
Einen beherzten Schritt zur Förderung der Bereitschaft von Prozessparteien zu außergerichtlichen Einigungen hat die Landesregierung Niedersachsen unternommen: Im Falle einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung, etwa durch Mediation, sollen Gerichtsgebühren vor bestimmten Fachgerichten bei Klagerücknahme künftig entfallen.
Die Überlastung der Gerichte durch Verfahren ist seit Jahren ein bisher nicht befriedigend gelöstes Problem (→ Überlastete Justiz). Auch diverse Gesetzesreformen zur Verfahrensbeschleunigung und zur Entlastung der Gerichte haben bisher allenfalls Linderung aber keine durchgreifende Lösung gebracht.
Die Bundesländer nutzen ihre Entlastungsmöglichkeiten Möglichkeiten nicht
Auch die Kreativität der Länder, Maßnahmen zur Entlastung der Gerichte zu ergreifen, ließ bisher zu wünschen übrig, obwohl rechtliche Möglichkeiten zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung durchaus gegeben sind.
Die Landesregierung Niedersachsen hat nun in ihrer Sitzung am 19.6.2018 beschlossen, die Sache in die Hand zu nehmen und den Anreiz für Streit führenden Parteien zur außergerichtlichen Streitbeilegung deutlich zu erhöhen. Die Initiative der Landesregierung betrifft die Verfahren vor den Verwaltungs-, den Sozial-, Finanz- und Arbeitsgerichten.
Niedersachsen verzichtet bei außergerichtlicher Einigung auf Gerichtsgebühren
Der Beschluss der niedersächsischen Landesregierung sieht vor, auf die Erhebung von Gebühren vor den genannten Fachgerichten unter bestimmten Voraussetzungen zu verzichten, falls der Streit der Parteien durch eine außergerichtliche Einigung beigelegt und die vor Gericht erhobene Klage zurückgenommen wird.
Länder nutzen ihre gesetzlichen Möglichkeiten nicht
Rechtliche Grundlage für das Vorpreschen der Landesregierung ist die bisher wenig beachtete Verordnungsermächtigung in § 69b GKG. Danach werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass die von den Gerichten der Länder zu erhebenden Verfahrensgebühren bei bestimmten Fachgerichten ermäßigt werden oder entfallen,
- wenn das gesamte Verfahren nach einer Mediation oder nach einem anderen Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung durch Zurücknahme der Klage oder des Antrags beendet wird
- und in der Klage oder Antragsschrift mitgeteilt worden ist, dass eine Mediation oder ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung unternommen wird oder beabsichtigt ist
- oder wenn das Gericht den Parteien die Durchführung einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorgeschlagen hat.
- Gemäß § 69b Satz 2 GKG gilt die Vorschrift auch für die Rechtsmittelinstanz.
Finanzieller Anreiz für außergerichtliche Streitbeilegung
Die Beschränkung der Regelung des GKG auf bestimmte Fachgerichte hat den Grund, dass Klagen und Anträge bei diesen Gerichten oft an relativ kurze Fristen gebunden sind. Eine außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien ist innerhalb dieser Fristen oft nur schwer zu erzielen, so bei der dreiwöchigen Klagefrist nach einer arbeitsrechtlichen Kündigung.
Durch die Möglichkeit des Erlasses der Verfahrenskosten sollen für die Parteien und Prozessbeteiligten ein finanzieller Anreiz geschaffen werden, sich auch nach Erhebung einer Klage noch um eine einvernehmliche Lösung der Streitigkeit zu bemühen. |
Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza erklärte hierzu, durch verstärkte Bemühungen um eine außergerichtliche Streitbeilegung könnten häufig zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden:
- die einvernehmliche Lösung sei häufig für die am Streit beteiligten Parteien inhaltlich befriedigender als ein streitiges Urteil,
- und mit der Neuregelung auch kostengünstiger als eine streitige Durchführung des Verfahrens.
Vorreiterrolle Niedersachsens
Mit dem Beschluss der Landesregierung ist Niedersachsen das erste Bundesland, das von der Ermächtigung des § 69 b GKG Gebrauch macht. Die Streitbeilegung in Form einer Mediation bzw. außergerichtlichen Einigung wird ohnehin viel zu wenig genutzt. Ein außergerichtliches Einigungsverfahren bietet nach Meinung der meisten Juristen deutliche kreativere Möglichkeiten zur Schlichtung von Streitigkeiten als sie das Gericht im Falle eines streitigen Urteils hat.
EU-weit soll außergerichtliche Streitbeilegung gefördert werden
Auch europaweit kommt der außergerichtlichen Streitbeilegung eine immer größere Bedeutung zu, wie eine Reihe von Schlichtungsstellen in ganz Europa beweisen. Eine herausragende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang inzwischen dem europäischen Verbraucherzentrum Deutschland in Kehl zu, das sich zur Vermeidung von gerichtlichen Streitigkeiten mit Auslandsberührung innerhalb eines Netzwerkes der europäischen Verbraucherzentren um Schlichtung bemüht. Auch hier spielt das Kostenargument bei der Vermeidung von gerichtlichen Verfahren eine gewichtige Rolle.
Hintergrund:
Während bei vielen Gerichtsverfahren 1-2 Jahre auf eine meist nicht absehbare Entscheidung gewartet werden muss, lassen sich Konflikte in der Mediation und anderen Konfliktlösungsverfahren häufig innerhalb von Wochen lösen.
Selbst wenn auch ein Prozess häufig mit einem Vergleich endet, wird dieser oft als aufgezwungener Kompromiss oder Notlösung empfunden, während bei Konfliktlösungsverfahren unter Beteiligung der Parteien eine gemeinsame Lösung für das Problem zu entwickelt wird, wobei die Erarbeitung auch die Beziehung der Parteien befrieden kann, weil die Interessen der Beteiligten berücksichtigt und beleuchtet werden.