
Islamische Friedensrichter sind hierzulande auf dem Vormarsch. Von der deutschen Öffentlichkeit fast unbemerkt schlichten sie auf mannigfache Weise Streitigkeiten in und zwischen islamisch geprägten Familien und Clans. Ist eine islamische Parallelgesellschaft dabei, sich ihr eigenes, kulturell teilweise stark abweichendes Rechtssystem zu schaffen?
„Richter ohne Gesetz“ ist der Titel eines Buches des Journalisten und Juristen Joachim Wagner. Hinter dem etwas reißerischen Titel verbirgt sich eine nüchterne Bestandsaufnahme der Tätigkeit sog. „Friedensrichter“, die ihre Funktion als Streitschlichter vornehmlich unter Palästinensern, Arabern, Türken, Aleviten und Jesiden ausüben. Der Autor hat sich auf das Milieu der libanesischen Kurden in Berlin Kreuzberg und Neukölln konzentriert.
Befriedungsfunktion
Tatsächlich findet sich in den genannten Personen- und Volksgruppen eine klare Tendenz, rechtliche Probleme „unter sich“ zu regeln. Dies hat vordergründig die positive Wirkung, dass viele Konflikte auf diese Weise nach außen friedlich ohne Störung der übrigen Gesellschaft ausgetragen werden. Besonders dem zivilrechtlichen Bereich sind auch dem deutschen Recht Schiedsvereinbarungen nicht fremd und dienen häufig einem gerechten Interessenausgleich der Beteiligten. So hat denn der rheinlandpfälzische Justizminister Jochen Hartloff (SPD) mit Blick auf diesen Sachverhalt islamische Schiedsgerichte für grundsätzlich zulässig erklärt.
Rechtliche Grundwerte werden nicht beachtet
Aber schon im Zivilrecht sind die Wertvorstellungen der Friedensrichter häufig unserer Rechtsordnung diametral entgegen gesetzt. Bei deren Art der Streitschlichtung haben nach den Untersuchungen von Wagner häufig das Ansehen und die Macht eines Clans gegenüber dem anderen erheblichen Einfluss auf die zu findende Lösung. Frauen würden häufig nicht als Zeugen akzeptiert.
Gehe es um eine familienrechtliche Auseinandersetzung hätten die Frauen fast gar keine Rechte, so dass - gemessen an unseren Grundwerten - äußerst problematische Entscheidungen gang und gäbe seien. Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) hat ihren eingangs zitierten Kollegen aus Rheinland-Pfalz denn auch zornig angegriffen und erklärt, eine „autoritative Streitschlichtung“ durch islamische Schiedsgerichte komme „nicht in Frage“.
Hoheit des deutschen Rechts wird nicht akzeptiert
Ganz übel wird es nach Wagner bei strafrechtlichen Sachverhalten. Immer häufiger machten Polizei und Staatsanwaltschaften die Erfahrung, dass Opfer von Gewalttaten und Tatzeugen belastende Aussagen gegen bestimmte Personen plötzlich widerriefen und ihr Aussageverhalten von heute auf morgen komplett änderten. Hier existiere ein schwer einschätzbares Dunkelfeld, in dem auch strafrechtlich relevante Sachverhalte unbemerkt von nicht justizförmlich ernannten Friedensrichtern nach der Scharia gelöst würden.
Vergrößern Schiedsgerichte die Gefahr kultureller Abpaltung
So sieht es jedenfalls der Buchautor Wagner. Wenn der deutsche Staat islamische Schiedsgerichte akzeptiere, riskiere er, dass die deutsche Rechtsordnung für Muslime bald gar keine Rolle mehr spiele.
Diese Gefahr sah auch die verstorbene Jugendrichterin Kirsten Heisig: „Das Recht wird aus der Hand gegeben“. Etwas gelassener sieht es der Direktor des Amtsgerichts Berlin - Tiergarten Prof. Peter Scholz. Nach seiner Auffassung ist Streitschlichtung durch Friedensrichter kein Massenphänomen. Auch sei die durchaus vorhandene befriedende Wirkung der Friedensrichter zumindest in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen nicht grundsätzlich abzulehnen.
Fazit: Es besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf. Die Lösung des Problems kann nur darin liegen, die friedensstiftende Wirkung islamischer Streitschlichtung zu nutzen unter gleichzeitiger Beachtung der Grundwerteentscheidungen der deutschen Gesellschaft. Im Strafrecht darf der Staat hierbei seine Rechtsprechungsgewalt nicht aus der Hand geben.
(Joachim Wagner, Richter ohne Gesetz, Econ Verlag, 2011).