Wer schläft, sündigt nicht  - es sei denn, er ist ein Richter

Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf: Macht ein Richter während eines Prozesses den Eindruck, er sei eingeschlafen, weil ihm der verhandelte Fall vielleicht zu langweilig ist, so ist dies nicht vor jedem Gericht eine ausreichende Begründung für einen erfolgreichen Rechtsbehelf.

"Schlaf ist für den Menschen, was das Aufziehen für die Uhr" (Schopenhauer). Doch alles hat seine Zeit. Für Richter und Schöffen etwa, ist eine Gerichtsverhandlung ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt zum Schlafen. Dieser Ansicht ist prinzipiell natürlich auch das Bundesverwaltungsgericht. Doch es stellt an veritables Schlafen recht hohe Ansprüche.

Während der Verhandlung in Morpheus' Armen geglitten?

Das BVerwG hatte über die Beschwerde eines Beklagten ging die Nichtzulassung der Revision gegen ein Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen zu entscheiden. Gegenstand des Verfahrens war die Bewilligung von Eingliederungshilfe für die Kosten von Integrationshelfern für behinderte Kinder an Regelschulen (BVerwG, Beschluss v. 13.06.2001, 5 B 105.00).

Wer schläft, fängt keine Fische (italienisches Sprichwort)

Die Nichtzulassungsbeschwerde stütze der Beklagte unter anderem darauf, dass einer der ehrenamtlichen Richter während der Verhandlung eingeschlafen und daher das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei (Besetzungsrüge). Mit dem Schlafverhalten von Richtern und dessen Folgen setzte sich das BVerwG denn auch ausführlich auseinander. Die Ausführungen des Gerichts erscheinen in einigen Passagen hierbei sehr ausgeschlafen, ja fast kabaretttauglich.

Die Schlafmomente sind konkret anzugeben

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgericht rechtfertigte die Besetzungsrüge gemäß § 138 Nr 1 VwGO vorliegend nicht die Beschwerde der Nichtzulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Nach den formellen Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO müsse derjenige, der sich auf die nicht ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts wegen eines eingeschlafen Richters berufe, konkrete Tatsachen vortragen, welche eine Konzentration des Richters auf die wesentlichen Vorgänge in der mündlichen Verhandlung ausschließen (BVerwG, Beschlüsse v. 03.03.1975, 6 CB 43.74; BFH, Beschlüsse v. 05. 12.1985, IV R 114/85).

Nach Auffassung des BVerwG muss der Beschwerdeführer darlegen, zu welchem Zeitpunkt der Richter genau eingeschlafen ist, was zu diesem Zeitpunkt in der mündlichen Verhandlung geschah und welche für die Entscheidung wichtigen Vorgänge der Richter während seines Schlafs nicht habe erfassen können.

Allgemeine Einschlafmerkmale reichen nicht aus

Im konkreten Fall hatte ein Referendar des den Beklagten vertretenden Rechtsanwalts einen Vermerk angefertigt, wonach der ehrenamtliche Richter unfähig war, der Verhandlung zu folgen, weil er über einen längeren Zeitraum ununterbrochen die Augen geschlossen hatte und durch seine Körperhaltung vermittelte, dass er eingeschlafen war. Dies zeigte sich am Senken des Kopfes auf die Brust, ruhigem tiefen Einatmen, sowie gelegentlichem Hochschrecken bei höheren Lärmpegel.

Hohe geistige Konzentration kann wie Schlaf aussehen

Diese Darlegungen genügten dem BVerwG nicht. Nach dessen Auffassung kann das „Schließen der Augen über weite Strecken der Verhandlung und das Senken des Kopfes auf die Brust“ auch ein Zeichen geistiger Entspannung oder besonderer Konzentration sein (BVerwG, Beschluss v. 26.01.1986, 6 C 141.82).

Dass ein Richter schläft oder tatsächlich geistig nicht anwesend ist kann nach Auffassung des BVerwG nur dann angenommen werden, wenn weitere sichere Anzeichen hinzukommen wie zum Beispiel „tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung“. Das Schließen der Augen und Senken des Kopfes auf die Brust allein war eher zweideutig und ließ nach Auffassung des Gerichts einen sicheren Rückschluss auf ein tatsächliches Einschlafen nicht zu.

Während der Schlafphasen müssen sich wichtige Dinge ereignet haben

Darüber hinaus reicht nach Auffassung des Gerichts ein bloßes kurzfristiges Einschlafen für eine begründete Besetzungsrüge auch nicht aus. Der Beschwerdeführer müsse in diesem Fall darlegen, welche Vorgänge während der diversen Schlafphasen vor Gericht verhandelt wurden und dass diese vom Richter nicht miterlebten Verhandlungspassagen für die spätere Entscheidung von erheblicher Bedeutung waren.

Kurzfristiges Einnicken könne bedeutungslos sein, wenn zu diesem Zeitpunkt in der Verhandlung Dinge erörtert würden, die für den Ausgang des Rechtstreits ohne besonderen Belang seien. Vorliegend waren nach Auffassung des Gerichts weder in die Indizien für einen Erholungsschlaf des Richters ausreichend, noch war hinreichend dargelegt, welche wichtigen Verhandlungsmomente der Richter durch seinen Schlaf versäumt haben soll. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies das Gericht daher zurück.

Fazit: Gegen schlafende Richter scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Richter dürfen während der Verhandlung auch mal einschlafen, besonders wenn der Verhandlungsverlauf gerade nicht besonders wichtig oder interessant erscheint. Labert ein Zeuge beispielsweise stundenlang dummes Zeug, so ist der wohlverdiente Schlaf überlasteter Richter während dieser Zeitspanne nicht zu beanstanden.

Bundesverfassungsgericht stellt höhere Ansprüche an richterliche Aufgewecktheit

Die Frage sei erlaubt, ob diese Rechtsprechung vor dem Hintergrund des Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG wirklich Bestand haben kann. Das BVerfG (BVerfG, Urteil v. 19.05.1992, 1 BvR 986/91) deutet den Anspruch auf rechtliches Gehör jedenfalls dahin, dass die Prozessbeteiligten einen Anspruch darauf haben, dass die Richter ihren Vortrag zur Kenntnis nehmen, um so „Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können“. Ob im Tiefschlaf versunkene Richter diesem verfassungsrechtlichen Anspruch gerecht zu werden vermögen?

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