Ausschluss von Peter Müller vom BVerfG-Verfahren zur Sterbehilfe

Vor dem Bundesverfassungsgericht ist zurzeit ein Verfahren zur aktiven Sterbehilfe anhängig. Der Verfassungsrichter und ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes Peter Müller hatte sich als Politiker zum Thema Sterbehilfe dezidiert und klar positioniert. Dies führte zu seinem Ausschluss aus dem anhängigen Verfahren.

Probleme hinsichtlich der möglichen Befangenheit von Verfassungsrichtern tauchen am höchsten deutschen Gericht immer mal wieder auf. Dies hat seine Ursache darin, dass ein nicht unwesentlicher Teil der höchsten deutschen Richter auf ein Vorleben als Politiker oder Hochschullehrer zurückblickt, in dem der Politiker oder Hochschullehrer nicht selten zu verfassungsrechtlich bedeutsamen Fragen bereits öffentlich eine klare Position bezogen hat. Dies kann dann in anhängigen  Verfahren zu diesen Themen in der Öffentlichkeit den Eindruck der Befangenheit erwecken.

Begründete Zweifel an der Unparteilichkeit führten zu Ausschluss

Die Ablehnung bzw. der Ausschluss von Richtern am höchsten deutschen Gericht wegen Befangenheit ist in §§ 18, 19 BVerfGG geregelt.

  • Gemäß § 18 BVerfGG ist ein Richter von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er an einer Sache beteiligt ist oder in derselben Sache bereits von amts- oder berufswegen tätig war.
  • Gemäß § 18 Abs. 2 gilt allerdings nicht als beteiligt, wer aufgrund seines Familienstandes, seines Berufes, seiner Abstammung, seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder aus einem ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist.
  • Gemäß § 18 Abs. 3 genügt für den Ausschluss wegen Befangenheit nicht die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren, die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann.
  • Nach der deutlich allgemeiner gehaltenen Regelung des §19 BVerfGG kann ein Richter im übrigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wobei die Besorgnis der Befangenheit immer dann gegeben ist, wenn ein Grund besteht, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu wecken.

Darauf, ob der Richter tatsächlich befangen ist, kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass in der Öffentlichkeit bei vernünftiger Würdigung aller Umstände ein begründeter Anlass besteht, an der Unparteilichkeit zu zweifeln.

Als Ministerpräsident hatte Peter Müller dezidiert Position bezogen

Solche Gründe, an der Unparteilichkeit des Verfassungsrichters Peter Müller im Streit um das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gemäß § 217 StGB zu zweifeln, sah der Senat, der ohne Mitwirkung des Richters Müller über die Befangenheit zu entscheiden hatte, als gegeben an.

  • Im Jahr 2001 hatte Müller in einer Kirche als Ministerpräsident des Saarlandes eine Rede gehalten, in der er sich zum Grundsatz der Nichtverfügbarkeit des Lebens bekannte und aktive Sterbehilfe ablehnte.
  • In einer gemeinsamen Presseerklärung mit Kirchenvertretern hatte er die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung durch den Verein „Dignitas“ scharf kritisiert und jede gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung abgelehnt.

Als Ministerpräsident wurde Müller initiativ im Hinblick auf die Schaffung eines Straftatbestandes zur Verfolgung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Im Jahr 2006 hatte Müller einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Bundesrat zunächst keine Mehrheit fand.

Der jetzige § 217 StGB stimmt allerdings im wesentlichen mit dem ursprünglichen, von Peter Müller vorgelegten Gesetzentwurf überein.

Zu starke persönliche Einbindung Müllers in die Thematik

Der Senat wies in seiner Entscheidung zunächst darauf hin, dass es für qualifizierte Entscheidungen des BVerfG eminent wichtig sei, dass an ihnen auch Richter mitwirken, die früher politische Ämter bekleidet oder Funktionen in Parlamenten ausgeübt hätten.

Die bloße Mitwirkung an einem Gesetzgebungsverfahren reiche nach § 18 BVerfGG auch nicht aus, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

Es bedürfe zusätzlicher Umstände, die eine besonders enge Beziehung des Richters zu dem zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellten Gesetz geschaffen hätten.

  • Diese zusätzliche Umstände sah das Gericht in der Kirchenrede des Politikers Müller sowie in seinen weiteren eindeutigen öffentlichen Stellungnahmen.
  • Müller habe im übrigen an Gesetzgebungsverfahren nicht nur mitgewirkt, sondern einen entscheidenden politischen Impuls für die Einführung von § 217 StGB gegeben.

Daraus folge eine besonders enge, aus einer persönlichen Überzeugung abzuleitende Verbindung zu der Thematik. Auch der seit seiner politischen Tätigkeit eingetretene erhebliche Zeitablauf könne die Besorgnis der Befangenheit nicht entkräften.

Bundesverfassungsrichter werden nach politischem Proporz gewählt

Das Problem der Befangenheit von Verfassungsrichtern stellt sich auch deshalb häufig schärfer als bei Richtern sonstiger Gerichte, weil Bundesverfassungsrichter nach einem ausgeklügelten politischen Proporz ernannt bzw. gewählt werden, und zwar

  • je zur Hälfte vom Bundesrat und vom Bundestag,
  • die jeweils abwechselnd auch den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Gerichts bestimmen.
  • Die Richterwahl erfolgt im Bundesrat durch die Mitglieder unmittelbar,
  • im Bundestag wählt ein Wahlausschuss bestehend aus zwölf Abgeordneten.

Allerdings müssen mindestens drei Mitglieder jedes Senats aus dem Kreis der Richterinnen und Richter der obersten Bundesgerichte gewählt werden, um sicher zu stellen, dass juristische Fachqualität und nicht die politische Ausrichtung der Richter das prägende Merkmal jedes Senats bleiben.

Zeitweiser Ansehensverlust in der Öffentlichkeit

Der sich aus dem Wahlverfahren speisende Verdacht mangelnder politischer Neutralität wurde in den letzten Jahren durch außergerichtliche Tätigkeiten einzelner Verfassungsrichter zusätzlich verstärkt.

  • So hatten außergerichtliche gutachterliche Tätigkeiten des ehemaligen Präsidenten des BVerfG Hans-Jürgen Papier oder des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit der höchsten deutschen Richter deutlich beschädigt.
  • In Reaktion hierauf geht das Gericht mit Einwänden aus der Öffentlichkeit nun deutlich sensibler um als früher. 

Neutralität ist oberstes Gebot

Vor diesem Hintergrund hatte sich das höchste deutsche Gericht erst kürzlich ein eigenes Compliance-Regelwerk verpasst, in dem die Richter sich verpflichten, Tätigkeiten zu unterlassen, die auch nur den Anschein des Zweifels an ihrer Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Integrität erwecken könnten.

Der neue Verhaltenskodex stellt die absolute Neutralität der Amtsführung in den Vordergrund. In diese Kultur der Aufwertung des Neutralitätsgedankens und der Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit passt auch die Entscheidung, den in der Sache eindeutig positionierten Verfassungsrichter Peter Müller gemäß § 19 BVerfGG nicht an der Entscheidung über die Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung gemäß § 217 StGB teilhaben zu lassen.

(BVerfG, Beschluss v. 13.2.2018, 2 BvR 651/16).



Hintergrund:

Auswahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht

Ist die Wahl der Bundesverfassungsrichter grundgesetzkonform und so transparent und demokratisch, wie es der auch politisch herausragenden Rolle dieses Organs entspricht?

  • Nach den Empfehlungen des Europarates und der Europäischen Union soll die für die Auswahl der Richter zuständige Behörde von der Exekutive unabhängig sein.
  • In einigen europäischen Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien, Norwegen, Dänemark und den Niederlanden ist dies weitgehend der Fall,
  • in Deutschland nicht.

Der Deutsche Richterbund mahnt daher auch für Deutschland zurecht eine unabhängige Selbstverwaltung der Justiz auch bei Ernennung der Richter an und der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst Wolfgang Böckenförde kritisierte in diesem Zusammenhang eine unhaltbare „Parteipatronage“.