
Das Bundesverfassungsgericht hat gegen einen Strafsenat am OLG München entschieden, dass die Presse Richter häufiger als an drei Terminen fotografieren darf. Die Angeklagten selbst dürfen auch dann abgelichtet werden, wenn sie ihr Unbehagen erkennbar zum Ausdruck bringen.
Der Fall betrifft das Strafverfahren gegen insgesamt zehn Personen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung („Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten“). Bis zum 9. Januar 2017 sind insgesamt 34 Verhandlungstage terminiert.
Vorsitze verbot Fotografieren abgeneigter Angeklagter
Der Vorsitzende erließ am 28. Juli 2016 eine sitzungspolizeiliche Anordnung.
- Sie enthielt ein Verbot der Bildaufnahme der Verfahrensbeteiligten, soweit diese erkennbar ihre Ablehnung hiergegen zum Ausdruck bringen (Ziffer I.),
- sowie eine Einschränkung der Ablichtung der Mitglieder des erkennenden Spruchkörpers auf insgesamt drei konkret bezeichnete Termine (Ziffer II.)
- und ein Anonymisierungsgebot („Verpixelungsanordnung“) bezüglich dreier Angeklagter (Ziffer III.).
Medien ziehen vor Gericht
Die Medienunternehmen beantragten dagegen einstweiligen Rechtsschutz und rügten Verletzung ihrer Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und beantragen die Aussetzung der Wirksamkeit der angefochtenen Verfügungen vom 28. Juli 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung.
Anonymisierungsanordnung hätte gereicht
Die Medienvertreter hatten Erfolg: Soweit sich die antragstellenden Unternehmen gegen die Beschränkungen der Bildberichterstattung wenden, die über die Anonymisierungsanordnung hinausgehen, sei ihre Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet, befand das Bundesverfassungsgericht.
Die Verfassungssichter sahen das Grundrecht der Pressefreiheit verletzt, soweit die Anordnung des Vorsitzenden die Entscheidung über eine Bildberichterstattung allein in die Hand der Beteiligten legt.
Kein vollständiges Verbot von Ton- und Bildaufnahmen
Zudem sei ein vollständiges Verbot von Ton- und Bildaufnahmen nicht erforderlich, wenn dem Schutz kollidierender Belange bereits durch eine beschränkende Anordnung Rechnung getragen werden kann.
Bild-Anonymisierung reicht
Da angesichts des Tatvorwurfs sowie der politischen Geschehnisse in der Türkei ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestünde, sei es verhältnismäßiger, die Gefahr einer Identifizierung der abgebildeten Person durch die breite Öffentlichkeit durch eine Anonymisierungsanordnung Weise auszuschließen.
Lästigkeit der Presse ist kein Prüfkriterium
Weiterhin stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sich regelmäßig nicht allein auf die Angeklagten und die ihnen zur Last gelegten Taten beziehe. Es beziehe sich auch auf die Personen, die als Mitglieder des Spruchkörpers an der Rechtsfindung im Namen des Volkes mitwirken.
Die bloße Lästigkeit der Anwesenheit von Presse und Rundfunk und damit verbundene Auswirkungen auf den flüssigen Verfahrensablaufs rechtfertigen das Verbot der Erstellung von Bildaufnahmen nicht.
Pressefreiheit überwiegt Nachteile des zeitaufwändigen Presserummels
Die Begründung der Anordnung damit, dass es den Sitzungsablauf erheblich beeinträchtigen würde, wenn an jedem Sitzungstag abgewartet werden müsse, bis Fotografen und Kameraleute ihre Aufnahmen beenden, um mit der Sitzung beginnen zu können, sei nicht tragfähig für eine verhältnismäßige Einschränkung der Presse- und Rundfunkfreiheit.
Presse muss Anonymisierung der Angeklagten hinnehmen
Soweit sich die beantragte einstweilige Anordnung gegen die Anonymisierungsverfügung richtet, wurde diese von den Verfassungsrichtern abgelehnt.
- Die abschließende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Verfügung sei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht möglich.
- Würde die beantragte Anordnung ergehen, die Verfassungsbeschwerde aber später erfolglos bleiben, wären die Nachteile für die Angeklagten erheblich.
- Sie würden weiter in die Öffentlichkeit gezogen, als es Presse- und Rundfunkfreiheit verlangten, ohne dass sich dies wirksam rückgängig machen ließe.
Müssten die Angeklagten im Falle einer Fernsehberichterstattung ihr nicht anonymisiertes Bildnis zeigen, kann hierin laut Bundesverfassungsgericht eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts liegen.
Da die sitzungspolizeiliche Anordnung die bebilderte Berichterstattung aus dem Sitzungssaal nicht generell untersage, sondern sie lediglich im Hinblick darauf beschränke, dass die betreffenden Angeklagten zu anonymisieren sind, werde dem öffentlichen Informationsinteresse und den Belangen der Pressefreiheit jedenfalls weitgehend Rechnung getragen. Hinzu kommt laut Bundesverfassungsgericht, dass sich von den Angeklagten zahlreiche Bilder im Umlauf befinden, auf die die Presse möglicherweise zurückgreifen kann.
(BVerfG, Beschluss v. 9.9.2016, 2 BvR 2022/16).