
Die geplante Ampelkoalition hat die kontrollierte Cannabis-Abgabe an Erwachsene in lizenzierten Geschäften in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen. Strafrechtsprofessoren insistieren schon lange gegen die gescheiterte Drogenpolitik und die Strafjustiz legte dem BVerfG wiederholt Verfassungsbedenken vor. Macht ein Zwischenschritt im BtMG Sinn?
„Legalize it“ - unter diesem Motto hatten bereits im Jahr 2014 100 Rechtsprofessoren - darunter bekannte Strafrechtskommentatoren wie Albin Eser und Claus Roxin - die Freigabe von Cannabis gefordert. Die Politiker hatten auf diese Forderungen bisher ablehnend reagiert, obwohl die bisherige Drogenpolitik nach Meinung des überwiegenden Teils der Fachwelt grandios gescheitert ist.
Ampelkoalition thematisierte Entkriminalisierung und geht sie nun an
Im Zuge der Koalitionsverhandlungen zur Ampel planten insbesondere die Grünen und die FDP, Cannabiskonsum zu legalisieren. Im Gespräch waren drei Varianten:
- Eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene in lizenzierten Verkaufsgeschäften
- Wissenschaftliche Modellprojekte unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums
- Entkriminalisierung statt Legalisierung: Für Besitz und Konsum von Cannabis würden Bußgelder und nicht mehr Strafen verhängt. So entfiele die Stigmatisierung Betroffener als Straftäter.
Nun hat sich die Koalition in ihrem Vertrag für die erste Variante entschieden. Dazu sollen Modellversuche zu Warnungen vor den Inhaltsstoffen sowie strengere Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und natürlich auch Cannabis kommen. Nach vier Jahren sollen die Folgen der Neuregelung hinsichtlich ihrer “gesellschaftlichen Auswirkungen” evaluiert werden.
Wie ernst es mit dem Vorhaben ist, und ob der Vorsatz, den sowieso nur 2 der 3 Parteien stark befürworten, dem einsetzenden Gegenwind standhalten wird, bleibt abzuwarten. Allerdings gibt es schon jetzt in Anbetracht der zu erwartenden Umsetzungsdauer den Vorschlag, als Zwischenschritt zügig eine Änderung des BtMG anzugehen, um Konsumierende bei Besitz geringer Mengen entkriminalisieren (Niema Movassat).
Immer mehr Juristen befürworteten eine Legalisierung
In den letzten Jahren haben immer mehr Kriminologen Zweifel an der Kriminalisierung geäußert und ihren negativen Folge beklagt. Dies erschwere, so der BGH-Richter Andreas Mosbacher auf LTO, die Aufklärung gefährdeter Jugendlichen und Heranwachsenden zu Gefahren übermäßigen Cannabis-Konsums und verhindere kriminalisierte Jugendliche, ihre Probleme mit Drogen offen anzusprechen und Hilfsangebote aktiv in Anspruch zu nehmen.
Jugendrichter des AG Bernau machte den Anfang
Der Amtsrichter Andreas Müller vom Amtsgericht Bernau hatte bereits im Jahr 2019 eine umfangreiche Richtervorlage zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Strafvorschriften des BTMG an das BVerfG veranlasst. Das AG Münster zog 2020 nach und legte in einer Richtervorlage dar, aus welchen Gründen nach seiner Auffassung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einiger Strafbestimmungen des BTMG bestehen.
Polizei fand 0,4 g Marihuana bei Heranwachsendem
Anlass der Vorlage durch das AG Münster war ein Fall, bei dem ein - wegen nicht einschlägiger Straftaten - unter Bewährung stehender Heranwachsender mit 0,4 g Marihuana von der Polizei erwischt worden war. Die StA beantragte den Erlass eines Strafbefehls in Höhe von 200 Euro wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BTMG in Verbindung mit Anlage I zu § 1 Abs. 1 BTMG.
Amtsrichter hält Bestrafung für nicht verfassungsgemäß
Der zuständige Richter des AG weigerte sich, den Strafbefehl zu erlassen. Er hatte Bedenken, dass eine strafrechtliche Verurteilung des Delinquenten in diesem Fall des Besitzes einer äußerst geringen Menge Marihuana mit der Verfassung vereinbar ist.
Richtervorlage an das BVerfG
Ähnlich wie bereits im Jahr 2019 der Jugendrichter des AG Bernau leitete der Amtsrichter daraufhin ein sogenanntes konkretes Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG beim BVerfG ein. In der Begründung des Vorlagebeschlusses bezog er sich weitgehend auf den auf über 180 Seiten begründeten Vorlagebeschluss des AG Bernau in einem weitgehend gleich gelagerten Fall.
BVerfG wies frühere Richtervorlagen zurück
Der juristische Streit um die Verfassungsmäßigkeit der Strafvorschriften des BTMG schwelt seit Langem. Bereits im Jahre 2002 hatte der Bernauer Jugendrichter im Wege einer Richtervorlage das BVerfG um Prüfung gebeten, ob das Cannabisverbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das BVerfG wies seinerzeit die Richtervorlage als unzulässig zurück und verwies auf eine Entscheidung aus dem Jahr 1994, in der das höchste deutsche Gericht entschieden hatte, dass die Strafvorschriften des BTMG mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar sind. An diese Entscheidung fühlte sich das BVerfG im Jahr 2004 gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden (BVerfG; Beschluss v. 29.6.2004, 2 BvL 8/02).
Bernauer Jugendrichter kämpft unbeirrt weiter für Cannabisfreigabe
Der Bernauer Jugendrichter hat seine erneute Richtervorlage aus dem Jahr 2019 unter anderem damit begründet, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Cannabiskonsum inzwischen deutlich umfangreicher als zum Zeitpunkt der Entscheidung 1994 sind.
- Cannabis habe sich in der Medizin bei verschiedenen Therapieformen durchgesetzt, so bei der Behandlung von Krankheiten wie multipler Sklerose, Depressionen, Spastik, Lähmungserscheinungen, Epilepsie und auch als Begleitung von Chemotherapien und Erkrankungen des Nervensystems.
- Die gesellschaftliche und politische Beurteilung des Cannabiskonsums haben sich im Laufe der Zeit deutlich geändert.
Infolgedessen sei eine neue Argumentationslage entstanden, auf deren Grundlage sich das höchste deutsche Gericht neu positionieren müsse.
Recht auf Rausch: willkürliche Unterscheidung zwischen Alkohol und Cannabis?
Der Bernauer Jugendrichter stellt unter anderem das Recht auf Rausch in den Fokus seiner Vorlagenbegründung.
- Das Recht auf Rausch sei Ausfluss der auf das Persönlichkeitsrecht gestützten allgemeinen Handlungsfreiheit, die den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG genieße.
- In diesem Zusammenhang sei auch die unterschiedliche rechtliche Behandlung von Alkohol und Cannabis willkürlich und verstoße damit gegen Art. 3 GG.
Folgenschwere Kriminalisierung von 4 Millionen Konsumenten
Die geltende Rechtslage führe zur Kriminalisierung von zur Zeit ca. 4 Millionen Cannabiskonsumenten in Deutschland mit immensen Folgen. Eine ganze Reihe dieser Personen sei inzwischen durch eine strafrechtliche Verurteilung vorbestraft mit erheblichen persönlichen und beruflichen Konsequenzen. Es habe zugleich nachteilige und teure Folgen für die Gesellschaft.
Richter halten Sanktionensystem des BTMG für willkürlich
Vor diesem Hintergrund stufen die Vorlagebeschlüsse das strafrechtliche Sanktionensystem des BTMG als unverhältnismäßig ein. Es führe nicht zuletzt zu einer ungeheuren Kostenbelastung für Staat und Gesellschaft. So führe der Zwang der Cannabiskonsumenten zur Illegalität dazu, dass Konsumenten Cannabis von minderer, mit gefährlichen Substanzen verschnittener Qualität auf dem Schwarzmarkt erwerben müssten).
Schwammige Kriterien für das Absehen von Strafverfolgung
Einen Schwerpunkt der Vorlagebeschlüsse sowohl des AG Bernau als auch des AG Münster bildet darüber hinaus § 31a BTMG. Nach dieser Vorschrift kann die StA von einer Strafverfolgung absehen, wenn
- die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und
- kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und
- der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise Besitz verschafft.
Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte
Diese Vorschrift führt in der Praxis zu erheblichen Unterschieden bei der Verhängung von Rechtsfolgen. In vielen Bundesländern haben die Justizminister eigene Anordnungen oder Anweisungen an die Staatsanwaltschaften erteilt, wie die Vorschrift im konkreten Fall anzuwenden ist.
- BTM-Mengen die in einem Bundesland, zu strafrechtlich einschneidenden Sanktionen führen können,
- führen in anderen Bundesländern zur Verfahrenseinstellung.
Auch die hierdurch entstehende Ungleichbehandlung wird in den Vorlagebeschlüssen scharf kritisiert.
(AG Münster, Vorlagebeschluss v.12.11.2020, 50 Cs 260 Js 1073/20; AG Bernau, Vorlagebschluss v. 18.9.2019, 2 Cs 226 Js 7322/19)
Hintergrund: Vorlage entscheidungserheblicher Normen
Hält ein Gericht eine verfahrenserhebliche Norm für unvereinbar mit dem GG, so kann das Gericht gemäß Art. 100 GG das Verfahren aussetzen und die Prüfung der aufgeworfenen Rechtsfrage im Rahmen eines begründeten Vorlagebeschlusses den BVerfG zur Prüfung vorlegen. Im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle kann das BVerfG dann ein Gesetz für verfassungsgemäß oder nicht verfassungsgemäß erklären. Das Vorlagegericht ist anschließend an die Entscheidung des BVerfG gebunden.
Besitz von Cannabis nicht in allen Fällen strafbar
Nach der bisherigen Regelung ist Cannabis gemäß Anlage Ib zu § 1 Abs. 1 BTMG von der strafrechtlichen Ahndung ausgenommen, wenn
- das Cannabis aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit zertifiziertem Saatgut von bestimmten Sorten gemäß Art. 9 der Delegierten VO EU Nr. 639/2014 stammt oder
- sein Gehalt an THC den Wert von 0,2 % nicht übersteigt und
- das Inverkehrbringen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen.
In einer neueren Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass nach dieser Vorschrift auch der Verkauf an Endabnehmer zu Konsumzwecken erlaubt sein kann (BGH Urteil v. 24.3.2021, 6 StR 240/20). Nach einer Entscheidung des EuGH gilt der psychoaktive Inhaltsstoff Cannabidiol nicht als Betäubungsmittel, wenn sein THC-Gehalt unter 0,2 % liegt (EuGH, Urteil v. 19.11.2020, C-663/18).
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