
Wer ein abgasmanipuliertes Fahrzeug nicht direkt vom Werk bezogen hat, steht vor den Fragen, wen er verklagen soll und nach dem zuständigen Gericht. Es bestehen Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer und deliktische Ansprüche gegen VW, weil durch die Manipulation die tatsächlichen Abgaswerte höher sind, als die angegebenen. Der BGH erklärte nun Diesel-Verkäufer und VW-Konzern zu Streitgenossen, obwohl VW aus unerlaubter Handlung und der Verkäufer auf Gewährleistung verklagt werden.
Die Klägerin fühlte sich durch den Kauf eines abgasmanipulierten Fahrzeugs zweifach beschwert.
- einerseits stimmen bezüglich der Verbrauchswerte die zugesicherten Eigenschaften und Unterhaltskosten des Fahrzeugs nicht,
- außerdem droht die behördliche Untersagung der Fahrzeugnutzung, denn bereits jetzt werden von den Zulassungsbehörden erste Fahrzeuge stillgelegt.
Können Hersteller und Verkäufer manipulierter Diesel zusammen verklagt werden?
Die Käuferin erhob deshalb im Bezug auf den Kauf eines manipulierten Fahrzeuges zwei Klagen.
- Sie verlangte von der VW-Händlerin aus Aalen im Bezirk des LG Ellwangen Jagst die Rückabwicklung des Kaufvertrages ihres vom VW-Skandal betroffenen Fahrzeugs aus Gewährleistungsrecht.
- Gegenüber der Volkswagen AG (Bezirk des LG Braunschweig), begehrte sie die Feststellung der Einstandspflicht aus Deliktsrecht für die aus der Beschaffenheit der Abgasreinigungseinrichtungen des Fahrzeugs resultierenden Schäden.
Die VW-Käuferin trug vor, dass sie das Fahrzeug aufgrund der Angaben des Herstellers über Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch erworben habe. Die Abgasreinigungseinrichtungen seien jedoch mit Wissen und Billigung des VW-Vorstandes so programmiert worden, dass diese im normalen Betrieb außer Betrieb gesetzt würden.
OLG Stuttgart legt Frage zur Gerichtszuständigkeit BGH vor
Auf Antrag der Klägerin legte das LG Ellwangen, bei welchem die Klage erhoben wurde, dem OLG Stuttgart die Sache zur Zuständigkeitsbestimmung vor,
- da das LG Ellwangen eine Zuständigkeit für die gegen die VW AG erhobene Klage verneinte.
- Das OLG Stuttgart wiederum sah sich jedoch an einer Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 3 ZPO gehindert, da dieses in seiner Entscheidung von einem Beschluss des OLG Nürnberg vom 25.04.2017 (1 AR 749/17) abweichen wollte.
Die beiden OLG waren uneinig über Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft. Das OLG Stuttgart vertrat entgegen des OLG Nürnbergs die Auffassung, dass zwischen den Ansprüchen gegen den Verkäufer und den Hersteller trotz unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen ein hinreichender inhaltlicher Zusammenhang bestehe und so die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft vorliegen würden.
Anspruchsrelevante Sachverhalte müssen für Streitgenossenschaft nicht deckungsgleich sein
Auch der BGH ließ einen hinreichenden inhaltlicher Zusammenhang für eine Streitgenossenschaft genügen und bestimmte das LG Ellwangen als zuständiges Gericht.
- Die hier in Betracht kommende Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setze voraus,
- dass „gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden“,
so der X. Senat. Diese Vorschrift sei grundsätzlich weit auszulegen.
Es genüge daher, wenn „die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie in ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lasse“, so der BGH. Dies treffe im vorliegenden Sachverhalt zu, da die Ansprüche darauf gerichtet seien, den Käufer von den Folgen seiner Kaufentscheidung zu befreien.
Wesentlich gleichartige Anspruchsgründe sind ausreichend
Die Ansprüche beruhten im Wesentlichen auf den gleichartigen tatsächlichen Gründen: Gegen beide Beklagte sei der maßgebliche Anknüpfungspunkt der Schadstoffausstoß und der Kraftstoffverbrauch, die darauf bezogenen werbenden Äußerungen des VW-Konzerns und deren Einfluss auf die Kaufentscheidung. Auch in rechtlicher Hinsicht seien die Anspruchsgründe im Wesentlichen gleichartig, da die Herstellerangaben nach der Klagebegründung unter kaufrechtlichen wie deliktsrechtlichen Gesichtspunkten ein wesentliches Anspruchselement darstellen. Weitere, nur im Verhältnis zu den einzelnen Beklagten stehende zusätzliche Aspekte, stünden entgegen der Auffassung des OLG Nürnberg nicht so stark im Mittelpunkt, um so eine Gleichartigkeit des Anspruchsgrundes in rechtlicher Hinsicht in Frage zu stellen.
Mit ausschlaggebend: Erwägungen der Prozesswirtschaftlichkeit
Für die Bestimmung des LG Ellwangen als zuständiges Gericht sprachen für den BGH schlussendlich auch Erwägungen der Prozesswirtschaftlichkeit, da der Rechtsstreit dort anhängig gemacht wurde. Zudem sei VW als bundesweit am Markt auftretender Konzern eine Prozessführung am Sitz des Verkäufers eher zumutbar.
(BGH, Beschluss v. 06.06.2018, X ARZ 303/18).
Anmerkung: Inhaltliche Fragen zum Abgasskandal sind weiterhin offen und wurden vom BGH in seiner ersten Entscheidung zum Abgasthema nicht entschieden.
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