Über Grönings Gnadengesuch muss nicht mehr entschieden werden

Ende 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde des zu Haft verurteilten NS-Verbrechers Gröning gegen den Vollzug des Strafurteils abgewiesen. Auch die Staatsanwaltschaft blieb hart. Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza muss nun, als letztmögliche Instanz, nicht mehr über ein Gnadengesuch um Haftverschonung wegen seines hohen Alters entscheiden, Oskar Gröning ist 96-jährig in einem Krankenhaus gestorben.

So schwerfällig die deutsche Justiz sich über Jahrzehnte mit der Verfolgung nationalsozialistischen Unrechts zeigte, so zäh lief eines der wahrscheinlich letzten Verfahren aus. Die über zu lange Zeit vermisste Strenge wurde nun, wenn auch verspätet, demonstriert.

Gnadengesuch-Entscheidung der Justizministerin stand aus

Der Rechtsweg gegen den Vollzug der vierjährigen Haftstrafe Grönings war durch die ablehnende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erschöpft und Gröning wurde mit Einschränkungen für bedingt haftfähig befunden.

Auch auf ein Gnadengesuch erhielt er im Januar 2018 von der zuständigen Staatsanwaltschaft eine Ablehnung. Der Inhalt des Gnadengesuchs und der Grund für die Ablehnung wurden nicht bekanntgegeben. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft erläuterte, es handele sich um ein nicht justiziables Verfahren, das nach freiem Ermessen entschieden würde, Ablehnungen würden generell nicht bekannt gegeben.

Die Ablehnung des Gnadengesuchs ist nicht unumstritten. Manche begrüßen dies, da auch er gnadenlos gehandelt habe, andere sehen das anders. Welches Verhalten ein Staat sich gegenüber seinen Verurteilten zumuten will, ist keine neue Frage.

Michael Fürst,  der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, verwies darauf, dass Gröning vor Gericht zu seinen Taten gestanden und Verantwortung übernommen habe. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinden würde der abgelehnte Gnadenerweis kontrovers diskutiert, im Hinblick auf die Millionen ermordeter Menschen einerseits, aber andererseits, weil Gnade eine hohe jüdische Tugend sei.

Nach der Ablehnung des Gnadengesuchs durch die Staatsanwaltschaft hatte sich der der Verurteilte noch mit einem weiteren Gesuch an die zuständige Justizministerin Barbara Havliza gewandt.

Nach Sturz doch nicht mehr haftfähig?

Eine Aussetzung des Vollzugs war Gröning vom BVerfG nicht gewährt worden, da wegen der Schwere der Taten die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs ein besonderes Gewicht habe. Ein Amtsarzt hat pflegerische und ärztliche Betreuung zur Bedingung der Inhaftierung erklärt, schwere Gesundheitsgefahren aber nicht gesehen.

Zwischenzeitlich war Gröning aber aufgrund von Verbrennungen, wohl durch Sturz an einer Heizung im Krankenhaus.

Im März hätte er aber trotz seiner Erkrankung die Haftstrafe antreten sollen, sofern Justizministerin Havliza, die aktuell über der heiklen Entscheidung über das Gnadengesuch brütete, ihn nicht noch begnadigt hätte.

4 Jahre Haft wegen Beihilfe zu 300.000-fachem Mord

Die Strafe für den "Buchhalter des Todes" betrug mit 4 Jahre Haft weniger als die Strafe mancher Wirtschaftskriminellen. Und doch zeigten sich die betroffenen Nebenkläger und auch die meisten jüdischen Organisationen mit dem Urteil zufrieden. Hieran zeigt sich das ganze Dilemma der (zu) späten Aufarbeitung der NS Verbrechen.

Auch 70 Jahre nach Kriegsende nicht vor Strafverfolgung sicher

Vier Jahre Haft für die Beteiligung an dreihunderttausendfachem Mord erscheinen auf den ersten Blick als ungeheuerlich milde. Aber den Opfern bzw. deren Angehörigen ging es nicht um den Vollzug einer harten Strafe an einem sehr alten NS-Täter, entscheidend war vielmehr, dass Täter der unmenschlichen NS-Tötungsmaschinerie auch 70 Jahre nach Kriegsende nicht vor Strafverfolgung sicher sein können, wie Thomas Walther, einer der Rechtsanwälte der 70 Nebenkläger, nach dem Prozess erklärte.

Ein Buchhalter des Todes

Zu Beginn des Prozesses hatte Gröning seine moralische Schuld eingeräumt. Er gestand, im Konzentrationslager Auschwitz organisatorisch an der Abfertigung von ankommenden Häftlingen beteiligt gewesen zu sein. Bei der Selektion der jüdischen Häftlinge aus Ungarn sei er dreimal an der Rampe eingesetzt worden. Ansonsten sei er vor allem damit befasst gewesen, über das bei den Opfern sichergestellte Bargeld Buch zu führen und dieses nach Berlin weiterzuleiten. Auch Gepäck und sonstige Gegenstände der ankommenden Häftlinge habe er teilweise bewacht. Gröning überließ es ausdrücklich dem Gericht, die von ihm empfundene moralische Schuld rechtlich zu bewerten.

Ein deutschnationales Elternhaus ist keine Entschuldigung

Die rechtliche Bewertung nahm der Vorsitzende Richter Kompisch mit klaren Worten vor:

„Das, was Sie moralische Schuld nennen, ist genau das, was im StGB als Beihilfe zum Mord bezeichnet wird.... diese haben Sie in 300.000 zusammenhängenden Fällen geleistet... Auschwitz war schlicht und ergreifend eine auf die Tötung von Menschen ausgerichtete Maschinerie

erklärte der Richter. Jeder der daran mitgewirkt habe, habe sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Kompisch warf Gröning auch vor, dass er sich freiwillig für den Dienst entschieden habe, er sei hierzu nicht gezwungen worden, auch wenn der Zeitgeist möglicherweise den Blick verengt habe. Ein deutschnationales Elternhaus sei jedenfalls kein Entschuldigungsgrund

Gröning war bei der Selektion an der Rampe dabei

Angesichts dieser Vorhaltungen mutet das Strafmaß tatsächlich milde an. Die Anklage gegen Gröning wurde auf die so genannte „Ungarn-Aktion“ beschränkt, während der in der Zeit von Mai 1944 bis Juli 1944 über 400.000 Juden aus Ungarn ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden waren, 300.000 davon wurden in den Gaskammern getötet.

Bei der Selektion an der Rampe bei Ankunft der Züge, in denen die Deportierten wie Vieh zusammengepfercht waren, entschied sich bereits, wer sterben musste. Das Gericht glaubte Gröning nicht, dass er nur Gepäck bewacht und Geld gezählt habe, ohne zu erkennen, was anschließend mit den Menschen geschah. Er habe durch seinen Dienst bewusst den reibungslosen Ablauf der Tötungsmaschinerie gefördert. Er sei dabei gewesen, weil er zur „schneidigen, zackigen Truppe der SS gehören “ wollte.

Auch Respekt gegenüber dem Angeklagten

Der Vorsitzende Richter Kompisch bekundete dennoch auch seinen Respekt gegenüber dem Angeklagten. Er habe in dem Verfahren in einer Weise offen und weitgehend wahrheitsgemäß ausgesagt, wie dies bisher bei NS-Angehörigen nicht üblich gewesen sei. Dies lasse seinen Willen erkennen, sich seiner Verantwortung zu stellen. Vielleicht könne das Urteil auch ihm, dem Angeklagten persönlich dabei helfen, einen inneren Schlussstrich unter das Geschehen zu ziehen.

Das war der gesetzliche Strafrahmen

Juristisch blieb das Gericht mit seinem Urteil im unteren Bereich des möglichen Strafrahmens. Der Tatbestand des Mordes wird gemäß § 211 StGB mit zwingend lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Die Strafe des Gehilfen ist gemäß § 27 Abs. 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Ziffer 1 StGB eine zeitliche Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren, die gemäß § 38 Abs. 2 StGB maximal 15 Jahre betragen darf.

Überwiegend positive Reaktion der Judenverbände

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüßte das Urteil ausdrücklich als wichtiges, wenn auch sehr spätes Signal, für den Willen der deutschen Justiz, die Täter von damals auch nach 70 Jahren noch zur Verantwortung zu ziehen.

  • Ähnlich äußerten sich das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem und der Jüdische Weltkongress.
  • Dort wurde besonders hervorgehoben, dass das Gericht die Teilnahme am Räderwerk der Massenvernichtung als solche als Beihilfe zum Mord qualifiziert und nicht - wie es die frühere Rechtsprechung des BGH war (BGH, Urteil v.20.2.1969, 2 StR 280/67) – für die Verurteilung eine unmittelbare Tötungshandlung des Angeklagten verlangt habe.

Damit habe die deutsche Justiz gezeigt, dass sie die NS-Tötungsmaschinerie als Gesamtheit schuldig spreche.

Vielleicht war dies der letzte Auschwitz-Prozess. Mit seinem Urteil hat das Gericht Rechtsgeschichte geschrieben, denn dieses Urteil ist ein wichtiger Beitrag zur Aussöhnung zwischen den Verfolgten des Naziterrors und dem heutigen Deutschland (LG Lüneburg, Urteil v. 15.7.2015, 27 Ks/14).

Der BGH hat das Urteil bestätigt (Beschluss v. 20.09.2016, 3 StR 49/16), damit war der Rechtsweg für Gröning erschöpft.

Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen

Die Verfassungsbeschwerde gegen den Vollzug seiner vierjährigen Haftstrafe hatte das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, da das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bei der Entscheidung über einen Vollstreckungsaufschub ausreichend Berücksichtigung gefunden habe (BVerfG, Beschluss v. 21.12.2017, 2 BvR 2772/17).


Hintergrund

Viele frühere BGH-Richter waren auch NS-Richter

Anfang der 60-er Jahre waren 80 % der am BGH tätigen Richter Personen, die bereits in der NS-Zeit als Richter an deutschen Gerichten geurteilt haben. Wer da einen Zusammenhang zwischen diesem Umstand und der zunächst laxen Rechtsprechung zu NS-Tätern vermutete, konnte zu dieser Zeit in Justizkreisen sehr schnell in Ungnade fallen. Damals wäre eine Aufarbeitung des NS-Unrechts sicher viel sinnvoller und besser möglich gewesen als heute.

Auf unrühmliche Weise hat aber die Justiz selbst eine solche Aufarbeitung verhindert. Die Generation der heutigen Richter denkt anders; für die meisten vom NS-Unrecht Betroffenen kommt dies aber zu spät.

Schlagworte zum Thema:  Justiz