Wenn Richter Beleidigungen großzügig durchwinken

Hass im Netzt treibt immer wildere Blüten: „Pädophilen-Trulla“, „Drecksfotze“, „Stück Scheiße“, „Sondermüll“ waren nur einige der Titel, mit denen die grüne Politikerin Renate Künast in Posts auf Facebook belegt wurde. Laut Überraschungsurteil des LG Berlin Bezeichnungen, die die Politikerin als pointierte Kritik mit Sachbezug hinzunehmen hat.

Das Urteil des LG Berlin wird inzwischen landauf landab in den Medien zitiert und als Beleg für eine nicht hinnehmbare Verrohung der deutschen Sprache und für einen mangelhaften Schutz der Betroffenen durch die deutsche Justiz angeführt. Mittlerweile wurden die dickhäutigen Richter sogar wegen Rechtsbeugung angezeigt, die Betroffene will lediglich Rechtsmittel einlegen.

Künast wollte die Namen der Urheber von Facebook erfahren

Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Renate Künast hatte die Absicht, gegen die (nicht nur) aus ihrer Sicht unerträglichen Beschimpfungen vorzugehen. Sie klagte vor dem LG Berlin auf die Erteilung einer Erlaubnis an Facebook, zu insgesamt 22 dort geposteten Kommentaren, die personenbezogenen Daten (Namen und Anschrift) der Urheber an sie herauszugeben, nach eigenen Angaben mit dem Ziel, gegen die Urheber zivilrechtlich vorzugehen.

Auskünfte bei strafbaren Inhalten möglich

Ihr Begehren stützte Künast auf § 14 Abs. 3 TMG. Nach dieser Vorschrift darf ein Diensteanbieter Auskunft über personenbezogene Daten erteilen, wenn dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche nach § 1 Abs. 3 NetzDG erforderlich ist. Dies umfasst u.a. Auskünfte bei strafrechtlichen Inhalten ins Netz gestellter Posts. Die Erteilung einer Erlaubnis für den Diensteanbieter beinhaltet allerdings noch keinen durchsetzbaren Anspruch. Ein solcher müsste im Fall der Verweigerung der Auskunft durch Facebook trotz erteilter Erlaubnis nochmals zusätzlich gerichtlich geltend gemacht werden.

LG Berlin sieht keine strafbaren Beleidigungen

Das LG Berlin sah allerdings die Voraussetzungen für die Herausgabe der personenbezogenen Daten der Urheber an Künast nicht als gegeben an. Durch die von Künast beanstandeten Posts seien keine Straftatbestände erfüllt, insbesondere enthielten die Posts keine strafbaren Beleidigungen. Die Äußerungen seien von dem verfassungsrechtlich geschützten Recht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 GG gedeckt. Der Inhalt der Posts sei zwar grenzwertig, polemisch überspitzt und teilweise sexistisch, jedoch sei zu berücksichtigen, dass die Politikerin für die geäußerte Extremkritik selbst einen Anlass gesetzt habe.

Was war der Anlass?

Der Anlass für die geposteten Kommentare war eine Diskussion im Berliner Landesparlament. Ein CDU-Abgeordneter stellte einer Rednerin die Frage, wie sie zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, wonach die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern aufgehoben werden sollte. Renate Künast rief kurz dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“. Nach ihrer eigenen Einlassung wollte sie damit lediglich den genauen Inhalt des nordrhein-westfälischen Beschlusses klarstellen. Die Zeitung „Welt am Sonntag“ stellte darauf die Frage: „Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt o. k.?“. Der eher im rechten politischen Spektrum verortete Blogger Sven Liebich griff auf seiner Facebook-Seite das Thema auf und postete sinngemäß, dass Sex mit Kindern ohne Gewalt ganz o. k. sein soll, könne ja wohl nicht wahr sein. Bei den von Künast beanstandeten Posts handelte es sich sämtlich um Kommentare zu diesem Beitrag auf der Liebich-Seite.

Zwischenruf von Künast 

Nach Auffassung des LG hatte Künast durch ihren Berliner Zwischenruf zumindest den Anlass für eine Situation geschaffen, in der durch eine möglicherweise auf einem Missverständnis beruhende Interpretation ihrer Äußerungen einige User zu der Auffassung gelangten, Künast würde Sex mit Kindern grundsätzlich gutheißen. Infolge einer hierdurch aufgeheizten Gefühlslage seien einige User bei ihren Kommentaren "über das Ziel hinaus geschossen" und hätten ihrer Erregung durch zwar unflätige, aber dennoch anlassbezogene Kritik Luft verschafft. In einer solchen emotional aufgeladen Situation müssten Politiker in der Lage sein, auch stark überzogene Kritik zu ertragen - ein Urteil, das verblüfft. 

LG stützt sich - mit gewagtester Konstruktion - auf das BVerfG

Das LG verwies ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BVerfG, wonach reine Schmähkritik, die ausschließlich den Zweck verfolge, eine Person zu diffamieren und die keinerlei sachlichen Bezug aufweise, unzulässig sei. Das BVerfG messe in diesem Zusammenhang aber dem Recht der freien Meinungsäußerung eine sehr hohe Bedeutung zu. Erst wenn eine Äußerung nach jeder möglichen Betrachtungsweise jeglichen Sachbezug vermissen lasse, sei sie als Schmähkritik einzustufen. Die Sexualisierung einiger Äußerungen seien hier ein Spiegelbild der Sexualisierung des Themas als solchem und ließen daher nicht jeglichen Sachbezug vermissen.

Künast hat Rechtsmittel angekündigt

Künast selbst will gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen. Auch für die verbale Auseinandersetzung mit Politikern müsse es Grenzen des guten Geschmacks geben. Die beanstandeten Posts enthalten nach ihrer Auffassung persönliche Diffamierungen ohne jeden Sachbezug und seien deshalb eindeutig als reine Schmähkritik einzustufen. Bei einigen der Posts bedarf es aber tatsächlich eine Menge an Fantasie , um nachzuvollziehen, worin das LG den Ansatz eines Sachbezugs zu erkennen glaubt.

(LG Berlin, Beschluss v. 9.9.2019, 27 AR 17/19)

Anmerkung: 

Die Kritik an dem Urteil ist allgemein groß und die Kanzlei Bernard Korn & Partner hat Anzeige wegen Rechtsbeugung gegen die beteiligten Richter erhoben,  mit der Begründung, dass der Verdacht nahe liege, dass sich die Richter aufgrund ihrer politischen Überzeugungen zu einem schlicht unvertretbaren Urteil entschieden haben.

Hintergrund:

Wirklich betont das BVerfG in Fällen überzogener Kritik sehr stark das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der Begriff der unzulässigen Schmähkritik ist hiernach nur dann erfüllt, wenn die reine Diffamierung einer Person ohne jeden Sachbezug im Vordergrund steht (BVerfG, Beschluss v. 7.12.2011 1 BvR 2678/10). So haben die Verfassungsrichter die Titulierung des Grünen-Politikers Volker Beck als „Obergauleiter der SA-Horden“ als von dem Politiker hinzunehmende, zwar überspitzte, aber noch sachbezogene Kritik bewertet (BVerfG, Beschluss v. 8.2.2017, 1 BvR 2973/14). Das LG Hamburg hat die Bezeichnung der AfD-Politikerin Alice Weidel als „Nazi-Schlampe“ in der ARD Satiresendung „extra 3“ unter dem Gesichtspunkt der Meinungs- und Kunstfreiheit als satirische Überspitzung für zulässig erachtet (LG Hamburg, Beschluss v. 11.5.2017, 324 O 217/17).

Auch Richter müssen gelegentlich harsche Kritik einstecken. Die Äußerung einer Partei, die Verhandlungsführung einer Richterin „erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“ und „Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin erinnerte eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren“ sind ebenfalls hinreichend sachbezogene, von der Meinungsfreiheit geschützte Kommentare (BVerfG, Beschluss v. 14.6.2019, 1 BvR 2433/17).

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