MPU schon bei Verdacht auf grundsätzliches Alkoholproblem

Eine strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss führt regelmäßig zur Notwendigkeit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung als Voraussetzung für die Wiedererteilung.

Der 1950 geborene Kläger kollidierte im Dezember 2011 auf gerader Strecke mit einem entgegen kommenden Fahrzeug, weil er nicht weit genug rechts gefahren war. Ein anschließender Alkoholtest ergab eine Blutalkoholkonzentration bezogen auf die Unfallzeit in Höhe von mindestens 1,49 Promille. Der untersuchende Arzt notierte, der Kläger sei bei der Untersuchung „zu allen Qualitäten orientiert“ gewesen und habe nicht äußerlich merkbar unter Alkoholeinfluss gestanden. Dies führte die später im Strafprozess hinzugezogene Sachverständige auf eine enorme Alkoholgewöhnung des Betroffenen zurück. Das zuständige AG verurteilte ihn wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe und entzog ihm die Fahrerlaubnis unter Anordnung einer Sperrfrist von fünf Monaten.

Behörde und VG lehnen Wiedererteilung ab

Nachdem der Betroffene die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis beantragt hatte, ordnete das Landratsamt zur Vorbereitung der Entscheidung über die Wiedererteilung die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) an. Hiermit war der Antragsteller nicht einverstanden und erhob beim VG Untätigkeitsklage. Weder beim VG noch beim zweitinstanzlich angerufenen VGH hatte er Erfolg.

Strafrechtliche Sperrfrist gibt nur den Mindestzeitraum der Ungeeignetheit an

Der Senat teilte die Auffassung der Fahrerlaubnisbehörde, dass die Fahreignung des Klägers zwingend durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten abzuklären sei. Entgegen der Auffassung des Klägers sei die Fahrerlaubnisbehörde nicht verpflichtet, nach Ablauf der vom Strafrichter verhängten Sperrfrist automatisch die Fahrerlaubnis wieder zu erteilen. Die Sperrfrist gebe nur den Mindestzeitraum an, während derer der Verurteilte infolge seiner aus der begangenen Straftat abgeleiteten Gefährlichkeit für den Straßenverkehr in jedem Fall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sei. Ob die Straßenverkehrseignung ausschließende Gefährlichkeit fortbestehe, sei im Anschluss daran von der Straßenverkehrsbehörde in eigener Verantwortung zu klären (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.6.2012, 10 S 452/10).

Kein Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde

Darüber hinaus hatte die Fahrerlaubnisbehörde nach Auffassung des VGH die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zutreffend auf § 13 Satz 1 Nr. 2 a, d FeV gestützt. Ein Ermessen zur Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung habe nach dieser Vorschrift nicht bestanden, die Anordnung sei zwingend gewesen. Entgegen der Auffassung des Betroffenen erfasse diese Ermächtigungsgrundlage nicht nur den Entzug der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde, sondern sei bei einer strafgerichtlichen Entscheidung in gleicher Weise anwendbar.

Fahrerlaubnisbehörde wird präventiv tätig

Nach Auffassung des VGH liegt ein die Fahreignung ausschließender Alkoholmissbrauch im straßenverkehrsrechtlichen Sinne immer dann vor, wenn der Betroffene das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann, auch wenn der Betroffene nicht als alkoholabhängig einzustufen ist (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 21.1.2015, 16 B1374/14). Dies folge auch daraus, dass die verwaltungsbehördliche Entziehung der Fahrerlaubnis nicht repressiv zur Ahnung vorangegangener Verkehrsverstöße diene, sondern ausschließlich der Abwehr von Gefahren, die künftig durch die Teilnahme von nicht zum Führen von Fahrzeugen geeigneten Fahrzeugführern am Straßenverkehr entstehen können (BVerwG, Urteil v. 21.5.2008, 3 C 32.07). Entsprechend sei Zweck der MPU die Klärung des voraussichtlichen künftigen Verhaltens des Betroffenen, also insbesondere der Frage, ob zu erwarten sei, dass dieser wieder ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird. Den gleichen sachlichen und rechtlichen Ansatz habe der Strafrichter, wenn er aufgrund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters zu dem Ergebnis komme, dass der Täter charakterlich nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei und deshalb gemäß § 69 StGB die Fahrerlaubnis entzieht und eine Sperrfrist verhängt.

Ein Blutalkoholwert von unter 1,6 Promille alleine reicht nicht für MPU

Der VGH gab dem Betroffenen allerdings insofern Recht, als eine einmalige Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,6 Promille für sich genommen noch nicht die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt. Dies ergebe sich aus der speziellen Regelung des § 13  Satz 1 Nr. 2 c FeV, wonach bei einer einmaligen Alkoholfahrt die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nur anzuordnen sei, wenn eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr nachgewiesen wurde. Diese Differenzierung basiere auf dem aktuellen Stand der Alkoholforschung. Blutalkoholwerte ab 1,6 Promille seien hiernach ein Hinweis auf eine außergewöhnliche Alkoholfestigkeit, die regelmäßig zur Unfähigkeit einer realistischen Einschätzung der eigenen Alkoholisierung und des dadurch ausgelösten Verkehrsrisikos führe.

Bei unter 1,6 Promille sind die Gesamtumstände zu würdigen

Der VGH stellte aber auch klar, dass bei einem Wert von unter 1,6 Promille der Entzug der Fahrerlaubnis nicht automatisch ausgeschlossen sei. Vielmehr seien bei Unterschreitung dieses Wertes die Gesamtumstände und die Persönlichkeit des Betroffenen zu würdigen. Ergäben sich hieraus zusätzliche Gesichtspunkte, die die ernsthafte Besorgnis eines straßenverkehrsrechtlich relevanten Kontrollverlustes bei Alkoholkonsum begründen, so müsse der Betroffene diese Besorgnis widerlegen. Vorliegend seien bei der ärztlichen Untersuchung des Betroffenen solche Umstände zu Tage getreten. Trotz einer erheblichen Alkoholisierung habe er äußerlich keine Anzeichen dieser Alkoholisierung gezeigt und völlig überlegt und kontrolliert auf die Fragen des untersuchenden Arztes reagiert. Dies habe die Sachverständige plausibel damit erklärt, dass dieses Verhalten auf eine enorme Alkoholfestigkeit des Betroffenen und damit eine hohe Alkoholgewöhnung hinweise. Allein die Möglichkeit der daraus folgenden mangelnden Alkoholkontrolle genüge als Grundlage zur Anordnung der MPU, denn nur ein medizinisch-psychologische Gutachten könne Aufschluss darüber geben, ob eine Nichteignung vorliege oder nicht.

Die Erlaubnisbehörde kann und muss alle vier bekannten Tatsachen berücksichtigen

Die Straßenverkehrsbehörde dürfte laut VGH sämtliche bis zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorliegenden Tatsachen und Hinweise und nicht lediglich die im Rahmen des seinerzeitigen Strafprozesses zu Tage getretenen Umstände berücksichtigen. Der Verdacht auf eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung und eine erhebliche Alkoholproblematik beim Täter sei durch sein Verhalten nach der Tat hinreichend belegt. Es sei nicht auszuschließen, dass der Kläger ein Risiko für den Straßenverkehr darstelle. Die Anordnung MPU sei daher zu Recht ergangen.

(VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 7.7.2015, 10 S 116/15)

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