
Für Verbrechen oder Vergehen, die erstinstanzlich vor dem Landegericht oder darüber verhandelt werden (und für einige weitere Fallkonstellationen) bestimmt § 140 Abs.1 StPO zwingend die Vertretung durch einen Strafverteidiger. In anderen Fällen hängt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO von der Schwere der Tat bzw. der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ab.
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Das AG hatte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Die hiergegen seitens des - ohne Verteidiger agierenden - Angeklagten eingelegte Berufung verwarf das LG als unbegründet. Am darauffolgenden Tag meldete sich ein Verteidiger, legte ein weiteres Rechtsmittel ein und beantragte seine Beiordnung.
Er wies darauf hin, der Angeklagte sei in einem weiteren Verfahren zu einer noch nicht rechtskräftigen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden, ebenfalls ohne Bewährung. Daher müsse aus beiden Verurteilungen voraussichtlich eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet werden. Gegen die Ablehnung des Beiordnungsantrages durch die Kleine Strafkammer legte der Verteidiger Beschwerde ein.
Dreimonatige Freiheitsstrafe ist kein Fall notwendiger Verteidigung
Nach Ansicht des zur Entscheidung berufenen OLG-Senats ist die Schwere einer Tat im Hinblick auf die Indizierung einer notwendigen Verteidigung bei etwa einem Jahr erwartbarer Freiheitsstrafe festzumachen. Liege die Straferwartung darunter, sei nur bei über den Normalfall deutlich hinausgehenden Schwierigkeiten im Sachverhalt und/oder dessen rechtlicher Beurteilung die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu veranlassen.
Rechtsfolgengesamtbetrachtung ist maßgeblich
Dreh- und Angelpunkt für die Beurteilung der Frage einer notwendigen Verteidigung sei das Gewicht der zu erwartenden Rechtsfolgen in ihrer Gesamtheit. Dabei dürfe eine Rechtsfolge - wie die hier verhängte dreimonatige Freiheitsstrafe - nicht isoliert betrachtet werden. Zu berücksichtigen sei vielmehr die Gesamtwirkung der Strafe. Hierzu gehören nach Auffassung der Richter sämtliche schwerwiegenden Nachteile, die der Angeklagte zu befürchten hat wie z.B. ein drohender Bewährungswiderruf.
Gesamtstrafenbildung ist kein Nachteil
Nach Auffassung der OLG-Richter kann die Gesamtstrafenbildung theoretisch insofern zu einem schweren Nachteil führen, als durch die Zusammenfassung verschiedener Strafen eine progressive Vollzugswirkung allein durch die höhere Gesamtdauer eintreten könne. Dieser Progression trägt der Gesetzgeber nach Auffassung der Richter aber bereits dadurch Rechnung, dass die Verurteilung zu mehreren Strafen gemäß § 54 StGB zu einer Erhöhung der Einsatzstrafe unter der wesentlichen Einschränkung führt, dass die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf. Auf den Fall bezogen hieße das, dass die höhere Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten durch die Einbeziehung der dreimonatigen Strafe höchstens um zwei Monate erhöht werden dürfte.
Verteidiger blitzt ab
Durch die Gesamtstrafenbildung würde auf diese Weise das Gewicht der Dreimonatsstrafe nach Auffassung der Richter in keinem Fall erhöht. Eine Verschärfung der Rechtsfolge, die in ihrem Gesamtgewicht auch nur annähernd einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr entspräche und damit die Mitwirkung eines Verteidigers gebieten könnte, ist daher nach Auffassung des Gerichts ausgeschlossen. Der Verteidiger wurde folglich nicht beigeordnet.
(OLG Stuttgart, Beschluss v. 02.03.2012, 2 Ws 37/12).