Prozesskostenhilfe für Klärung der Zellen-m² pro Gefangenen

Das Bundesverfassungsgericht hat einem Gefangenen zu seinem Recht verholfen, dem die Fachgerichte keine Prozesskostenhilfe für eine Amtshaftungsklage wegen menschenunwürdiger Unterbringung gewähren wollten. Es sei höchstrichterlich noch ungeklärt, wie viel Platz einem Strafgefangenen in einer Gemeinschaftszelle in Deutschland zustehe.

Der Beschwerdeführer saß zusammen mit drei weiteren Mitgefangenen über einen Zeitraum von ca. sechs Monaten in Bayern in Strafhaft. Er behauptet, in zwei identisch beschaffenen Hafträumen untergebracht gewesen zu sein, die jeweils eine Gesamtgrundfläche von 16 m² und eine vom übrigen Haftraum baulich abgetrennte Toilette aufgewiesen hätten. Doch die Fachgerichte lehnten seinen Prozesskostenhilfeantrag ab, mit dem er den Freistaat auf Schadensersatz verklagen wollte.

4 m² Grundfläche pro Gefangenen?

Deshalb zog er vor das Bundesverfassungsgericht und siegte. Die Karlsruher Richter stellten klar:

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Das sei aber vorliegend mitnichten der Fall. „Insbesondere die Frage, ob oder unter welchen Bedingungen auch eine anteilige Grundfläche von vorliegend nur 4 m² pro Strafgefangenen den Anforderungen der Menschenwürdegarantie genügen kann, ist in der Rechtsprechung nicht geklärt und wird von den Gerichten verschieden beurteilt“, betonte das höchste deutsche Gericht.

Gericht bemessen Menschenwürde in unterschiedlichen m² -Zahlen

Ungeklärt sei auch die Frage des Verhältnisses der Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 GG zu denen aus Art. 3 EMRK.

  • „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht, bezogen auf das Verbot der Folter, der unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafungen oder Behandlung nach Art. 3 EMRK, von einem Richtwert von 4 m² Grundfläche pro Gefangenen aus;
  • für erniedrigende Haftbedingungen spricht eine starke Vermutung, wenn ein Häftling nicht über 3 m² Grundfläche verfügt.

Der Bundesgerichtshof hat betont, dass die Anforderungen des Grundgesetzes höher sind“, erläutert das Bundesverfassungsgericht.

Das BVerfG schlussfolgert daraus, dass die Rechtsfrage, deretwegen Prozesskostenhilfe beantragt wurde, fachgerichtlich ungeklärt sei.

Mindestmaß der Privatsphäre in Gemeinschaftsunterkunft ungeklärt

Außerdem sei bislang höchstrichterlich nicht geklärt, welches Mindestmaß an Privatsphäre es in einer Gemeinschaftsunterkunft von Gefangenen geben müsse und ob sonstige Haftbedingungen wie etwa großzügige Umschlusszeiten in die Abwägung mit einfließen müssen.

(BVerfG, Beschluss vom 20.5.2016,1 BvR 3359/14).



Hintergrundwissen: Strafvollzug und Menschenwürde

BVerfG Beschluss v. 27.02.2002, 2 BvR 553/01: Bei der Belegung und Ausgestaltung der Hafträume sind dem Ermessen der Justizvollzugsanstalt Grenzen durch das Recht des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) gesetzt sind (vgl. OLG Frankfurt, StV 1986, S. 27 f. mit Anm. Lesting).

Die Menschenwürde ist unantastbar und kann deshalb auch nicht auf Grund einer gesetzlichen Bestimmung wie § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG eingeschränkt werden.

Geldentschädigung für menschenunwürdige Haftbedingungen

OLG Hamburg, Urteil v. 14.01.2005, 1 U 43/04: Die unfreiwillige und nicht nur ganz vorübergehende gemeinschaftliche Unterbringung von zwei Strafgefangenen in einem Haftraum mit einer Bodenfläche von 3,90 m × 2,20 m und einem Luftraum von weniger als 26,6 cbm verstößt jedenfalls dann, wenn sich in der Zelle eine nur durch einen Vorhang abgetrennte Toilette ohne gesonderte Entlüftung befindet, nicht nur gegen § 144 Abs. 1 StVollzG, sondern auch gegen die Menschenwürdegarantie.

(Quelle: Deutsches Anwalt Office Premium)