Zeit und Recht : EGMR stoppt die Abschiebung eines Gefährders

Verheddert sich die vom BVerfG als zulässig eingestufte Abschiebung von islamistischen Gefährdern doch noch im Gestrüpp der mannigfachen Rechtsbehelfe unseres Rechtstaats? Der EGMR hat nun in letzter Minute die Abschiebung eines als hochgefährlich eingestuften Islamisten gestoppt.

Nach Freigabe der Abschiebung durch das BVerfG befand sich der aus Dagestan stammende russische, dem Islamismus nahestehende Gefährder bereits auf dem Weg zum Flughafen. Das Behördenfahrzeug, mit dem er zum Flughafen gebracht werden sollte, musste auf dem Weg dorthin wieder umdrehen. Der EGMR hatte die Abschiebung in buchstäblich letzter Minute gestoppt.

Bereitschaft zu einem Anschlag im Internet-Chat geäußert

Der 18 Jahre alte russische Staatsangehörige lebte seit seiner Kindheit mit seinen Eltern in Deutschland. Seit Frühjahr 2014 war er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die mehrfach verlängert wurde, zuletzt bis März 2018. Eine Ende 2014 von ihm beabsichtigte Ausreise untersagte die Stadt Bremen wegen der Befürchtung, dass der Betroffene nach Syrien ausreisen wollte. Die StA verdächtigte den Mann,

  • sich unter Verstoß gegen § 91 Abs. 1 Nr. 2 StGB Anleitungen zur Begehung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten beschafft zu haben.
  • Die StA geht davon aus, dass der Betroffene mit der Terrormiliz Islamischer Staat zumindest sympathisiert.
  • Er hat bereits mehrfach Suizidgedanken geäußert und
  • Er soll sich in einem Chat gegenüber einem Islamisten aus Essen bereit erklärt haben, einen Anschlag zu verüben.

Seit März 2017 in Abschiebehaft

Vor diesem Hintergrund wurde im März 2017 die Abschiebung des Mannes angeordnet. Seither saß der Mann in Abschiebehaft. Die Abschiebeanordnung beruhte auf § 58 a AufenthG. Die Vorschrift erlaubt es den Innenministern,

  • Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen,
  • zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
  • oder einer terroristischen Gefahr“
  • in einem beschleunigten Verfahren abzuschieben.

Der Begriff des Terrorismus ist hinreichend bestimmt

Die Verfassungsgemäßheit des Gesetzes wurde vom BVerfG erst kürzlich bestätigt (BVerfG, Urteil v. 24.7.2017, 2 BvR 1487/17). Nach dem Diktum der Verfassungsrichter enthält die Vorschrift hinreichend bestimmbare Tatbestandsmerkmale.

  • Insbesondere sei der Terrorismusbegriff völkerrechtlich insoweit hinreichend definiert, als damit die völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln verstanden werde,
  • und politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen
  • oder durch Angriffe auf Leib und Leben Unbeteiligter verfolgt würden.
  • Auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei in der Vorschrift durch das behördliche Ermessen auf der Rechtsfolgenseite hinreichend Rechnung getragen.
  • Schließlich besteht nach Auffassung der Verfassungsrichter auch kein Verbot der Abschiebung in die russische Föderation, da abgeschobenen Asylbewerbern dort nicht grundsätzlich eine menschenunwürdige Behandlung drohe. 

EGMR stoppt die Abschiebung

Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung wies das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen gegen seine Abschiebung umgehend zurück (BVerfG, Beschluss v. 26.7.2017, 2 BvR 1606/17). Hiergegen legte dieser postwendend Beschwerde beim EGMR ein. Dieser traf am 1.8.2017 nach Art. 39 der VerfahrensO des EGMR die vorläufige Entscheidung, dass jegliche Abschiebemaßnahmen ab sofort zu unterlassen sind.

Abschiebestopp ist kein Vorgriff auf weitere Entscheidungen

Ein Sprecher des EGMR betonte, dass diese vorläufige Maßnahme keinerlei Vorentscheidung in der Sache beinhalte.

  • Der Abschiebestopp diene ausschließlich dazu, ein geordnetes Verfahren über die Beschwerde des Mannes zu gewährleisten.
  • Der Abschiebestopp enthalte nicht einmal eine Entscheidung darüber, ob die Beschwerde des Mannes überhaupt zulässig sei und
  • auch noch nicht darüber, ob in der Folgezeit vorläufige Maßnahmen bis zur Entscheidung in einem Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz oder im Hauptsacheverfahren zu treffen seien.

Abschiebestopp nur vorläufig oder auf Jahre?

Der EGMR will nun zunächst in einem vorläufigen Verfahren eine Entscheidung darüber treffen, ob ein Abschiebehindernis vorliegt. Erst danach soll darüber entschieden werden, ob die Beschwerde zugelassen oder als unzulässig abgelehnt wird. Grundsätzlich hat der EGMR aber die Möglichkeit, einen Abschiebestopp bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhängen. Dies könnte dann noch Jahre dauern.

Viele Verfassungsbeschwerden im 1. Halbjahr 2017

Die Entscheidung des EGMR trifft die Deutschen in einer Situation, in der die Statistik ausweist, dass sich die Zahlen für die Abschiebung Ausreisepflichtiger – ob Gefährder oder nicht – nicht nach oben, sondern eher rückwärts entwickeln. Im Jahr 2016 wurden ca. 45.000 Personen abgeschoben knapp 5.000 mehr als im Jahr davor, im Jahr 2014 waren es nur ca. 11.000. Aktuell 2017 geht es aber wieder in die entgegengesetzte Richtung. Zudem klagen immer mehr Asylbewerber gegen die Ablehnung ihrer Anträge.

In der Zeit von Januar bis Juni 2017 gingen wegen ablehnender Gerichtsentscheidungen knapp 3.000 Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe ein. Obwohl Innenminister de Maizière dafür gesorgt hat, dass freiwillig Ausreisewillige eine Starthilfe von 1.200 Euro erhalten, entwickelt sich auch die Zahl der freiwillig Ausreisewilligen nicht nach oben, sondern in die andere Richtung.

Grenzen des Rechtsstaats

In der Asylpolitik zeigen sich immer mehr auch die Grenzen eines die rechtlichen Möglichkeiten der Bürger immer stärker ausdifferenzierten Rechtsstaates. Die Bewältigung der Masse an Verfahren mit hohen rechtsstaatlichen Standards erfordert nicht nur einen hohen Einsatz materieller und personeller Mittel, sondern er kostet vor allem viel Zeit, die insbesondere bei der Abschiebung von Personen, die eine Gefahr für die Gesellschaft und den Staat darstellen, eigentlich nicht vorhanden ist.

Auch die ständigen Gesetzesverschärfungen und Maßnahmen zur Beschleunigung sind kein Patentrezept, wie der vom EGMR verfügte Abschiebestopp zeigt. Die Gewährung umfangreicher Rechtsbehelfe steht einem Rechtsstaat sicher gut an, eine Grenze müsste aber dort gezogen werden, wo der Staat als handlungsunfähig dasteht, besonders wenn es um den Schutz von Leib und Leben seiner Bürger geht.

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Hintergrund:

Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, hat nur dann Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, wenn er in seinem Heimatland aus politischen, religiösen oder den sonstigen in Art. 16a GG genannten Gründen verfolgt wird.

Der Antragsteller kann aber auch Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten, wenn sein Leben oder seine Freiheit in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

  • Dieser subsidiären Schutz ist möglich,  wenn ihnen beispielsweise in ihrem Heimatland Todesstrafe oder Folter droht
  • oder dort Bürgerkrieg herrscht.
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