Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung des Werts des Beschwerdegegenstandes im Berufungsverfahren. Umdeutung der Berufung in Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer Klage auf Gewährung einer Geldleistung ist der Wert des Beschwerdegegenstandes im Berufungsverfahren (§ 144 Abs 1 SGG) lediglich nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird. Rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen der Entscheidung über den eingeklagten Anspruch bleiben außer Ansatz (Anschluß an BFH vom 28.9.1967 – IV R 60/67 = BFHE 90, 277, 278; BFH vom 26.1.1970 – IV 204/64 = BFHE 99, 4, 5 und BFH vom 30.3.1978 – IV R 207/74 = BFHE 124, 422, 423).

2. Eine Berufung kann grundsätzlich nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) umgedeutet werden (Anschluß an BSG, Urteil vom 19.11.1996 – 1 RK 18/95 = SozR 3-1500 § 158 Nr 1).

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

SGG § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 145, 160a; ZPO § 4; FGO § 115

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Beschluss vom 30.07.1996; Aktenzeichen L 3 Kg 4/96)

SG Aurich (Entscheidung vom 25.01.1996; Aktenzeichen S 10 Kg 10015/95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. Juli 1996 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beigeladenen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten; im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt die Zahlung von Kindergeld für seinen Sohn T. … über den Monat Oktober 1994 hinaus. Streitbefangen ist (wegen des Beginns des Zivildienstes seines Sohnes) lediglich der Anspruch auf Kindergeld bis einschließlich Oktober 1995.

Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat in seinem Urteil vom 25. Januar 1996 ausgeführt, daß gegen die Entscheidung die Berufung nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stattfinde; es schließt sich die formularmäßige Rechtsmittelbelehrung „Urteil bei zulässiger oder zugelassener Berufung” an.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Beschluß vom 30. Juli 1996 die Berufung verworfen. Es gehe lediglich um die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum ab November 1994 bis „September 1995”, so daß Kindergeldleistungen in Höhe von 770,00 DM im Streit seien. Damit werde der Beschwerdewert von 1.000,00 DM nicht erreicht. Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung stelle keinen Verfahrensmangel iS des § 144 Abs 2 Nr 3 SGG dar. Dem Urteil könne auch nicht entnommen werden, daß das SG die Berufung habe zulassen wollen. Der Beschwerdewert sei ohne Berücksichtigung des kindergeldbezogenen Anteils im Ortszuschlag zu berechnen.

Der Kläger macht mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensmangel geltend. Das LSG habe die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Beschwerdewert dürfe nicht allein nach dem Kindergeld berechnet werden, sondern nach dem Nachteil, der ihm insgesamt durch die angefochtene Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Kindergeldes in einem bestimmten Zeitraum entstehe. Da er automatisch mit der Entziehung des Kindergeldes auch seinen kindergeldbezogenen Ortszuschlag verliere, müsse dieser Nachteil bei der Berechnung des Beschwerdewerts Berücksichtigung finden. Es handele sich insoweit um ein einheitliches Rechtsverhältnis, das nicht in kindergeldrechtliche Angelegenheiten auf der einen und besoldungsrechtliche Fragen auf der anderen Seite aufgespalten werden dürfe. Addiere man den Kindergeldbetrag mit dem kindergeldbezogenen Ortszuschlag, werde die zur Zulässigkeit der Berufung notwendige Beschwerdesumme von 1.000,00 DM überschritten. Im übrigen habe „die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, und zwar insoweit, als klärungsbedürftig ist, wie die Beschwer für die Fälle festzusetzen ist, bei denen zwei Rechtswege – wie das LSG meint – in Anspruch genommen werden müssen”.

 

Entscheidungsgründe

II

Soweit mit der Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend gemacht wird, ist sie bereits unzulässig. Denn zur formgerechten Darlegung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) dieses Zulassungsgrundes gehört das Aufzeigen der Entscheidungserheblichkeit sowie die Auseinandersetzung damit, ob das Bundessozialgericht (BSG) bereits eine Entscheidung gefällt hat, die die aufgeworfene Frage beantwortet (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65), oder ob es Entscheidungen anderer Bundesgerichte gibt, die sich zu diesem Fragenkreis äußern und Schlüsse darauf zulassen, wie die aufgeworfene Rechtsfrage zu beantworten ist. Zu all dem enthält die Beschwerdebegründung jedoch keine Ausführungen. Unabhängig davon bedarf es zur Klärung dieser Fragen nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil im Rahmen der Verfahrensrüge darauf einzugehen ist.

Soweit zulässig, ist die Beschwerde unbegründet. Der als Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das LSG hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ist der kinderbezogene Anteil des Ortszuschlages nicht zu berücksichtigen. Rein kindergeldrechtlich aber beträgt der Wert des Beschwerdegegenstandes nur 12 × 70,00 DM = 840,00 DM (November 1994 bis Oktober 1995). Ein Zählkindervorteil steht hier nicht in Frage. Es sind auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG).

Bei der Frage, ob iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG der „Wert des Beschwerdegegenstandes … bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, eintausend Deutsche Mark … nicht übersteigt”, ist lediglich auf die Leistung abzustellen, zu deren Zahlung verurteilt werden soll, bzw, wie im vorliegenden Fall, die Leistung, die dem Kläger bei Aufhebung des angefochtenen Bescheides allenfalls zustehen kann.

Die zitierte Vorschrift stimmt, soweit hier erheblich, mit § 115 Abs 1 der Finanzgerichtsordnung überein. Diese Vorschrift stellt für die Statthaftigkeit der Revision darauf ab, ob „der Wert des Streitgegenstandes eintausend Deutsche Mark übersteigt”. Insoweit gilt jedoch in ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß in die Streitwertermittlung Folgewirkungen nicht einzubeziehen sind. Für die Berechnung des Streitwerts ist danach nicht das gesamte geldwerte Interesse maßgebend, das ein Steuerpflichtiger an der Durchführung des Rechtsmittelverfahrens hat, sondern lediglich der Steuerbetrag, um den unmittelbar gestritten wird; Auswirkungen auf Steuern in Folgejahren oder auf andere Steuern sind unerheblich. Dies gilt selbst dann, wenn die angestrebte Änderung eines Bescheides kraft bindender Vorschrift weitere Änderungen nach sich ziehen muß (BFH vom 28. September 1967, BFHE 90, 277, 278; s auch BFH vom 26. Januar 1970, BFHE 99, 4, 5 sowie BFH vom 30. März 1978, BFHE 124, 422, 423, jeweils mwN).

Dem schließt sich der Senat für das sozialgerichtliche Verfahren an. Mit der Festlegung einer festen Streitwertgrenze wird eine Vereinfachung des Verfahrens angestrebt: Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, allein wegen des Streitwerts nach allen Richtungen hin zu prüfen, welche Auswirkungen das angestrebte Urteil für den Rechtsmittelkläger auch in anderen Bereichen haben könnte. Dann aber sind – erst recht – Folgewirkungen eines Streits für solche Streitgegenstände unerheblich, die nicht nur in anderen Gerichtsverfahren, sondern auch innerhalb eines anderen Rechtsweges zu verfolgen sind. Dies entspricht auch der Regelung im Zivilprozeß. Dort ist nach § 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) bei Zahlungsansprüchen auf den Geldbetrag abzustellen, und zwar ohne Zinsen (vgl auch Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl 1993, § 144 RdNr 15).

Offenbleiben kann, ob mit der Beschwerde ordnungsgemäß gerügt ist, daß die Verwerfung der Berufung durch das LSG auch in anderer Hinsicht fehlerhaft ist. Denn es stellt insbesondere keinen Verfahrensfehler dar, daß das LSG die aufgrund einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung eingelegte Berufung verworfen hat, weil die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) der gegebene Rechtsbehelf gewesen wäre. Eine solche Berufung ist als unzulässig zu verwerfen und nicht etwa in eine Nichtzulassungsbeschwerde umzudeuten (BSG, Urteil vom 19. November 1996 – 1 RK 18/95 – zur Veröffentlichung vorgesehen ≪ZVv≫). Freilich bleibt in einem solchen Falle die Nichtzulassungsbeschwerde möglich. Dabei braucht hier nicht entschieden zu werden, ob die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der Jahresfrist einzulegen ist oder grundsätzlich ohne Bindung an eine Frist eingelegt werden kann (vgl zu diesem Fragenkreis BSG, Urteil vom 19. November 1996 – 1 RK 18/95 – ZVv; BVerwGE 71, 359, 361; Zeihe NVwZ 1995, 560; Ulmer SGb 1996, 208).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173245

MDR 1997, 506

SGb 1998, 320

SozR 3-1500 § 144, Nr.11

SozSi 1997, 279

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