Whistleblowing  - rechtlich noch nicht wirklich aufgearbeitet

Rechtsschutz ist vielgestaltig und im Wandel, aber irgendwie reicht es nie für alle Fallkonstellationen. Zwar gibt es - was die wenigsten wissen - ein Recht zum Whistleblowing. Whistleblower, die oft sehr viel riskieren, stehen also in Deutschland und anderen europäischen Ländern nicht ohne jeden rechtlichen Schutz da. Allerdings ist dieser Schutz sehr lückenhaft.

Seit Edward Snowden und dem NSA-Skandal ist das Whistleblowing in aller Munde. Snowden ist ein großes Risiko eingegangen. Durch das Aufdecken der NSA-Missstände hat er eine weltweite Diskussion über das Ausspähen unbescholtener Bürger in Gang gesetzt, aber er hat auch seine familiäre und soziale Existenz nahezu ruiniert.

Whistleblowing und Arbeitsrecht

Besonders im Arbeitsrecht ist Whistleblowing ein gar nicht so neues Thema, das in den vergangenen Jahren der Rechtsentwicklung einige Anstöße gegeben hat. Ob schlecht recherchierte Stories bei Bild, Diskriminierung von Ausländern am Arbeitsplatz oder Hygienemängel bei „Burger-King“, der Chef-Whistleblower in Deutschland, Günter Wallraff, hat durch seine Reportagen einiges dazu beigetragen, Missstände offen zu legen und so aber auch einige neue Rechtsfragen aufgeworfen.

Whistleblowing in Unternehmen

Unter Whistleblowing wird gemeinhin das Aufdecken von Missständen in staatlichen oder betrieblichen Einheiten durch Eingeweihte angesehen. Da die Whistleblower selbst häufig Arbeitnehmer oder auch Beamte der jeweils kritisierten Institution sind, leben sie gefährlich, denn sie riskieren häufig ihren Arbeitsplatz, wenn sie mit ihrer Kritik zu schnell an die Öffentlichkeit gehen.

  • Größere Unternehmen arbeiten daher nicht selten mit einem „Code of Ethics“ und weisen ihre Mitarbeiter in Compliance-Trainings daraufhin, in welcher Weise Missstände zu rügen sind.
  • In der Regel sind hiernach auch schwere Missstände eines Unternehmens zunächst nur intern gegenüber den Vorgesetzten zu monieren.
  • Die Unterrichtung der Öffentlichkeit bzw. der Medien wird nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen und nach mehrfachen vergeblichen internen Rügen als zulässig angesehen. 

Rechtliche Zwickmühle

Für Beamte schreibt § 125 BBG grundsätzlich die Einhaltung des Dienstwegs vor. Eine Unterrichtung der Öffentlichkeit ist nach dem Beamtenrecht nicht vorgesehen. In ähnlicher Weise sind Arbeitnehmer nach § 84 Abs. 1 BetrVG gehalten, sich zunächst an die im Betrieb zuständige Stelle, beispielsweise den Betriebsrat, zu wenden.

Die Arbeitsgerichte sehen die Arbeitnehmer grundsätzlich in Loyalitätspflichten gegenüber ihrem Unternehmen und reagieren in der Regel nicht verständnisvoll, wenn ein Arbeitnehmer die von ihm entdeckten Missstände in der Öffentlichkeit ausbreitet.

Die sofortige Kündigung ist der Regelfall

Diese Erfahrung musste die inzwischen berühmt gewordene Altenpflegerin Brigitte Heinisch machen. Sie war bei einem von dem Klinikkonzern „Vivantes“ betriebenen Altenheim beschäftigt und erkannte dort erhebliche Missstände in der Altenpflege. Nachdem der Arbeitgeber mehrfach entsprechende Hinweise ihrerseits ignorierte, wandte sich die Altenpflegerin an die Öffentlichkeit und erstattete schließlich Strafanzeige gegen die Betreibergesellschaft. Als diese von der Strafanzeige erfuhr, kündigte sie der Altenpflegerin fristlos. ArbG und LAG schmetterten die Kündigungsschutzklage der Altenpflegerin wegen Verletzung ihrer Loyalitätspflichten ab. Der BGH und das BVerfG nahmen die Rechtsbehelfe der Altenpflegerin gar nicht erst zur Entscheidung an.

Der EGMR spricht ein Machtwort

Erst der EGMR hatte ein Einsehen und entschied, dass aufgrund der erheblichen, von der Altenpflegerin aufgedeckten Missstände, die Öffentlichkeit ein Recht auf umfassende Information habe. Durch die Kündigung sei die Altenpflegerin in ihrer nach der EMRK geschützten Meinungsfreiheit verletzt.

Die Altenpflegerin habe daher zumindest einen Anspruch auf Entschädigung. In der Folge wurde in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich die fristlose Kündigung in eine fristgemäße Kündigung umgewandelt; die Altenpflegerin erhielt eine Entschädigungssumme von 90.000 EUR (EGMR, Urteil v. 21.07.2011, Rechtssache Heinisch vs. Deutschland, Beschwerde-Nr.: 28274/08).

Schutzgesetz für Whistleblower gefordert

Nach dem Urteil des EGMR hat sich die Situation für Whistleblower nur leicht entschärft, ungefährlich ist das Whistleblowing  damit noch lange nicht. Auch der EGMR hat in seinem Urteil strenge Prüfpflichten des Whistleblowers betont und gestattet die Einschaltung der Öffentlichkeit erst nach sorgfältiger Prüfung der Richtigkeit der mitgeteilten Tatsachen.

Der ehemalige Bundesinnenminister und jetzige Rechtsanwalt Gerhard Baum von der FDP hat daher bereits öffentlich die Einführung eines Schutzgesetzes für Whistleblower gefordert. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde in den Jahren 2011/2012 bereits von den damaligen Oppositionsparteien entwickelt, kam über dieses Stadium nicht hinaus.

Deutschland hinkt hinterher

International hinkt Deutschland bei dem Schutz von Whistleblowern anderen Ländern deutlich hinterher. Ein effektiver Schutz von Whitleblowern wurde von verschiedenen Institutionen der EU bereits mehrfach angemahnt. Im Jahr 2007 wurde Brigitte Heinisch der Internationale Whistleblower-Preis verliehen.

Die international sich vergrößernde Whistleblowerszene dürfte den Druck auf die Bundesrepublik Deutschland erhöhen, sich endlich um einen effektiven Schutz zu kümmern.

Immerhin nehmen Whistleblower jedenfalls dann, wenn sie in berechtigter Weise Missstände öffentlich anprangern, öffentliche Interessen wahr.

Zum aufrechten Gang kann sich der Staat insoweit aber anscheinend nicht durchringen. Wenn wie im Fall Edward Snowden die Gefährdung erheblicher staatlicher und wirtschaftlicher Interessen durch eine Belastung der Beziehungen zu einem wichtigen Bündnispartner wie den USA im Raume steht, wird der Schutz von Whistleblowern wohl in der Realität weiterhin zurücktreten müssen.


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