Zusammenfassung

 
Begriff

Bei der Anhörung handelt es sich um eine zwingende Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers, Beteiligten am Verwaltungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (rechtliches Gehör), bevor durch Verwaltungsakt in seine Rechte eingegriffen wird.

 
Gesetze, Vorschriften und Rechtsprechung

Sozialversicherung: Die Anhörung Beteiligter ist in § 24 SGB X geregelt.

1 Ausnahmen

Von einer Anhörung kann in bestimmten Fällen abgesehen werden.[1]

1.1 Gefahr im Verzug

Die Verzögerung des Erlasses eines Verwaltungsaktes birgt durch die Durchführung des Anhörungsverfahrens die konkrete Gefahr eines Schadens (Dringlichkeit zur Schadensverhinderung). Es ist ggf. eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse erforderlich.

1.2 Fristeinhaltung

Würde die Wahrung einer Frist durch die Anhörung nicht möglich sein, so kann von der Anhörung abgesehen werden (z. B. Beanstandung von rechtsunwirksamen Beiträgen nach § 26 Abs. 2 SGB IV oder Rücknahme rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 Abs. 3 bis 4 SGB X).

1.3 Keine Abweichung von Angaben des Beteiligten zu seinen Ungunsten

Eine Anhörung ist entbehrlich, wenn mit der beabsichtigten Entscheidung von den tatsächlichen Angaben nicht zuungunsten des Berechtigten abgewichen werden soll. Sie ist erst recht nicht erforderlich, wenn die Entscheidung den Berechtigten über das Begehren hinaus begünstigen soll.

 
Praxis-Beispiel

Anhörung nicht erforderlich

Ein Versicherter mit Rentenbezug teilt mit, dass er jetzt einen Arbeitsplatz gefunden hat. Der Versicherungsträger entscheidet sich daraufhin zur Entziehung oder Umwandlung einer Rente. Hier bedarf es keiner Anhörung.

1.4 Allgemeinverfügung

Bei Allgemeinverfügungen oder gleichartigen in größerer Zahl zu erlassenden Verwaltungsakten würde eine vorherige Anhörung aller Betroffenen die Behörde erheblich belasten (z. B. bei Beitragsbescheiden einer Krankenkasse wegen Änderung der Beitragsbemessungsgrenze oder der Bezugsgröße).

1.5 Anpassungsbescheide wegen Veränderung der Einkommensverhältnisse

Die Vorschrift hat vor allem Bedeutung bei der Anpassung von einkommensabhängigen Leistungen. Ein Absehen von der Anhörung ist in diesen Fällen sinnvoll, weil der Berechtigte bereits in den Bewilligungsbescheiden auf die Rechtsfolge bei Zusammentreffen mit anderen Leistungen hingewiesen wurde (z. B. Bürgergeld, Sozialhilfe).

1.6 Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung

Eine vorherige Anhörung würde die Vollstreckung gefährden.

1.7 Aufrechnung/Verrechnung mit Bagatellbeträgen

Ein Anhörungsverfahren ist nicht zwingend durchzuführen, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 EUR aufgerechnet[1] oder verrechnet[2] werden soll. Die Regelung dient der Vermeidung unverhältnismäßiger Verwaltungskosten.

Die Anhörung eines Beteiligten erfolgt sowohl zum Sachverhalt als auch zu dessen rechtlicher Würdigung. Unter diesem Aspekt ist eine Anhörung nur dann wirksam erfolgt, wenn der Versicherungsträger dem Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen und Umstände so unterbreitet hat, dass der Beteiligte sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern kann.[3]

2 Auswirkungen verletzter Anhörungspflicht

Eine unterbliebene oder unwirksame Anhörung ist ein Verfahrensfehler, der zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führt. Er ist zwar nicht nach § 40 SGB X nichtig[1], aber wegen der unterbliebenen oder nicht wirksam nachgeholten Anhörung[2] aufhebbar.[3] Er ist auch dann aufhebbar, wenn eine andere Entscheidung nicht hätte ergehen können.[4]

Eine Anhörung kann bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- und verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.[5] Die wirksame Nachholung der Anhörung setzt ein förmliches Verfahren in dem Sinne voraus, dass die beklagte Behörde (und nicht das Gericht) dem Kläger förmlich und in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen einräumt und danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am Verwaltungsakt festhält.[6]

Wird ein Verwaltungsakt, mit dem eine Leistung entzogen oder herabgesetzt worden ist, wegen unterbliebener Anhörung im sozialgerichtlichen Verfahren aufgehoben, ist die Leistung so lange in der bisherigen Höhe weiterzuzahlen, bis das erforderliche Anhörungsverfahren nachgeholt und ein neuer Verwaltungsakt getroffen worden ist. Das gilt jedoch nicht bei Wegfall einer befristeten Leistung (Zeitrente, befristet bewilligtes Bürgergeld). Wird in unmittelbarem Anschluss an eine befristete Leistung diese Leistung in einer niedrigeren Höhe erbracht, ist hinsichtlich der "Herabsetzung" der Leistung eine Anhörung nicht erforderlich.[7]

Aufwendungen für die Vertretung durch einen Bevollmächtigten bei der Anhörung im Verwaltungsverfahren sind nicht zu erstatten.[8]

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