Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.09.2000; Aktenzeichen L 9 AL 81/98)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2000 wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2000 Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts M. … – …, … A. …, zu bewilligen, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 1. Februar 1990.

Der Kläger war vom 11. Juli 1989 bis 30. Januar 1990 in Haft. Zuvor war er arbeitslos. Während der Strafhaft wurde ihm vom 21. bis 27. Juli, 31. Juli bis 8. September, 19. September bis 26. September, am 2. Oktober 1989 sowie vom 19. Januar bis 26. Januar 1990 eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt nach § 43 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) zugewiesen. Die Beschäftigung unterlag der Beitragspflicht nach § 168 Abs 3a Arbeitsförderungsgesetz aF (AFG). Der Kläger meldete sich nach Verbüßung der Strafhaft am 1. Februar 1990 arbeitslos und beantragte Alhi. Die Beklagte vermerkte anläßlich der Arbeitslosmeldung, daß kein Leistungsanspruch bestehe, weil der Kläger keine 150 Tage beitragspflichtiger Beschäftigung innerhalb der Vorfrist zurückgelegt habe.

Der Kläger führte in der Folgezeit von 1991 bis September 1995 einen Rechtsstreit gegen das Land Nordrhein-Westfalen, mit dem er begehrte, daß dieses eine Ausfallentschädigung für die Zeit seiner Inhaftierung vom 11. Juli 1989 bis 30. Januar 1990 zu zahlen und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten habe. Dieses Begehren blieb erfolglos (Urteil des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 11. September 1995 – 12 RK 9/95 –). Mit Schreiben vom 15. November 1995 beantragte der Kläger die „Wiederaufnahme” seines Antrags auf Alhi vom 1. Februar 1990. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 23. Mai 1996 idF des Änderungsbescheides vom 5. Juni 1996, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 1996, ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe in der einjährigen Vorfrist vom 1. Februar 1989 bis 31. Januar 1990 während der Haft lediglich 72 Kalendertage beitragspflichtiger Beschäftigung zurückgelegt. Für die übrige Zeit habe er keine Beschäftigung nachgewiesen.

Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 8. Mai 1998; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2000). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe in der Vorfrist von einem Jahr (1. Februar 1989 bis 31. Januar 1990) keine 150 Tage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden oder Zeiten zurückgelegt, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen könnten. Während des genannten Zeitraums habe er lediglich 63 Kalendertage während der Haftzeit nachgewiesen, in denen er als Strafgefangener wegen des Bezugs von Arbeitsentgelt beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei. Weitere Beitragszeiten oder gleichgestellte Zeiten habe er nicht belegt und auch nicht behauptet. Der Kläger könne die Anwartschaftszeit von 150 Kalendertagen auch dann nicht erfüllen, wenn ihm für die Zeit einer nicht zugewiesenen Arbeit in der Haft eine Ausfallentschädigung zugestanden hätte. Denn nach § 45 Abs 5 StVollzG werde eine solche Ausfallentschädigung längstens für sechs Wochen (also 42 Tage) gewährt, so daß er höchstens 105 Kalendertage in der Haftzeit hätte zurücklegen können. Schließlich sei es auch nicht verfassungswidrig, daß nur derjenige Strafgefangene nach § 168 Abs 3a AFG aF in der Arbeitslosenversicherung Beitragszeiten zurücklegen könne, der Leistungen nach §§ 43 bis 45, 176, 177 StVollzG erhalte. Das BSG habe bereits mehrfach entschieden, daß die Entscheidung über die Beitragspflicht Gefangener dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Zwar sei der Schutz der Strafgefangenen in den sozialen Sicherungssystemen, wie gerade die §§ 190 ff StVollzG zeigten, bis heute bruchstückhaft geblieben. Dieser Rechtszustand könne aber nicht unter Berufung auf den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) beseitigt werden.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Er rügt die Verfassungswidrigkeit der §§ 43 bis 45, 176 und 177 StVollzG und des § 168 Abs 3 AFG bzw § 26 Abs 1 Nr 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Durch die in diesen Normen vorgesehene Regelung solle Strafgefangenen im Interesse ihrer Resozialisierung die Möglichkeit eröffnet werden, bereits während der Haftzeit anwartschaftsbegründende Zeiten zurückzulegen und ggf für die Zeit nach ihrer Entlassung einen Leistungsanspruch zu erwerben. Die in § 168 Abs 3 AFG bzw § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III vorgesehene Beitrags- bzw Versicherungspflicht der Empfänger von Ausfallentschädigungen laufe jedoch leer, da der Gesetzgeber das Inkrafttreten der die Ausfallentschädigung regelnden Bestimmung des § 45 gemäß § 198 Abs 3 StVollzG einem besonderen Bundesgesetz vorbehalten habe, das bisher nicht erlassen worden sei. Die hieraus resultierende faktische Beschränkung der in § 168 Abs 3 AFG bzw § 26 Abs 1 Nr 4 SGB III vorgesehenen weitergehenden Beitrags- bzw Versicherungspflicht führe zwangsläufig zu einer Ungleichbehandlung der Gefangenen, denen Arbeit zugewiesen werde, und der Gefangenen, denen aus nicht in ihrer Person liegenden Gründen keine Arbeit zugewiesen werden könne, wodurch die letztere Gruppe – wie sein Beispiel zeige – erheblich benachteiligt werde. Wäre ihm während der gesamten Dauer seiner Haftzeit Arbeit zugewiesen worden, so hätte sich eine beitragspflichtige Zeit von insgesamt 204 Kalendertagen ergeben, aufgrund derer er die Anwartschaftszeit von 150 Kalendertagen nach dem damals geltenden § 134 Abs 1 Nr 4b AFG erfüllt hätte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei eine sich aus Art 3 GG ergebende Pflicht zur Gleichbehandlung verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandele, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten. In einem Revisionsverfahren würde sich daher zunächst die Rechtsfrage stellen, ob die sich aus der Gesetzeslage ergebende Ungleichbehandlung und Benachteiligung der Gefangenen, denen aus nicht in ihrer Person liegenden Gründen keine Arbeit zugewiesen werden könne, gegen Art 3 GG verstoße. Diese Rechtsfrage sei durch die bisherige Rechtsprechung des BSG noch nicht geklärt. Bisherige Entscheidungen hätten insbesondere die Einbeziehung Gefangener in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung betroffen. Im Gegensatz zu diesen Rechtsgebieten habe der Gesetzgeber aber Gefangene in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung grundsätzlich einbezogen. Deshalb sei er auch verpflichtet, im Bereich der Arbeitslosenversicherung für eine Gleichbehandlung der Gefangenen Sorge zu tragen und nicht Gefangene mit Arbeitsentgelt zu bevorzugen und demgegenüber Gefangene, denen aus nicht von ihnen zu vertretenden Gründen keine Arbeit zugewiesen werden könne und die deshalb auch kein Arbeitsentgelt erhalten könnten, zu benachteiligen. Daher stelle sich in dem Rechtsstreit die Frage, ob dem geltend gemachten Anspruch des Klägers in jedem Falle die zeitliche Begrenzung der Ausfallentschädigung gemäß § 45 Abs 5 StVollzG entgegenstünde. Grundsätzlich sei zu klären, ob eine als beitragspflichtig bzw versicherungspflichtig anzurechnende Zeit, in der dem Gefangenen aus nicht in seiner Person liegenden Gründen keine Arbeit zugewiesen werden könne, generell auf die Dauer von sechs Wochen jährlich begrenzt sei oder ob sich die in § 45 Abs 5 StVollzG vorgesehene zeitliche Begrenzung lediglich auf die in § 45 Abs 2 und 3 StVollzG geregelten Fälle beziehe. Eine zeitliche Befristung der Ausfallentschädigung gegenüber arbeitsfähigen Gefangenen, denen aus nicht in ihrer Person liegenden Gründen länger als eine Woche keine Arbeit oder Beschäftigung zugewiesen werden könne, begegne ebenfalls erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Entscheidungsgründe

II

Es kann dahinstehen, ob der Kläger in zulässiger Weise eine grundsätzliche Bedeutung der in dem Rechtsstreit aufgeworfenen Rechtsfragen aufgezeigt hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG; § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Jedenfalls ist seine Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet.

Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Der Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG ist nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 71, 146, 154 ff; 87, 1, 36). Zwischen den beiden vom Kläger aufgezeigten Gruppen von Normadressaten bestehen hingegen solche wesensmäßigen Unterschiede, daß eine ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist. Übt der Gefangene eine zugewiesene Arbeit oder sonstige Beschäftigung aus, so erhält er nach § 43 Abs 1 StVollzG ein Arbeitsentgelt, von dem die Vollzugsbehörde nach § 195 StVollzG Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit zu entrichten hat. Leistet ein Strafgefangener hingegen keine Arbeit iS des § 43 StVollzG, so sind auch keine Beiträge zu entrichten. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen besteht somit darin, daß die eine Gruppe eine beitragspflichtige Beschäftigung iS des § 168 Abs 3 Satz 1 AFG ausübt, die andere nicht. Diese Unterschiede sind von solcher Art und solchem Gewicht, daß sie eine ungleiche Behandlung im Rahmen der Sozialversicherung rechtfertigen. Es stellt geradezu das Wesensmerkmal der gesetzlichen Sozialversicherung dar, daß die Beitragspflicht an eine beitragspflichtige Beschäftigung anknüpft.

Der Strafgefangene steht in einem öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis eigener Art (Däubler/Spaniol in Feest (Hrsg) Kommentar zum StVollzG, vor § 37 RdNr 30). Ihm steht insofern kein Anspruch auf eine bestimmte Arbeit zu, wie sich aus dem Wortlaut des § 37 StVollzG ergibt. Allerdings hat er in „Knappheitssituationen” einen Anspruch auf Zuweisung von Arbeit ähnlich dem Zulassungsanspruch des Studenten, der unter den Numerus Clausus einer Hochschule fällt (Däubler/Spaniol, aaO, vor § 37 RdNr 26). Nach § 43 StVollzG besteht ein Anspruch auf Arbeitsentgelt aber nur, soweit tatsächlich gearbeitet wurde. Der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn” gilt auch im Strafvollzug (vgl Däubler/Spaniol, aaO, § 43 RdNr 2). In § 43 StVollzG sind bislang sozialpolitische Korrekturen, wie sie etwa dem § 616 Bürgerliches Gesetzbuch und dem Entgeltfortzahlungsgesetz entsprechen (Vergütungspflicht bei Dienstverhinderung), gerade nicht erfolgt. Aus der bislang nicht in Kraft gesetzten Vorschrift des § 45 StVollzG folgt zudem, daß auch eine entsprechende Anwendung solcher arbeitsrechtlicher Vorschriften nicht in Betracht kommt (vgl Däubler/Spaniol aaO).

Soweit das Vorbringen des Klägers so zu verstehen ist, daß die gesamte Zeit der Verbüßung einer Strafhaft gleichsam als Beitragszeit zu behandeln sei, wenn einem Strafgefangenen aus von diesem nicht zu vertretenden Gründen keine Arbeit zugewiesen werden könne, so widerspricht dies den – soeben aufgezeigten – Regelungen der §§ 37, 41, 43 StVollzG. Eine solche Rechtsfolge – entgegen dem StVollzG – herbeizuführen ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. In seiner letzten Leitentscheidung zum Strafvollzug vom 1. Juli 1998 (BVerfGE 98, 169) hat das BVerfG ua ausgeführt, daß es aus Resozialisierungsgründen unter Berücksichtigung des Art 20 Abs 1 GG und des Art 3 Abs 1 GG nicht geboten ist, im Strafvollzug zu leistende Pflichtarbeit mit freier Erwerbsarbeit grundsätzlich gleichzustellen. Vielmehr komme dem Gesetzgeber beim Vergleich von Sachverhalten ein erheblicher Bewertungsspielraum zu (BVerfGE 98, 169, 204). Der Gesetzgeber ist nach dieser Entscheidung des BVerfG schon nicht gehalten, jede in Betracht kommende Beschäftigung im Strafvollzug am Schutz der Sozialversicherung teilnehmen zu lassen (BVerfG aaO). Das Begehren des Klägers im vorliegenden Fall geht sogar noch darüber hinaus. Hat das BVerfG es schon abgelehnt, die im Strafvollzug geleistete Arbeit sozialversicherungsrechtlich in jeder Hinsicht mit freier Arbeit in einem „normalen” Beschäftigungsverhältnis gleichzustellen, so begehrt der Kläger die Gleichstellung einer Haftzeit mit der Zeit eines Beschäftigungsverhältnisses, unabhängig davon, ob tatsächlich Arbeit gemäß § 43 StVollzG geleistet wurde oder nicht. Eine so weitgehende Gleichsetzung der Verbüßung von Strafhaft mit einer beitragspflichtigen Beschäftigung kann weder aus dem Resozialisierungsgedanken noch aus sonstigen Gesichtspunkten übergeordneten Rechts abgeleitet werden.

Hieraus folgt, daß auch der Antrag des Klägers, ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, gemäß § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozeßordnung abzulehnen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175848

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