Wer Arbeitskollegen entkleidet, dem droht die fristlose Kündigung

Zieht ein Arbeitnehmer seinem Kollegen am Arbeitsplatz unvermittelt Hose und Unterhose herunter, so kann dies eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Allerdings ist die Verhältnismäßigkeit zu beachten.

In einer etwas kuriosen Fallkonstellation hat sich das BAG mit der Frage befasst, ob der Arbeitgeber zu einer fristlosen Kündigung berechtigt ist, wenn ein Arbeitnehmer seinem Kollegen unvermittelt Hose und Unterhose herunterzieht und diesen hierdurch dem Gespött der Kollegen aussetzt.

Genitalien des Arbeitskollegen entblößt

Der Kläger war im sächsischen Werk eines Automobilherstellers als „Fertiger“ beschäftigt. In einer Nachtschicht im Mai 2019 arbeitete er zusammen mit einem Leiharbeitnehmer. Diesem zog er während der Arbeitszeit unvermittelt mit beiden Händen die Arbeitshose sowie die Unterhose herunter. Hierdurch waren die Genitalien des Leiharbeitnehmers kurzzeitig vollständig entblößt. Die Folge war erhebliches Gelächter der Arbeitskollegen. Der Leiharbeitnehmer schämte sich so sehr, dass er am Folgetag nicht zur Arbeit erschien.

Fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses

Für den Kläger hatte dieses Verhalten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses seitens der Arbeitgeberin zur Folge. Gegen die Kündigung reichte er Kündigungsschutzklage ein und hatte in zwei Instanzen Erfolg. Sowohl das ArbG als auch das LArbG Sachsen hielten die Kündigung für unwirksam. Die Gerichte bewerteten das Verhalten des Klägers nicht als eine so schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsrechtlichen Pflichten, dass eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitgeberin damit unzumutbar geworden wäre.

Interessen der Arbeitgeberin grob missachtet

Die Revision der Arbeitgeberin vor dem BAG war erfolgreich. Nach Einschätzung des BAG ist das Entblößen der Genitalien eines Arbeitskollegen grundsätzlich als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB geeignet (BAG, Urteil v. 29.6.2017,2 AZR 302/16). Durch sein Verhalten habe der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin erheblich verletzt.

Entblößen der Genitalien kann sexuelle Belästigung sein

Das BAG wies darauf hin, dass die Arbeitgeberin ihrerseits ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran habe, dass ihre Arbeitnehmer mit den im Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmern respektvoll zusammenarbeiten. Gemäß §§ 12 Abs. 1 u.3, 4 Abs. 3 AGG sei die Arbeitgeberin auch verpflichtet, die bei ihr Beschäftigten vor sexuellen Belästigungen zu schützen. Das absichtliche Entblößen der Genitalien eines Kollegen könne eine solche sexuelle Belästigung darstellen.

Entwürdigender Angriff auf die Intimsphäre

Darüber hinaus bewertete das BAG das Verhalten des Klägers als einen entwürdigenden Angriff auf die Intimsphäre seines Kollegen und damit als eine Verletzung von dessen allgemeinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, an dessen Wahrung die Arbeitgeberin ebenfalls ein eigenes schützenswertes Interesse habe. Damit habe der Kläger seiner allgemeinen Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Arbeitgeberin gemäß § 241 Abs. 2 BGB in vielfältiger Weise verletzt.

Verletzung der Würde des Betroffenen muss beabsichtigt sein

Das BAG wollte allerdings nicht endgültig entscheiden, ob das Verhalten des Klägers tatsächlich als bewusste sexuelle Belästigung eines Arbeitskollegen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG zu werten ist. Eine sexuelle Belästigung setze nämlich voraus, dass

  • ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt,
  • dass die Würde der betreffenden Person verletzt und
  • diese Person damit letztlich in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung beeinträchtigt wird.

Wichtige Einzelumstände bisher nicht geklärt

Im konkreten Fall waren nach Auffassung des BAG einige wichtige Fragen nicht geklärt. So habe der Kläger behauptet, er habe nicht die Absicht gehabt, dem Kollegen neben der Arbeitshose auch die Unterhose herunter zu ziehen. Er habe mit seinem Verhalten nach seiner Darstellung auf vorangegangene Neckereien durch den Leiharbeitnehmer reagiert und seine Reaktion eher als kleine scherzhafte Einlage verstanden. Er habe nach seiner Einlassung auch nicht die Absicht gehabt, den Betroffenen zu beschämen und habe sich später bei ihm für sein Verhalten entschuldigt. Diesen Darlegungen seien die Vorinstanzen nicht hinreichend nachgegangen.

Weitere Sachaufklärung erforderlich


Vor diesem Hintergrund hielt das BAG eine weitere Sachaufklärung der Gesamtumstände des Vorfalls und eine erneute tatrichterliche Würdigung für erforderlich. Hierbei sei im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB eine umfassende Interessenabwägung unter Beachtung des Maßstabs der Verhältnismäßigkeit erforderlich.

Zurückverweisung an die Vorinstanz

Zur weiteren Sachaufklärung hat das BAG den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

(BAG, Urteil v. 20.5.2021, 2 AZR 596/20).

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