Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Barmer Ersatzkasse

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Ersatzkasse dem Kläger ab 15. Oktober 1989 für 78 Wochen Krankengeld zu gewähren hat.

Der am 29. November 1938 geborene Kläger stand bis zum 31. März 1976 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und war bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Seit 1952 ist er an einer chronisch rezidivierenden Cyklothymie erkrankt, die seit 1976 dauernde Arbeitsunfähigkeit bewirkt. Die Beklagte gewährte ihm unter Beachtung der jeweiligen Dreijahresfristen für 78 Wochen Krankengeld, zuletzt in der Zeit vom 15. Oktober 1986 bis 12. April 1988. Während der leistungsfreien Zeit in den Dreijahresfristen hielt der Kläger die Mitgliedschaft bei der Beklagten aufrecht. In einem vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim geführten Verfahren (S 8 Kr 3628/84) erkannte die Beklagte an, daß der Kläger seit März 1976 sowohl arbeits- als auch erwerbsunfähig ist. Aufgrund dieses und eines weiteren Gerichtsverfahrens (S 8 Kr 1822/84) steht unter den Beteiligten außerdem fest, daß der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Angestelltenversicherung nicht erworben hat, weil er vor Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit im Jahr 1976 die erforderliche Wartezeit von 60 Beitragsmonaten (§ 24 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes ≪AVG≫) nicht erfüllt hatte.

Auf eine Anfrage des Klägers vom Januar 1989 teilte die Beklagte ihm mit, daß er aufgrund der ab 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Neuregelung (§ 48 Abs. 2 SGB V) in Zukunft keinen Anspruch auf Krankengeld mehr haben werde, zumal er derzeit nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert sei (Bescheide vom 7. Februar 1989 und 1. März 1989 sowie Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1989).

Das SG Mannheim hat die genannten Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 15. Oktober 1989 Krankengeld zu gewähren (Urteil vom 11. Oktober 1989 - der Beklagten zugestellt am 7. Mai 1990 -). In den Entscheidungsgründen wird u.a. ausgeführt: Entgegen der Auffassung der Beklagten könne die am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Vorschrift des § 48 Abs. 2 SGB V, durch die die Voraussetzungen für das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs verschärft worden seien, nicht auf Fälle angewendet werden, in denen der Versicherte schon vor Inkrafttreten der Neuregelung dauernd arbeitsunfähig gewesen sei. Das Gesetz binde die Tatbestände, die einen "neuen Anspruch auf Krankengeld" wegen derselben Krankheit auszulösen vermögen, ausdrücklich an "den Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit". In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe der Gesetzgeber in dem neu geschaffenen SGB V das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen abhängig gemacht. Es sei unter diesen Umständen nur als konsequent zu erachten, wenn das neue Recht nur auf diejenigen Fälle angewendet werde, die für eine Erfüllung dieser Voraussetzungen überhaupt in Betracht kämen. Dies gelte nicht nur für die in § 48 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V enthaltenen Tatbestandsmerkmale, sondern auch für die weitere Voraussetzung, daß der Betroffene bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sein müsse.

Hätte der Gesetzgeber mit der Wortwahl in der genannten Vorschrift nicht eine solche Auslegung verbunden, dann müßten angesichts des Fehlens einer Übergangsvorschrift verfassungsrechtliche Bedenken erwogen werden. Denn der Kläger habe durch den Eintritt des Versicherungsfalles 1976 eine durch die Eigentumsgarantie des Art 14 GG geschützte sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft auf Krankengeld erworben. Es sei zweifelhaft, ob der Gesetzgeber durch strukturelle Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung einen Vertrauenstatbestand, wie ihn der langjährige Bezug von Krankengeld darstelle, dadurch durchbrechen dürfe, daß die künftig fällig werdenden Leistungen an - im Falle des Klägers - praktisch unerfüllbare Voraussetzungen gebunden würden. Die Kammer habe erhebliche Zweifel, ob in diesem Falle die gesetzliche Änderung tatsächlich nur eine Inhaltsbestimmung des Eigentums oder aber eine Enteignung darstelle.

Mit der - vom SG durch Beschluß vom 8. Juni 1990 zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 44 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 2 SGB V und macht geltend: Die Vorschrift des § 48 SGB V könne nur diejenigen Versicherten betreffen, die typischerweise zu dem Kreis der Arbeitnehmer gehörten. Von dem Krankengeldanspruch als solchem seien auch diejenigen freiwillig Versicherten ausgenommen, für die die Satzung der Krankenversicherung diesen Anspruch ausschließe. Die der Vorschrift des § 44 Abs. 2 SGB V entsprechende Bestimmung finde sich in § 22 Abs. 8, letzter Satz, der Satzung der Beklagten. Mithin entfalle für den Kläger, der jedenfalls am 15. Oktober 1989 in der Beitragsklasse 841 versichert gewesen sei, unabhängig vom Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit bereits im Ansatz der Anspruch auf Krankengeld, da er nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre. Dem stehe die Entscheidung des BSG vom 28. November 1979 (SozR 2200 § 183 Nr. 30) nicht entgegen. Danach sei zwar ein Leistungsausschluß gemäß § 215 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. i.V.m. der Satzung hinsichtlich des Anspruchs auf Krankengeld ohne Einfluß auf die Wiedergewährung von Krankengeld bei Beginn einer neuen Dreijahresfrist, wenn - wie hier - dieser Anspruch auf einem Versicherungsfall beruhe, der zu einer Zeit eingetreten sei, zu der ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld bestanden habe. Dem gegenüber bezwecke jedoch gerade die Formulierung "Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit" in § 48 Abs. 2 SGB V, daß nur der Kreis der Erwerbstätigen, bei denen der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wenigstens möglich sei, wiederum einen Anspruch auf Krankengeld erwerben solle. Zu diesem Personenkreis aber zähle der Kläger nicht. Die Nichtwiedergewährung des Krankengelds aufgrund der gesetzlichen Neuregelung sei auch nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden. Zwar habe der Kläger nach dem alten Recht damit rechnen können, bei Andauer der Arbeitsunfähigkeit in einer neuen Dreijahresfrist wieder Krankengeld zu erhalten. Der Gesetzgeber sei aber berechtigt gewesen, insoweit eine Änderung vorzunehmen. Denn er habe damit nicht in eine gemäß Art 14 GG zu beachtende vermögenswerte Rechtsposition des Klägers eingegriffen. Derartige Rechtspositionen genössen nur dann den Schutz der Eigentumsgarantie, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Betroffenen beruhten. Hieran mangele es aber im Falle des Klägers, weil er keine entsprechenden Beiträge erbracht habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Oktober 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zur Begründung weist er u.a. darauf hin, daß er bis zum Beginn seiner dauernden Arbeitsunfähigkeit in einer Beitragsklasse mit Krankengeldanspruch versichert gewesen sei und daß die Satzung der Beklagten eine Weiterversicherungsmöglichkeit mit Krankengeldanspruch nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht vorgesehen habe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Verfahren wird nach Art 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt. Der Senat hält die in § 48 Abs. 2 SG B V getroffene Regelung insoweit mit Art 14 Abs. 1 GG für unvereinbar, als auch bei Versicherten, bei denen der Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des GRG eingetreten ist und die auf Dauer arbeits- und erwerbsunfähig sind, ohne daß sie einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, der Krankengeldanspruch nur unter den erschwerten Bedingungen des neuen Rechts wiederaufleben kann.

1. Die dem BVerfG vorgelegte Frage ist für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. Nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung der Beklagten vom 1. Januar 1954 in der hier anwendbaren Fassung des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen 20. Nachtrags (im folgenden kurz als Kassensatzung bezeichnet) haben die Versicherten zur Behandlung einer Krankheit Anspruch auf Leistungen nach den §§ 27 bis 52 SGB V. Ob der Kläger zu Recht die Wiedergewährung des Krankengeldes ab 15. Oktober 1989 begehrt, hängt von der Gültigkeit des § 48 Abs. 2 SGB V ab. Sollte diese Norm aus verfassungsrechtlichen Gründen nichtig sein, so bliebe die Revision erfolglos. Würde die Norm für verfassungswidrig erklärt und es dem Gesetzgeber überlassen, die Materie neu zu regeln, z.B. eine Übergangsvorschrift für den im Vorlagebeschluß bezeichneten Personenkreis zu schaffen, müßte das Revisionsverfahren bis dahin ausgesetzt werden. Dann wäre gleichwohl die Rechtserheblichkeit zu bejahen (BVerfGE 51, 356, 361; 72, 9, 18). Denn die ablehnende Entscheidung der Beklagten ist allein darauf gestützt, daß der Kläger nicht die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 SGB V für das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs erfüllt, insbesondere bei Beginn des neuen Dreijahreszeitraums nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Steht § 48 Abs. 2 SGB V dagegen mit dem Grundgesetz in Einklang, dann müßten auf die Revision der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

2. Die angefochtenen Bescheide der beklagten Krankenkasse entsprechen dem einfachen Recht.

Nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 der Kassensatzung i.V.m. § 48 Abs. 2 SGB V besteht für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen haben, nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate 1. nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig und 2. erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen. Die durch die Satzung in Bezug genommene Vorschrift des § 48 Abs. 2 SGB V ist ihrem Wortlaut nach auf den Kläger anwendbar. Er hat im letzten Dreijahreszeitraum wegen einer chronisch rezidivierenden Cyklothymie für 78 Wochen, nämlich in der Zeit vom 15. Oktober 1986 bis 12. April 1988 Krankengeld bezogen. Auch die jetzt bei ihm vorliegende Arbeitsunfähigkeit ist durch die chronisch rezidivierende Cyklothymie bedingt. Da der Kläger bei Beginn des neuen Dreijahreszeitraums nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert war und er seit 1976 aufgrund der Cyklothymie ununterbrochen arbeitsunfähig ist, steht die ablehnende Entscheidung der Beklagten mit § 48 Abs. 2 SGB V in Einklang.

3. Die Vorschrift des § 48 Abs. 2 SGB V läßt sich nicht dahingehend verfassungskonform auslegen, daß sie auf den in der Vorlagefrage bezeichneten Personenkreis unanwendbar wäre. Eine verfassungskonforme Auslegung setzt die Möglichkeit mehrerer Auslegungen voraus (vgl. Leibholz/Rinck, GG, Kommentar, 6. Aufl, Einführung Anm. 4; BVerfGE 49, 148, 156 und 79, 1, 21). Die Richter dürfen bei der Auslegung nicht die Grenzen überschreiten, die sich aus Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergeben; hierbei ist der Zweck der gesetzlichen Regelung zu beachten. Der Grundsatz der Gewaltenteilung verbietet es, daß eine verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht (BVerfGE 8, 28, 34; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl, S. 329). Eine andere als die von der Beklagten gewählte Auslegung des § 48 Abs. 2 SGB V würde hiergegen verstoßen.

a) Nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 SGB V sind von der Neuregelung weder Dauerarbeitsunfähige noch solche Personen ausgenommen, bei denen der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1989, also vor dem Inkrafttreten des GRG, eingetreten war. Schon die vom Gesetzgeber verwendete Formulierung "nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums" macht deutlich, daß von der Neuregelung alle Fälle erfaßt werden sollen, in denen nach dem 31. Dezember 1988 das Wiederaufleben eines Krankengeldanspruchs in einem neuen Dreijahreszeitraum in Betracht kommt. Hierfür sprechen auch die Gesetzesmaterialien. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird dazu wörtlich ausgeführt (BR-Drucks 200/88, S. 181 zu § 47 und BT-Drucks 11/2237, S. 181) :

"Das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld wegen derselben Krankheit nach Ablauf der dreijährigen Blockfrist wird eingeschränkt. Den im geltenden Recht enthaltenen Anreiz, das Krankengeld als eine nur unterbrochene Dauerleistung mit Rentenersatzfunktion in Anspruch zu nehmen, wird beseitigt. Nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums besteht künftig ein Anspruch auf Krankengeld nur dann, wenn zwischen dem Ablauf des Krankengeldes nach 78 Wochen und dem erneuten Eintritt von Arbeitsunfähigkeit ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten liegt, in dem die Versicherten nicht wegen der bisherigen Krankheit arbeitsunfähig und außerdem entweder erwerbstätig waren oder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen… . "

"Außerdem ist Voraussetzung für den Anspruch auf Krankengeld, daß die bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit bestehende Versicherung den Anspruch auf Krankengeld einschließt. Dadurch wird sowohl für die Bezieher der in § 49 genannten Leistungen (zB Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, Alters- und Ruhegeld) als auch für freiwillig Versicherte, deren Anspruch auf Krankengeld durch die Satzung ausgeschlossen ist, auch bei Wiedererkrankung kein Krankengeld gezahlt. "

Das Wort "Anreiz" im zweiten Satz der zitierten Begründung könnte zwar - isoliert betrachtet - dahin verstanden werden, daß die Neuregelung nur für künftig, d.h. nach Inkrafttreten des GRG, eintretende Versicherungsfälle gelten solle. Das wäre aber eine Fehldeutung. Gesetzeswortlaut und Begründung sind vielmehr dahingehend zu interpretieren, daß der Gesetzgeber alle Fälle - ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls - erfassen wollte, in denen ein Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld nach dem 31. Dezember 1988 in Betracht kommt. Also auch für diejenigen Versicherten, die bereits aufgrund eines unter der Geltung des alten Rechts eingetretenen Versicherungsfalls Krankengeld bezogen haben, soll der Anreiz, diese Leistung als eine nur unterbrochene Dauerleistung mit Rentenersatzfunktion - wieder - in Anspruch zu nehmen, entfallen.

Die Worte "bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit" in § 48 Abs. 2 SGB V rechtfertigen ebenfalls keine einschränkende Auslegung. Der Gesetzgeber folgt insoweit lediglich der inneren Logik der Vorschrift. Denn diese setzt für das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs eine Zeit der Arbeitsfähigkeit von mindestens sechs Monaten und danach den Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit voraus. Da der Gesetzeswortlaut im übrigen keinerlei Anhaltspunkte für eine differenzierende Behandlung nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles erkennen läßt, ist davon auszugehen, daß das neue Recht auch dann, wenn der Versicherungsfall dem Inkrafttreten des neuen Rechts vorausgegangen ist, das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs erschweren will. Die Nichtanwendung des § 48 Abs. 2 SGB V auf diese sogenannten Altfälle und damit eine verfassungskonforme Auslegung erscheinen aber selbst dann nicht möglich, wenn man das in der Begründung verwendete Wort "Anreiz" als Hinweis dafür ansähe, daß der Gesetzgeber nur seit dem 1. Januar 1989 eintretende Versicherungsfälle im Auge hatte. Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist nämlich nicht der Inhalt der Materialien, sondern der in der Norm selbst zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. dazu BVerfGE 20, 283, 293; 79, 106, 121).

b) Die Anwendung des § 48 Abs. 2 SGB V auf diejenigen, die dauernd arbeits- und erwerbsunfähig sind und die keinen Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben, ist auch nicht durch eine Überleitungsvorschrift ausgeschlossen oder gemildert. Der Gesetzgeber hat zwar in den Art 56 bis 77 GRG zahlreiche Überleitungsvorschriften geschaffen. Für die Anwendung des § 48 Abs. 2 SGB V fehlt jedoch eine solche Überleitungsvorschrift. Dies rechtfertigt den Schluß, daß die Regelung ab Inkrafttreten des GRG für jeden Fall gelten sollte, in dem das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld in einer neuen Blockfrist nach dem 31. Dezember 1988 in Betracht kommt.

Zu einem anderen Ergebnis führen auch nicht die intertemporalen Auslegungsgrundsätze. Danach ist zwar neues Recht grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind daher für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandenen Lebensverhältnissen unerheblich, es sei denn, daß das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt (vgl.. hierzu Evers, "Die Zeit - eine Dimension des Sozialrechts?", in: Rechtsschutz im Sozialrecht, Beiträge zum ersten Jahrzehnt der Rechtsprechung des BSG, 1965, S. 63ff., 79ff. jeweils m.w.N.; ferner BSGE 62, 191, 195 = SozR 3100 § 1 Nr. 39 m.w.N.). Dementsprechend hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß sich Entstehung und Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt (allgemeine Meinung, vgl. aus der jüngsten Rechtsprechung des BSG BSGE 44, 231, 232 = SozR 2200 § 1236 Nr. 3; BSGE 45, 212, 214 = SozR 2200 § 182 Nr. 29; SozR a.a.O. Nr. 85, S. 174; BSGE 57, 211, 213 = SozR 1200 Art 2 § 18 Nr. 1; BSGE 58, 243, 244 = SozR 2200 § 182 Nr. 98; BSGE 62, 191, 194f. = SozR 3100 § 1 Nr. 39). Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Versicherungsfalles gilt allerdings für das Krankengeld nicht uneingeschränkt (BSG SozR 2200 § 183 Nr. 36 m.w.N.). Vielmehr ist der Wiederauflebenstatbestand gegenüber dem Entstehungstatbestand relativ verselbständigt und diesem soweit angenähert, daß sich die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts auch auf ihn rechtfertigt: Treten die Voraussetzungen der Wiedergewährung des Krankengeldes sämtlich erst unter Geltung des neuen Rechts ein, findet neues Recht Anwendung, auch wenn der Versicherungsfall der Krankheit bereits unter der Geltung des alten Rechts eingetreten ist.

4) Eine abschließende Entscheidung durch das BSG ist nicht möglich. § 48 Abs. 2 SGB V steht jedenfalls insoweit nicht mit dem Grundgesetz in Einklang, als die Norm auch diejenigen Versicherten erfaßt, bei denen der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1989 eingetreten ist und die - ohne Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente - dauernd arbeitsunfähig und erwerbsunfähig sind. Insoweit verstößt die Neuregelung gegen Art 14 Abs. 1 GG.

Ob der Anspruch oder die Anwartschaft auf Krankengeld unter den Schutzbereich des Art 14 GG fällt, hat das BVerfG bisher nicht entschieden. Im vorliegenden Falle geht es um die Frage, ob ein Versicherter, der dauernd arbeitsunfähig ist, nach Erschöpfung des Anspruchs im Hinblick auf einen möglichen Leistungsanspruch in dem nächsten Dreijahreszeitraum nach altem Recht (§ 183 Abs. 2 RVO und die wörtlich mit § 183 Abs. 2 RVO übereinstimmende Vorschrift des § 15 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten vom 1. Januar 1971 in der ab 1. Januar 1980 gültig gewesenen Fassung des 23. Nachtrags - im folgenden kurz als Versicherungsbedingungen bezeichnet -) eine Rechtsposition innehat, die der Eigentumsgarantie unterfällt. Der vorlegende Senat bejaht dies.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 69, 272, 300; 72, 9, 18 f; 72, 141, 153; 76, 220, 235) ist Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist. Diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient.

Diese Voraussetzungen sind bei einem Anspruch auf Krankengeld und bei der Anwartschaft auf diese Leistung gegeben.

a) Der bisher auf § 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 RVO und nunmehr auf § 44 Abs. 1 SGB V (iVm § 24 Abs. 1 Nr. 3 der Kassensatzung) beruhende Anspruch auf Krankengeld ist beim Vorliegen der in diesen Vorschriften verlangten Voraussetzungen eine vermögenswerte Rechtsposition, die dem Versicherten ausschließlich zugeordnet ist, so daß er sie privat nutzen kann, es sich also um "seine" ihm ausschließlich zustehende Rechtsposition handelt (vgl.. BVerfGE 69, 272, 300 f; 72, 9, 19).

b) Die Gewährung von Krankengeld beruht auch auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des jeweiligen Versicherten. Zwar werden die Leistungen der Krankenversicherung auch denjenigen erbracht, die am ersten Tage der Versicherung erkranken und arbeitsunfähig werden. Anders als das Rentenrecht (vgl. dazu z.B. § 1246 Abs. 3 und § 1247 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) und das Arbeitsförderungsrecht (vgl.. § 104 des Arbeitsförderungsgesetzes ≪AFG≫) kennt das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung keine Warte- oder Anwartschaftszeiten für den Anspruch auf Krankengeld. Diese Leistung wird auch ohne Vorleistung des Versicherten erbracht, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unmittelbar nach Beginn der Mitgliedschaft in der Krankenversicherung eintritt. Das sind indessen Ausnahmefälle. In der Regel hat der Versicherte, bevor er Leistungen erhält, Beiträge gezahlt. Die Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden im wesentlichen aus Beiträgen finanziert (vgl. § 380 RVO, § 220 SGB V sowie § 20 der Kassensatzung). Die nach dem Arbeitsentgelt bemessenen Beiträge haben die versicherungspflichtig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber je zur Hälfte zu tragen (§ 381 Abs. 1 RVO und § 249 Abs. 1 SGB V). Soweit der versicherte Arbeitnehmer den Beitrag entrichtet, erwirbt er seinen Anspruch auf Krankengeld durch persönliche Arbeitsleistung, wie sie in seinen einkommensbezogenen Eigenleistungen zum Ausdruck kommt (vgl. dazu BVerfGE 69, 272, 301; 72, 9, 19). Dabei dürfen nicht nur die Beitragsanteile des Versicherten berücksichtigt werden, sondern ihm sind auch die Beitragsanteile seines Arbeitgebers als eigene Leistung zuzurechnen (vgl. BVerfGE 69, 272, 302).

Daß das Krankengeld im Einzelfalle die Beitragsleistung des Versicherten erheblich übersteigen kann, ist für die Anwendung des Art 14 GG ohne Bedeutung. Denn - wie in der Arbeitslosenversicherung (vgl. dazu BVerfGE 72, 9, 20) - kommt es in der gesetzlichen Krankenversicherung auf eine Äquivalenz von Beitrag des einzelnen und der ihm zu gewährenden Leistung nicht an (so mit Recht Grüttner, Die sozialversicherungsrechtliche Anwartschaft, 1990, S. 123). Es liegt vielmehr im Wesen der Krankenversicherung als einer Risikoversicherung, daß bei einer schweren und lange dauernden Krankheit die Leistungen insgesamt höher liegen können als der seit Beginn der Mitgliedschaft gezahlte Beitrag (zur Arbeitslosenversicherung vgl. auch BVerfGE 76, 220, 236).

c) Das Krankengeld dient der Existenzsicherung des Berechtigten.

Wie sich aus § 182 Abs. 4 RVO und § 47 Abs. 1 SGB V (i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 3 der Kassensatzung) ergibt, handelt es sich bei dem Krankengeld - sowohl nach altem als auch nach neuem Recht - um eine lohnbezogene Versicherungsleistung. Dem Versicherten sind als Krankengeld 80 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens zu gewähren, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt. Das Krankengeld hat nach seiner gesetzlichen Ausgestaltung Lohnersatzfunktion (BSGE 45, 126, 128). Fällt infolge der Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsentgelt aus, so soll das Krankengeld die Existenz des Berechtigten und seiner Familie sicherstellen. Ob der Versicherte über weitere Möglichkeiten zur Existenzsicherung verfügt und ob er mit diesen Mitteln - zumindest eine kurzzeitige Arbeitsunfähigkeit - überbrücken könnte, ist rechtlich irrelevant. Ebensowenig kommt es darauf an, ob der Berechtigte im Einzelfalle tatsächlich auf den Bezug des Krankengeldes angewiesen ist. Der Eigentumsschutz einer sozialversicherungsrechtlichen Rechtsposition muß - beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - schon dann bejaht werden, wenn die öffentlich-rechtliche Leistung ihrer Zielsetzung nach der Existenzsicherung des Berechtigten zu dienen bestimmt ist (vgl. dazu BVerfGE 72, 9, 21). Das ist aber beim Krankengeld der Fall.

d) Für die Rechtsposition, die Dauerarbeitsunfähige nach altem Recht vor Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums innehatten, gilt nichts anderes. Auch sie unterliegt - wie die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld oder eine Rentenanwartschaft (vgl. dazu BVerfGE 71, 1, 12; 75, 78, 98 f) - der Eigentumsgarantie (zur Anwartschaft auf Sozialversicherungsleistungen in Rechtsprechung und Literatur S. Grüttner, a.a.O., S. 66ff. mzN und S. 121 ff). Der Versicherte hatte nach § 183 Abs. 2 RVO und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 185 RVO; BSGE 31, 125, 127ff. = SozR 2200 § 183 Nr. 11; BSGE 49, 163, 166f. = SozR 2200 § 183 Nr. 30; BSGE 51, 281, 282ff. = SozR 2200 § 183 Nr. 35; BSGE 51, 287, 288ff. = SozR 2200 § 183 Nr. 36; BSGE 52, 261, 263ff. = SozR 5085 § 3 Nr. 3) nicht nur eine schlichte Chance oder Aussicht (vgl. dazu BVerfGE 72, 141, 153 f) auf Gewährung von Krankengeld zu Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums, sondern es handelte sich um eine derart verfestigte Rechtsposition, daß die Leistungsgewährung in aller Regel nur noch von seinem eigenen Verhalten abhing. Denn der Anspruch auf Krankengeld lebte nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraumes wieder auf, d.h. die Anwartschaft erstarkte zum Vollrecht, wenn die Arbeitsunfähigkeit fortbestand oder erneut eingetreten war und der Versicherte seine Mitgliedschaft in der Krankenkasse aufrechterhalten hatte. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Versicherung zu diesem Zeitpunkt noch einen Anspruch auf Krankengeld zum Inhalt hatte oder nicht. Außerdem mußte sich der Versicherte nach altem Recht erneut, wenn er wieder in den Genuß der Leistungen kommen wollte, bei der Krankenkasse arbeitsunfähig krank melden. Abgesehen von dem Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit handelte es sich also um Umstände, auf die der Versicherte selbst Einfluß nehmen kann (vgl. BVerfGE 72, 9, 22 zu den weiteren Voraussetzungen für eine Bewilligung von Arbeitslosengeld).

Auch wenn der Eintritt des Versicherungsfalles mehrere Jahre zurückliegt, hat der Kläger aufgrund des § 183 Abs. 2 RVO bzw. des § 15 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten somit eine ihm als privatnützig zugeordnete Rechtsposition, die auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruht, die der Sicherung seiner Existenz dient und - wie der Anspruch auf Krankengeld und auf Arbeitslosengeld oder eine Rentenanwartschaft (vgl. dazu BVerfGE 71, 1, 12; 75, 78, 96 f) - der Eigentumsgarantie unterliegt. Der Eigentumsschutz der Rechtsposition vor Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs kann nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger während des Bezugs von Krankengeld in der Vergangenheit keine Beiträge geleistet hat und in den leistungsfreien Zeiten lediglich freiwilliges Mitglied ohne Anspruch auf Krankengeld gewesen ist (vgl. § 22 Abs. 1 und 8 der Kassensatzung). Für die Frage, ob die Anwartschaft auf das Krankengeld auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruht, ist nicht auf eventuelle Beitragszahlungen nach Eintritt des Versicherungsfalles abzustellen. Denn wenn Gesetz oder Satzung in der gesetzlichen Krankenversicherung bei Dauerarbeitsunfähigen, die kein Arbeitsentgelt mehr beziehen, eine Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld nicht mehr vorsehen, so kann daran der Eigentumsschutz der einmal erworbenen Anwartschaft nicht scheitern. Andernfalls würde dies mittelbar zu einem Entzug der Anwartschaft führen.

Unschädlich für den Eigentumsschutz der Rechtsposition, die der Kläger als Dauerarbeitsunfähiger vor Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld nach altem Recht innehatte, ist es ferner, daß das Krankengeld nach § 183 Abs. 2 RVO bzw. § 15 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren gewährt werden konnte, es sich also um einen Anspruch auf Sozialleistungen mit zeitlichen Unterbrechungen handelte. Selbst wenn Dauerarbeitsunfähige in der Regel darauf angewiesen gewesen sein sollten, in der leistungsfreien Zeit Sozialhilfe oder die Unterstützung von Angehörigen in Anspruch zu nehmen, hat das Krankengeld auch in der zweiten und jeder weiteren Blockfrist existenzsichernde Bedeutung. Maßgeblich für den existenzsichernden Charakter einer Sozialleistung i.S. der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 14 GG ist nämlich nicht, ob die Leistung ausreicht, um davon den gesamten Unterhaltsbedarf des Berechtigten zu bestreiten, sondern es kommt darauf an, ob die Sozialleistung der Existenzsicherung dienen soll, mithin auf den Zweck der Leistung. Beim Krankengeld als Lohnersatzleistung im Falle der Arbeitsunfähigkeit ist aber davon auszugehen, daß diese Leistung zur Existenzsicherung bestimmt ist, und zwar sowohl in der ersten Blockfrist als auch in jedem weiteren Dreijahreszeitraum. Hierfür spricht vor allem § 182 Abs. 2 RVO (§ 15 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der Beklagten). Danach erhöhte sich das Krankengeld jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraumes um den Vomhundertsatz, um den die Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen zuletzt vor diesem Zeitpunkt nach dem jeweiligen Rentenanpassungsgesetz angepaßt worden waren. Mit der Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung trugen die genannten Vorschriften aber gleichzeitig der Lohnersatzfunktion des Krankengeldes Rechnung (vgl. dazu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, 18. Aufl., § 182 Anm. 22).

Nach alledem unterliegt die Anwartschaft auf Krankengeld in einer weiteren Blockfrist wie die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld oder eine Rentenanwartschaft (vgl. dazu BVerfGE 71, 1, 12; 75, 78, 96f.) der Eigentumsgarantie.

Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich - wie das BVerfG in zahlreichen Entscheidungen dargelegt hat (BVerfGE 53, 257, 292; 58, 81, 109 f; 72, 9, 22; 74, 203, 214; 75, 78, 97) - erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Hätte der Gesetzgeber nur für künftig eintretende Versicherungsfälle das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs von erschwerten Bedingungen abhängig gemacht, so bestünden aus der Sicht des vorlegenden Senats keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 48 Abs. 2 SGB V. Bezüglich des in der Vorlagefrage bezeichneten Personenkreises wird § 48 Abs. 2 SGB V den Anforderungen des Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG jedoch nicht gerecht. Die Neuregelung greift, ohne daß der Gesetzgeber hierfür legitimierende Gründe hätte (vgl. dazu BVerfGE 31, 275, 291; 58, 81, 121), in eine Rechtsposition ein, die in der Vergangenheit entstanden ist.

Regelungen im Sinne des Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG, die zu solchen Eingriffen führen, sind nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind (BVerfGE 31, 275, 290; 36, 281, 293; 58, 81, 121). Eigentumsbindungen müssen zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein, sie dürfen insbesondere den Betroffenen nicht übermäßig belasten und deshalb unzumutbar sein (vgl. BVerfGE 21, 150, 155; 58, 137, 148; 72, 9, 23). Auch wenn der Gesetzgeber sozialversicherungsrechtliche Ansprüche beschränken und umgestalten (vgl. BVerfGE 74, 203, 214) oder die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug solcher Leistungen erschweren darf (vgl. BVerfGE 75, 78, 97), ist die Neuregelung - soweit der Personenkreis der Dauerarbeits- und -erwerbsunfähigen von ihr betroffen wird - verfassungswidrig.

Das GRG zielt darauf ab, die seit Jahren ansteigenden Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung zu senken und dauerhaft zu stabilisieren (BR-Drucks 200/88 zur Zielsetzung des Gesetzentwurfs). Für die Reform im Gesundheitswesen waren damit generell finanzielle Gesichtspunkte ausschlaggebend. Ob dies auch für die in § 48 Abs. 2 SGB V getroffene Regelung gilt, ist zweifelhaft. Nach der schon zitierten speziellen Begründung für diese Vorschrift (vgl. BR-Drucks 200/88, S. 181 und BT-Drucks 11/2237, S. 181) wollte der Gesetzgeber erreichen, daß das Krankengeld nicht als eine "nur unterbrochene Dauerleistung mit Rentenersatzfunktion" in Anspruch genommen wird. Dies deutet darauf hin, daß - jedenfalls aus der jetzigen Sicht des Gesetzgebers - eine nicht in das Krankenversicherungsrecht gehörende Regelung beseitigt werden sollte. Ob daneben die Neuregelung in § 48 Abs. 2 SGB V auch der Einsparung von Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung zu dienen bestimmt ist, kann offenbleiben. Selbst wenn durch die Einbeziehung des genannten Personenkreises der Dauerarbeits- und -erwerbsunfähigen eine nur geringe Einsparung erreicht würde, wäre dies allein kein Grund, die Regelung verfassungsrechtlich zu beanstanden (vgl. dazu BVerfGE 72, 9, 23). Denn bei Gesetzen, die zur Konsolidierung von Sozialversicherungssystemen beitragen sollen, kommt es nicht auf den Einspareffekt einzelner Regelungen, sondern - wenn überhaupt - auf die Möglichkeit der Gesamteinsparung an.

Daß der Gesetzgeber das Problem der Dauerarbeitsunfähigen nunmehr anders beurteilt und durch Verschärfung der Voraussetzungen für das Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs den erneuten Bezug dieser Leistung durch Dauerarbeitsunfähige unmöglich macht, bedeutet nicht einfach die Beseitigung einer Systemwidrigkeit, wozu der Gesetzgeber möglicherweise trotz des Eigentumsschutzes sozialversicherungsrechtlicher Positionen berechtigt wäre. Die bisherige Regelung hatte eine Art Auffangfunktion. Sie sollte denjenigen Versicherungsschutz gewähren, die über längere Zeit oder auf Dauer krankheitsbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen, ohne anderweitig - insbesondere durch rentenrechtliche Ansprüche - für diesen Fall abgesichert zu sein. Das wird auch daraus deutlich, daß die Krankenkassen nach der Vorschrift des § 183 Abs. 7 RVO, die zusammen mit der Regelung des § 183 Abs. 2 RVO durch das Gesetz vom 12. Juli 1961 (BGBl. I, S. 913) geschaffen worden ist, einem Versicherten, der die Voraussetzungen für eine Erwerbsunfähigkeitsrente erfüllte, eine Frist zur Stellung eines Antrags auf Rente bzw. nach § 183 Abs. 7 RVO i.d.F. des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes vom 7. August 1974 (BGBl. I, S. 1881) auf Maßnahmen zur Rehabilitation setzen konnte. Stellte der Versicherte innerhalb der Frist den Antrag nicht, so entfiel der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist. § 183 Abs. 7 RVO a.F. wurde vor dem Bundestag (vgl. Stenografische Berichte, 145. Sitzung vom 23. Februar 1961, S. 8218) wie folgt begründet (vgl. dazu auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, 18. Aufl., § 183 Anm. 3a) :

"Sobald Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist und die Voraussetzungen für den Bezug der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt sind, liegt Arbeitsunfähigkeit im versicherungsrechtlichen Sinne nicht mehr vor, weil davon auszugehen ist, daß der Versicherte in absehbarer Zeit nicht mehr arbeitsfähig werden kann. Entsprechendes gilt, wenn die Voraussetzungen für den Bezug des Altersruhegeldes erfüllt sind. Es liegt dann kein Risiko mehr vor, für dessen Absicherung die Krankenversicherung zuständig ist. Der Träger der Krankenversicherung kann daher den Versicherten anhalten, seine Ansprüche gegen den zuständigen Versicherungsträger geltend zu machen. "

Fehlte hingegen die Absicherung des Krankengeldberechtigten, weil z.B. die Wartezeit für eine Erwerbsunfähigkeitsrente noch nicht erfüllt war, so durfte die Fristsetzung nach § 183 Abs. 7 RVO nicht erfolgen. Die Krankenkasse hatte ihrem Versicherten weiterhin jeweils für 78 Wochen in Dreijahreszeiträumen Krankengeld zu gewähren, auch wenn er unter medizinischen Gesichtspunkten als erwerbsunfähig angesehen werden mußte.

Auch die weiteren Regelungen über die Anrechnung von Renten oder anderen Lohnersatzleistungen auf das Krankengeld, die in den Absätzen 3 bis 6 des § 183 RVO enthalten waren, sowie die 1974 in § 183 Abs. 8 RVO aufgenommene Bestimmung über die Fristsetzung beim Vorliegen der Voraussetzungen für ein Altersruhegeld lassen erkennen, daß der Gesetzgeber eine Art Nahtlosigkeitsregelung für Dauerarbeitsunfähige schaffen wollte und daß es nur ausnahmsweise zu einem Doppelbezug von Lohnersatzleistungen, z.B. Krankengeld neben Berufsunfähigkeitsrente, kommen sollte. Wenn das Krankengeld auch - bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Risiken und der für sie zuständigen Versicherungsträger - grundsätzlich nur bezweckt, einen vorübergehenden krankheitsbedingten Lohnausfall zu überbrücken, würde es dem seinerzeitigen Anliegen des G esetzgebers nicht gerecht, die Regelung des § 183 Abs. 2 RVO nunmehr als systemwidrig anzusehen und ihre jederzeitige Änderung ohne Rücksicht auf die von ihr Begünstigten verfassungsrechtlich für möglich zu halten. Denn mit der Regelung des § 183 Abs. 2 RVO war der gesetzlichen Krankenversicherung - nach eingehenden parlamentarischen Beratungen - auch die Aufgabe übertragen worden, zur Existenzsicherung anderweitig nicht abgesicherter Dauerarbeitsunfähiger beizutragen.

Wenn der Gesetzgeber jetzt einen solchen Auffangtatbestand für Dauerarbeitsunfähige ohne Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente aus finanziellen Gründen modifiziert, ist dies - was zukünftige Versicherungsfälle betrifft - sicherlich ein sachgerechter Gesichtspunkt. Für bereits eingetretene Versicherungsfälle vermögen finanzielle Überlegungen allein die Gesetzesänderung im Hinblick auf Art 14 GG aber nicht zu rechtfertigen, weil die gesetzgeberische Maßnahme die Betroffenen übermäßig belastet und für sie nicht zumutbar ist. Für den genannten Personenkreis kommt die Neuregelung einem Entzug des Anspruchs auf Krankengeld bzw. der Anwartschaft auf diese Leistung gleich (dazu vgl. Ebsen, SGb 1990, 6 ff). Da die dauernd Arbeits- und Erwerbsunfähigen keine Möglichkeit haben, sich auf die neue Rechtslage umzustellen, z.B. sich für eine leichtere oder anders geartete Tätigkeit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, können sie auch nicht die verschärften Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 SGB V erfüllen, so daß ihnen die seinerzeit erworbene Anwartschaft auf Krankengeld praktisch verlorengeht. Die Gesetzesänderung wirkt sich deshalb für sie als besonders schwerwiegender Eingriff in eine eigentumsgeschützte Rechtsposition aus. In derartigen Fällen ist bei der Anwendung des Art 14 Abs. 1 GG aber auch die Bedeutung des Art 14 Abs. 3 GG - nämlich das grundsätzliche Verbot einer entschädigungslosen Enteignung - zu beachten, auch wenn Prüfungsmaßstab bei gesetzgeberischen Maßnahmen nur Art 14 Abs. 1 GG sein kann (BVerfG, NJW 1991, 1807, 1808). Ferner muß berücksichtigt werden, daß der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei den Lohnersatzleistungen, wie dem Krankengeld, enger ist, als bei Leistungsansprüchen, die keine zentrale Bedeutung für einen Versicherungszweig haben (vgl. BVerfGE 76, 220, 242 f). Selbst wenn die bisherige Regelung des § 183 Abs. 2 RVO die Krankenkassen finanziell zu stark belastet haben sollte oder es sich bei § 183 Abs. 2 RVO um eine Regelung handelte, die nicht in das Krankenversicherungsrecht gehört, könnte dies nicht eine Neugestaltung des Rechtsgebiets rechtfertigen, die zum ersatzlosen Verlust wichtiger Rechte und Leistungsansprüche führt (vgl. dazu BVerfGE 78, 58, 75). Dabei fällt hier schließlich auch ins Gewicht, daß die gesetzliche Neuregelung den von dem Eingriff betroffenen Dauerarbeitsunfähigen nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, ihre Rechtsposition durch ihnen mögliche Maßnahmen, z.B. Zahlung erhöhter Beiträge, aufrechtzuerhalten (vgl. dazu BVerfGE 75, 78, 99 und 103), und daß für diesen Personenkreis nicht anstelle der Geldleistungsansprüche aus der Krankenversicherung eine andere Sicherung, z.B. durch eine rentenrechtliche Regelung, geschaffen worden ist.

5. Der Auffassung des vorlegenden Senats kann nicht entgegengehalten werden, die betroffenen Versicherten hätten nicht auf den Bestand der Regelung des alten Rechts vertrauen können. Auch insoweit ist allein Art 14 GG Prüfungsmaßstab. Das BVerfG hat wiederholt ausgesprochen, daß es eine wesentliche Funktion der Eigentumsgarantie sei, dem Bürger Rechtssicherheit hinsichtlich der durch Art 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Güter zu gewährleisten und das Vertrauen auf das durch die verfassungsmäßigen Gesetze ausgeformte Eigentum zu schützen. Insoweit hat der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes für die vermögenswerten Güter im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung und verfassungsrechtliche Ordnung erfahren (BVerfGE 45, 142, 168; 53, 257, 309; 58, 81, 120; 70, 101, 114; 76, 220, 244f.). Die Eigentumsgarantie erfüllt daher für die durch sie geschützten Rechtspositionen die Funktion des Vertrauensschutzes gegenüber Eingriffsakten.

Es mag sein, daß im Hinblick auf häufige gesetzliche Änderungen der Leistungsbedingungen und erteilte Hinweise auf mögliche Leistungsänderungen ein schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Versicherten auf den unveränderten Fortbestand bestimmter Leistungsansprüche jedenfalls dann verneint werden kann, wenn bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit dem Individualinteresse keine überwiegende Bedeutung zukommt (vgl. dazu BVerfGE 76, 220, 245). Hier liegen die Dinge jedoch anders. Die Regelung des § 183 Abs. 2 RVO ist durch Art 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl. I, 913) eingeführt worden und hat bis zum 31. Dezember 1988, also über mehr als 25 Jahre unverändert bestanden. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks 3/1540, S. 76 zu § 196 und S. 78 zu § 203 sowie BT-Drucks 3/2478) und der parlamentarischen Diskussion (vgl. Stenografische Berichte des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, S. 9297 - Ausführungen des Abgeordneten Stingel - und des Bundesrats - 234. Sitzung -, S. 156 - Ausführungen des Ministers Hemsath -; zur Entstehungsgeschichte S. auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, 18. Aufl § 183 Anm. 3b) ergibt, war sich der Gesetzgeber seinerzeit darüber im klaren, daß von der Regelung des § 183 Abs. 2 RVO u.a. Dauerarbeitsunfähige profitieren würden und daß ihnen in aufeinanderfolgenden Dreijahreszeiträumen je für 78 Wochen Krankengeld zustehen würde. Um jedoch die mit einem Langzeitbezug von Krankengeld für die Krankenkassen verbundenen finanziellen Belastungen zu reduzieren, wurde die Leistungspflicht auf 78 Wochen in einem Dreijahreszeitraum beschränkt (vgl. dazu BT-Drucks 3/1540, S. 76). Dementsprechend hat die Rechtsprechung von Anfang an angenommen, daß auch Dauerkranke einen immer wieder auflebenden Anspruch auf Krankengeld haben (vgl. BSGE 26, 243, 245 f; BSG, SozR Nr. 1 zu § 185 RVO; BSGE 31, 125, 128 = SozR 2200 § 183 Nr. 11). Daß diese Annahme mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang stand, läßt sich nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des § 183 Abs. 2 RVO, sondern auch aus dem Wortlaut dieser Vorschrift selbst ("für höchstens achtundsiebzig Wochen innerhalb von je drei Jahren") herleiten. Außerdem sprechen für die Richtigkeit der - vor allem vom BSG praktizierten - Auslegung die schon erörterte Bestimmung über die Möglichkeit, dem Versicherten für die Stellung eines Antrags auf Rente bzw. ab 1974 auf Rehabilitation eine Frist zu setzen (§ 183 Abs. 7 RVO), die Vorschriften für den Fall des Zusammentreffens von Krankengeld mit anderen Lohnersatzleistungen (§ 183 Abs. 3 bis 6 RVO) und der Umstand, daß der Gesetzgeber - obwohl ihm die Rechtsprechung des BSG bekannt gewesen sein muß - über viele Jahre die Vorschrift des § 183 Abs. 2 RVO unverändert gelassen hat. Demgegenüber vermochten kritische Stimmen in der Literatur (vgl. z.B. Karl Peters, SGb 1984, 229, 242f.) das Vertrauen auf den Fortbestand der Regelung nicht zu erschüttern. Es würde den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz erheblich entwerten, wenn schon kritische Ansichten im Schrifttum zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung das Vertrauen auf eine langjährige Rechtspraxis nicht schützenswert erscheinen ließen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518170

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