Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeitsantrag oder Gegenvorstellung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (amtlich)

  • § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist nicht bei jeder Verletzung des Anspruchs der Parteien auf rechtliches Gehör analog anzuwenden. Eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO setzt voraus, daß ein Sachverhalt vorliegt, der dem Tatbestand dieser Vorschrift ähnelt.
  • Wenn die Voraussetzungen für eine unmittelbare oder entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erfüllt sind, kann die betroffene Partei wählen, ob sie gegen die ihrer Ansicht nach in einem fehlerhaften Verfahren ergangene Entscheidung Rechtsmittel einlegt oder diese Entscheidung rechtskräftig werden läßt und einen Nichtigkeitsantrag stellt. Es ist jedoch nicht zulässig, zunächst wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels Rechtsmittel einzulegen und zusätzlich noch gegen die abschlägige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts die Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben.
  • Das Bundesarbeitsgericht kann einen nach § 92 ArbGG erlassenen Beschluß nur aufgrund eines Wiederaufnahmeverfahrens, nicht aber auf eine Gegenvorstellung hin aufheben.
 

Normenkette

ZPO § 579 Abs. 1 Nr. 4, §§ 318, 322; ArbGG § 79 S. 1, § 92 Abs. 2 S. 1; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Beschluss vom 22.08.1990; Aktenzeichen 5 TaBV 41/89)

ArbG Nürnberg (Beschluss vom 06.06.1989; Aktenzeichen 8 BV 30/89)

 

Tenor

Der Nichtigkeitsantrag und die Gegenvorstellung der Antragstellerin gegen den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 25. März 1992 – 7 ABR 65/90 – werden als unzulässig verworfen.

Von Rechts wegen !

 

Gründe

A. Die beteiligte Gewerkschaft hat im Ausgangsverfahren Zutritt zum Werk 2 der Arbeitgeberin in F… begehrt, um die Einladung zu einer Betriebsversammlung, in der nach § 17 Abs. 1 BetrVG ein Wahlvorstand gewählt werden sollte, aushängen zu können. In diesem Werk der Arbeitgeberin, in dem über 600 Arbeitnehmer beschäftigt wurden, bestand kein Betriebsrat. Die Beteiligten haben im Ausgangsverfahren darüber gestritten, ob die dort antragstellende Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs. 2, § 17 Abs. 2 BetrVG im Betrieb vertreten ist.

Die Gewerkschaft hat behauptet, eines ihrer Mitglieder sei im Werk 2 der Arbeitgeberin in F… beschäftigt. Sie ist jedoch nicht bereit gewesen, den Namen des Mitglieds anzugeben und dieses Mitglied als Zeugen zu benennen. Sie hat die Beweisführung vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht auf notarielle Erklärungen gestützt und die Auffassung vertreten, sie habe ihr bei der Arbeitgeberin beschäftigtes Mitglied nicht namentlich bezeichnen müssen, zumal ihr dies angesichts des bisherigen gewerkschaftsfeindlichen Verhaltens der Arbeitgeberin unzumutbar gewesen sei. Auch ohne Namensangabe habe sie schlüssig dargelgt, im Werk 2 der Arbeitgeberin in F… vertreten zu sein. Ebensowenig begegne die Nichtbenennung ihres Mitglieds als Zeugen und die Verwendung mittelbarer Beweismittel prozessualen oder verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Arbeitgeberin hat im Ausgangsverfahren die Auffassung vertreten, ohne Angabe des Namens des Gewerkschaftsmitglieds, das als Arbeitnehmer im Werk 2 in F… beschäftigt sein solle, sei der Vortrag der Gewerkschaft unschlüssig, so daß bereits aus diesem Grunde eine Beweisaufnahme unzulässig sei. Im übrigen stelle die Beschränkung der Beweisaufnahme auf mittelbare Beweismittel und die Geheimhaltung des im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigten Gewrkschaftsmitglieds ein Geheimverfahren dar, das im geltenden Verfahrensrecht nicht vorgesehen sei. Bei einem derartigen Verfahren übertrage das Gericht die Durchführung der Beweisaufnahme und die Entscheidung von Rechtsfragen Dritten, insbesondere dem Notar. Der Arbeitgeberin würden die gesetzlich vorgesehen Beweismittel entzogen. Sie werde zum bloßen Objekt des Verfahrens. Eine Beweisführung, bei der das im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigte Gewerkschaftsmitglied anonym bleibe, sei weder prozeßrechtlich noch verfassungsrechtlich zulässig. Durch sie würden Grundrechte der Arbeitgeberin, insbesondere ihr Anspruch auf rechtliches Gehör, mißachtet.

Das Arbeitsgericht hat im Ausgangsverfahren dem Antrag der Gewerkschaft stattgegeben und die Arbeitgeberin dazu verpflichtet, Beauftragten der Gewerkschaft während der Betriebszeiten ungehinderten Zutritt zum Werk 2 der Arbeitgeberin in F… zu gewähren, soweit dies zum Zwecke der Aushängung einer Einladung zu einer Betriebsversammlung erforderlich sei. Das Landesarbeitsgericht hat nach Einvernahme des Notars O…, der die in der mündlichen Anhörung vom 18. Juli 1990 vorgelegte Bescheinigung ausgestellte hatte, und des vor dem Notar miterschienenen Gewerkschaftsssekretärs M… als Zeugen die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Der Senat hat die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin mit Beschluß vom 25. März 1992 (– 7 ABR 65/90 – AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt) als unbegründet zurückgewiesen.

Die Arbeitgeberin begehrt mit ihrem beim Bundesarbeitsgericht am 24. April 1992 eingegangenen Schriftsatz die Wiederaufnahme des Verfahrens und erhebt hilfsweise gegen den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 25. März 1992 (aaO) Gegenvorstellung. Sie meint, das Landesarbeitsgericht habe durch sein Beweisverfahren und das Bundesarbeitsgericht durch die Billigung dieses Verfahrens gegen den Anspruch der Arbeitgeberin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG), gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG), die prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen sowie eine unzulässige Rechtsfortbildung (Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG) betrieben. Auch Art. 9 Abs. 3 GG führe nicht dazu, daß die Arbeitgeberin diese Grundrechtsverstöße hinnehmen müsse.

Die Arbeitgeberin beantragt,

Die Gewerkschaft beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, die von der Arbeitgeberin geltend gemachten Rechtsverstöße lägen nicht vor.

B. Weder dem Nichtigkeitsantrag der Arbeitgeberin noch ihrer Gegenvorstellung kann stattgegeben werden.

I. Der Nichtigkeitsantrag ist unzulässig.

1. Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 79 Satz 1 ArbGG und § 578 Abs. 1 ZPO ist der erhobene Nichtigkeitsantrag statthaft, denn das Verfahren, das wiederaufgenommen werden soll, ist durch den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 25. März 1992 (– 7 ABR 65/90 – AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt) rechtskräftig abgeschlossen worden.

2. Der Nichtigkeitsantrag ist form- und fristgerecht gestellt worden (§ 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 79 Satz 1 ArbGG und §§ 586, 587 ZPO). Nach § 586 Abs. 2 ZPO beginnt die Frist mit dem Tage, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft der Entscheidung. Der angegriffene Beschluß des Senats ist am 25. März 1992 mit der Verkündung rechtskräftig geworden. Der Wiederaufnahmeantrag der Arbeitgeberin ist am 24. April 1992 beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Zwar ist die Antragsschrift erst am 4. Mai 1992 der Gewerkschaft zugestellt worden mit der Folge, daß die Antragstellung erst nach Fristablauf wirksam geworden ist. Wenn aber durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden soll, tritt nach § 270 Abs. 3 ZPO die Wirkung bereits mit der Einreichung des Antrags ein, sofern die Zustellung wie hier demnächst erfolgt.

3. Zur Zulässigkeit eines Nichtigkeitsantrags gehört es, daß ein Prozeßverstoß geltend gemacht wird, der dem § 579 ZPO zugeordnet werden kann (vgl. u. a. BAGE 66, 140, 143 = AP Nr. 2 zu § 579 ZPO, zu 3 der Gründe; BFH Beschluß vom 29. Januar 1992 – VIII K 4/91 – BB 1992, 343; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 579 Rz 2; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., vor § 578 Rz 23; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 579 Rz 1; Zöller/Schneider, ZPO, 18. Aufl., § 578 Rz 32). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

a) Die Arbeitgeberin stützt ihren Nichtigkeitsantrag auf § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Nach dieser Bestimmung liegt ein Nichtigkeitsgrund vor, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war. Auf diesen Tatbestand beruft sich die Arbeitgeberin nicht unmittelbar, sondern macht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bei der Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs entsprechend anwendbar ist (ablehnend u. a. OLG Braunschweig, Beschluß vom 15. Oktober 1973 – 2 Wx 25/73 – OLGZ 1974, 51 ff.; BayVGH Urteil vom 13. Januar 1981, Nr. 3 S 80 A 1772, BayVBl. 1982, 567; BayVGH Urteil vom 15. Februar 1985 – 23 S 84 A 133, n.v.; VGH Kassel Beschluß vom 4. Oktober 1982 – IV S 46/82 – NJW 1984, 378 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 579 Rz 8; Zöller/Schneider, ZPO, 18. Aufl., § 579 Rz 5; Musielak, Festschrift für Schwab, 1990, S. 364 f.; Schneider, NJW 1981, 1196 f.; Seetzen, NJW 1982, 2337 ff. und NJW 1984, 347 f.; zweifelnd AK-ZPO-Greulich, § 579 Rz 21 ff.; bejahend u. a. OLG Hamm Urteil vom 9. März 1979 – 19 U 198/77 – MDR 1979, 766, für den nicht vergleichbaren Fall, daß eine Partei aufgrund öffentlicher Zustellung ohne ihr Verschulden an einem Prozeß nicht beteiligt worden ist; KG Urteil vom 27. Mai 1987 – 18 U 6829/86 – NJW-RR 1987, 1215 f., für den ebensowenig vergleichbaren Fall, daß die Ladung einer als säumig angesehenen Partei unterblieben ist; VGH Kassel Urteil vom 28. November 1984 – 5 UE 1115/84 – NJW 1986, 209 f., zumindest für den Fall, daß einem Verfahrensbeteiligten die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht möglich war; Braun, NJW 1981, 425, 428, NJW 1981, 1196 f., NJW 1983, 1403 ff. und NJW 1984, 348 f.; offen gelassen u. a. BVerfG Beschluß vom 13. September 1991 – 2 BvR 355/91 – NJW 1992, 496; BVerwG Beschluß vom 1. Februar 1990 – BVerG 7 B 19.90 – Buchholz 31o § 153 VwGO Nr. 22; LG Konstanz Urteil vom 28. April 1989 – 1 S 21/89 – MDR 1989, 827 f.; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 579 Rz 2).

b) Eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wäre nur möglich, wenn eine Gesetzeslücke vorläge und der hier zu entscheidende Sachverhalt mit dem gesetzlichen Tatbestand vergleichbar wäre. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Gesetzeswortlaut, die Gesetztessystematik und der Zweck des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sprechen ebenso wie die bisherige Rechtsentwicklung gegen eine analoge Anwendung.

aa) § 579 Abs. 1 ZPO enthält eine abschließende Aufzählung der Nichtigkeitsgründe. Nicht jede schwere Gesetzesverletzung, auch nicht jeder als absoluter Revisionsgrund im Sinne des § 551 ZPO anzusehende Rechtsverstoß stellen einen das Wiederaufnahmeverfahren eröffnenden Nichtigkeitsgrund dar. Im Interesse der Rechtssicherheit beschränkt § 579 ZPO das Wiederaufnahmeverfahren und die damit verbundene Durchbrechung der materiellen Rechtskraft auf die enumerativ genannten Nichtigkeitsgründe.

bb) § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO regelt lediglich eine ganz bestimmte Art der Verletzung des rechtlichen Gehörs und dient dem Schutz solcher vertretungsbedürftiger Personen, die ihre eigenen Angelegenheiten nur mit Hilfe eines Dritten wahrnehmen können. Mit dem Sachverhalt und der Interessenlage, die § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zugrunde liegt, ist aber nicht jeder Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs vergleichbar. Eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO setzt voraus, daß der jeweilige Sachverhalt dem Tatbestand des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ähnelt, wie etwa die unterbliebene Verfahrensbeteiligung einer Partei ohne ihr Verschulden. Auf eine derartige Fallgestaltung hat sich die Arbeitgeberin hier jedoch nicht berufen.

cc) Gegen eine entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auf alle Fälle einer Verletzung des rechtlichen Gehörs spricht auch der frühere § 579 Abs. 3 ZPO, der wie folgt lautete:

“Gegen ein Schiedsurteil (§ 510c ZPO) findet die Nichtigkeitsklage außer in den Fällen des Absatzes 1 auch dann statt, wenn der Partei in dem Verfahren das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist.”

Nach § 510c Abs. 1 ZPO konnte das Amtsgericht in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, deren Wert 50,00 DM nicht überstieg, das Verfahren nach freiem Ermessen bestimmen. Da ein Schiedsurteil nach § 510c Abs. 4 ZPO einem im ordentlichen Verfahren ergangenen rechtskräftigen Urteil gleichstand, war das Rechtsmittel der Berufung grundsätzlich ausgeschlossen. Zum Ausgleich dafür war die Nichtigkeitsklage erweitert worden. Mit der Abschaffung des Schiedsurteils durch Art. 1 Nr. 54 und 81 des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle) vom 3. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3281) ist der ohnehin nur beschränkt zugelassene Wiederaufnahmegrund des Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG entfallen. Die Anregung des Bundesverfassungsgerichts, eine Anhörungsrüge zur Behebung von Verstößen der Fachgerichte gegen Art. 103 Abs. 1 GG einzuführen, hat der Gesetzgeber im Zivilprozeßrecht bisher nicht aufgegriffen. Die Zivilprozeßordnung ist nicht entsprechend ergänzt worden.

dd) Eine analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Art. 103 Abs. 1 GG zwingt nicht dazu, einen von der Prozeßordnung nicht vorgesehenen fachgerichtlichen Rechtsbehelf durch richterliche Rechtsfortbildung einzuführen. Der verfassungsprozessuale Subsidiaritätsgrundsatz läßt zwar zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts eine möglichst weitgehende Selbstkorrektur durch die Fachgerichte zweckmäßig erscheinen.

Dies ändert aber nichts daran, daß “der Angelpunkt … das einfache Recht” bleibt und “nur dieses das verfassungsprozessuale Subsidiaritätsprinzip von innen her ausfüllen kann” (Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG, Stand Dezember 1992, Art. 103 Abs. I Rz 161). Auch das Bundesverfassungsgericht hält bei einer geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs nur dann die Zulassung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs durch die Fachgerichte für verfassungsrechtlich geboten, wenn die Auslegung der einschlägigen Verfahrensvorschriften dies ermöglicht (vgl. BVerfGE 60, 96, 99; BVerfGE 61, 78, 80; BVerfGE 61, 119, 121).

c) Selbst wenn die analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkt wäre, sondern auf jede Verletzung des rechtlichen Gehörs ausgedehnt werden könnte, wäre der Nichtigkeitsantrag im vorliegenden Fall unzulässig.

aa) Die weitgehende analoge Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO würde dazu dienen, den Fachgerichten die Möglichkeit zu eröffnen, die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen sowie einen etwa eingetretenen Grundrechtsverstoß selbst zu beseitigen. Für eine derartige Selbstprüfung besteht aber insoweit kein Anlaß mehr, als angebliche Verstöße der Vorinstanz gegen das rechtliche Gehör bereits vom Rechtsmittelgericht überprüft worden sind. Das Wiederaufnahmeverfahren dient nicht dazu, eine in Kenntnis der Problematik vom Rechtsmittelgericht bereits beantwortete Rechtsfrage erneut seiner Entscheidung zuzuführen. In solchen Fällen kann die der Rechtssicherheit dienende Rechtskraft nicht durchbrochen werden. Auch bei einer analogen Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO kann der Betroffene nur wählen, ob er gegen die seiner Ansicht nach in einem fehlerhaften Verfahren ergangene Entscheidung Rechtsmittel einlegt oder diese Entscheidung rechtskräftig werden läßt und einen Nichtigkeitsantrag stellt (vgl. u. a. BGHZ 84, 24, 27; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 579 Rz 11; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 579 Rz 3; Zöller/Schneider, ZPO, 18. Aufl., § 579 Rz 12). Es ist nicht zulässig, zunächst wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels Rechtsmittel einzulegen und zusätzlich noch gegen die abschlägige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts die Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben.

bb) Die Arbeitgeberin hat nicht geltend gemacht, ihr sei im vorausgegangenen Rechtsbeschwerdeverfahren nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden. Im Rechtsbeschwerdeverfahren hatte die Arbeitgeberin Gelegenheit und hat sie auch ausgiebig genutzt, zum Beschluß des Landesarbeitsgerichts und dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Beweisverfahren Stellung zu nehmen und die aus ihrer Sicht bestehenden Bedenken aufzuzeigen. Der Senat hat sich mit diesen Einwänden eingehend auseinandergesetzt. Die Arbeitgeberin meint, das Bundesarbeitsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, daß es den angegriffenen Beschluß des Landesarbeitsgerichts aufrecht erhalten und das der zweitinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegende Beweisverfahren gebilligt habe. Damit will die Arbeitgeberin eine unzulässige Kombination von Rechtsmittel und Wiederaufnahmeantrag erreichen.

II. Die teilweise als Anhörungsrüge bezeichnete Gegenvorstellung kommt noch weniger als der Nichtigkeitsantrag in Betracht (eine Gegenvorstellung lehnen u. a. ab: Zöller/Stephan, ZPO, 18. Aufl., vor § 128 Rz 8; MünchKomm-Braun, ZPO, § 579 Rz 22; Braun, NJW 1983, 1403 f. und NJW 1984, 348 f.; Stürner, JZ 1986, 526, 533; Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, S. 156 Rz 547 ff.; für eine Gegenvorstellung sprechen sich u. a. aus: Seetzen, NJW 1982, 2337, 2342 f. und NJW 1984, 347, 348 sowie – aber nur de lege ferenda – Schumann, NJW 1985, 1134, 1139; Zuck, JZ 1985, 921, 925 ff.).

1. Eine in der Zivilprozeßordnung nicht vorgesehene Durchbrechung der materiellen Rechtskraft durch einen im Wege der Rechtsfortbildung gebildeten neuen Rechtsbehelf ist nicht möglich. Die materielle Rechtskraft dient der Rechtssicherheit und darf nur in bestimmten, in der Zivilprozeßordnung näher geregelten Verfahren durchbrochen werden. Mit der besonderen Bedeutung der materiellen Rechtskraft und der Systematik der Zivilprozeßordnung ist es nicht zu vereinbaren, ein neues “einfaches” und “weniger umständliches” Verfahren zur Änderung rechtskräftiger Entscheidungen einzuführen. Die verfahrensrechtlichen Formalien haben eine Schutzfunktion, die nicht außer acht gelassen werden darf. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, selbst prozessuale Regelungen zu schaffen, um einem vom Gesetzgeber nicht aufgegriffenen rechtspolitischen Anliegen Rechnung zu tragen. Eine Anhörungsrüge, wie sie etwa §§ 33a und 311a StPO vorsehen, ist in die Zivilprozeßordnung gerade nicht aufgenommen worden. Dies haben die Gerichte zu respektieren.

2. Das Bundesarbeitsgericht kann eine von ihm getroffene Entscheidung auf eine Gegenvorstellung hin nur dann sachlich prüfen und gegebenenfalls aufheben, wenn das Prozeßrecht noch eine Änderung dieser Entscheidung ohne weiteres zuläßt (vgl. BAG Beschluß vom 19. Juli 1972 – 3 AZR 27/72 – AP Nr. 1 zu § 567 ZPO; BAG Beschluß vom 4. März 1980 – 5 AZN 102/79 – AP Nr. 2 zu § 329 ZPO). Der Senat ist nach § 318 ZPO an einen gemäß § 92 ArbGG erlassenen Beschluß gebunden, der in Rechtskraft erwächst und außerhalb eines Wiederaufnahmeverfahrens nicht mehr geändert werden kann.

C. Da das vorliegende Wiederaufnahmeverfahren ein Beschlußverfahren im Sinne von § 2a Abs. 1, §§ 80 ff. ArbGG ist und die Gegenvorstellung sich auf ein Beschlußverfahren bezieht, entfällt nach § 12 Abs. 5 ArbGG eine Kostenentscheidung.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Schliemann, Kremhelmer, Prof. Dr. Knapp, Lappe

 

Fundstellen

Haufe-Index 848152

BAGE, 378

BB 1994, 724

NZA 1994, 957

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