Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung von Kostenvorschriften der ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Nach Rücknahme der Revision ist über die Kosten im Revisionsverfahren einschließlich einer unselbständigen Anschlußrevision gemäß § 193 SGG in der Regel nach Maßgabe der Erfolgsaussicht der Anträge des Revisionsklägers (ohne Berücksichtigung der Anschließung) zu entscheiden.

 

Orientierungssatz

Die Kostenvorschriften der ZPO sind - abgesehen von der in § 194 S 1 SGG ausgesprochenen Verweisung auf § 100 ZPO - im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht anwendbar, weil die besondere, den Eigenarten des sozialgerichtlichen Verfahrens angepaßte Kostenregelung des SGG eine entsprechende Anwendung der Kostenvorschriften der ZPO nach § 202 SGG ausschließt. Das ist insbesondere zu der Vorschrift der ZPO anerkannt, die im Falle der Klagerücknahme den Kläger verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 269 Abs 3 S 2 ZPO idF durch die Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976 BGBl I 1976, 3281; früher § 271 Abs 3 S 2 ZPO; vgl hierzu BSG vom 18.1.1957 - 6 RKa 7/56 = SozR Nr 3 zu § 193 SGG). Aus diesen Gründen sind auch die §§ 566, 515 Abs 3 ZPO nicht anzuwenden, wonach der Revisionskläger bei Rücknahme der Revision die Kosten des Rechtsmittels zu tragen hat.

 

Normenkette

SGG § 193 Abs 1, § 202; ZPO §§ 556, 269 Abs 3 Fassung: 1976-12-03, §§ 566, 515 Abs 3

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 31.05.1988; Aktenzeichen L 5 Ar 795/86)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 26.02.1986; Aktenzeichen S 1 Ar 4466/85)

 

Gründe

Im angefochtenen Bescheid stellte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit fest, weil die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis wegen Umzugs zu ihrem Lebensgefährten ohne wichtigen Grund gelöst habe. Das Sozialgericht (SG) hat den Sperrzeitbescheid aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Bescheid nur insoweit aufgehoben, als der Eintritt einer über vier Wochen hinausgehenden Sperrzeit festgestellt worden ist. Gegen dieses Urteil haben die Beklagte Revision und die Klägerin, nach Zustellung der Revisionsbegründung am 19. Oktober 1988 am 18. November 1988 Anschlußrevision eingelegt.

Die Beklagte hat ihre Revision zurückgenommen.

Auf Antrag der Klägerin waren die außergerichtlichen Kosten im Revisionsverfahren der Beklagten aufzuerlegen. Nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfange die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben; es entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird. Hierbei ist davon auszugehen, daß die Kostenvorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) - abgesehen von der in § 194 Satz 1 SGG ausgesprochenen Verweisung auf § 100 ZPO - im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht anwendbar sind, weil die besondere, den Eigenarten des sozialgerichtlichen Verfahrens angepaßte Kostenregelung des SGG eine entsprechende Anwendung der Kostenvorschriften der ZPO nach § 202 SGG ausschließt. Das ist insbesondere zu der Vorschrift der ZPO anerkannt, die im Falle der Klagerücknahme den Kläger verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 269 Abs 3 Satz 2 ZPO idF durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 BGBl I S 3281; früher § 271 Abs 3 Satz 2 ZPO; hierzu BSG SozR Nr 3 zu § 193 SGG). Aus diesen Gründen sind auch die §§ 566, 515 Abs 3 ZPO nicht anzuwenden, wonach der Revisionskläger bei Rücknahme der Revision die Kosten des Rechtsmittels zu tragen hat.

Für die gemäß § 193 SGG nach sachgemäßem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung ist, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird, in erster Linie der vermeintliche Verfahrensgang maßgebend (BSG SozR Nr 4 zu § 193 SGG). Dabei ist es jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten ohne Bedeutung, daß die Anschlußrevision der Klägerin im Hinblick auf das Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 37/87 - voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte. Einer Kostenentscheidung unter Berücksichtigung auch der Erfolgsaussicht einer Anschließung, wie sie im Falle einer selbständigen Anschlußrevision geboten ist, steht im Falle einer unselbständigen Anschließung, wie sie hier vorliegt, der besondere Charakter der unselbständigen Anschlußrevision entgegen.

Nach § 202 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der ZPO zur Anschlußberufung (BSGE 2, 229, 231) und zur Anschlußrevision (BSGE 8, 24, 29) anwendbar, insbesondere § 556 ZPO, wonach sich der Revisionsbeklagte der Revision bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung anschließen kann (BSGE 44, 184). Bei der innerhalb dieser Frist nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingelegten Anschließung des Klägers handelt es sich somit um eine zulässige unselbständige Anschlußrevision.

Die unselbständige Anschließung an das Rechtsmittel des Gegners ist kein eigenes Rechtsmittel, sondern lediglich ein innerhalb des gegnerischen Rechtsmittels gestellter Antrag. Eine solche Anschließung wird nach Rücknahme der Revision nachträglich unzulässig (BFHE 132, 515). Die Kosten der Anschließung sind Teil der durch das Rechtsmittel verursachten Kosten. Soweit im zivilgerichtlichen oder finanzgerichtlichen Verfahren die Kosten eines zurückgenommenen Rechtsmittels dem Rechtsmittelführer aufzuerlegen sind, gilt dies einschließlich der durch eine unselbständige Anschließung verursachten Kosten (BGHZ 86, 51 im Anschluß an BGH vom 17. Dezember 1951 GSZ 2/51 BGHZ 4, 229; BFHE 132, 515). Auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist insoweit über die Kosten der Revision einschließlich der Anschließung einheitlich zu entscheiden, aber nicht allein aufgrund der Rücknahme, sondern - mangels anderer Ermessensgründe - nach Maßgabe der Erfolgsaussicht der zurückgenommenen Revision. Eine solche Kostenentscheidung entspricht auch der Billigkeit. Sie berücksichtigt, daß der Revisionskläger mit der Einlegung seiner Revision die unselbständige Anschließung verursacht hat. Die Revision zielt auf eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ab. Die unselbständige Anschließung soll die auf Veranlassung des Rechtsmittelführers erfolgende Überprüfung zu Gunsten des Rechtsmittelgegners nutzen. Soweit diese Überprüfung Rechte des Rechtsmittelgegners ergibt, sollen auch diese im Rahmen der gestellten Anschließungsanträge mit Rechtskraft ausgesprochen werden.

Die Revision der Beklagten hatte in vollem Umfang keine Aussicht auf Erfolg. Die Beklagte hat das erkannt und ihre Revision deshalb uneingeschränkt zurückgenommen. Daher waren die notwendigen außergerichtlichen Kosten im Revisionsverfahren der Beklagten in vollem Umfang aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1660277

DVBl. 1990, 220

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