Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflichtverletzung des Geschäftsführers

 

Leitsatz (amtlich)

  1. Eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers (hier: einer Krankenkasse) entfällt jedenfalls dann nicht durch Genehmigung des Vorstands, wenn dieser dadurch selbst pflichtwidrig handelt.
  2. Hat ein Verschulden sowohl des Geschäftsführers wie des Vorstands den Schaden des Sozialversicherungsträgers verursacht, haftet der Geschäftsführer als Gesamtschuldner mit den Vorstandsmitgliedern. Seine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Versicherungsträger wird durch die Mithaftung der Vorstandsmitglieder nicht auf einen dem Maß seiner Mitverantwortung entsprechenden Anteil beschränkt.
  3. Schadensersatzansprüche eines Sozialversicherungsträgers gegen seinen Geschäftsführer wegen Pflichtverletzungen aus der Zeit nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Teil IV sind, wenn der Geschäftsführer Dienstordnungs-Angestellter ist, im Zivilrechtsweg vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.
 

Normenkette

BGB §§ 276, 426; GVG § 13

 

Tatbestand

Der Beklagte war vom 1. Oktober 1965 bis 30. November 1979 Geschäftsführer der Klägerin, einer Innungskrankenkasse. Nach dem Angestelltenvertrag vom 10. August 1965 galten für sein Dienstverhältnis die Vorschriften ihrer Dienstordnung.

Die Klägerin fordert von dem Beklagten Ersatz des Schadens, der ihr nach ihrem Vortrag infolge der Anmietung einer Datenverarbeitungsanlage und des zugehörigen Software-Komplexes im Dezember 1977 entstanden ist. Das Landgericht und das Oberlandesgericht gaben der Klage teilweise statt.

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

A

Das Berufungsgericht geht ohne Begründung von der Zulässigkeit der Klage aus. Die Revision rügt, der Rechtsweg zu den Zivilgerichten sei nicht zulässig. Zur Entscheidung über den geltend gemachten Schadensersatzanspruch seien die Sozialgerichte berufen. Die Rüge greift nicht durch.

1.

Die Klägerin, ein Träger der Sozialversicherung (vgl. §§ 4, 21 Abs. 2 SGB I, §§ 1 Abs. 1, 29 SGB IV, § 225 Abs. 1 RVO), begehrt Ersatz eines Schadens, den ihr der Beklagte durch Verletzung seiner Pflichten als Geschäftsführer zugefügt haben soll.

Der Beklagte stand als dienstordnungsmäßig Angestellter im Sinne des § 351 Abs. 1 RVO in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Klägerin (BSGE 2, 53, 56 ff.; BVerwG DVBl 1956, 267; USK 82252; BAGE 2, 81, 82 f.; BAG AP BGB § 611 Dienstordnungs-Angestellte Nr. 49 und 53). Für Streitigkeiten aus seinem Dienstverhältnis ist deshalb der Zivilrechtsweg gegeben. Das gilt nicht nur für Streitigkeiten über seine Rechte als Dienstordnungs-Angestellter, sondern grundsätzlich auch, wenn es um Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen geht (vgl. für Disziplinarmaßnahmen BAG AP BGB § 611 Dienstordnungs-Angestellte Nr. 31, 32, 53).

Sachlich zuständig sind die ordentlichen Gerichte, wenn es um Rechte oder - wie hier - Verpflichtungen aus der aktiven Dienstzeit als Geschäftsführer geht. Denn der Geschäftsführer eines Sozialversicherungsträgers ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes. Er vertritt kraft Gesetzes den Versicherungsträger bei laufenden Verwaltungsgeschäften (§ 36 Abs. 1 SGB IV; vgl. BAGE 9, 313, 315 f.).

2.

Vor Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Teil IV am 1. Juli 1977 war die Haftung des Geschäftsführers gegenüber dem Versicherungsträger durch § 7 Abs. 5 des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über die Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung vom 22. Februar 1951 (GSv; BGBl. I 124) und § 14 Abs. 2 des Gesetzes über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung in der Fassung vom 23. August 1967 (SVwG; BGBl 1918) geregelt. Ansprüche aus diesen Vorschriften waren nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor den Sozialgerichten zu verfolgen (BSGE 33, 209; USK 71212; vgl. auch BSGE 35, 121). Einen Anspruch aus diesen Gesetzesbestimmungen macht die Klägerin nicht geltend. Sie leitet ihre Forderung aus Vorgängen nach dem 1. Juli 1977 her, für die § 7 Abs. 5 GSv und § 14 Abs. 2 SVwG nicht mehr gelten. Die erstgenannte Vorschrift war schon durch das Selbstverwaltungsgesetz von 1967 aufgehoben und durch § 14 Abs. 2 SVwG ersetzt worden. Diese Bestimmung ist gemäß Artikel II § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IV mit Wirkung vom 1. Juli 1977 außer Kraft getreten. Das Sozialgesetzbuch Teil IV enthält keine Vorschriften über die Haftung des Geschäftsführers eines Sozialversicherungsträgers. Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu den §§ 38 bis 67 SGB IV (BT-Drucksache 7/4122 Seite 36) ergibt, hielt der Gesetzgeber eine besondere Regelung für Geschäftsführer, auch soweit sie in den Selbstverwaltungsorganen von Sozialversicherungsträgern tätig werden, für nicht erforderlich, weil sich ihre Haftung aus dem für sie maßgebenden Dienstrecht ergebe. Demgemäß entspricht es allgemeiner Auffassung, daß sich die Haftung des Geschäftsführers gegenüber dem Versicherungsträger jetzt nach dem Dienstrecht richtet (vgl. Krause/von Maydell/Merten/Meydam, GK-SGB IV § 36 Rdnr. 36; Hauck/Haines, SGB IV/1 K § 42 Rdnr. 3; Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil I/2 § 36 SGB IV Anm. 2; Grüner/Brückner/Dalichau/Podlech/Prochnow, Sozialgesetzbuch Band II § 42 SGB IV Anm. II 1 c; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Band I/1 Seite 160 b; Marburger SGb 1981, 12, 15; Stüwe, Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1977, 248, 253).

Über den Rechtsweg für dienstrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer hat das Bundessozialgericht noch nicht entschieden. Im Schrifttum besteht Streit, ob auch dafür der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist (so Stüwe aaO Seite 253 f.) oder ob nunmehr die Zivilgerichte zuständig sind, wenn der Geschäftsführer - wie hier - Dienstordnungs-Angestellter ist (so Brackmann aaO Seite 160 c; Krause/von Maydell/Merten/Meydam § 42 SGB IV Rdnr. 32; Peters aaO § 36 SGB IV Anm. 11). Der Senat teilt letztere Auffassung.

a)

Der Beklagte hatte in Bezug auf die Klägerin eine doppelte Rechtsstellung: Als Dienstordnungs-Angestellter stand er in einem durch den Anstellungsvertrag (§ 354 Abs. 1 RVO) begründeten, durch die §§ 351 f. RVO und die Dienstordnung der Klägerin näher ausgestalteten privatrechtlichen Dienstverhältnis im Sinne des § 611 BGB. Als Geschäftsführer war er Organ der Klägerin (vgl. § 31 SGB IV; Peters aaO § 31 SGB IV Anm. 3; Hauck/Haines K § 31 SGB IV Rdnr. 7; Naujoks SGb 1977, 41, 44; DOK 1977, 281, 286; für das frühere Recht vgl. BSG USK 71212; Standlmaier, Die zivilrechtliche Haftung der Organmitglieder und Geschäftsführer gegenüber den Versicherungsträgern im Rahmen des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Sozialversicherung, Diss. München 1966, S. 22; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Diss. Würzburg 1972, S. 200; Meydam SGb 1976, 77, 78 f.). Insoweit beruhte seine Rechtsstellung auf der Wahl durch das zuständige Selbstverwaltungsorgan; seine Aufgaben und Befugnisse als Geschäftsführer regelten unmittelbar Vorschriften des Sozialversicherungsrechts über die Verfassung des Versicherungsträgers. Streitigkeiten, die die Organstellung des Geschäftsführers betreffen, sind - anders als die Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis - sozialrechtlicher Natur und gehören deshalb zur Zuständigkeit der Sozialgerichte (vgl. Krause/von Maydell/Merten/Meydam § 36 SGB IV Rdnr. 38; Peters aaO § 36 SGB IV Anm. 11; Leopold aaO S. 202).

b)

In § 7 GSv und § 14 SVwG war die Haftung des Geschäftsführers entsprechend der Haftung der Mitglieder von Selbstverwaltungsorganen (Vorstand, Vertreterversammlung) des Versicherungsträgers gestaltet. Das Bundessozialgericht hat sie als eine zum Sozialversicherungsrecht gehörende Organhaftung angesehen und deshalb den Sozialrechtsweg bejaht. Das Sozialgesetzbuch Teil IV enthält in § 42 eine entsprechende Haftungsvorschrift nur noch für die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, für Versichertenälteste und Vertrauensmänner. Die sozialversicherungsrechtliche Organhaftung des Geschäftsführers ist dagegen entfallen. Seine Haftung nach Dienstrecht gehört dem Privatrecht an, wenn er, wie der Beklagte, Dienstordnungs-Angestellter ist.

c)

Das für den Beklagten maßgebende Dienstrecht ist das Dienstordnungsrecht, durch das sein privatrechtliches Dienstverhältnis zur Klägerin näher ausgestaltet war (Art. II § 21 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in Verbindung mit § 15 Abs. 6 Satz 1 SVwG, § 351 f. RVO). Maßgebend für den Zeitraum, in den die von der Klägerin behaupteten Pflichtverletzungen des Beklagten fallen, war die ordnungsgemäß (vgl. §§ 346 Abs. 2 Nr. 1, 355 RVO) zustandegekommene Dienstordnung der Klägerin vom 11. Dezember 1972 in der Fassung des 1. Nachtrags vom 5. Dezember 1974, die bis zum 30. Juni 1979 in Kraft war. Nach deren § 25 Abs. 1 lit. e gelten für die Dienstordnungs-Angestellten entsprechend oder sinngemäß die jeweiligen Vorschriften für Landesbeamte über die Pflichten der Beamten und die Folgen ihrer Nichterfüllung, soweit nicht durch besondere gesetzliche Vorschriften oder in der Dienstordnung etwas anderes bestimmt ist. Wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, ist damit für die Haftung der Dienstordnungs-Angestellten gegenüber der Klägerin auf § 84 LBG NW (in der bis zum 31. Dezember 1981 gültigen Fassung der Bekanntmachung vom 1. Mai 1981 - GVBl NW 1981, 234; vgl. Art. II Abs. 1 des 5. Änderungsgesetzes vom 14. September 1982, GVBl NW 1982, 596) verwiesen, der als Folge der Nichterfüllung von Beamtenpflichten die Haftung des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn regelt (vgl. Siebeck, Dienstordnungsrecht bei den Trägern der Krankenversicherung 3. Teil S. 258). Während des hier interessierenden Zeitraums bestand für den Beklagten als Geschäftsführer keine abweichende Haftungsregelung. § 14 Abs. 2 SVwG, der die Haftungsvorschrift der Dienstordnung bezüglich des Geschäftsführers überlagert hatte, war mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Teil IV aufgehoben worden. Die bis zum 31. Dezember 1977 gültige Satzung der Klägerin vom 12. Dezember 1974 in der Fassung des 3. Nachtrags vom 4. April 1977 enthielt zwar in § 9 Abs. 1 Satz 2 noch eine dem § 14 Abs. 2 SVwG entsprechende Vorschrift. Sie war aber, wie die Verweisung am Textrand zeigt, nur ein Hinweis auf die inzwischen aufgehobene gesetzliche Bestimmung ohne eigenständigen Regelungsgehalt. Als die Satzung erlassen wurde, war für eine autonome Haftungsregelung durch die Klägerin kein Raum, weil höherrangiges Gesetzesrecht galt. Mit der Aufhebung des § 14 Abs. 2 SVwG ist der in der Satzung enthaltene Hinweis auf diese Vorschrift gegenstandslos geworden (vgl. Art. II § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IV).

d)

Die Verweisung der Dienstordnung auf § 84 LBG NW macht die Schadensersatzforderung der Klägerin nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit. Zwar gehört das Beamtenrecht zum öffentlichen Recht. § 84 LBG NW ist hier aber nur anwendbar, weil die Dienstordnung der Klägerin darauf verweist. Die Dienstordnung ist autonomes Satzungsrecht der Klägerin, das aufgrund gesetzlicher Ermächtigung im Rahmen höherrangigen staatlichen Rechts die Rechts- und allgemeinen Dienstverhältnisse der Dienstordnungs-Angestellten zwingend regelt (§§ 351, 352, 357 RVO; vgl. BAG AP BGB § 611 Dienstordnungs-Angestellte Nr. 49 und 53; Siebeck aaO S. 1 f.). Verweist die Dienstordnung auf Vorschriften des staatlichen Rechts, so werden diese für den Geltungsbereich der Dienstordnung aufgrund der Bezugnahme in Satzungsrecht transformiert und gelten als Bestandteil der Dienstordnung (vgl. BVerwG USK 82252; Siebeck aaO S. 245). Das Bundesarbeitsgericht sieht allerdings auch die Dienstordnung als öffentliches Recht an, obwohl sie ein privatrechtliches Dienstverhältnis regelt. Diese Einordnung erscheint dem Senat weder aufgrund des zwingenden Charakters der Vorschriften noch wegen des Umstandes geboten, daß es sich um Satzungsrecht einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft handelt. Die Frage bedarf indessen keiner abschließenden Entscheidung. Ausschlaggebend für die Zuordnung der vorliegenden Haftungsklage zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist nämlich, daß Streitigkeiten über die durch die Dienstordnung geregelten Rechte und Pflichten der Angestellten auch nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Rechte und Pflichten aus einem privatrechtlichen Dienstverhältnis betreffen. Für Haftungsansprüche, die aufgrund der Dienstordnung gegen den Geschäftsführer eines Sozialversicherungsträgers geltend gemacht werden, kann insoweit seit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Teil IV nichts anderes gelten, als für andere Rechte und Pflichten, die sich aus der Dienstordnung ergeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456266

BGHZ, 18

NJW 1985, 2194

ZIP 1985, 529

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