Haftung von Fluggesellschaften für Unfälle an Bord

Der Generalstaatsanwalt am EuGH hat sich dagegen ausgesprochen, die Haftung nach dem Montrealer Übereinkommen für Unfälle, die Passagiere an Bord eines Flugzeuges oder beim Ein- oder Aussteigen erleiden, nur auf Unfälle zu beschränken, die auf einem für die Luftfahrt typischen oder mit ihr unmittelbar zusammenhängenden Risiko beruhen. Hier war ein kleines Mädchen mit heißem Kaffee verbrüht worden. 

Unfallgefahr durch im Flugzeug offen servierte Heißgetränke

Schnell kann es geschehen, dass ein üblicherweise unabgedeckter Pappbecher mit einem Heißgetränk im Flugzeug umkippt. Ursachen kann das viele haben, ein versehentliches Umschubsen durch Flugbegleiter oder Passagier, ein wackeliges Abstellbrett, ein Rütteln des Flugzeugs aufgrund von Turbulenzen, eine leichte Schieflage, die den Becher ins Rutschen bringt…

Ursache des Kaffeeunfalls war unbekannt

In diesem Fall war kein Schuldiger auszumachen und auch die Flugzeugbewegungen waren normal, als sich der heiße Becherinhalt unglücklicherweise auf die neben ihrem Vater sitzende 6-jährige Tochter ergoss. Sie erlitt Verbrennungen zweiten Grades. Der Flug aus spanischen Gefilden zurück in die österreichische Heimat wurde so zur schmerzerfüllten Tortur für das Mädchen.

Fluglinie auf Schadensersatz verklagt

Der Vater klagte gegen die inzwischen insolvente österreichische Fluglinie für seine verletzte Tochter einen Schaden in Höhe von 8.500 Euro nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten ein. Da es sich um einen internationalen Flug handelte, stützte er den Anspruch auf Art. 17 Abs.1 des Montrealer Übereinkommens (MÜ).

Grundsätzlich regelt das MÜ Folgendes für Schadensfälle:

  • Der Luftfrachtführer haftet für die Tötung oder Körperverletzung eines Reisenden,
  • wenn sich der Unfall an Bord des Flugzeuges oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat (Art. 17 MÜ).   

Liegt der Schaden unter 123.000 Euro (= 100.000 Sonderziehungsrechte/SZR), kann die Haftung des Luftfrachtführers nicht beschränkt oder ausgeschlossen werden (Art. 21 Abs. 1 MÜ). Ist die 123.000 Euro-Schwelle überschritten, kann er sich von seiner Haftung für vermutetes Verschulden befreien, wenn er nachweist, dass die Schadensursache entweder ausschließlich durch einen Dritten oder jedenfalls nicht durch ihn selbst oder seine Leute gesetzt wurde (Art. 21 Abs. 2 MÜ).

Oberster österreichischer Gerichtshof legt Fall dem EuGH vor

Die Österreichischen Gerichte waren sich uneins bei der Bewertung des Falles. Der Oberste Gerichtshof rief den EuGH an, um die sehr konkret formulierte Frage klären zu lassen, ob die Fluggesellschaft bei Verletzungen eines Fluggastes haftet, wenn die Ursache des umgefallenen Kaffeebechers unaufgeklärt bleibt.

Generalanwalt agiert im Sinne der Rechtsfortbildung

Da dies der erste Fall seiner Art ist, mit der sich der EuGH zu befassen hat, schlug der Generalanwalt vor, die Gelegenheit zu nutzen, um den Unfallbegriff im MÜ zu definieren und dessen abstrakte Voraussetzungen vorzugeben. Dabei ist die zentrale Frage, ob für eine Haftung zu prüfen ist, ob das Ereignis

„auf einem für die Luftfahrt typischen oder mit ihr unmittelbar zusammenhängenden Risiko beruht“. 

Generalanwalt: „luftfahrttypisches Risiko“ keine Voraussetzung für Schadensersatz

Der Generalanwalt selbst verneint dies nach Auswertung aller denkbaren Auslegungsmethoden. Seine schlagenden Argumente sind v.a. dass geschädigte Passagiere keinen Zugang zu den technischen Daten betreffend den Flugverkehr oder -betrieb haben, um die Haftungsvoraussetzungen zu begründen. Zudem wären zahlreiche Schadensfälle auszuschließen, weil sie ähnlich auch unter anderen Lebensumständen als im Luftverkehr, nämlich im täglichen Leben vorkommen können. Damit wären die Haftungsfälle des Art. 17 MÜ auf schwerste Störungen im Luftverkehr wie schwere Turbulenzen oder Absturz des Flugzeugs beschränkt.

(EuGH, C-532/18, Schlussanträge des Generalanwalts v. 26.09.2019).




Hintergrund: Montrealer Übereinkommen

Seit dem 28.6.2004 ist für Deutschland (MontÜG v. 06.04.2004, BGBl. I 2004, S. 550, 1027) und die EU (Verordnung (EG) Nr. 889/2002, ABl. EG Nr. L 194 v. 18.07.2001, S. 39) das Montrealer Übereinkommen (Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, v. 28.5.1999, www.luftrecht-online.de – kurz MÜ) in Kraft, welches für internationale Flüge u.a. eine umfassende Haftung des Luftfrachtführers bei Passagier-, Güterschäden und Flugverspätungen vorsieht.

Luftfrachtführer i.S.d. Übereinkommens ist bei einer Pauschalreise auch der Reiseveranstalter, bei dem die Reiseleistung gebucht wurde (Art. 39 f. MÜ der vertragliche und der ausführende Luftfrachtführer). Im Einzelnen sieht das Übereinkommen folgende Höchstgrenzen der Entschädigungsleistungen vor, die in einer internationalen Währungseinheit beziffert werden. Das sind die sog. Sonderziehungsrechte (SZR). Diese orientieren sich an dem Tageskurs der Währungen.

Höchstgrenzen der Entschädigungsleistungen:

  • bei Flugverspätungen bis zu 4.100 SZR (ca. 5.120 EUR),
  • für beschädigtes oder verspätet befördertes Gepäck bis zu 1.000 SZR (ca. 1.230 EUR).

Der Luftfrachtführer haftet bei Unfällen, bei denen der Fluggast verletzt oder getötet wird, grundsätzlich unbegrenzt. Eine feste Höchstgrenze ist daher nicht vorgesehen.

Die verschuldensunabhängige Haftung des Luftfrachtführers liegt bei 100.000 SZR (ca. 123.000 EUR). Erst wenn diese Schadenssumme überschritten ist, kann durch das Unternehmen Beweis angetreten werden, dass ein darüber hinausgehender Schaden durch Dritte verursacht worden ist.

Eine Vorauszahlung i.H.v. mindestens 19.000 EUR muss unabhängig vom Verschuldensbeitrag des Luftfrachtführers an die Geschädigten oder Hinterbliebenen gezahlt werden.

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

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