
Der BGH zeigt gelegentlich deutlich Härte gegenüber Rechtsanwälten in Sachen Fristversäumnis: Weil die Unterschrift unter dem Schriftsatz zur Begründung der Berufung dermaßen bleich war, dass sie auf der Telefaxkopie nicht erkennbar war, galt die Frist als versäumt. Es half auch nicht, dass das nach Fristablauf eingehende Original eine Unterschrift trug.
Wenn es um die Einhaltung von Berufungsfristen geht, kennt der BGH (manchmal) kein Pardon. Das erlaubt bei der Praxis, fristwahrende Schriftsätze auf den "letzten Drücker" rauszuhauen, keine hohe Fehlertoleranz bei Formalien.
Die Rechtsanwältin der Beklagten eines Zivilrechtsstreits hatte gegen ein Urteil des LG Berufung eingelegt und am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist die 8-seitige Berufungsbegründungsschrift per Telefax an das Gericht übermittelt. Eine Unterschrift war auf der bei Gericht eingegangenen Telefaxkopie nicht erkennbar.
Blass-blaue Unterschrift auf dem Original
Das einige Tage später bei Gericht eingehende Original der Berufungsbegründung enthielt eine Unterschrift, die allerdings in einem besonders hellen Blau gehalten und nur schwach lesbar war. Das OLG wies die Rechtsanwältin darauf hin, dass innerhalb der Berufungsbegründungsfrist kein unterzeichneter Begründungsschriftsatz bei Gericht eingegangen und deshalb die Frist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt worden sei.
Anwältin reklamiert unverschuldete Fristversäumnis
Hierauf stellte die Beklagtenvertreterin gemäß § 233 ZPO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und versicherte an Eides statt, dass die blass-blaue Unterschrift auch bereits auf der am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist in das Faxgerät eingegebenen Vorlage vorhanden gewesen sei.
- Die Unterschrift sei offensichtlich drucktechnisch nicht übermittelt worden.
- Ein solches drucktechnisches Problem habe sie nicht in Erwägung gezogen und auch nicht in Erwägung ziehen müssen.
Die Fristversäumnis sei daher unverschuldet, ihr Wiedereinsetzungsantrag begründet.
OLG sieht Organisationsverschulden
Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Das OLG vertrat die Auffassung, der Rechtsanwältin falle ein Organisationsverschulden zur Last.
- Selbst wenn man unterstelle, dass die Unterschrift auf der Telefax-Vorlage tatsächlich vorhanden gewesen sei,
- so hätte die Anwältin die nahe liegende Gefahr erkennen müssen, dass die Unterschrift auf der bei Gericht eingehenden Telefaxkopie nicht lesbar sei,
- da Telefaxkopien häufig kontrastärmer seien als das Original.
Damit sei die Fristversäumnis nicht unverschuldet.
Bestimmender Schriftsatz entfaltet ohne Unterschrift keine Wirkung
Die hiergegen seitens der Beklagtenvertreterin eingelegte Rechtsbeschwerde hatte beim BGH keinen Erfolg. Der BGH wies auf die Vorschrift des § 130 Nr. 6 ZPO i. V. m. § 520 Abs. 5 ZPO hin, wonach eine Berufungsbegründung als bestimmender Schriftsatz grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein müsse.
- Nur durch die Unterschrift sei die Identifizierung des Urhebers gewährleistet.
- Nur die Unterschrift stelle sicher, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt
- und der unbedingte Wille des Urhebers besteht, die Prozesshandlung tatsächlich auszuführen. (BGH Beschluss v. 27.5.2015, III ZB 60/14).
- Dies gelte auch für die bei Gericht eingehende Telefaxkopie (BGH, Beschluss v. 26.7.2012, III ZB 70/11).
BGH bleibt hart
Für den konkreten Fall zog der Senat den Schluss, dass die Prozesshandlung Berufungsbegründung nicht wirksam innerhalb der vorgesehenen Frist vorgenommen worden war.
- Die Vorinstanz habe zurecht darauf hingewiesen, dass kontrastarme Unterschriften, vor allem in nicht schwarzer Schrift, erfahrungsgemäß auf Telekopien noch kontrastärmer oder eben gar nicht wiedergegeben würden.
- Das OLG habe daher auch zutreffend angenommen, dass die Rechtsanwältin insoweit ihre Sorgfaltspflichten verletzt habe,
- indem sie diese Möglichkeit der fehlenden Wiedergabe ihrer äußerst blassen Unterschrift auf der Telefaxkopie nicht in Betracht gezogen habe.
Damit bestätigte der BGH die ablehnende Entscheidung der Vorinstanz.
(BGH, Beschluss v. 27.9.2018, IX ZB 67/17)
Hinweis:
Bei Fristvorschriften lässt der BGH gegenüber Rechtsanwälten nur selten Gnade walten. Der Beschluss des BGH reiht sich ein in eine Reihe weiterer Entscheidungen, in denen der BGH Fristvorschriften streng ausgelegt.
- So hat der BGH erst kürzlich entschieden, dass ein Berufungsbegründungsschriftsatz, wenn er per Telefax zwar noch vor Fristablauf abgesandt, aber erst 11 Sekunden nach Ablauf der Frist als Telefaxkopie bei Gericht eingeht, verfristet ist.
- Vor 0.00 Uhr heißt nach der Rechtsprechung des BGH vor Ablauf von 23:59:59 Uhr. Dies folge daraus, dass zwischen 24 Uhr und 0:00 Uhr keine, auch keine logische Sekunde existiere (BGH, Beschluss v. 19.1.2016, XI ZB 14/15).
Ein solides Zeitmanagement in Fristsachen, zumindest aber viel Umsicht, wenn der Schriftsatz zum letztmöglichen Zeitpunkt rausgeht, ist daher nicht zuletzt unter Haftungsgesichtspunkten in jeder Kanzlei unabdingbar.
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Hintergrund:
Immer wieder führt eine ungeeignete Unterschrift dazu, das die Frist eines Schriftsatzes aus formalen Gründen überschritten wird. Es ist wichtig, dass der unterzeichnende Rechtsanwalt die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernimmt.
Eine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift setzt nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 26.4.2012, VII ZB 36/10) einen „die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug voraus, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist“.
Unter diesen Voraussetzungen könne selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung sei, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt.
„Dabei ist in Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen“.