
Ein Gericht kann für die Teilnahme an Verhandlungsterminen auch bei vollständig geimpften Prozessbeteiligten, Zeugen, Sachverständigen, Anwälten und Zuschauern die Vorlage tagesaktueller negativer Tests fordern. Diese Pandemie-Entscheidung zur sitzungspolizeiliche Generalklausel traf das OLG Celle.
Der Vorsitzende eines Gerichtsverfahrens kann den Zutritt zum Sitzungssaal für sämtliche beteiligte und interessierte Personen vom Nachweis einer tagesaktuellen negativen Testung auf das Coronavirus SARS-CoV-2 abhängig machen. Auch gegenüber geimpften Personen kann nach dieser Entscheidung eine solche Anordnung verhältnismäßig sein.
Verteidiger als Beschwerdeführer gegen Testvorgabe für alle Sitzungsteilnehmer
In dem entschiedenen Fall hatte die Vorsitzende der 2. Jugendkammer des LG Hannover am 9.7.2021 für die am 12.8.2021 beginnende Hauptverhandlung eine Sicherheitsverfügung erlassen, wonach
- Verfahrensbeteiligte,
- Zeugen
- und Zuschauer
nur mit einem tagesaktuellen negativem Coronatest den Sitzungssaal betreten dürfen.
Unverhältnismäßige Testvorgabe für Immunisierte?
Die Verteidiger der Angeklagten bewerteten diese Verfügung als unverhältnismäßig, da sämtliche Verteidiger vollständig immunisiert seien und die geforderten Schnelltests ohnehin keine große Aussagekraft besäßen.
Rechtswidrig sei die Sicherungsverfügung auch deshalb, weil diese abweichend von bundes- und landesgesetzlichen Regelungen nicht zwischen geimpften und ungeimpften Personen differenziere. Die StA ihrerseits beantragte, den Beschwerden abzuhelfen.
OLG weist Beschwerden gegen Corona-Testpflicht zurück
Das mit den Beschwerden befasste OLG wies diese als zulässig, aber unbegründet zurück. Der Senat stützte seine Entscheidung auf § 176 Abs. 1 GVG. Diese sitzungspolizeiliche Generalklausel ermächtige die Vorsitzende zu allen Maßnahmen, die erforderlich sind, um den ungestörten gesetzesmäßigen Ablauf der Sitzung zu gewährleisten. Dies umfasse auch Maßnahmen zum Schutz der Verfahrensbeteiligten vor gesundheitlichen Gefahren und damit zur Verhinderung einer Ansteckung mit dem Coronavirus (BVerfG, Beschluss v. 28.9.2020, 1948/20).
Sicherungsverfügung ist kein unzulässiger Grundrechtseingriff
Die konkret getroffene Sicherungsverfügung war nach Bewertung des OLG auch kein unzulässiger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der anwaltlichen Beschwerdeführer. Zwar bedeute die Verfügung eine Einschränkung der gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Freiheit der Berufsausübung. Diesem Grundrecht stehe jedoch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der übrigen Verfahrensbeteiligten und Zuschauer gemäß Art. 2 Abs. 2 GG entgegen. Beide Grundrechtspositionen seien daher gegeneinander abzuwägen.
Freiheit der Berufsausübung nur geringfügig tangiert
Der Senat bewertete die durch einen obligatorischen Schnelltest verursachte Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit als äußerst gering im Verhältnis zum angestrebten Schutzgut des Gesundheitsschutzes sämtlicher Verfahrensbeteiligten. Aufgrund der eingetretenen erheblichen Dynamik der Covid-19-Pandemie infolge der verbreiteten Delta-Variante des Virus sei die getroffene Maßnahme im Ergebnis nicht unverhältnismäßig und bewege sich innerhalb des nach § 176 GVG eingeräumten Ermessensspielraumes.
Schnelltests sind nach wissenschaftlichen Maßstäben sinnvoll
Die Vorsitzende hat den ihr eingeräumten Ermessensspielraum nach Bewertung des OLG in pflichtgemäßer Weise genutzt. Die Verfügung eines zwingenden Antigentests sei zur Sicherung der Gesundheit der Verfahrensbeteiligten geeignet. Die Maßnahme entspreche der Einschätzung des RKI, das Antigentests als ergänzendes Instrument der Pandemiebekämpfung ausdrücklich anerkenne.
Die gegenteilige Auffassung der Beschwerdeführer, ein Schnelltest mache medizinisch keinen Sinn, entspreche nicht dieser wissenschaftlichen Einschätzung des RKI. Im Gegenteil empfehle das RKI als Vorbereitung für Herbst und Winter eine systematische Testung von Pflegepersonal unter Einsatz von Antigenschnelltests.
Auch Geimpfte können ansteckend sein
Auch das von den Beschwerdeführern vorgebrachte Argument einer äußerst geringen Viruslast bei infizierten geimpften Personen sei wissenschaftlich nicht eindeutig belegt.
- Bei vollständig geimpften Personen könne nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Viruslast kurzzeitig erheblich sein,
- sie klinge infolge der Immunisierung lediglich schneller wieder ab als bei ungeimpften Personen.
Dass der Bundes- und Landesgesetzgeber diesen Umstand teilweise anders bewerte, habe auf die Sitzungshoheit der Vorsitzenden Richterin keine Auswirkungen.
Die obligatorische Testung erhöht das Sicherheitsniveau im Gerichtssaal
Schließlich beanstandet das OLG auch die Annahme der Vorsitzenden nicht, dass mildere Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckungsgefahr nicht zur Verfügung stünden. Die Vorsitzende habe die Anordnung der Testung der Sitzungsteilnehmer durch weitere Infektionsschutzmaßnahmen wie das Tragen eines Mundnasenschutzes, regelmäßiges Lüften, Abstand halten und das Aufstellen von Plexiglasscheiben ergänzt. Mit der angeordneten Testung werde das Sicherheitsniveau im Rahmen der Sitzung zusätzlich erhöht.
Die Sicherungsverfügung hat Bestand
Im Ergebnis bewertete das OLG die Sicherungsverfügung als recht- und verhältnismäßig. Die Beschwerden der Verteidiger blieben damit erfolglos. Eine weitere Beschwerde gegen die Entscheidung ist nicht möglich, § 310 Abs. 2 StPO.
(OLG Celle, Beschluss v. 2.8.2021, 2 Ws 230/21 u. 234/21).
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