Besondere Vorsicht beim Anfahren in zweiter Reihe

Wer in zweiter Reihe hält muss ganz besonders vorsichtig beim Losfahren sein. Denn nicht nur der fließende Verkehr ist hier zu beachten. Kollidiert er beim Anfahren etwa mit der offenen Fahrertür eines „richtig“ parkenden Fahrzeugs, trifft ihn als Falschparker die größere Mitschuld und damit die Haftung.

Kurz mal in zweiter Reihe halten, dauert ja nicht lange: Schnell ins Geschäft springen und schon ist man auch wieder weg. Dieses Manöver ist natürlich nicht erlaubt und bedarf deshalb nach Ansicht des LG Saarbrücken auch einer gesteigerten Sorgfaltspflicht beim Anfahren gegenüber dem ruhenden Verkehr.

Anhänger rammte offene Fahrertür

Um eine schnelle Besorgung zu machen, hielt der Kläger mit seinem Fahrzeug samt Anhänger halb auf der Fahrbahn und halb auf dem Fahrradstreifen in zweiter Reihe. Das Fahrzeug des Beklagten parkte korrekt neben der Straße in erster Reihe. Beide Fahrzeughalter kamen etwa zeitgleich aus dem Geschäft und gingen zu ihren Fahrzeugen. Als der Kläger losfuhr, rammte der Anhänger seines Wagens die offene Fahrertür des Beklagten.

Schuldfrage ungeklärt: Aussage gegen Aussage

Der Kläger machte zunächst vor dem AG Saarbrücken Schadensersatz in Höhe von 941 EUR geltend. Der genaue Tathergang konnte aber auch vor Gericht nicht geklärt werden: Der Kläger behauptete, er sei bereits losgefahren und erst dann hätte der Beklagte die Fahrertür geöffnet und sie so gegen seinen Anhänger geschlagen. Der Beklagte betonte wiederum, dass er zunächst einstieg und die Fahrertür noch offenstand als der Kläger losfuhr und die Tür mit seinem Anhänger rammte. Für das Gericht blieb daher nur festzustellen, dass die Fahrertür auf jedenfalls offen stand, als der Anhänger des Klägers mit ihr kollidierte.

2/3 Verschulden zulasten des Klägers

Auf dieser Grundlage nahmen die Amtsrichter eine überwiegende Mithaftung des Klägers von 2/3 an und verurteilten den Beklagten zur Zahlung von einem Drittel der Schadenssumme. Der Beklagte habe den Unfall wegen eines Verstoßes gegen § 14 StVO, der zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer ein vorsichtiges Verhalten beim Ein- und Austeigen verlangt, mitverursacht. Er hätte beim Einsteigen den Anhänger erkennen müssen. Der Kläger haftet aber nach Ansicht der Erstinstanz wegen eines Verstoßes nach § 10 StVO überwiegend. Die Vorschrift verlangt zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer u.a. beim Anfahren vom Fahrbahnrand besondere Sorgfalt. Da der Kläger schon verbotswidrig in zweiter Reihe parkte, hatte er beim Anfahren seine Sorgfaltspflicht in besonders hohem Maße verletzt.

LG: Schutzbereich muss ruhenden Verkehr umfassen

Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein und verlangte weiterhin die volle Schadenssumme. Das LG Saarbrücken stimmte zwar dem Ergebnis der Vorinstanz und damit der 2/3 Mithaftung des Klägers zu, allerdings mit einer anderen Begründung. Die vom Amtsgericht zitierten Vorschriften schützten ausschließlich den fließenden Verkehr. Daher kommen für die gebotene Abwägung der Mitverursachungs- und Verschuldensanteile nur Verstöße gegen §§ 1 und 12 StVO in Betracht.

Parken in zweiter Reihe behindert auch ruhenden Verkehr

Der Kläger verstieß nach Ansicht des Landgerichts gegen § 12 Absatz 4 Satz 2 StVO. Nach dieser Vorschrift ist zum Parken oder Halten der rechte Seitenstreifen oder rechte Fahrbahnrand zu benutzen. Das Parken in zweiter Reihe beeinträchtigt nicht nur den fließenden Verkehr, sondern behindert typischerweise auch beim Ein- und Aussteigen in das daneben geparkte Fahrzeug. Auch das Anfahrverhalten des in zweiter Reihe Haltenden ist für den richtig Parkenden nur schwer abschätzbar.

Verstoß gegen die Grundregeln der Straßenverkehrsordnung

Beide Unfallteilnehmer verstießen zusätzlich gegen die Grundregel aus § 1 Abs. 2 StVO. Danach hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Der Beklagte hätte bemerken müssen und können, dass der Kläger losfahren wollte und die offen stehende Tür die Durchfahrt des klägerischen Anhängers behindern würde. Aber auch hier ist die vom Kläger geforderte Sorgfalt als verkehrswidrig Haltender noch gesteigert. Da er zusätzlich wusste, dass der Beklagte etwa zeitgleich wegfahren wollte, hätte er die Fahrertür besonders sorgfältig beobachten und mit dem Öffnen der Tür rechnen müssen.

Der Verkehrsverstoß des Klägers wiege angesichts der gefahrerhöhenden Umstände des verkehrswidrigen Parkens deutlich schwerer als der des Beklagten und rechtfertigt eine Mithaftung von 2/3.

LG Saarbrücken, Urteil v. 22.2.2013, 13 S 202/12

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