und warum das angefochtene Urteil auf dieser Abweichung beruht. Diese Voraussetzungen hat der Kläger schon deshalb nicht dargetan iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, weil er keinen konkreten – von einer bestimmten rechtlichen Aussage in den angezogenen Entscheidungen des BSG abweichenden – Rechtssatz des Berufungsgerichts bezeichnet hat. Dazu reicht es nicht aus, daß – wie hier – der Beschwerdeführer darlegt, das LSG habe entgegen dem Urteil des BSG vom 15. Dezember 1959 – BSGE 11, 161 – die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Urteils vom 7. April 1989 iVm dem Vergleich vom Februar 1991 der Rechtskraft für fähig gehalten, obwohl sie nur in den Entscheidungsgründen gestanden seien. Entgegen dem Urteil vom 22. Mai 1975 – BSG SozR 3900 § 40 Nr 2 – habe es ihn an dem Vergleich vom Februar 1991 festgehalten, obwohl er sich dadurch schlechter gestellt habe, als wenn er auf einem Urteil bestanden hätte. Das LSG hat in seiner Entscheidung ausdrücklich auf beide Entscheidungen des BSG – als nicht einschlägig – Bezug genommen. Im übrigen liegt keine Divergenz vor, wenn das LSG im konkreten Fall lediglich einen vom BSG aufgestellten Rechtssatz unzutreffend anwendet. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX RdNr 78).

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger des weiteren geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, weil zu klären sei,

  • ob ein Richter von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist, der in der Vorinstanz an einer Entscheidung mitgewirkt hat, auf welche die vorliegende Klage sich gründe,
  • wie die vergleichsweise Rücknahme einer Berufung sich auf Ansprüche auswirke, über die im Urteilstenor nicht entschieden worden ist, sondern die nur in den Urteilsgründen behandelt worden sind,
  • ob der Vergleich vom Februar 1991 dahin auszulegen ist, daß jede weitere Erhöhung gemäß § 573 Abs 3 RVO für alle Zukunft ausgeschlossen sei, obwohl er das nie und nimmer gewollt habe,
  • wie § 573 Abs 1 RVO und § 573 Abs 3 RVO auszulegen sind, wenn Tarife und Ortsüblichkeit nicht vorliegen,
  • ob das LSG seine vorher mehrfach geäußerte Rechtsmeinung zu der Auslegung des Vergleichs vom Februar 1991 überraschend in dem Urteil vollkommen ändern dürfe, ohne dem Kläger vorher einen Hinweis und Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Sie ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muß eine über den Einzelfall hinausgehende klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht – ausreichend – geklärt ist (s ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). Demgemäß muß bei der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, RdNr 65; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 116 ff). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Beschwerdeführer hat nicht angegeben, ob zu den von ihm als grundsätzlich angesehenen Fragen bereits Rechtsprechung des BSG vorhanden ist und inwieweit diese Rechtsprechung einer weiteren Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung bedarf.

Die Beschwerde war daher insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173452

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