Weihnachtsamnestie für Strafgefangene

Deutschlandweit wurden im Rahmen der diesjährigen Weihnachtsamnestie mehr als 1.000 Häftlinge frühzeitig aus der Haft entlassen. Betroffen sind ausschließlich Strafgefangene, die wenige Wochen vor ihrer regulären Entlassung stehen.

Die vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen im Rahmen einer Weihnachtsamnestie ist in vielen Bundesländern Tradition. Rechtlich ist dieser Brauch allerdings äußerst umstritten. Das Bundesland Bayern schert traditionell aus.

Das reguläre Strafende muss in die Weihnachtszeit fallen

Die Weihnachtsamnestie ist in den Bundesländern an weitgehend inhaltsgleiche, strenge Voraussetzungen gebunden. So sind grundsätzlich nur Gefangene betroffen, deren regulärer Entlassungszeitpunkt in die - in den Ländern allerdings unterschiedlich definierte - Weihnachtszeit fällt. In Nordrhein-Westfalen gilt ähnlich wie in den anderen Bundesländern die Amnestie für Strafgefangene, deren endgültiges Strafende in der Zeit zwischen dem 17. November 2022 und dem 6. Januar 2023 liegt sowie für einige Gefangene, denen eine Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt wurde.

Gefährliche Straftäter sind von der Amnestie ausgeschlossen

Einige spezifische Gefangene sind von der Amnestie ausgeschlossen. Das sind in den meisten Bundesländern

  • Strafgefangene, die eine Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren oder eine Freiheitsstrafe wegen gemeingefährlicher Straftaten verbüßen.
  • Kaum Chancen auf die Amnestie haben Strafgefangene, die während der Haftzeit - beispielsweise durch Begehung einer Straftat - negativ aufgefallen sind.
  • Ausgeschlossen sind ferner ausländische Strafgefangene, deren Entlassung bevorstehende ausländerrechtliche Maßnahmen (Abschiebungen) gefährden könnte.

Die Teilnahme an der Weihnachtsamnestie ist freiwillig

Schließlich ist ein ausdrücklicher Antrag des Strafgefangenen zur Teilnahme an der Weihnachtsamnestie erforderlich, denn nicht wenige Strafgefangene verbringen die Weihnachtstage lieber im Gefängnis als alleine in Freiheit.

Beginn der Weihnachtsamnestie fiel in die Monate Oktober und November

Die betroffenen Gefangenen werden im Rahmen der Amnestie bereits deutlich vor der eigentlichen Weihnachtszeit entlassen, in Berlin in diesem Jahr schon am 20. Oktober, in den meisten anderen Bundesländern im November. Zuständig für die Entscheidung über die Gewährung der Amnestie im Einzelfall ist i.d.R. jeweils die Strafvollstreckungsbehörde.

Frühzeitiger Amnestiebeginn hat Bedeutung für die Eingliederungschancen

Die frühzeitige Haftentlassung in den Monaten Oktober und November hat praktische Gründe. So sind die Schwierigkeiten, sich in der Freiheit zurechtzufinden, unmittelbar vor und nach den Feiertagen für entlassene Häftlinge besonders groß. Dies betrifft u.a. die in dieser Zeit schwierige Wohnungssuche sowie die Bemühungen um die Aufnahme einer Beschäftigung. Die Freilassung einige Wochen vor Weihnachten soll diese Schwierigkeiten mindern.

Die Großzügigkeit der Bundesländer ist unterschiedlich

Die Zahl der Strafgefangenen, die von der Amnestie profitierten, war in diesem Jahr in NRW am höchsten. NRW schenkte 291 Häftlingen die Freiheit. In Baden-Württemberg waren es ca. 200, in Berlin 160, in Rheinland-Pfalz 88, in Hessen 75, in den übrigen Bundesländern lag die Zahl unter 50, in Bayern bei 0. Bayern begründet seine Abstinenz von dem weihnachtlichen Gnadenakt mit dem Argument, eine vorzeitige Haftentlassung dürfe nicht von den Zufälligkeiten des Kalenders abhängen. Der Erlass einer rechtskräftig verhängten Strafe im Gnadenwege müsse ganz besonders begründeten Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.

Amnestie existiert als Gnadenakt außerhalb des juristischen Systems

Die rechtliche Bewertung der Weihnachtsamnestie ist unter Juristen äußerst umstritten. Historisch ist die Amnestie ihrem Wesen nach als Gnadenerlass ein Relikt des Obrigkeitsstaates, der ohne strenge Bindung an die Gesetze über die Freiheit seiner Untertanen nach Gutdünken verfügte. Der Reichsjustizminister der Weimarer Republik und Rechtswissenschaftler Gustav Radbruch hat die mit einer Amnestie verbundene Gnade als „das gesetzlose Wunder innerhalb der juristischen Gesetzeswelt“ bezeichnet. Wer an dieser Stelle rechtlich argumentiere, der habe das Wesen der Gnade nicht verstanden. Gnade sei ihrem Wesen nach

  • keine juristische Kategorie,
  • sie entziehe sich den Grundsätzen der Gleichbehandlung,
  • sei regelrecht Abwesenheit von Recht und
  • geschenkte Freiheit.

Rechtsgrundlagen der Weihnachtsamnestie

Obwohl ein obrigkeitsstaatliches Relikt existiert für Gnadenerlasse (Gnadenerweis an einzelne Personen) und Amnestien (Gnadenerweis an Personengesamtheiten) im Rechtsstaat selbstverständlich eine Rechtsgrundlage. Auf Bundesebene, also u.a. für einen Straferlass nach bundesgerichtlichen Urteilen, ist der Bundespräsident gemäß Art. 60 Abs. 2 GG zur Begnadigung befugt. Er kann diese Befugnis gemäß Art. 60 Abs. 3 GG auf nachgeordnete Behörden übertragen. In den Ländern weisen die Landesverfassungen i.d.R. den Ministerpräsidenten das Gnadenrecht zu, auch dort meist mit der Befugnis zur Delegation an nachgeordnete Behörden, u.a. Art 59 LVerf Nordrhein-Westfalen, Art. 52 LVerf Baden-Württemberg.

Weihnachtsamnestie, eine warmherzige Farbe des Rechts?

Auch diese gesetzlichen Regelungen ändern nichts an dem Wesen der Gnadenerweise, nämlich dass Gnade vor Recht und nicht in Anwendung von geschriebenem Recht ergeht. Wenn ein ehemaliger Papst die Weihnachtsamnestie als einen, sich der menschlichen Vernunft entziehenden Strahl der Gnade in das unvollkommene Konstrukt menschlicher Gerechtigkeit definiert hat, liegt er im Hinblick auf den weihnachtlichen Anlass der Weihnachtsamnestie also nicht völlig falsch. Der weihnachtliche Gnadenakt wäre damit so etwas wie eine „warm colour of law“ und angesichts des Festes der Liebe auch unter Berücksichtigung positivrechtlicher Kategorien nicht wirklich unpassend.

Schlagworte zum Thema:  Strafrecht, Rechtsanwalt, Justiz, Juristen, Richter