EU-Kommission leitet Rechtsstaatsverfahren gegen Polen ein

Zum ersten Mal in der Geschichte hat die EU-Kommission ein Rechtsstaatsverfahren gegen ein Land eingeleitet. Die polnischen Justizreformen seien eine ernsthafte Gefahr für die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung. So begründete der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans die Einleitung des ungewöhnlichen Schritts gegen Polen. Was sind die Konsequenzen?

Die EU-Kommission befürchtet einen bestimmenden Einfluss der Politik auf die Justiz, der dem europäischen Grundprinzip der Gewaltenteilung diametral entgegengesetzt ist. Nicht nur die EU, auch ein nicht geringer Teil der polnischen Bevölkerung - allerdings nur eine Minderheit - probt den Aufstand gegen die polnische Justizreform. Befürchtet wird die Marginalisierung der polnischen Justiz.

EU-Kommission als Hüterin der EU-Verträge

Knapp zwei Jahre nach der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Polen und nach unzähligen Mahnbriefen hat die Kommission erstmalig in ihrer Geschichte ein Verfahren nach Art 7 des EU-Vertrages eingeleitet. Dieses Verfahren setzt die Feststellung einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit voraus. Die EU-Kommission hält die Einleitung des Verfahrens für unausweichlich. Ihre Aufgabe sei der Schutz des grundlegenden Geistes der EU-Verträge.

Stein des Anstoßes: Die polnische Justizreform

Die polnische Regierung zeigt sich von jeglicher internationaler und nationaler Kritik bisher unbeeindruckt. Der Staatspräsident Andrzej Duda hat die vom Parlament beschlossenen Reformen des Obersten Gerichts und des nationalen Justizrats unterzeichnet. Die EU-Kommission beanstandet, dass durch die Reform die Befugnis der Politik, insbesondere des Justizministers, über die Besetzung von Richterposten zu entscheiden, in unangemessener Weise ausgeweitet werde.

Polen demontiert den eigenen Rechtsstaat

Unter anderem ist in Polen nach der Reform die

  • unmittelbare Ernennung von Richtern
  • und deren Absetzung durch den Justizminister
  • ohne Kontrolle durch weitere Gremien möglich.
  • Die Befugnisse des Justizministers betreffen nicht nur die Richter an den oberen Gerichten, sondern die Richter an sämtlichen polnischen Gerichten der Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit bis in die unteren Instanzen und
  • und garantieren damit der Politik einen unmittelbaren Einfluss auf die gesamte polnische Rechtsprechung. 

Viele Richter wurden bereits abgesetzt

Flankiert wird die Reform von einem Ende 2015 im Eiltempo durch das polnische Parlament gepeitschten neuen Gesetz über das Verfassungsgericht, wonach der Präsident und Vizepräsident des Verfassungsgerichts frühzeitig ihre Positionen räumen sollten. Darüber hinaus wurden die in der vorangegangenen Legislaturperiode ernannten obersten Richter degradiert und ihre Stellen noch im Dezember 2015 auf Betreiben der polnischen Regierung neu besetzt. In Polen wird dies damit begründet, dass wichtige Richterstellen immer noch von Altkommunisten besetzt seien, die keine Gewähr für eine unabhängige Justiz bieten würden.

Nächste Schritte der EU im Rechtsstaatsverfahren gegen Polen

Das Verfahren nach Art. 7 sieht als nächsten Schritt eine Entscheidung der zuständigen EU Minister vor. Diese müssen

  • die eindeutige Gefahr
  • einer schwerwiegenden Verletzung der EU-Grundwerte in Polen feststellen.
  • Dieser Feststellung muss das EU-Parlament zustimmen.
  • Das Verfahren wird dann fortgeführt, wenn vier Fünftel der EU-Staaten, das sind 22 Mitgliedsländer, dem Verfahren zustimmen.

Unter Insidern gilt es als wahrscheinlich, dass diese Hürde genommen wird. Damit würde Polen offiziell an den Pranger gestellt.

Sanktionen setzen Einstimmigkeit voraus

Am Ende der Prozedur könnten diverse Sanktionen bis zum der Entzug des Stimmrechts für den polnischen Staat stehen. Dies ist aber eine eher theoretische Möglichkeit, denn hierzu wäre ein einstimmiger Beschluss erforderlich. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat bereits angekündigt, diesen Schritt nicht mitzugehen. Daneben droht Polen auch noch eine Klage vor dem EuGH.

Gewaltenteilung als europäischer Grundwert

Die Kommission betont, dass es bei dem Verfahren nicht um eine repressive Reaktion auf Maßnahmen der nationalkonservativen Regierung in Polen gehe,

  • auf dem Spiel stünden vielmehr die Grundwerte der europäischen Staaten.
  • Nach den Empfehlungen des Europarates und der Europäischen Union sowie nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung müssten die für die Auswahl der Richter zuständigen Behörden von der Exekutive unabhängig sein.
  • Diese fundamentalen Grundsätze der EU stünden nicht zur Disposition einzelner Staaten.

Ist Polen ein Opfer übermächtiger EU-Bürokratie?

Anders sieht es der von vielen als De-facto-Regierungschef von Polen angesehene Jaroslaw Kaczynski aus dem Blickwinkel seiner rechtsnationalen PiS-Partei. Er dürfte alles versuchen, um das gegen Polen eingeleitete Verfahren als Angriff auf die Souveränität Polens darzustellen. Bei einem nicht unerheblichen Teil der polnischen Bevölkerung stößt er damit auf offene Ohren. Sollte es ihm tatsächlich gelingen, Polen als Opfer einer übermächtigen EU-Bürokratie darzustellen, könnte das Verfahren durchaus zur Blamage für die Kommission werden.

Geld regiert nicht nur die Welt, sondern auch die EU

Gefährlich könnte für das sehr stark von EU-Geldern abhängige Polen - und auch Ungarn - die bereits von mehreren EU-Staaten vertretene Auffassung machen, die Zahlung von Fördermitteln künftig von der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards abhängig zu machen.

Vor diesem Hintergrund halten es Kommissionsmitglieder nicht für ausgeschlossen, dass der ungarische Ministerpräsident Orban, der sich - wenn es um Geld geht - schon häufiger als gnadenloser Pragmatiker gezeigt hat, den Polen doch noch die Gefolgschaft verweigert und auf ein Veto gegen Sanktionen nach Art 7 des EU-Vertrages verzichten könnte. Dann stünde die polnische Regierung innerhalb der EU tatsächlich allein auf weiter Flur.

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Die Ernennung erfolgt in den einzelnen Bundesländern nach unterschiedlichen Verfahren.

  • In Bayern ist das Justizministerium - also eine politische Behörde - für die Einstellung der Richter zuständig,
  • in Hamburg das Oberlandesgericht unter Mitbestimmung des Justizsenators.
  • In Nordrhein-Westfalen entscheiden die Oberlandesgerichte über die Einstellung der Richter in ihren Bezirken.

In allen Ländern hat die Einstellung ausschließlich nach persönlicher und fachlicher Befähigung unabhängig von der politischen Ausrichtung zu erfolgen.

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