Nur eingeschränkter Winterdienst auf kleinen Nebenstraßen

Auch wenn Glatteis-Stellen der zuständigen Gemeinde gemeldet werden, können Autofahrer nicht darauf vertrauen, dass der Winterdienst anrückt. Zumindest nicht auf kleinen, wenig befahrenen Straßen.

Eine Frau kam auf einer kleinen, wenig befahrenen kurvigen Straße wegen Glatteis von der Fahrbahn ab. Sie überschlug sich mit dem Auto. Von der Kommune verlangt sie den Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 11.300 Euro, da die keinen Winterdienst durchgeführt und damit ihre Räum- und Streupflicht verletzt hätte.

Auch bei Anruf kein Winterdienst

Dass es im Bereich der Straße glatte Stellen gab, war der Gemeinde bekannt.

Etwa zwei Stunden vor dem Unfall hatte bereits eine andere Frau beim Straßenreinigungsamt der beklagten Stadt Lüdenscheid angerufen, die Glättebildung auf der Straße angezeigt und darum gebeten, dass diese beseitigt werde. Vergeblich, denn auch nach dem Anruf wurde kein Winterdienst zu der Straße geschickt.

Das OLG Hamm entschied: Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch. Die beklagte Stadt habe ihre Amtspflichten nicht verletzt, indem sie keinen Winterdienst durchgeführt habe.

Wichtigkeit des Verkehrsweges beeinflusst Verkehrssicherungspflicht


Die gemeindliche Streu- und Räumpflicht richtet sich auch nach

  • sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges
  • sowie seine Gefährlichkeit
  • und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs

Selbst wenn sich aus dem oben genannten Punkt eine Streu- und Räumpflicht ergibt, steht die unter dem Vorbehalt des Zumutbaren.

Gerade im Winter muss sich jeder Verkehrsteilnehmer dem ihn erkennbar gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Ausgehend von den oben genannten Punkten sei schon im Bereich geschlossener Ortschaften anerkannt, dass eine Räum- und Streupflicht eine allgemeine Glättebildung voraussetze und nicht nur vereinzelt glatte Stellen, so das OLG.

Verkehrswichtigkeit ist für's Streuen Voraussetzung

In einer solchen Situation hat dann allerdings Winterdienst auf Straßen Priorität, die wichtig sind. Genau dies sah das Gericht im vorliegenden Fall aber nicht als gegeben an. Denn die Straße, auf der sich der Unfall ereignete, schließt nur etwa 40 Bewohner an das allgemeine Straßennetz an. Ihr fehle damit die Verkehrswichtigkeit.

Für Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften gilt:

  • Lediglich die für den Kraftfahrzeugverkehr besonders gefährlichen Stellen müssen überhaupt gestreut werden
  • Auf wenig befahrenen Straßen besteht grundsätzlich keine Räum- und Streupflicht,
  • sofern nicht besonders gefährliche Stellen bekannt sind, auf die sich ein Straßenbenutzer nicht einstellen kann

Die beklagte Stadt habe davon ausgehen dürfen, dass sich die Anwohner der Straße den winterlichen Verhältnissen anpassen und notfalls Schneeketten anlegen oder ganz vom Befahren der Straße Abstand nehmen, so das Gericht.

Unzumutbarer Aufwand für die Gemeinde

Sehe man das anders, so müsste die beklagte Stadt in dem durch zahlreiche Höhenunterschiede geprägten Gemeindegebiet eine Vielzahl von Straßen mit geringer Verkehrsbedeutung streuen. Dieser Aufwand sei nicht zumutbar.

  • Man könne von der Gemeinde auch nicht erwarten, dass sie so viel Kapazitäten für einen Winterdienst vorhalte,
  • dass sie bei einer Glatteismeldung tätig werde,
  • auch wenn es sich um eine Straße handele, die nicht verkehrswichtig ist.

Es habe auch keine zwingenden Anhaltspunkte dafür gegeben, dass es einem aufmerksamen und vorsichtigen Fahrer nicht möglich gewesen wäre, die Straße ohne Schaden zu nutzen. Dies werde auch dadurch untermauert, dass es einer anderen Anwohnerin vor und nach dem Unfall gelungen sei, die nicht gestreute Straße unfallfrei zu befahren.

(OLG Hamm, Urteil v. 18.11.2016, 11 U 17/16).




Hintergrund:

Verkehrssicherungspflicht muss wirtschaftlich zumutbar sein

Generell gelte: Die Räum- und Streupflicht wird – wie jede Verkehrssicherungspflicht – durch das Kriterium der wirtschaftlichen Zumutbarkeit begrenzt (OLG Hamm, Urteil v. 12.08.2016, 11 U 121/15) :

  • Auf öffentlichen Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften muss der Verkehrssicherungspflichtige nur an besonders gefährlichen Stellen gegen die Gefahr einer Glatteisbildung vorgehen.
  • Besonders gefährliche Stellen sind nur solche, bei denen ein Verkehrsteilnehmer bei Fahrten auf einer winterlichen Straße trotz scharfer Beobachtung des Straßenzustandes und erhöhter Sorgfalt die Glatteisgefahr nicht erkennen und deshalb nicht meistern kann.
Schlagworte zum Thema:  Verkehrssicherungspflicht, Schadensersatz