Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Beiordnung eines Notanwalts. Beantragung der Aufhebung der Bestellung durch den Rechtsanwalt. Nichtzahlung eines Kostenvorschusses in Höhe der Mittelgebühr. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Orientierungssatz

1. Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu einem als Notanwalt beigeordneten Rechtsanwalt durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten mit der Folge der Entpflichtung des Anwalts ist gegeben, wenn die Partei die Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe der Mittelgebühr gem § 14 Abs 1 S 1 RVG iVm Nr 3512 RVG-VV ablehnt und erklärt, lediglich die Mindestgebühr zahlen zu wollen (vgl BGH, Beschlüsse vom 10.8.1998 - VI ZR 174/97 = EzFamR ZPO § 78b Nr 1 und vom 31.10.1991 - XII ZR 212/90 = BGHR ZPO § 121 Entpflichtung 1). In diesem Fall ist die Beiordnung eines neuen Anwalts ausgeschlossen, da die Ansetzung der Mittelgebühr für die Vertretung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zum BSG nicht billigem Ermessen widerspricht. Dies gilt umso mehr, als die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes besondere Anforderungen an die anwaltliche Darlegungspflicht stellt.

2. Soweit aufgrund des unter 1. geschilderten Verhaltens der Partei die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt wird, ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da das Verhalten als rechtsmissbräuchlich und die Versäumnis der Frist somit als schuldhaft zu bewerten sind.

 

Normenkette

SGG § 202; ZPO § 78c Abs. 1-2; RVG § 14 Abs. 1 S. 1; RVG-VV Nr. 3512; BRAO § 48 Abs. 2; SGG § 67 Abs. 1, § 160a Abs. 4 S. 1 Hs. 2, § 169 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 04.12.2008; Aktenzeichen L 12 R 31/05)

SG Bremen (Urteil vom 30.06.2005; Aktenzeichen S 8 RA 71/03)

 

Tatbestand

Auf Antrag des Klägers hat ihm der Senat mit Beschluss vom 30.6.2009 einen Notanwalt in dem Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4.12.2008 insoweit beigeordnet, als der Kläger eine höhere Rente aufgrund der Bewertung des Zeitraums vom 1.9.1986 bis 30.9.1988 begehrt. Im Übrigen hat der Senat den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts abgelehnt.

Der gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 78c Abs 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) als Notanwalt bestellte Rechtsanwalt Dr. H., Mainz-Kastel, hat mit Schreiben vom 30.7.2009 die Übernahme der Vertretung gemäß § 78c Abs 2 ZPO davon abhängig gemacht, dass der Kläger einen Vorschuss gemäß § 9 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) zahlt. Als Vorschuss hat er die Mittelgebühr gemäß § 14 RVG iVm Nr 3512 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum RVG (vgl § 2 Abs 2 RVG) in Ansatz gebracht. Daraufhin hat der Kläger mit Schreiben vom 8.8.2009 die "verbindliche" Festsetzung der Rechtsanwaltsvergütung auf 80,00 Euro bei Dr. H. beantragt, da der zu bearbeitende Fall "reine Formsache" sei. Ein Prozesskostenhilfeantrag komme für ihm nicht in Frage. Zwar beziehe er nur eine kleine Rente in Höhe von 748,92 Euro monatlich; er bewohne aber eine eigene Eigentumswohnung.

Mit Schreiben vom 11.8.2009 hat Rechtsanwalt Dr. H. die Aufhebung seiner Bestellung als Notanwalt gemäß § 78c Abs 2 ZPO iVm § 48 Abs 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) beantragt. Der nicht gezahlte Kostenvorschuss stelle einen wichtigen Grund zur Aufhebung der Bestellung als Notanwalt dar. Das Ansinnen des Klägers, ihn zur Festsetzung einer unangemessen niedrigen Vorschusszahlung zu bewegen, habe das Vertrauensverhältnis zum Mandanten endgültig zerstört. Vorsorglich hat Rechtsanwalt Dr. H. beantragt, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren.

Der Vorsitzende des erkennenden Senats hat mit Verfügung vom 18.8.2009 die Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. H. aufgehoben.

Der Kläger ist zur beabsichtigten Aufhebung der Beiordnung eines Notanwalts angehört worden. Mit Schreiben vom 13.8.2009 trägt er vor, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Dr. H."überhaupt nicht zustande gekommen sein konnte". Er habe nicht "gefordert", sondern nur "gebeten", das Honorar entsprechend niedrig anzusetzen. Im Übrigen beantragt er die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts, der bereit sei, für ein Honorar im Bereich der unteren Grenze der Rahmengebühr (80,00 Euro) die Vertretung zu übernehmen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beiordnung eines Notanwalts (Beschluss des Senats vom 30.6.2009) war aufzuheben. Nach Aufhebung der Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. H. hat der Kläger keinen Anspruch, einen anderen Rechtsanwalt als Notanwalt beigeordnet zu erhalten. Eine solche Beiordnung kommt dann nicht mehr in Betracht, wenn das Vertrauensverhältnis zu dem beigeordneten Anwalt durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten des Mandanten zerstört worden ist und dies die Entpflichtung des Anwalts verursacht hat (vgl BGH, Beschlüsse vom 10.8.1998, Az: VI ZR 174/97, EzFamR ZPO § 78b Nr 1; und vom 31.10.1991, XII ZR 212/90, VersR 1992, 721) . Der Mandant soll dann nicht einfach auf Staatskosten die Beiordnung eines neuen Anwalts verlangen dürfen; denn ein solches Verhalten wäre rechtsmissbräuchlich (vgl BGH aaO;OLG Celle, Beschluss vom 5.2.2007, 6 W 2/07, Nds Rpfl 2007, 154).

So liegt der Fall hier. Der Kläger hat erklärt, lediglich 80,00 Euro nebst Postgebühren und Mehrwertsteuer für die Vertretung im Beschwerdeverfahren zahlen zu wollen. Ebenso wie Dr. H. dürfte jeder andere Rechtsanwalt die Übernahme des Mandats berechtigterweise ablehnen.

Gemäß § 78c Abs 2 ZPO kann ein als Notanwalt beigeordneter Rechtsanwalt - wie hier geschehen - die Übernahme der Vertretung davon abhängig machen, dass die Partei ihm einen Vorschuss zahlt, der nach dem RVG zu bemessen ist. Gemäß § 14 Abs 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt innerhalb der einschlägigen Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers seine Gebühr nach billigem Ermessen. Die Rahmengebühr im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem Bundessozialgericht (BSG) beträgt zwischen 80,00 und 800,00 Euro; die Mittelgebühr beträgt mithin 440,00 Euro zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer (vgl Hartmann, Kostengesetze, Komm 39. Aufl 2009, VV 3512 RdNr 1) .

Es widerspricht nicht billigem Ermessen, für die Vertretung im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zum BSG die Mittelgebühr, die einem Verfahren durchschnittlichen Umfangs und Schwierigkeitsgrades entspricht, anzusetzen. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich nicht um eine "reine Formsache", denn die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bei behaupteter Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes stellt besonders hohe Anforderungen an die rechtsanwaltliche Darlegungspflicht. Dies gilt auch dann, wenn es für den Kläger um weniger als 3,00 Euro/Monat an zusätzlicher Rente geht. Deshalb drängt sich nicht auf, dass Dr. H. gehalten gewesen wäre, lediglich die untere Grenze der Rahmengebühr zu beanspruchen. Schließlich hat der Kläger unter Hinweis auf seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse von vornherein von der Beantragung von Prozesskostenhilfe gemäß § 73a SGG iVm § 114 ff ZPO Abstand genommen. Für eine besondere Bedürftigkeit liegen daher keine Anhaltspunkte vor.

Damit hat sich der Antrag des Klägers erledigt, ihm erneut einen Notanwalt beizuordnen.

2. Der Antrag des Klägers, ihm für die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, war abzulehnen. Der Kläger war nicht gemäß § 67 Abs 1 SGG ohne sein Verschulden verhindert, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten.

Denn der Kläger hat das Versäumnis der verstrichenen Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde verschuldet. Das Verhalten des Klägers war rechtsmissbräuchlich.

3. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der bis zum 16.3.2009 verlängerten Frist begründet worden ist (vgl § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG) . Eine Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten ist beim BSG nicht eingegangen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

ZAP 2010, 317

RVGreport 2010, 318

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