Entscheidungsstichwort (Thema)

Private Pflegeversicherung. Zulässigkeit des Rechtswegs zur Sozialgerichtsbarkeit. Beschwerdeverfahren. Abhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch für Streitigkeiten in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung ist nach § 51 Abs 2 S 2 SGG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.

2. Im Beschwerdeverfahren über die Zulässigkeit des Rechtswegs findet eine Abhilfe nicht statt (Festhaltung an BSG vom 29.9.1994 - 3 BS 2/93 = SozR 3-1500 § 51 Nr 15).

 

Normenkette

SGG § 51 Abs. 2 S. 2, §§ 173-174; GVG § 17a Abs 4; SGB XI § 23 Abs. 1, § 110 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.04.1996; Aktenzeichen L 16 SP 3/96)

SG Köln (Entscheidung vom 14.02.1996; Aktenzeichen S 9 P 12/95)

 

Tatbestand

Es ist vorab über die Zulässigkeit des Sozialrechtswegs zu entscheiden. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die minderjährige Klägerin ist bei der Beklagten privat pflegeversichert. Sie ist geistig behindert und nach Pflegestufe II schwerpflegebedürftig. Die Pflege erfolgt durch ihre Mutter. Als diese in der Zeit vom 26. April bis 5. Mai 1995 wegen Arbeitsunfähigkeit an der Pflegetätigkeit gehindert war, wurde die Pflege von der Großmutter der Klägerin übernommen, die dafür 1.000,-- DM erhielt.

Am 12. Juni 1995 beantragten die Eltern der Klägerin, zusätzlich zum regelmäßig gezahlten Pflegegeld die Kosten für die Pflege durch die Großmutter als Ersatzpflegekraft gemäß § 39 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zu übernehmen. Die Beklagte hat dies mit Schreiben vom 26. Juni 1995 und 18. Juli 1995 abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) Köln hat den Sozialrechtsweg für unzulässig gehalten und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Dortmund verwiesen (Beschluß vom 14. Februar 1996). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen (Beschluß vom 25. April 1996). Die Vorinstanzen sind der Auffassung, die hier erhobene Leistungsklage einer Versicherten aus einem privaten Pflegeversicherungsvertrag sei zivilrechtlicher Natur; sie werde daher von der Rechtswegzuweisung des § 51 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erfaßt. Für die Klage sei der Rechtsweg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit eröffnet.

Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene weitere Beschwerde der Klägerin. Sie hält den Sozialrechtsweg für gegeben. § 51 Abs 2 Satz 2 SGG begründe die sozialgerichtliche Zuständigkeit für sämtliche Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten der sozialen und der privaten Pflegeversicherung.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat über die weitere Beschwerde gemäß § 17a Abs 4 Satz 4 Gerichtsverfassungsgesetz (≪GVG≫, idF durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - 4. Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung ≪4. VwGOÄndG≫ vom 17. Dezember 1990 ≪BGBl I 2809≫) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden. Gemäß § 12 Abs 1 Satz 2 iVm §§ 165 und 153 Abs 1 SGG wirken die ehrenamtlichen Richter bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht mit (BSG SozR 3-1500 § 51 Nrn 13 und 15; ferner für das arbeitsgerichtliche Verfahren: Bundesarbeitsgericht, AP Nr 19 zu § 2 Arbeitsgerichtsgesetz 1979 = NJW 1994, 1172).

Die weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.

Die im sozialgerichtlichen Verfahren allgemein vorgesehene Frist von einem Monat (§ 173 SGG) gilt auch für die weitere Beschwerde gegen die Rechtswegentscheidung eines LSGs nach § 17a Abs 4 Satz 4 GVG (BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 15). Diese Frist ist als gewahrt anzusehen. Zwar hat die Klägerin die weitere Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) und nicht, wie es in entsprechender Anwendung des § 173 SGG geboten gewesen wäre (BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 15), beim LSG eingelegt. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch unschädlich. Die Klägerin ist durch die insoweit unrichtige Rechtsmittelbelehrung des LSG zur Anbringung der weiteren Beschwerde beim BSG veranlaßt worden. Bei zutreffender Rechtsmittelbelehrung hätte sie das Rechtsmittel fristgerecht beim LSG eingelegt. Das LSG hätte die Beschwerdeschrift nebst Gerichtsakten unverzüglich an das BSG zur Entscheidung weitergeleitet. Ein Abhilfeverfahren des LSG findet nicht statt (BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 15). Es kann zwanglos unterstellt werden, daß die Klägerin bei einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis auf die Rechtslage das Rechtsmittel umgehend nochmals beim LSG eingelegt hätte. Damit wäre die infolge der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung nach den §§ 142 Abs 1, 136 Abs 1 Nr 7 und 66 SGG eröffnete Jahresfrist für die Beschwerdeeinlegung gewahrt gewesen. Mit Eingang der vom LSG ohne vorherige richterliche Entscheidung zur Sache weiterzuleitenden Akten beim BSG wäre der Verfahrensstand erreicht gewesen, der mit der Einlegung der weiteren Beschwerde beim BSG bereits eingetreten ist. Unter diesen Umständen war die Klägerin so zu behandeln, als hätte sie die Beschwerde beim LSG eingelegt. Die Aufforderung an die Klägerin, die weitere Beschwerde zur Fristwahrung (nochmals) beim LSG einzulegen, war entbehrlich. Die Wiederholung der Beschwerdeeinlegung wäre als unnötiger Formalismus anzusehen.

Der Senat hält auch an seiner Auffassung fest, daß bei der Rechtswegbeschwerde § 174 SGG keine Anwendung findet und daher das SG bzw das LSG nicht zu prüfen hat, ob es der Beschwerde bzw der weiteren Beschwerde abhilft (BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 15). Die gegen diese Auffassung erhobenen Bedenken (Kopp, SGb 1995, 397; Zeihe, SGb 1996, 133) vermögen nicht zu überzeugen. Es ist zwar einzuräumen, daß der Gesetzgeber im Hinblick auf die jetzt in den §§ 17 bis 17b GVG enthaltenen Regelungen (vgl Entwurf einer Verwaltungsprozeßordnung, BT-Drucks 10/3437, S 172 f; Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, BT-Drucks 11/7030, S 36 ff) davon ausgegangen ist, die Frage der Abhilfebefugnis des Gerichts, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, sei nach dem jeweiligen Verfahrensrecht zu beantworten. Dies könnte darauf hindeuten, daß nach dem Willen des Gesetzgebers für eine Rechtswegbeschwerde vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Vorschrift des § 174 SGG Anwendung finden sollte. Dieser Wille hat aber im Gesetz, insbesondere in § 17a Abs 4 Satz 3 GVG, keinen Niederschlag gefunden und kann daher für die Auslegung nicht maßgeblich sein. Nach Sinn und Zweck des Vorab-Entscheidungsverfahrens scheidet bei einer Rechtswegbeschwerde im Interesse einer einfachen und schnellen Verfahrenserledigung die Möglichkeit einer Abhilfe aus. Dies hat das SG bei seiner Entscheidung über die Nichtabhilfe (Beschluß vom 19. März 1996) nicht beachtet.

Die weitere Beschwerde der Klägerin ist auch begründet.

Die von der Klägerin erhobene Leistungsklage aus einem privaten Pflegeversicherungsvertrag fällt gemäß § 51 Abs 2 Satz 2 SGG in die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.

Nach der durch Art 33 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S 1014) geschaffenen Regelung des § 51 Abs 2 Satz 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem SGB XI entstehen. Um eine solche Streitigkeit handelt es sich auch, wenn - wie hier - die Pflegepflichtversicherung nach § 23 SGB XI bei einem Unternehmen der privaten Pflegeversicherung durchzuführen ist und Ansprüche aus dem privatrechtlichen Pflegeversicherungsvertrag streitig sind.

Angelegenheiten nach dem SGB XI sind sowohl Angelegenheiten der sozialen als auch der privaten Pflegeversicherung. Beide Zweige der Pflegeversicherung sind im SGB XI gesetzlich durch öffentlich-rechtliche Vorschriften des Sozialrechts geregelt. Zwischen beiden besteht ein enger Zusammenhang in der Weise, daß sie auf einer Versicherungspflicht beruhen und die Leistungen der privaten Pflegeversicherung den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach Art und Umfang gleichwertig sein müssen (§ 23 Abs 1 SGB XI).

Der Inhalt der mit privaten Versicherungsunternehmen abzuschließenden, unter Kontrahierungszwang (§ 23 Abs 1, 2 SGB XI) stehenden Pflegeversicherungsverträge ist im wesentlichen zwingend gesetzlich vorgeschrieben und damit der autonomen Gestaltung der Vertragspartner (Versicherungspflichtiger und privates Pflegeversicherungsunternehmen) entzogen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind daher für alle Streitigkeiten in Angelegenheiten der sozialen und der privaten Pflegeversicherung zuständig (so auch Hessisches LSG, Beschluß vom 15. Juli 1996 - L-1/B-20/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Diese Rechtswegzuweisung entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Zwar heißt es in der Begründung zum PflegeVG (BT-Drucks 12/5262, S 172) lediglich: "Die Änderung regelt die sachliche Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für Angelegenheiten nach dem SGB XI". Eine eindeutige ausschließliche Rechtswegzuweisung aller öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Angelegenheiten nach dem SGB XI an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit läßt sich hieraus noch nicht entnehmen. Daß eine solche jedoch beabsichtigt war, ergibt sich aus den parlamentarischen Beratungen zum 1. SGB XI-Änderungsgesetz (1. SGB XI-ÄndG). Im Entwurf dieses Gesetzes vom 6. Februar 1996 (BT-Drucks 13/3696) war als Art 5 eine Änderung des § 51 Abs 2 Satz 2 SGG durch einen ergänzenden Halbsatz in der Weise vorgesehen, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung nur über Streitigkeiten nach § 44 SGB XI entscheiden sollten. In der Begründung hierzu (BT-Drucks 13/3696, S 19) heißt es ohne nähere Erläuterungen ausdrücklich:

"Nach dieser Regelung erstreckt sich die Zuständigkeit der Sozialgerichte auf Streitigkeiten, die in Angelegenheiten der sozialen Pflegeversicherung entstehen. Streitigkeiten von Versicherten der privaten Krankenversicherungsunternehmen mit diesen Unternehmen werden mit Ausnahme der Streitigkeiten über die soziale Sicherung der Pflegepersonen nicht erfaßt."

In der Beschlußempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 13. März 1996 (BT-Drucks 13/4091) finden sich zu dieser beabsichtigten Änderung keine abweichenden Vorschläge. Dementsprechend ist die im Entwurf vorgesehene Änderung durch Gesetzesbeschluß des Bundestages vom 15. März 1996 (Plenarprotokoll 13/96) - als Art 6 des Gesetzes - verabschiedet worden. Der Bundesrat hat anschließend, auch wegen der geplanten Rechtswegänderung, den Vermittlungsausschuß angerufen (Plenarprotokoll 696, S 171 iVm BR-Drucks 228/1/96) und zur Begründung (BR-Drucks 288/96 Beschluß) der geforderten Streichung der Neufassung des § 51 Abs 2 Satz 2 SGG ausgeführt:

"Die in dem Gesetzesbeschluß vorgesehene Zuweisung von Streitigkeiten in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung mit Ausnahme von Streitigkeiten über die soziale Sicherung der Pflegepersonen an die Gerichte der Zivilgerichtsbarkeit ist abzulehnen.

Die Versicherten in der privaten Pflegeversicherung sind mit Blick auf Leistungsumfang und Versicherungsbedingungen im wesentlichen den Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung gleichgestellt. Die private Pflegeversicherung folgt insoweit der sozialen Pflegeversicherung. Dies verlangt nach einer einheitlichen Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Dadurch wird die besondere Kompetenz und Erfahrung der Sozialgerichte in Fragen der Pflegeversicherung, die vor allem medizinischer Natur sind, genutzt.

Der einheitliche Rechtsweg erleichtert die Herausbildung einer einheitlichen Rechtsprechung zu für beide Bereiche identischen Fragen, die sich bei der Auslegung und Anwendung des SGB XI ergeben.

Schließlich spricht die sozial bezogene Ausgestaltung des Verfahrens der Sozialgerichte für deren ausschließliche Zuständigkeit. Der das sozialgerichtliche Verfahren bestimmende Amtsermittlungsgrundsatz trägt den Besonderheiten sozialrechtlicher Rechtsstreitigkeiten Rechnung. In Angelegenheiten der Pflegeversicherung wird Rechtsschutz von Personen be gehrt, die hilfsbedürftig sind. Das gilt für Versicherte in der privaten und der sozialen Pflegeversicherung gleichermaßen. Deshalb muß beiden Personengruppen der auf sozialgerichtliche Rechtsstreitigkeiten zugeschnittene Rechtsschutz vor den Sozialgerichten in Angelegenheiten der Pflegeversicherung gewährt werden."

Dieser Begründung folgte die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drucks 13/4688), woraufhin dann sowohl der Bundestag (Plenarprotokoll 13/107, S 9420 ff) als auch der Bundesrat (Plenarprotokoll 697, S 230, 232) die Streichung der in Art 6 vorgesehenen Änderung beschlossen haben, so daß es bei der bisherigen Regelung blieb.

Aus diesen parlamentarischen Beratungen läßt sich nur der Schluß ziehen, daß vom Gesetzgeber von Anfang an, also ab dem Inkrafttreten des PflegeVG und damit auch der Änderung des § 51 Abs 2 SGG, eine Zuweisung aller Angelegenheiten der sozialen und der privaten Pflegeversicherung an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit beabsichtigt war. Denn ansonsten hätte es einer solchen Änderung, wie sie zunächst durch Art 5 bzw Art 6 des Entwurfs des 1. SGB XI-ÄndG geplant war, gar nicht bedurft. Durch das Verwerfen dieser Änderung haben Bundesrat und Bundestag deutlich gemacht, daß es bei der ursprünglichen einheitlichen Rechtswegzuweisung bleiben sollte. Auch der Wortlaut des § 51 Abs 2 Satz 2 SGG spricht eindeutig für eine Einheitlichkeit des Rechtswegs. Der Senat ist auch berechtigt, die Behandlung des Änderungsvorhabens bei der Auslegung zu berücksichtigen. Denn die beabsichtigte Änderung hätte im Falle ihres Inkrafttretens auch das vorliegende Verfahren erfaßt.

Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, lediglich öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nach dem SGB XI in die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu verweisen, hätte es der besonderen ausdrücklichen Rechtswegregelung des § 51 Abs 2 Satz 2 SGG nicht bedurft. Denn öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nach dem SGB XI werden als "Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung" (soziale Pflegeversicherung als neuer Zweig der Sozialversicherung, vgl § 1 Abs 1 SGB XI) ohnehin bereits von § 51 Abs 1 SGG erfaßt (Maschmann, Grundfragen des Rechts der Leistungserbringung in der sozialen Pflegeversicherung ≪SGB XI≫, SGb 1996, S 96). Anzeichen dafür, daß hier überflüssigerweise etwas nochmals geregelt werden sollte, was sich schon aus dieser Generalklausel ergibt, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist - wie ausgeführt - aus den Beratungen des Bundesrates vom 18. April 1996 und vom 3. Mai 1996 (Niederschrift des Beschlußprotokolls der 623. Ausschußsitzung BR-Drucks 228/96 bzw Stenographischer Bericht der 696. Plenarsitzung S 168; BR-Drucks 399/96) sowie des Deutschen Bundestages vom 23. Mai 1996 (Protokoll der 107. Sitzung; BT-Drucks 13/4091) zum 1. SGB XI-ÄndG zu schließen, daß es der mehrheitliche Wille der gesetzgebenden Organe war, sämtliche Streitigkeiten aus dem Bereich der Pflegeversicherung den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zuzuweisen. Dies bestätigt auch die vom Senat eingeholte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 10. Juli 1996.

Auf den in der Literatur geführten Streit um die Reichweite der Rechtswegzuweisung in § 51 Abs 2 Satz 2 SGG in der Zeit vor der Verabschiedung des 1. SGB XI-ÄndG (für eine Zuständigkeit der SGe auch in allen Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung zB Wittich, ZfV 1996, 385, 388; Wendt in Rohwer/Kahlmann, Komm zum SGG, 4. Aufl, Juli 1995, RdNr 60 zu § 51; Danckwerts in Hennig, Komm zum SGG, Stand April 1996, RdNr 27 zu § 51; aA zB Udsching, SGB XI, 1995, RdNr 18 zu § 23; Hommel in Peters/Sautter/Wolff, Komm zum SGG, 4. Aufl, Stand Dezember 1994, RdNr 335c zu § 51; Römer in PKV 4/96, S 46/47) braucht hier nicht eingegangen zu werden. Diese Ausführungen stammen sämtlich aus der Zeit vor den parlamentarischen Beratungen zum 1. SGB XI-ÄndG und konnten daher den dort - zum ersten Male - eindeutig hervorgetretenen Willen des Gesetzgebers nicht berücksichtigen.

Die einheitliche Zuweisung aller Streitigkeiten nach dem SGB XI an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit kann dazu führen, daß diese in Streitigkeiten der privaten Pflegeversicherung auch über die richtige Anwendung privatrechtlicher Vorschriften zu entscheiden haben werden. Dies mag zwar als systemwidrig erscheinen, ist jedoch vom Gesetzgeber aufgrund des Sachzusammenhangs mit der sozialen Pflegeversicherung eindeutig gewollt. Zudem ist die Zuweisung von Klagen aufgrund zivilrechtlicher Ansprüche in den Sozialrechtsweg wegen eines bestehenden Sachzusammenhanges mit sozialrechtlichen Ansprüchen auch nicht derart ungewöhnlich, daß er unter den gegebenen Umständen nicht angenommen werden könnte. So sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit aufgrund einer gesetzlichen Zuweisung zB auch zuständig in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den privaten Leistungserbringern im Bereich der Heil- und Hilfsmittel nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), die ihrer Natur nach dem Zivilrecht zuzuordnen sind (ständige Rechtsprechung, zuletzt Urteile des erkennenden Senats vom 10. Juli 1996 - 3 RK 11/95 und 3 RK 29/95 - beide zur Veröffentlichung im SozR vorgesehen).

Der enge Sachzusammenhang zwischen privater und sozialer Pflegeversicherung ergibt sich auch aus den folgenden Überlegungen. Die Leistungen der privaten Pflegeversicherung, die eine Pflichtversicherung ist, werden durch die §§ 23, 110 SGB XI weitestgehend vorgeschrieben, um eine Gleichwertigkeit des Versicherungsschutzes zwischen der gesetzlichen und der privaten Pflegeversicherung zu erreichen (vgl Jung, Die neue Pflegeversicherung, RdNrn 510 ff und Udsching, aaO, RdNr 13 zu § 23). Aufgrund dessen werden sowohl bei Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten des einen wie des anderen Zweigs der Pflegeversicherung dieselben oder zumindest gleichgeartete Rechtsfragen in Streit stehen. Dies zeigt sich auch im vorliegenden Rechtsstreit, in dem es um die Begriffe der Ersatzpflegekraft (§ 39 SGB XI) und der Pflegeperson (§ 19 SGB XI) geht. Gerade im Interesse der Gleichwertigkeit der Versicherungen und ihrer Leistungen bedürfen diese Rechtsfragen einer einheitlichen Auslegung und Entscheidung.

Aus den Vorgaben der §§ 23, 110 SGB XI folgt zudem, daß es sich bei Streitigkeiten aus einer privaten Pflegeversicherung in der Regel um materiell-rechtliche Fragen handeln wird, die sich aus der Anwendung öffentlich-rechtlicher Rechtsvorschriften, nämlich derer des SGB XI, ergeben. Dies ist ein weiterer Grund, hier die alleinige Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit anzunehmen (vgl auch BSGE 65, 133, 135 = SozR 2100 § 76 Nr 2). Daß darüber hinaus auch Rechtsfragen angesprochen sein können, die ihre Grundlage im Zivilrecht haben, zB im Versicherungsvertragsgesetz, im Bürgerlichen Gesetzbuch oder im Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (s hierzu Römer, PKV 96, S 47) und die im SGB XI festgelegten Leistungsinhalte und Grundansprüche nicht betreffen, kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Die Leistungen der privaten Pflegeversicherung und die Pflichten der Versicherten (zB Beitragspflicht) ergeben sich zwar aus dem Versicherungsvertrag, maßgebend für Voraussetzungen und Umfang dieser Ansprüche ist aber das SGB XI. Die Bestimmungen des Versicherungsvertrags wiederholen nur die in den §§ 23 und 110 SGB XI im einzelnen zwingend festgelegten Leistungsumfänge. Auch aus dem Grundsatz "Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung", der dem SGB XI zugrunde liegt (Jung, aaO, RdNr 500), läßt sich eine Zuständigkeit der Zivilgerichte, die in Angelegenheiten der privaten Krankenversicherung entscheiden, nicht herleiten. Denn mit diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber lediglich aus Gründen der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung bei der Einführung eines neuen Zweigs der Sozialversicherung (Jung, aaO, RdNr 500; Udsching, aaO, RdNr 2 vor §§ 20 bis 27 und RdNr 3 zu § 23) eine organisatorisch sinnvolle Vorgabe gemacht. Eine Entscheidung über den Rechtsweg in der Form, daß nunmehr auch in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung die Zivilgerichte zuständig sein sollten, sollte dadurch aber erkennbar nicht getroffen werden. Dies kommt in den bereits angeführten parlamentarischen Beratungen deutlich und unzweifelhaft zum Ausdruck (so auch Hessisches LSG, aaO).

Zu berücksichtigen ist zudem, daß durch die einheitliche Rechtswegzuweisung die Versicherten in der privaten Pflegeversicherung bei Rechtsstreiten mit ihrem Versicherungsunternehmen den gleichen Rechtsschutz wie Versicherte in der sozialen Pflegeversicherung erlangen können, ohne zB durch das Kostenrisiko bei Klagen vor Zivilgerichten von einer Klageerhebung abgehalten zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 605843

BSGE, 80

MDR 1997, 73

VersR 1998, 486

Breith. 1997, 188

SozSi 1997, 155

SozSi 1997, 73

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