VG Hamburg muss syrischen Asylklägern PKH gewähren

Das Bundesverfassungsgericht hat gleich neun Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgehoben, die syrischen Asylbewerbern Prozesskostenhilfe für Asylverfahren versagten. Die PKH-Versagung für Asylsuchende aus Syrien ist wegen uneinheitlicher Rechtsprechung mit der grundrechtlich geschützten Rechtsschutzgleichheit unvereinbar.

Die Fälle betrafen allesamt die bislang gerichtlich uneinheitlich beantwortete Frage, ob syrische Flüchtlinge nur einen sogenannten subsidiären Schutz vor Abschiebung beanspruchen können, weil wegen des Krieges in Syrien dort ihr Leben in Gefahr ist.

Subsidiärer Schutz vor Abschiebung erschwert Familiennachzug

Konsequenz aus dem lediglich subsidiären Schutz vor Abschiebung ist es, dass der Familiennachzug erheblich erschwert oder zeitweilig sogar komplett ausgesetzt wäre.

Uneinheitliche Rechtsprechung zur Frage systematischer Verfolgung

Bisher eingereichte Klagen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverfolgt ausgereister Syrer aufgrund der Gefahr von Folter im Falle einer Rückkehr nach Syrien, sowie Flüchtlingseigenschaft wehrdienstpflichtiger Syrer wurden von den Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten  bislang unterschiedlich entschieden.

Wann droht politische Verfolgung?

Prozesskostenhilfe wird nur dann gewährt, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Das Verwaltungsgericht Hamburg lehnte in den neun Fällen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe jeweils ab. Begründung: Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil zwischenzeitlich von den Oberverwaltungsgerichten überwiegend vertreten werde, dass unverfolgt ausgereisten Syrern nicht allein aufgrund ihrer Asylantragstellung im Ausland politische Verfolgung drohe.

Zu viele geflohene Syrier, um als potentielle Oppositionelle bedroht zu sein?

Ende 2015 seien von den zuvor in Syrien lebenden 22 Millionen Menschen 4,9 Millionen aus dem Land geflohen. Angesichts dieser Zahlen gebe es keine hinreichenden tatsächlichen Erkenntnisse, dass weiterhin alle ins Ausland ausgereisten Syrer als potentielle Oppositionelle angesehen würden. Aktuelle Erkenntnismittel würden keine ausreichenden Hinweise für systematische Rückkehrerbefragungen unter Anwendung von Folter ergeben.

BVerfG folgte der grobschlächtigen Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht

Das Bundesverfassungsgericht folgte der pauschalen Rechnung der Hamburger Richter nicht.

Das Verwaltungsgericht habe vorliegend in den angegriffenen Beschlüssen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe schwierige Tatsachenfragen durchentschieden, die jedenfalls durch das Hamburgische Oberverwaltungsgericht als das dem Verwaltungsgericht Hamburg übergeordnete Gericht nicht geklärt waren.

Hamburgische OVG hat Frage der Bedrohung noch nicht geklärt

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht habe die entscheidungserhebliche Frage, inwieweit unverfolgt ausgereisten Syrern bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Folter bei Rückkehrerbefragungen aufgrund einer durch das syrische Regime angenommenen oppositionellen Gesinnung droht und ihnen deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, noch nicht entschieden.

Diese Frage ist laut Bundesverfassungsgericht auch in der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt; sie wurde und wird uneinheitlich beantwortet.

  • Einige Oberverwaltungsgerichte, auf deren Auffassung sich das Verwaltungsgericht Hamburg stützt, lehnen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -; Bayerischer VGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 ZB 16.30338 -).
  • Andere Oberverwaltungsgerichte, die das Verwaltungsgericht teilweise nennt, denen es jedoch nicht folgt, sprechen die Flüchtlingseigenschaft zu (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A. -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 - und zuletzt differenzierend Hessischer VGH, Urteil vom 6. Juni 2017 - 3 A 3040/16.A -) oder haben in jüngerer Zeit erneut die Berufung zu dieser Frage zugelassen (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27. Februar 2017 - 2 LA 41/17 -)“,

listen die Karlsruher Richter auf. Ergebnis: Die erstinstanzliche Entscheidungspraxis ist sehr uneinheitlich.

Verwaltungsgericht Hamburg muss entscheiden

Angesichts dieser Lage verfehlen die angegriffenen Beschlüsse die verfassungsrechtlichen Vorgaben deutlich, kritisierten die Bundesverfassungsrichter.

  • Aufgrund der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte habe weder von einer einfachen Frage ausgegangen werden können,
  • noch durfte das Verwaltungsgericht eine Klärung der Frage durch andere Oberverwaltungsgerichte unterstellen, da unter diesen ebenfalls noch Uneinigkeit herrschte.

Vor Klärung der Tatsachenfrage Durch Obergericht keine PKH-Abklehnung

Vor diesem Hintergrund, so das Bundesverfassungsgericht weiter, würde die Versagung von Prozesskostenhilfe die Unbemittelten gegenüber den Bemittelten deutlich schlechter stellen und ihnen die Chance nehmen, ihren Rechtsstandpunkt in der mündlichen Verhandlung und in der zweiten Instanz weiter zu vertreten. Die Durchführung erstinstanzlicher Verfahren zur Sache sei auch erforderlich, um dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht Gelegenheit zu geben, sich mit den entscheidungserheblichen Fragen auseinanderzusetzen. Ob im Anschluss an die Klärung der Tatsachenfrage auch noch eine - erst durch das Bundesverwaltungsgericht abschließend zu klärende - Rechtsfrage im Raume stehen würde, lässt sich nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts erst auf der Grundlage einer geklärten Tatsachenfeststellung entscheiden.

(BVerfG, Beschluss v. 29.8.2017, 2 BvR 351/17)

Weitere News zum Thema:

Anerkennung syrischer Flüchtlinge - Lotteriespiel ohne Rechtssicherheit?

Neues Asylrecht

Bewilligung der Prozesskostenhilfe im Sorgerechtsverfahren

Hintergrund

Die Rechtsprechung zur Anerkennung syrischer Flüchtlinge erweist sich bundesweit als bunter Flickenteppich. Von Rechtssicherheit auf diesem für die Betroffenen existenziell wichtigen Gebiet ist die Rechtsprechung weit entfernt.

Damit macht es für  (syrische) Flüchtlinge einen großen Unterschied, in welchem Bundesland sie ihre Anerkennung als Flüchtling beantragen.

Schlagworte zum Thema:  Prozesskostenhilfe, Asylrecht