Schuld und Strafe: Die Macht der Bilder im Strafprozess

Eine anstehende Gesetzesreform will die Möglichkeiten der Fernsehberichterstattung in Gerichten ausweiten. Die Änderungen sind richtig, aber sie müssen Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte von Angeklagten und Zeugen nehmen.

In deutschen Gerichtssälen herrscht häufig der Charme eines 50er-Jahre-Klassenzimmers. Harte Holzstühle (jedenfalls für Angeklagte und Verteidiger, Richter haben für sich gelegentlich ergonomisch anspruchsvollere Lösungen erstritten) und dunkle Bänke, das Gericht sitzt im wahrsten Sinne des Wortes über Angeklagte zu Gericht, die Richterbank ist erhöht, allenfalls der Staatsanwalt darf, freilich am Rande, auf gleicher Höhe Platz nehmen. Der Gerichtssaal ist ein Ort autoritärer Funktionalität, er soll Sachlichkeit und Macht ausstrahlen. Kameras findet man in größeren Strafgerichten zwar fast täglich.

Herumlungernde Journalisten, die häufig nicht einmal wissen, was eigentlich der genaue Gegenstand des Verfahrens ist, das sie umschleichen, gehören mittlerweile ebenso zum Gerichtsalltag wie Robenträger und verängstigte Zivilisten.

Aufnahmen aus dem Gerichtssaal sind aber bislang (mit Ausnahme der Verhandlungen des Bundesverfassungsgerichts) nur außerhalb der Hauptverhandlung erlaubt. Für Journalisten ist das eine höchst missliche Situation. Fernsehberichterstattung über ein Verfahren, von dem es keine Bilder gibt, ist in etwa so packend wie die Übertragung eines Fußballspiels, die im Moment des Anpfiffs abgebrochen wird.

Der nunmehr vorliegende Vorschlag für eine Gesetzesänderung sieht insbesondere vor, dass bei Urteilsverkündungen an den Bundesgerichten Fernsehaufnahmen gestattet sein sollen.

In Verfahren mit historischer Bedeutung soll eine Aufzeichnung des ganzen Prozesses zugelassen werden.

Erweiterung der Öffentlichkeit?

Aus Sicht der Öffentlichkeit ist diese Erweiterung des medialen Zugangs wünschenswert. Sie bietet die Möglichkeit, dass zumindest der das Verfahren endgültig beendende Tenor nicht nur im Namen des Volkes, sondern auch an das Volk gesprochen wird.

Man muss kein Hellseher sein, um zu prognostizieren, dass insbesondere in Strafprozessen das Interesse der Öffentlichkeit an Bildern aus dem Gerichtssaal in vielen Fällen größer sein wird als in anderen Rechtsgebieten.

Komplexe zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Unternehmen bewegen die Herzen der Massen selten, Verfahren gegen angeblich gierige Manager und tötende Ehemänner schon eher.

Die Ausweitung des Öffentlichkeitsprinzips von der Saalöffentlichkeit auf eine mediale Öffentlichkeit, die gegebenenfalls in Echtzeit in die Gesichter der Verfahrensbeteiligten blicken und ihre Gestik beobachten kann, ist aber auch eine Gefahr für die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten und insbesondere der Angeklagten im Strafprozess.

Professionell Verfahrensbeteiligte haben eine öffentliche Rolle

Einwände aus den Reihen der Richter, es sei unzumutbar, Urteile in aller Öffentlichkeit sprechen zu müssen, sind allerdings befremdlich. Wer in einem Rechtsstaat über seine Mitbürger zu Gericht sitzt, muss seine Entscheidung auch gegenüber einer möglicherweise kritischen Öffentlichkeit vertreten. Gerade die damit einhergehende präventive Kontrolle des Richterspruchs ist der tiefere Sinn und Zweck einer ausgeweiteten Öffentlichkeit. Transparenz verhindert Willkür.

Auch Staatsanwälte und Rechtsanwälte müssen als professionell Beteiligte mit einer öffentlichen Kontrolle ihres beruflichen Auftretens im Prozess leben. Sie nehmen eine selbst gewählte Rolle ein, die aufgrund ihres unmittelbaren Zusammenhangs mit staatlicher Machtausübung öffentlicher Natur ist. Ausnahmefälle mag es bei Strafverfahren im Bereich der organisierten Kriminalität geben, wenn durch die öffentliche Darstellung der Verfahrensbeteiligten konkrete Bedrohungslagen entstehen würden. In aller Regel drohen neben Peinlichkeiten keine Gefahren.

Etwas Anderes gilt allerdings für diejenigen Personen, die nicht freiwillig am Verfahren teilnehmen, insbesondere für Angeklagte und – in Verfahren, in denen ausnahmsweise auch die Beweisaufnahme aufgezeichnet wird – für Zeugen. Ihre Persönlichkeitsrechte bedürfen eines besonderen Schutzes, weil die Gefahr der Verletzung dieser Rechte durch eine Übertragung des Prozesses besonders gesteigert wird. Unter welchen Voraussetzungen eine – identifizierende – Ablichtung der „unfreiwilligen“ Prozessbeteiligten zulässig sein kann, ist eine Frage, die in der Sache nicht grundlegend neu ist. Sie ist seit Jahren Gegenstand presserechtlicher Auseinandersetzungen. Es gibt hierzu eine nuancierte Rechtsprechung.

Diese Rechtsprechung darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die effektive Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten gegen journalistische Übergriffe schnell zur Farce verkommt.

Auch im Nachhinein als rechtswidrig erklärte Berichterstattung richtet regelmäßig Schäden an, die existentiell bedrohend sein können. Dies gilt erst recht für Bilder, die einmal im Internet geteilt wurden. Ihre Verbreitung zu verhindern, ist praktisch unmöglich.

Kontrollierte Kontrolle

Um diesem Problem Herr zu werden, bedarf es einer kontrollierten Bildberichterstattung im Gerichtssaal und in den Gerichtsgebäuden. Bereits bei der Produktion von Fernsehbildern muss der Staat – ausnahmsweise – die berechtigten Interessen der unfreiwilligen Prozessbeteiligten prüfen und gegebenenfalls ihre Persönlichkeitsrechte durch Verpixelung, Stimmenverfremdung und ähnliche Techniken sichern, z.B. indem die Bilder in den Gerichten unter Leitung eines unabhängigen Gremiums produziert und dann an alle interessierten Medienvertreter weitergegeben werden. Das schuldet die Gemeinschaft denjenigen, die sie ins Licht der Öffentlichkeit zwingt. Wer hingegen in seiner Rolle als Organ der Rechtspflege teil hat an der unmittelbaren Ausübung von Macht über Angeklagte und andere unfreiwillige Verfahrensbeteiligte, darf sich nicht vor der einzigen Instanz verstecken, die ihn zu Recht kontrolliert. Wer sein Urteil nicht im Fernsehen sprechen will, sollte es besser gar nicht sprechen.   

Schlagworte zum Thema:  Strafrecht, Strafverteidiger, Strafprozessordnung